Hans-Bernd Brosius

22. August 1957

Lexikoneintrag von Alexander Haas am 22. Juni 2016

Hans-Bernd Brosius gehört zu den produktivsten und am häufigsten zitierten Kommunikationswissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. Für sein Wirken stehen auch der Ausbau des Münchner Fachinstituts sowie die lange Liste seiner Schülerinnen und Schüler.

Stationen

Geboren in Bocholt. 1976 bis 1980 Studium der Psychologie, Philosophie, Pädagogik und Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1980 Diplom in Psychologie. 1983 Promotion bei Wolfgang Keil in Münster mit einer Dissertation zum Thema Augenbewegung und Informationsverarbeitung. 1983 bis 1987 Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Instrumentelle Aktualisierung“ am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 1988 bis 1990 DFG-Stipendiat im Rahmen des Postdoktorandenprogramms mit dem Projekt „Vividness und Salience als Faktoren der Wirkung von politischen Beiträgen im Fernsehen“. Währenddessen Forschungsaufenthalte an der Polytechnic of East London, an der University of Rhode Island und an der University of Alabama. 1990 bis 1996 Hochschulassistent bzw. Hochschuldozent in Mainz. 1991 Heinz-Maier-Leibnitz-Preis des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. 1994 Habilitation in Publizistikwissenschaft mit einer Arbeit über Nachrichtenrezeption. 1995 bis 2004 Leitung des Medien Instituts Ludwigshafen. 1996 Ernennung zum C3-Professor für empirische Kommunikationsforschung am Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Stellvertretender Vorsitzender (1996 bis 1998) und Vorsitzender (1998 bis 2002) der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1998 Ernennung zum C4-Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU München. Seit 2001 Dekan der dortigen Sozialwissenschaftlichen Fakultät.

Publikationen

  • Verarbeitung visuell präsentierter Szenen. Münster: Lit 1983 (Dissertation).
  • The Agenda-Setting Function of Television: Static and Dynamic Views. In: Communication Research 17. Jg. (1990), S. 183-211 (mit Hans Mathias Kepplinger).
  • Linear and Nonlinear Models of Agenda-Setting in Television. In: Journal of Broadcasting and Electronic Media 36. Jg. (1992), S. 5-24 (mit Hans Mathias Kepplinger).
  • The Effects of Emotional Pictures in Television News. In: Communication Research 20. Jg. (1993), S. 105-124.
  • Verändern Schlüsselereignisse journalistische Selektionskriterien? Framing am Beispiel der Berichterstattung über Anschläge gegen Ausländer und Asylanten. In: Rundfunk und Fernsehen 41. Jg. (1993), S. 512-530 (mit Peter Eps).
  • Exploring the Social and Sexual “Reality” of Contemporary Pornography. In: Journal of Sex Research 30. Jg. (1993), S. 161-170 (mit James B. Weaver und Joachim Friedrich Staab).
  • Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand? In: Publizistik 39. Jg. (1994), S. 269-288.
  • The Utility of Exemplars in Persuasive Communications. In: Communication Research 21. Jg. (1994), S. 48-78 (mit Anke Bathelt).
  • Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption. Ein Modell der Wahrnehmung und Verarbeitung von Nachrichteninhalten. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995 (Habilitation).
  • Framing auch bei Rezipienten? Der Einfluß der Berichterstattung über fremdenfeindliche Anschläge auf die Vorstellungen der Rezipienten. In: Medienpsychologie. Zeitschrift für Individual- und Massenkommunikation 7. Jg. (1995a), S. 169-183 (mit Peter Eps).
  • Prototyping Through Key Events: News Selection in the Case of Violence Against Aliens and Asylum Seekers in Germany. In: European Journal of Communication 10. Jg. (1995b), S. 391-412 (mit Peter Eps).
  • Eskalation durch Berichterstattung. Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995 (mit Frank Esser).
  • Killer and Victim Issues: Issue Competition in the Agenda-Setting Process of German Television. In: International Journal of Public Opinion Research 7. Jg. (1995), S. 211-231 (mit Hans Mathias Kepplinger).
  • The Causes of Third-Person Effects: Unrealistic Optimism, Impersonal Impact, or Generalized Negative Attitudes Towards Media Influence? In: International Journal of Public Opinion Research 8. Jg. (1996), S. 142-162 (mit Dirk Engel).
  • Who Sets the Agenda? Agenda-Setting as a Two-Step Flow. In: Communication Research 23. Jg. (1996), S. 562-581 (mit Gabriel Weimann).
  • Exemplification in Communication: The Influence of Case Reports on the Perception of Issues. Mahwah: Erlbaum 2000 (mit Dolf Zillmann).
  • Perceptual Phenomena in the Agenda Setting Process. In: International Journal of Public Opinion Research 21. Jg. (2009), S. 139-164 (mit Inga Huck und Oliver Quiring).
  • Neue Medienumgebungen: Theoretische und methodische Herausforderungen. In: Olaf Jandura/Andreas Fahr/Hans-Bernd Brosius (Hrsg.): Theorieanpassungen in der digitalen Medienwelt. Baden-Baden: Nomos 2013, S. 13-30.
  • Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS 2016. Sieben Auflagen (mit Alexander Haas und Friederike Koschel).

