Michael Haller (Foto: Kreuzkam/HMS)

Wir müssen Journalismus normativ fundieren

Veröffentlicht am 20. Februar 2017

Michael Haller hat lange für den Spiegel gearbeitet und für Die Zeit, bevor er 1993 in Leipzig Professor für Journalistik wurde. Michael Meyen hat mit ihm am 19. Januar 2017 in Hamburg über den Diplomstudiengang gesprochen, über seine Praxis-Handbücher und über das, was guten Journalismus ausmacht.

Stationen

Geboren am 16. April 1945 in Konstanz. Studium in Freiburg und Basel (Philosophie, Sozial- und Politikwissenschaften). 1974 Promotion zur politischen Philosophie Hegels (vgl. Haller 1981). Karriere im Journalismus: leitender Redakteur bei der National-Zeitung in Basel, Autor bei der Weltwoche, Redakteur und Reporter beim Spiegel (1974 bis 1987), Ressortleiter bei der Zeit (1987 bis 1990). Mitglied der Geschäftsleitung der Gesellschaft für Medienentwicklung. 1993 Ruf auf die Professur für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig. 1997 Verwalter des Lehrstuhls für Journalistik. 1999 Mitbegründer und Herausgeber der Fachzeitschrift Message (bis 2013). Mitgründer des Instituts für Praktische Journalismusforschung in Leipzig. 2010 Ruhestand (Universität Leipzig), bis Ende 2016 Leiter der Journalismusforschung an der Hamburg Media School. Verheiratet, drei Kinder.

Könnten Sie mir zu Beginn etwas über Ihr Elternhaus erzählen, Ihre Kindheit, Ihre Jugend?

Meine Eltern waren Anthroposophen. Mein Vater Kunstmaler, meine Mutter Pädagogin. Ich bin drei Wochen zu früh auf die Welt gekommen. Wollen Sie die Geschichte hören?

Ja.

Wenn ich pünktlich gewesen wäre, hätte die Hebamme nicht kommen können. Anfang Mai war schon die französische Armee in Konstanz und es gab Ausgangssperre.

Sind Sie in eine Waldorfschule gegangen?

Ja, die gesamte Schulzeit. In Freiburg im Breisgau. Ich bin immer gern hingegangen, vielleicht auch, weil ich einen wunderbaren Klassenlehrer hatte. Mit 16, 17 habe ich mich dann auch politisch engagiert. 1963 gab es die ersten Demos in Freiburg, da war ich dabei.

War Ihr Vater im Krieg?

Ja. Er wurde eingezogen, war in Afrika und Russland und kam gesundheitlich schwer beschädigt zurück. Meine Eltern fanden den Nationalsozialismus unerträglich. Wie alle Anthroposophen, die ich kennengelernt habe. Freiheitsberaubend, dem Geistigen nicht zugetan. Zu Hause wurde oft darüber diskutiert, wie die Gesellschaft sein sollte, dass sich die verschiedenen Denkweisen und Glaubensrichtungen frei entfalten können. Dazu kam die literarisch-geistige Tradition. Goethe natürlich. Mein Vater rezitierte gern. Ich erinnere mich noch an die Sonntage. Meist zitierte er aus dem Faust.

Hat er von der Malerei leben können?

Das war als anthroposophisch inspirierter Maler ein brotloser Job. Es gab ein paar Aufträge. Das war’s. Finanziell war das äußerst beschränkt. Das regelmäßige Einkommen kam von meiner Mutter. Sie hat Waldorfkindergärten gegründet und dann mehrere geleitet. Ihre Leistung war unglaublich. Ich hatte ja noch drei ältere Geschwister.

Worum ging es bei Ihren ersten politischen Versuchen?

Um die Gratis-Tram in Freiburg zum Beispiel. Wir legten uns auf die Schienen. Und dann um die Wehrdienstverweigerung. Wie besteht man vor dieser Prüfinstanz?

Wie sind Sie dazu gekommen?

Über die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration. Nicht mit meinen leiblichen Eltern, sondern generell. Leute wie Rolf Hochhuth hatten damals großen Einfluss auf uns. Der Stellvertreter (vgl. Hochhuth 1963). Und dann gab es noch einen zweiten Einfluss.

Welchen?

1993 auf einer Podiumsdiskussion. Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

In den Sommerferien machte ich ein Praktikum bei der Badischen Zeitung. Sechs Wochen in der Lokalredaktion. Da ist mir unglaublich viel aufgegangen. Ich sehe den Chef noch vor mir. Herr Haller, zu Kindern, zu Hausangestellten und zum Leser darf man nie ironisch sein. Ich war beim Hundezüchterverein gewesen und fand das in meiner jugendlichen Arroganz unsäglich. Und wurde im Bericht ironisch. Der Chef wusste, dass seine Leser ins Bild gesetzt werden wollen und dort keine belehrende Meinung suchen.

Wissen Sie noch, warum Sie Philosophie studieren wollten?

Wollte ich erst gar nicht. Ich habe in Freiburg mit Politikwissenschaft angefangen. Im zweiten Semester bin ich dann nach Basel gewechselt.

Warum das?