Hans-Bernd Brosius gehört zu den produktivsten (Brosius/Haas 2009) und gleichzeitig am häufigsten zitierten (Potthoff/Kopp 2013) Kommunikationswissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. Zunächst studierte er allerdings Psychologie in Münster und begann in dieser Disziplin seine wissenschaftliche Kariere als Projektmitarbeiter. Die Promotion erfolgte bereits mit knapp 26 Jahren. Die anschließende Hinwendung zur Kommunikationswissenschaft geschah nicht ganz freiwillig, sondern wohl auch infolge der fehlenden Förderung durch seinen Doktorvater Wolfgang Keil. Er wechselte auf eine Projektstelle nach Mainz zu Hans Mathias Kepplinger. Ausgestattet mit – zum damaligen Zeitpunkt und im Vergleich zu anderen Kommuniationswissenschaftlern – überdurchschnittlichen Methoden- und Datenanalysekenntnissen konnte sich Brosius schnell in Mainz und im Fach etablieren. Aus der mehr als zehnjährigen Zusammenarbeit mit Kepplinger entstanden einige der heute am häufigsten zitierten Arbeiten beider Wissenschaftler. Den Schwerpunkt der gemeinsamen Forschungstätigkeiten bildeten Studien zur Agenda-Setting-Funktion der Massenmedien.

Brosius hat nach eigenen Aussagen sehr von Kepplingers „Tatendrang“ und Motivation profitiert (Brosius 2007: 9). Im Gegensatz zu Kepplinger scheinen bei Brosius Überlegungen über die „Publikationsfolgen“ einen geringeren Einfluss auf die Auswahl der Forschungsgegenstände ausgeübt zu haben. Damit ist nicht gemeint, dass diese gesellschaftlicher Relevanz entbehrten. Forschungsschwerpunkte von Brosius waren und sind die Rezeption und Wirkung von Fernsehnachrichten (exemplarisch Brosius 1993; 1995), die Agenda-Setting-Funktion der Massenmedien (exemplarisch Brosius 1994; Brosius/Kepplinger 1990; Huck et al. 2009), die Fallbeispielforschung (exemplarisch Brosius/Bathelt 1994; Zillmann/Brosius 2000) und die Rolle der Massenmedien im Zusammenhang mit rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Anschlägen (Brosius/Eps 1995; Brosius/Esser 1995). Ausdruck des eigenen Tatendrangs sind nicht zuletzt die über 25 (größtenteils von der DFG) geförderte Forschungsprojekte, die Brosius als Antragsteller eingeworben hat.

In seiner Mainzer Zeit hat Brosius unter anderem eine Reihe von Experimenten zur Rezeption und Wirkung von Fernsehnachrichten durchgeführt. Diese bilden die empirische Basis seiner Habilitationsschrift, die unter dem Titel Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption 1994 im Westdeutschen Verlag erschienen ist. Das Werk gehört zu den Schlüsselwerken der Medienwirkungsforschung (vgl. Potthoff 2016). Brosius entwickelt darin ein Modell zur Nachrichtenrezeption, das sich vom Modell wissenschaftlicher Rationalität abgrenzt. Menschen verarbeiten Nachrichteninhalte eben nicht vollständig und rational. Sie bilden sich kein Urteil auf Basis der Gesamtheit der präsentierten Informationen und Argumente. Vielmehr greifen sie bei der Nachrichtenrezeption auf Heuristiken, Schemata oder Skripts zurück, um Informationen reduzieren und verarbeiten zu können. Das Modell der Alltagsrationalität stellt einen sozialpsychologischen Alternativentwurf zur Konzeptualisierung der Nachrichtenwirkung dar. Nicht das Lernen von präsentierten Informationen steht im Vordergrund. Der Nachrichtenrezeption wird vielmehr Einfluss auf Personenwahrnehmung, Urteile und Schlussfolgerungen zugeschrieben.

Neben der Vielzahl an Beiträgen in Fachzeitschriften hat Brosius das Fach auch als Herausgeber und Lehrbuchautor beeinflusst. Jeweils in Zusammenarbeit mit Günter Bentele und Otfried Jarren hat er das das Handbuch Öffentliche Kommunikation (2003) und das Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (zweite Auflage 2013) herausgegeben. Weiterhin ist er als Herausgeber für die Reihe Angewandte Medienforschung mit aktuell 55 Bänden und zusammen mit Patrick Rössler für die Reihe Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft mit aktuell 14 Bänden verantwortlich (beide im Nomos-Verlag). Sein einführendes Lehrbuch Methoden der empirischen Kommunikationsforschung erscheint in der siebten Auflage.