Ich war schwer beeindruckt von Karl Jaspers. Ich wollte ihn hören. Er war schon emeritiert, hielt aber noch Vorträge am philosophischen Seminar. Auch Edgar Salin und Karl Barth waren in Basel. Der große Soziologe und der Theologe. Das war wohl auch typisch für meine Generation. Man hat sich an Persönlichkeiten orientiert. Die Universität war noch keine Massenuniversität.

Wussten Sie damals schon, was Sie beruflich machen wollten?

Nein.

Haben Ihre Eltern nicht gedrängelt?

Ich habe mir das Studium selbst verdient, von Anfang an.

Wie sind Sie auf Karl Jaspers gekommen?

Als Reporter bei Mudschaheddin in Afghanistan (1988). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Ich war schon während Schulzeit philosophisch interessiert. Meine Jahresarbeit habe ich zum Beispiel über Lenin und gegen Stalin geschrieben. Zum stillen Entsetzen und Staunen der Lehrer. Ich ging in der Geschichte rückwärts. Via Marx kam ich zu Hegel und von dort dann zu der Frage, wie die systemische Philosophie des objektiven Idealismus wieder aufzubrechen sei. Ich habe es auch mit den transzendentalen Phänomenologen versucht. Husserl habe ich nicht verstanden. Heidegger fand ich mit seinem ontologischen Geraune unsympathisch. Die existenzielle Sicht von Sartre aber nicht. Und auch nicht das politische Engagement von Jaspers. Sein Buch Wohin treibt die Bundesrepublik? (vgl. Jaspers 1966). Das war für mich gelebte politische Philosophie.

Gibt es jemanden, den Sie als Ihren akademischen Lehrer bezeichnen würden?

Bis zu einem gewissen Grad Arnold Künzli. Lehrer im Sinne einer kritischen Weltsicht.

Ihr Doktorvater.

Eigentlich wollte ich nach zwei Semestern zurück nach Freiburg, zu Arnold Bergstraesser, internationale Politik. Dann wurde Künzli in Basel berufen, auf den Lehrstuhl für politische Philosophie. Ein Journalist und Querdenker. Das hat mich angesprochen. Wie kann die Gesellschaft sozial gerechter werden? Die Kärnerarbeit der tagtäglichen Aufklärung.

Also sind Sie wegen Künzli in Basel geblieben.

Auch. Die Studentenschaft wurde politischer. Wir haben mit 20, 30 Leuten ein Forum gegründet und dort zum Beispiel Habermas verschlungen. Erkenntnis und Interesse (vgl. Habermas 1968). Für uns war das ein Missing Link. Öffentlichkeit könnte der Motor sein, die Vorstellung, dass die bürgerliche Gesellschaft sich selbst befreit. Die Diskurstheorie oder die Idee, dass Demokratisierung nicht von oben nach unten verlaufen kann. Das leuchtete mir sofort ein, auch vor dem Hintergrund meiner Gehversuche bei der Badischen Zeitung.

Haben Sie als Student weiter journalistisch gearbeitet?

Zuerst war ich für die Freiburger eine Art Schweiz-Korrespondent. Und dann hat mir die Basler National-Zeitung eine Redakteursstelle angeboten. Ich dachte: Das ist genau das, was du machen willst. Ich wurde Leiter des Regionalressorts. Damals ging es um die Vereinigung der Kantone Baselland und Basel-Stadt.

Das kenne ich von Roger Blum (vgl. Blum 2015).

Genau. So haben wir uns kennengelernt. Er war ein jung-dynamischer Politiker. Und ich der Beobachter auf der Pressetribüne. Damals habe ich versucht, die Ideen von Habermas umzusetzen. Eine diskursive Öffentlichkeit herstellen. Eine große Debatte in der Zeitung, ein halbes Jahr lang. Im Glauben, dass sich die Vernunft durchsetzen werde.

Wie ist es ausgegangen?

Roger Blum. Quelle: privat.

Wie das Hornberger Schießen. Die Gegner haben gewonnen. Ich war für die Vereinigung und habe geglaubt, dass sich das kluge Argument durchsetzt. Okay, ich war da 23. Trotzdem war das eine aufregende Phase. Ich habe gelernt, Studieninhalte und berufliche Praxis zusammenzubringen. Das hat mich mein Leben lang begleitet. Abgesehen davon bedient es auch den Narzissmus, wenn man so jung ist und politisch wichtige Themen mitgestalten kann.

Warum haben Sie die Dissertation geschrieben? Sie hatten doch schon einen Job.

Aus drei Gründen. Ich wollte mir die Option Hochschulkarriere offenhalten. Wer weiß schon, was er zehn Jahre später machen will. Dann hasse ich Unfinished Business. Und der dritte Grund war das Thema.

Hegel (vgl. Haller 1981).

Es gab eine neue Quellenerschließung. Karl-Heinz Ilting in Saarbrücken hatte Vorlesungsskripte von Hegel ausgegraben. Mitschriften seiner Schüler. Es ging um die so folgenreiche Rechtsphilosophie. Und es war die Zeit der Karlsbader Beschlüsse. Konnte Hegel die Umbrüche jener Epoche philosophisch reflektieren?

Und das ging neben dem Job im Journalismus?

Das war eine harte Zeit. Nachtschichten, Wochenenden. Abgeschlossen habe ich 1974. Ich war gerade vom Spiegel geholt worden.

Was heißt geholt?

Ich war inzwischen Autor bei der Weltwoche in Zürich. Damals ein liberales Blatt, unter Hans O. Staub. Eine große publizistische Persönlichkeit. Eines Tages hat der Auslandschef aus Hamburg angerufen und gefragt, ob ich nicht für den Spiegel arbeiten will. Dort hat man die Weltwoche gelesen.

Ich dachte, so was passiert nicht. Dass man entdeckt wird.

Der Grund war trivial. Der Spiegel hatte seinen Schweiz-Korrespondenten verloren. Darauf hatte ich aber keine Lust. Wir haben uns schnell darauf geeinigt, dass ich nach Hamburg komme, wenn sie jemanden für die Schweiz gefunden haben.

Was haben Sie dann in Hamburg gemacht?

Spiegel-Gespräch mit Enrico Berlinguer (rechts, 1982). Von links: Michael Haller, Dieter Wild, Birgit Kraatz. An der Wand Antonio Gramsci. Quelle: Spiegel-Archiv.

Ich war Reporter für Westeuropa. Im Auslandsressort, bei Dieter Wild. Für Themen, die von den Korrespondenten vor Ort nicht abgedeckt wurden. Wir nannten es Strukturthemen. Rechtsterrorismus. Oder Eurokommunismus. Oder Aussteigerbewegung. Die spielten in vielen Ländern. Spanien, Portugal, Paris, Rom, Wien. Das war eine wunderbare Zeit. Der Spiegel schwamm damals noch im Geld.

Das heißt, dass Sie auch Mitglied der Mitarbeiter KG wurden.

Wie alle fest angestellten Redaktionsmitglieder nach einer Karenzzeit von drei Jahren, ja.

Sie hatten trotzdem Zeit, Ihre Handbuch-Serie anzufangen (vgl. Haller 1983, 1987, 1991).

Der Anstoß geht auf meine Zeit bei der National-Zeitung in Basel zurück. Ohne Freizeit-Berichterstatter konnten wir damals nicht flächendeckend über die Region berichten. Der Lehrer, der abends zum Konzert geht oder in den Verein. Wir hatten bis zu 40 von solchen freien Mitarbeitern.

Und denen wollten Sie beibringen, wie man recherchiert und schreibt.

Die Zeitung wurde einfach nicht besser, weil diese Leute nicht besser wurden. In Deutschland gab es keine Lehrbücher. Ich habe mir Skripte der Columbia University beschafft und war hin und weg. Da war so vieles schon aufgeschrieben und in ein Curriculum gegossen worden. Reporting und Basics des Factcheckings zum Beispiel. Das hat mich inspiriert. Ich habe dann eigene Manuale für unsere Mitarbeiter geschrieben. Wir haben unsere Leute samstags in die Zentrale eingeladen. Es gab immer zuerst einen Vortrag. Mit einem attraktiven Redner, damit möglichst viele kommen.

Hat es funktioniert?

Michael Haller und Hermann Meyn, damals Vorsitzender des DJV (1993). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Ja. Von manchen Ideen profitiere ich heute noch, wenn ich in Medienhäusern unterwegs bin. Heute nennt man das Qualitätsmanagement. Die Story des Monats, Rechercheleistungen mit Punktesystem und solche Sachen. Eigentlich trivial, aber hilfreich. Als ich dann beim Spiegel war, haben mich immer wieder Kollegen gefragt, ob ich meine Materialien nicht ausarbeiten und zur Verfügung stellen wolle. So kam es zum Handbuch Recherchieren (Haller 1983).

Kannten Sie damals die Lehrhefte aus Leipzig (vgl. exemplarisch Schulze 1986)?

Davon hatte ich keine Ahnung, nein. Konnte man im Staatssozialismus aus unabhängiger Sicht aufdeckend recherchieren? Kannte man dort die Bedeutung des öffentlichen Interesses? Ich glaubte das nicht.

Und das zweite Handbuch, zur Reportage (Haller 1986)?

Durch meinen Job beim Spiegel habe ich mich auch systematisch mit dem Schreiben von Reportagen beschäftigt. Damals wollte mich die Akademie für Publizistik in Hamburg als Dozent für Reportagekurse. War ein schöner Anlass, in die Geschichte des journalistischen Erzählens einzutauchen und mir die Vermittlungsfunktion des Journalismus im Unterschied zur Literatur klarzumachen. So kam eins zum anderen.

Sie haben sich in Dortmund auf eine Journalistikprofessur beworben (vgl. Rager 2015). War das überhaupt attraktiv für einen Mann vom Spiegel?

Das war 1990, da war ich schon länger nicht mehr beim Spiegel.

Bei der Zeit. Auch nicht schlechter.

Theo Sommer hatte mir angeboten, das Dossier zu leiten. Beim Spiegel hatte ich nach 13 Jahren fast alles durch. Chefredakteur würde ich nie werden, und die Ressortleitungen waren auf lange Sicht besetzt.

Also war der Wechsel ein Aufstieg.

Ich fand, dass sich Die Zeit verändern muss, und hatte mit Sommer besprochen, das Dossier zu einem Think Tank zu machen, aus dem so etwas wie die wöchentliche Titelgeschichte entsteht. Eine gute Idee. Aber hat damals leider nicht funktioniert. Neutral gesagt: Der Widerstand war zu groß. Die anderen Ressortleiter waren schon in Diadochenkämpfen um die Nachfolge von Sommer verwickelt. Mit so was kann ich nicht gut umgehen. Nach drei Jahren hatte ich die Nase voll. Genau in diese Zeit fiel die Ausschreibung der Professur in Dortmund.