Brosius‘ Wirken lässt sich – abgesehen von der Vielzahl an Publikationen – am besten durch zwei Aspekte charakterisieren: den Ausbau des Münchner Instituts und die lange Liste an Schülerinnen und Schülern. Mit seiner Berufung an die LMU ging auch eine sukzessive Veränderung und gleichzeitige Vergrößerung des Münchner Instituts einher. So lautete der Name zum Zeitpunkt seiner Berufung 1996 noch „Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)“. 2004 erfolgte die Umbenennung in Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Zu den fünf Professorenstellen 1996 sind in den folgenden 20 Jahren vier weitere dazugekommen. Der Zuwachs im Mittelbau dürfte prozentual noch größer ausfallen. Grund dafür ist natürlich nicht zuletzt die anhaltend hohe Nachfrage durch die Studierenden. Brosius hat den Ausbau allerdings seit 2001 als Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät mit ermöglicht. Mit der Vergrößerung des Instituts ging auch eine Veränderung der inhaltlichen Schwerpunktsetzung einher. Die Zeitungswissenschaft ist dort inzwischen kaum noch präsent. Der Fokus liegt auf der empirisch-sozialwissenschaftlichen Ausrichtung. Brosius ist einer der Protagonisten dieser Wende im Fach.

Charakteristisch für Brosius ist schließlich die erfolgreiche Förderung des akademischen Nachwuchses. Es erfüllt ihn mit Stolz, dass mittlerweile eine Vielzahl seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unterschiedliche (Fach-)Hochschulen berufen wurde. Dies sind (in alphabetischer Reihenfolge): Frank Esser, Andreas Fahr, Andreas Graefe, Olaf Jandura, Thorsten Quandt, Oliver Quiring, Patrick Rössler, Constanze Rossmann, Raphael Rossmann, Bertram Scheufele und Wolfgang Schweiger.

Literaturangaben

  • Günter Bentele/Hans-Bernd Brosius/Otfried Jarren (Hrsg.): Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003.
  • Günter Bentele/Hans-Bernd Brosius/Otfried Jarren (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Wiesbaden: Springer VS 2013.
  • Hans-Bernd Brosius: The Effects of Emotional Pictures in Television News. In: Communication Research 20. Jg. (1993), S. 105-124.
  • Hans-Bernd Brosius: Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand? In: Publizistik 39. Jg. (1994), S. 269-288.
  • Hans-Bernd Brosius: Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption. Ein Modell der Wahrnehmung und Verarbeitung von Nachrichteninhalten. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995.
  • Hans-Bernd Brosius: Ich bin ein Institutsmensch. In: Andreas Fahr/Michael Meyen (Hrsg.): Keine Festschrift. München: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 2007, S. 4-24.
  • Hans-Bernd Brosius/Anke Bathelt: The Utility of Exemplars in Persuasive Communications. In: Communication Research 21. Jg. (1994), S. 48-78.
  • Hans-Bernd Brosius/Peter Eps: Framing auch bei Rezipienten? Der Einfluß der Berichterstattung über fremdenfeindliche Anschläge auf die Vorstellungen der Rezipienten. In: Medienpsychologie. Zeitschrift für Individual- und Massenkommunikation 7. Jg. (1995), S. 169-183.
  • Hans-Bernd Brosius/Frank Esser: Eskalation durch Berichterstattung. Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995.
  • Hans-Bernd Brosius/Alexander Haas: Auf dem Weg zur Normalwissenschaft: Themen und Herkunft der Beiträge in Publizistik und Medien & Kommunikationswissenschaft. In: Publizistik 54. Jg. (2009), S. 168-190.
  • Hans-Bernd Brosius/Alexander Haas/Friederike Koschel: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung (7., überarbeitete und aktualisierte Auflage). Wiesbaden: Springer VS 2016.
  • Hans-Bernd Brosius/Hans Mathias Kepplinger: The Agenda-Setting Function of Television: Static and Dynamic Views. In: Communication Research 17. Jg. (1990), S. 183-211.
  • Inga Huck/Oliver Quiring/Hans-Bernd Brosius: Perceptual Phenomena in the Agenda Setting Process. In: International Journal of Public Opinion Research 21. Jg. (2009), S. 139-164.
  • Matthias Potthoff (Hrsg.): Schlüsselwerke der Medienwirkungsforschung. Wiesbaden: Springer VS 2016.
  • Matthias Potthoff/Swenja Kopp: Die meistbeachteten Autoren und Werke der Kommunikationswissenschaft. In: Publizistik 58. Jg. (2013), S. 347-366.
  • Dolf Zillmann/Hans-Bernd Brosius: Exemplification in Communication: The Influence of Case Reports on the Perception of Issues. Mahwah: Erlbaum 2000.

Weblink

Empfohlene Zitierweise

Alexander Haas: Hans-Bernd Brosius. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2016. http://blexkom.halemverlag.de/hans-bernd-brosius/ (Datum des Zugriffs).