Hatten Sie als Reporter und Ressortleiter eine Beziehung zu diesem Fach?

Michael Haller und Ulrich Saxer (1992). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Über mehrere Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Dann persönliche Kontakte. Bei der Zeit bin ich mehrmals zum Thema Berufsrolle des Journalismus befragt worden. Siegfried Weischenberg startete damals sein großes Programm „Journalismus in Deutschland“. Ich lernte auch Martin Löffelholz und Armin Scholl kennen. Und Klaus Merten und Hans Kleinsteuber. Man sprach auch über das Journalistik-Konzept in Dortmund.

Weischenberg hat dort promoviert (vgl. Weischenberg 1976).

Ich wusste ein bisschen was über die Szene und wurde ermuntert, mich dort zu bewerben. Ulrich Pätzold wollte mich auch haben, aber der Widerstand war heftig. Von Günther Rager zum Beispiel. Parallel lief ein Urheberrechtsstreit. Bernd Blöbaum hatte Kopien aus meinem Buch Recherchieren verkauft. Claus Ölschläger, damals noch der Verleger, hat einen Anwalt eingesetzt. In Dortmund hat man das mir zugeschrieben.

Wie kam es zur Professur in Leipzig?

Das lief ganz anders. Ich habe mich dort zunächst nicht beworben.

Wie das?

Gertraud Linz (1993). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Gertraud Linz-Abich war gerade berufen worden. Für Fernsehjournalismus. Sie hat mich angerufen und gefragt, ob mich die zweite Professur nicht reizen würde. Print. Wir würden sicher ein gutes Team. Kurz zuvor hatten wir uns auf einer Tagung kennengelernt. Dort haben Jürgen Leinemann und ich einen Dialog über Subjektivität im Journalismus vorgeführt. Wir haben uns zweimal getroffen. Dann war es im Grunde genommen klar. Wir wurden tatsächlich ein gutes Team.

Das Fünf-Säulen-Modell von Karl Friedrich Reimers wurde schon damals kritisiert. Den einen waren das viel zu viele Professuren an einem belasteten Ort und anderen viel zu wenig Journalistik (vgl. Rager 2015, Meyen 2016). Wie haben Sie das damals wahrgenommen?

Zunächst gar nicht. Im Winter 1992/93 war das Wachs noch weich. Reimers selbst changierte zwischen sieben und fünf Säulen. Offen war zum Beispiel, was mit der Pädagogik wird. Manche Ausschreibungen waren noch gar nicht draußen.

Und später?

Wir haben uns dann geeinigt, zwei Studiengänge zu machen. Den Magister und Journalistik als Diplom. Das fand ich überzeugend. Die Verteilung der Ressourcen war auch angemessen. Als Gertraud Linz und ich anfingen, hatten wir acht wissenschaftliche Mitarbeiter. Dazu Siegfried Schmidt als Dozent und eine gute Infrastruktur auf der Techniker-Ebene. Anfangs waren wir besser ausgestattet als die anderen Bereiche zusammen.

Hatten Sie beide damals ein Leitbild für die Leipziger Journalistik?

Da waren wir dran. Wir haben Sigrid Hoyer einbezogen, Klaus Puder, Siegfried Schmidt. Und dann kam Gertraud mit der Nachricht, dass ich bald alleine sein werde.

Haben Sie das Erbe der Sektion Journalistik eher als Belastung empfunden oder als Gelegenheit, Dinge aus Ost und West zusammenzubringen?

Ich muss gestehen, dass ich unrealistische Vorstellungen hatte. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Frau Hoyer, in dem ich ihr erzählte, wie toll es sei, an eine so große, alte Tradition anknüpfen zu können. Ich meinte natürlich Karl Bücher und Erich Everth. Sie hat das völlig falsch verstanden und sich als jemand geoutet, der darauf wartet, dass die Stilistik aus der DDR-Zeit wieder wachgeküsst werde. Ich habe dann angefangen, mich in diese Hinterlassenschaften einzulesen.

Und?

Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich fand das nicht sehr lehrreich und auch nicht hilfreich. Mit einer Ausnahme: Sprache und Stil und einige Aspekte der Genre-Lehre. Da konnte ich Frau Hoyer bestärken. Ich habe ihr aber auch gesagt, dass das Erzählen in einer bürgerlich-demokratisch tradierten Gesellschaft anders verstanden wird. Die Protagonisten in einer Geschichte: Das sind nicht Oblaten, die irgendwelche Eigenschaften tragen und an denen eine Moral oder ein allgemeines Interesse zu veranschaulichen ist. Das sind Individuen, gern auch eigenwillige Persönlichkeiten.

Wenn man DDR-Professoren fragt, dann heißt es, dass die journalistische Methodik dort locker mit Ihren Büchern mithalten konnte (vgl. Preisigke 2015).

Zweitauflage des Methodik-Lehrbuchs von 1988 (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut)

Entzückend. Wie dort zum Beispiel Recherche verstanden wurde: Diese Auffassung konnte den Journalismus nicht beschreiben, den wir in einer informationsoffenen Gesellschaft mit konkurrierenden Medien haben. Zum Beispiel die Frage nach unabhängigen Quellen. Die stellte sich dort nicht. Oder die vom Bundesverfassungsgericht bestätige Aufgabe, Kritik und Kontrolle zu üben. Das gab es nicht. Und war für die dem Staatssozialismus dienenden Dozenten auch theoretisch undenkbar. Ich habe die Methodik-Lehrbücher der Sektion recht genau nachgelesen.

Sie haben dann trotzdem gut zusammengearbeitet und Festschriften für einige der Kollegen aus der DDR herausgegeben (vgl. Haller 1997, 2002, 2008).

Wertschätzung und Respekt waren mir immer wichtig. Und mit den fraglichen Kollegen kam es zu einer sehr ersprießlichen Zusammenarbeit. Das hat mit der DDR-Journalistik nichts zu tun. Für manche war es ja auch nicht leicht, sich von bestimmten Mustern zu verabschieden und die gesellschaftliche Rolle des Journalismus neu zu verstehen.

Wie haben Sie das Gezerre um die Nachfolge von Gertraud Linz-Abich erlebt?

Hautnah. Georg Vobruba, der Dekan, hat Sand ins Getriebe gestreut. Wie später Wolfgang Fach war er kein Freund eines praxisorientierten Studiengangs. Es ging schon bei der Denomination los. Wieder Journalistik oder lieber was Theoretisches? Es gab immer wieder Verzögerungen und Zwischenlösungen. Auch sehr angenehme. Walther von La Roche oder Thomas Knieper zum Beispiel. Was ich in actu nicht durchschaut habe: Es ging schon damals um die Frage, ob wir die Studierenden durch den Windkanal einer akademischen Studienordnung schicken oder für den Journalistenberuf ausbilden. Letzteres war ja unser Konzept. Medienwissenschaft als Reflexionsvermögen im Kontext der Journalistik.

Für das Klima am Institut und Ihre Arbeitszufriedenheit war es sicher nicht folgenlos, dass die Kollegen nicht bereit waren, Michael Haller auf diesen Lehrstuhl zu setzen.

Das lief anders. Die Berufungskommission, die mich auf Platz eins setzte, wurde von Günter Bentele geleitet. Auch die Fakultät und der Senat stimmten der Liste zu. Der Widerstand kam aus Dresden. Damals waren die Hürden für eine Hausberufung sehr hoch. Unsere internen Kontroversen waren vergleichsweise trivial. Das zeigte sich am Dauerstreit um Ressourcen. Vor allem die PR wollte expandieren. Nach meiner Verabschiedung ist das dann ja auch gelungen (vgl. Meyen 2016). Ab ungefähr 2003 war Bologna ein wirksamer Hebel. Bis dahin haben die Kollegen die Verteilung nicht gutgeheißen, aber akzeptiert. War halt so.

Der Diplomstudiengang brauchte einfach Personal.

Dieser Studiengang fand in kurzer Zeit eine hohe Anerkennung. Wir hatten jedes Jahr 600 Bewerbungen für 55 bis 60 Plätze. Das ganze Institut war bereit, im Sommersemester an drei Tagen Eignungsprüfungen mitzumachen. Was Gertraud Linz und ich da auf den Weg gebracht hatten, war ja in gewisser Weise tollkühn.

Wie meinen Sie das?

Michael Haller, Harry Pross, Gertraud Linz (1993). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Wir waren uns einig: Künftige Journalisten brauchen eine Fachkompetenz und eine Vermittlungskompetenz. Also nicht Haupt- und Nebenfach, sondern zwei Hauptfächer. Aber nur eine Abschlussarbeit, die Diplomarbeit in der Journalistik. Und wie in Dortmund ein integriertes einjähriges Volontariat. Dieses Curriculum unterscheidet den universitär ausgebildeten Journalisten vom angelernten Generalisten. Darum wollten wir an der Universität mit einem ganzen Strauß von Fächern bilaterale Abkommen abschließen. Darin war Siegfried Schmidt sehr engagiert. Und erfolgreich. Alleine hätte ich das nie hinbekommen. Ende 1995 hatten wir ein Set von zwölf Partnern und damit für die Studis eine breite Auswahl für ihr zweites Hauptfach.

Das ging mit Bologna so natürlich nicht mehr.

Genau. Die anderen Fächer brachen weg, es gab kein zweites Hauptfach mehr. Uns blieb nichts anderes übrig, als einen Master zu starten und den Bachelor als Fachkompetenz zu definieren. Also nicht konsekutiv, was damals gar nicht so leicht durchzusetzen war. Ich war mit Wolfgang Fach, inzwischen Prorektor für Lehre und Studium, zweimal im Ministerium. Die Ressourcen hat man uns dann trotzdem gekürzt.

Kann die Kommunikationswissenschaft Journalisten ausbilden? Sollte sie es können?

Das ist mir zu breit. Wir wissen ja beide, was alles schon unter diesem Namen angeboten wurde – und wird.

Dann frage ich enger: Was kann die Journalistik angehenden Journalisten beibringen?

Die Journalistik ist für mich ein Januskopf. Auf der einen Seite analytische Reflektion über das Mediensystem in der Gesellschaft und auf der anderen Seite die Vermittlungskompetenzen, also das Handwerk. Die Know-how-Ebene. Das kann man mit Medizin und Recht durchaus vergleichen. Es gibt eine Klammer, die den Januskopf zusammenhält. Das ist die gesellschaftliche Rolle, die der Journalismus wahrzunehmen hat. Er steht meiner Meinung nach im Dienste der offenen, diskursiven Gesellschaft. Wir müssen Journalismus normativ fundieren, stets mit dem Blick auf die Bedingungen der Möglichkeit gelingender gesellschaftlicher Kommunikation.

Wenn Sie dieses normative Spektrum auf drei Punkte verdichten müssten: Wie würden Sie das machen?

Der erste Punkt ist Unabhängigkeit. Was bedeutet sie praktisch für den Vollzug? Zweitens muss man über Legitimation reflektieren. Warum darf ich 200.000 Lesern meine Meinung sagen? Und drittens muss man auch verstanden werden. Der Journalist ist Kommunikator und kein Künstler oder sonst irgendetwas. Über diesen drei Normen steht natürlich die gesellschaftliche Rolle und darin auch die Verantwortung des Journalismus.

Sie haben Message herausgegeben und vorher schon Sage & Schreibe. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Resonanz in der Praxis?

Das war ich bis etwa 2008. Damals wurde in der sogenannten Medienkrise die Problemsicht in der Branche immer enger. Zur Zeit der Gründung von Message Ende der 90er-Jahre war das Berufsfeld noch expansiv. Als es dann schrumpfte, ist auch die Bereitschaft gesunken, sich analytisch mit der eigenen Berufsrolle auseinanderzusetzen.

Woraus hat sich Ihre Zufriedenheit vorher gespeist?

Das waren im Grunde Nischenprodukte. Man kann also nicht über Auflagenzahlen reden, sondern muss das an viel kleineren Dingen festmachen. Das mir Wichtigste war das Konzept, Wissenschaft und Berufspraxis zusammenzubringen. Ein für die deutsche Akademikerwelt fast schon unanständiges Ansinnen. Viele Medienwissenschaftler in Deutschland suchen allein die Reputation in ihrer Scientific Community.

Zitierhäufigkeit und so weiter.

Außenminister Joschka Fischer 2005 bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Leipzig. Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Das interessierte uns nicht. Und dafür wurden wir von vielen Kollegen mit Missachtung bestraft. Aber es gab auch Kolleginnen und Kollegen, die unser Konzept toll und wichtig fanden. Und uns enorm unterstützt haben. Zum Beispiel mit der Bereitschaft, fundierte Texte zu liefern. Dann die Zusammenarbeit mit dem internationalen Beirat, paritätisch aus Journalisten und Wissenschaftlern zusammengesetzt. Da machten Miriam Meckel, Roger Blum und Siegfried Weischenberg genauso mit wie Hans Werner Kilz, Peter-Matthias Gaede und Dieter Wild. Besonders in Erinnerung ist mir die Zusammenarbeit mit Wolfgang Langenbucher, Hannes Haas und Stephan Ruß-Mohl. Da kamen wirklich tolle Ideen. Und das hat uns viel Spaß gemacht.

Wie sind Sie Aviso-Redakteur geworden?

Günter Bentele war DGPuK-Vorsitzender und hat mir den Job angetragen. Ich habe mich dann sehr geärgert, dass ich Ja gesagt habe.

Wegen Ihrer Absetzung?

Wird das so kolportiert?

Es gab ja den Text von Horst Pöttker (2001) über den Umgang mit der NS-Vergangenheit und anschließend waren Sie nicht mehr im Impressum.

Da gab es keinen kausalen Zusammenhang. Meine Amtszeit war schon überzogen. Wissen Sie, wie es zu dem Pöttker-Beitrag gekommen ist?

Nein.

Ich hatte zu diesem Thema etwas aus Österreich bekommen, von Hans Heinz Fabris, und fand, dass wir das nicht veröffentlichen können, ohne auch Deutschland zu thematisieren. Also habe ich mit Horst Pöttker gesprochen. Ich wusste, dass er sich mit dem Thema befasste. Es war die letzte Ausgabe, die ich machen wollte und sollte. Denn inzwischen gab es auch einen neuen DGPuK-Vorstand.

Worüber haben Sie sich dann geärgert?

Über den undankbaren Stress. Der neue Vorstand glaubte, Aviso und sein Redakteur seien eine Stabsstelle des Vorstands. Man hat nur gemäkelt. Hans-Bernd Brosius wollte den Aviso sogar einstellen und durch etwas Elektronisches ersetzen. Auf der Jahrestagung in Münster gab es eine Diskussion.

Das war 2001.

Die Mehrheit war dafür, ihn fortzuführen.

Walter Hömberg (2014) beschreibt den Aviso als Erfolgsgeschichte.

Das ist ja auch richtig. Hömberg hat mit dieser Idee einen gewissen Glanz verbunden und das sehr gut verkauft. Er war aber auch Vorsitzender. Vielleicht hängt es mit dieser Tradition zusammen, dass der Vorstand den Aviso als seinen verlängerten Arm gesehen hat. Als sein Mitteilungsblatt. Für einen journalistisch sozialisierten Zeitgenossen wie mich sollte Aviso ein Forum sein für alle Mitglieder. Und was ins Heft aufgenommen wird, das entscheidet nicht der Vorstand, sondern die Redaktion. Punkt.

Also wieder PR vs. Journalismus.

Richtig. Zum Glück hat sich das nicht durchgesetzt.

Welchen Stellenwert hatte das Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung für den Hochschullehrer Michael Haller?

Das entstand dank der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig. Sie richtete eine Reihe von Promotionsstipendien ein. Die Doktoranden waren wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts. Ich fand das großartig, weil wir hier etwas machen konnten, was an der Universität so nicht ging. Sinnvolle Forschungsprojekte wie auch Auftragsforschung im Dienst des Qualitätsmanagements. Ich nenne das Eingriffs- und Begleitforschung, die den Beforschten helfen soll. Angebotsanalysen und Leserpanel für Regionalzeitungen zum Beispiel. Aber auch für die Wissenschaft gab es Erträge. Ein paar gute Buchpublikationen sind daraus hervorgegangen.

Gibt es Wissenschaftler und Journalisten, die für Sie eine Vorbildfunktion hatten?

Günter Gaus in Leipzig (1993). Quelle: Privatarchiv Michael Haller.

Vorbild finde ich schwierig. Es gibt Journalisten, die das, was sie machen, besonders gut machen. Von Dieter Wild habe ich zum Beispiel gelernt, wie eine gute Geschichte funktioniert. Er konnte in Windeseile redigieren und aus mittelmäßigen Texten spannend zu lesende Geschichten machen. Oder Jürgen Leinemann. Er hatte eine unglaubliche Fähigkeit und Bereitschaft, sich auf andere Menschen einzulassen. Er wollte verstehen, wie der andere tickt, um es journalistisch salopp zu sagen. Und er konnte diese Erlebnis-Erfahrungen in ein Erzählstück mit Tiefenschärfe bringen. Oder Günter Gaus, der in seine Politiker-Porträts „Zur Person“ so viel Tiefenschärfe geben konnte. Diese Ex-Kollegen unterstützten den Start des Leipziger Studiengangs auch als Lehrbeauftragte.

Und in der Wissenschaft?

Finde ich noch schwieriger. Man lernt ja das meiste aus der Literatur und veranstaltet den Wissenschaftsdiskurs im eigenen Kopf. Von Jürgen Habermas’ Denken war ich beeindruckt, zumal ich ja das Glück hatte, ihn zweimal besuchen zu können und mit ihm dann auch ein Buch zu machen (vgl. Habermas 1993). Überhaupt habe ich wahrscheinlich eher von den Begegnungen mit solchen Persönlichkeiten profitiert. Das war auch ein Grund, warum ich es so lange im Journalismus ausgehalten habe. Ich konnte viele weitsichtige und kluge Zeitgenossen kennenlernen und befragen. In der Politik. In der Welt der Kunst. Und in den Geisteswissenschaften.

Zu welchen Kollegen hatten Sie außerhalb Leipzigs einen besonders guten Draht?

Am längsten zu Wolfgang Langenbucher. Eine Zeit lang auch mit Siegfried Weischenberg und Hans Kleinsteuber. Heinz Pürer gelegentlich. Stephan Ruß-Mohl habe ich schon erwähnt. Und dann natürlich Roger Blum, mit dem ich ja seit der Studentenzeit verbunden bin.

Und umgekehrt: Gibt es Gegner, Konkurrenten, Feinde?

Selbstverständlich. Sie wissen, dass der Haller aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Er nimmt bei Gelegenheit auch kein Blatt vor den Mund. Das fing mit Hans Mathias Kepplinger an (vgl. Haller 1991). Als ich Mitglied der DGPuK werden wollte, hat er versucht, dies zu verhindern.

Mit welcher Begründung?

Es gab in meinem Handbuch Recherchieren eine Passage, in der ich die Bedingungen nannte, unter denen investigativ, also auch gegen Widerstände enthüllend recherchiert werden soll. Wenn ich mich richtig erinnere, sah Hans Mathias Kepplinger darin einen linksradikalen Aufruf zum Staatsverrat oder so etwas. Statutengemäß wurde eine Begutachtung durchgeführt, ich glaube durch Otfried Jarren. Das Ergebnis war sonnenklar. Doch Kollege Kepplinger und seine Mainzer Mitstreiter waren weiterhin als Gegner unterwegs. Dies zeigte sich viel später auch im Aviso-Streit. Gegenstand war ja Horst Pöttkers Artikel. Der behandelte die Vergangenheit von Noelle-Neumann während und nach der NS-Zeit.

Wenn Sie auf fast ein halbes Jahrhundert im Journalismus, in der Ausbildung, in der Medienforschung zurückblicken: Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Vielleicht auf zwei Dinge. Mit den Lehrbüchern, vor allem mit dem über das Recherchieren, ist es mir offenbar gelungen, Standards zu setzen. Wenn ich heute in Publikationen hineinschaue, stehen dort meine Erarbeitungen im Indikativ, ohne dass das noch zitiert werden muss. Auch über das Interview. In verschiedenen Grundlagenbüchern finde ich heute Definitionen als common sense, an denen ich wochenlang gekaut habe.

Und das Zweite?

Das normative Grundverständnis der Funktion des Journalismus in der Gesellschaft. Das konnten wir mit dem Leipziger Modell für die Journalistenausbildung weitgehend umsetzen. Ich bekomme noch heute gutes Feedback von früheren Studis, die jetzt Ressortleiter sind oder Chefredakteure oder Abteilungsleiter. Das hat ab Mitte der 90er-Jahre rund 15 Jahre funktioniert. Trotz der dann knapper gewordenen Ausstattungsmittel. Sie kennen ja vielleicht die Studie von Michael Harnischmacher.

Die Befragung von Chefredakteuren in Deutschland und in den USA, ja.

Dass Leipzig da besser abgeschnitten hat als Dortmund mit doppelt so vielen Professuren oder auch als Eichstätt, das fand ich schon klasse (vgl. Harnischmacher 2010: 221).

Wenn Sie nochmals anfangen könnten. Würden Sie irgendetwas anders machen?

Das ist eine Frage nach Kontingenz. Das kann ich eigentlich nicht seriös beantworten. Keine Ahnung, ob ich den Wechsel an die Universität gemacht hätte, zum Beispiel wenn die Mauer nicht gefallen wäre. Abgesehen vom Hochschullehrer gibt es ja immer neue begeisternde Tätigkeitsfelder. Und manche davon halte ich für relevanter als eine Professur.

Was bleibt von Michael Haller in der Kommunikationswissenschaft? Was sollte bleiben, wenn Sie Einfluss darauf hätten?

Ich würde mich freuen, wenn mein auf Integration von Theorie und Praxis angelegtes Konzept von Journalismus nicht verschwindet. Auch in ein paar Jahrzehnten wird es um diese Frage gehen: Was soll und was kann Journalismus für demokratisch verfasste und rechtsstaatlich organisierte Gesellschaften leisten? Und was ist zu tun, damit er diesem Ziel näher kommt? Wie wenig es braucht, und schon steht die diskursive Funktion des Journalismus infrage. Das sehen wir nicht nur mit Blick nach Russland, in die Türkei oder nach Amerika. Das sehen wir auch bei uns.

Literaturangaben

  • Roger Blum: Den Journalismus trage ich im Herzen. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015 ‎(25. Januar 2017).
  • Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1968.
  • Jürgen Habermas: Vergangenheit als Zukunft. Das alte Deutschland im neuen Europa? Ein Gespräch mit Michael Haller. München: Piper 1993.
  • Michael Haller: System und Gesellschaft. Krise und Kritik der politischen Philosophie Hegels. Stuttgart: Klett-Cotta 1981.
  • Michael Haller: Recherchieren. Ein Handbuch für Journalisten. München: Ölschläger 1983.
  • Michael Haller: Die Reportage. Ein Handbuch für Journalisten. München: Ölschläger 1987.
  • Michael Haller: Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten. Konstanz: UVK 1991.
  • Michael Haller: Über Böcke und Gärtner. Kommentar zu Kepplinger. In: Jens Krüger/Stephan Ruß-Mohl (Hrsg.): Risikokommunikation. Technikakzeptanz, Medien und Kommunikationskrisen. Berlin: edition sigma 1991, S. 175-196.
  • Michael Haller (Hrsg.): Tatsachen und Meinungen. Festschrift für Klaus Puder. Leipzig: Institut für Kommunikationswissenschaft 1997.
  • Michael Haller (Hrsg.): Die Kultur der Medien. Untersuchungen zum Rollen- und Funktionswandel des Kulturjournalismus in der Mediengesellschaft. Münster: Lit 2002.
  • Michael Harnischmacher: Journalistenausbildung im Umbruch. Zwischen Medienwandel und Hochschulreform: Deutschland und USA im Vergleich. Konstanz: UVK 2010.
  • Rolf Hochhuth: Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel. Reinbek: Rowohlt 1963.
  • Walter Hömberg: Ein Freund fröhlicher Wissenschaft. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014 ‎(25. Januar 2017).
  • Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? München: Piper 1966.
  • Michael Meyen: Von der Sozialistischen Journalistik zum Viel-Felder-Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft. In: Erik Koenen (Hrsg.): Die Entdeckung der Kommunikationswissenschaft. 100 Jahre kommunikationswissenschaftliche Fachtradition in Leipzig: Von der Zeitungskunde zur Kommunikations- und Medienwissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2016, S. 246-274.
  • Horst Pöttker: Mitgemacht, weitergemacht, zugemacht. Zum NS-Erbe der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. In: Aviso Nr. 28 (2001), S. 4-7.
  • Klaus Preisigke: Wir waren ein Hort des Opportunismus. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015 (25. Januar 2017).
  • Günther Rager: Journalisten brauchen Forschung und Statistik. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015 ‎(25. Januar 2017).
  • Rolf Schulze: Die Reportage in der sozialistischen Presse. KMU Leipzig: Sektion Journalistik 1986.
  • Siegfried Weischenberg: Die Außenseiter der Redaktion. Struktur, Funktion und Bedingungen des Sportjournalismus. Bochum: Brockmeyer 1976.

Weiterführende Literatur

  • Constanze Farda: Michael Haller 60 Jahre. In: Publizistik 50. Jg. (2005), S. 239f.
  • Christoph Fasel (Hrsg.): Qualität und Erfolg im Journalismus. Michael Haller zum 60. Geburtstag. Konstanz: UVK 2005.

Empfohlene Zitierweise

    Michael Haller: Wir müssen Journalismus normativ fundieren. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017. http://blexkom.halemverlag.de/haller-interview/ ‎(Datum des Zugriffs).