„Danke, lieber Roland. Ich bin ab morgen im AKH [1], bis dato widersprüchliche Befunde … LG, Hannes“ – diese E-Mail-Botschaft vom 3. März 2014 als Antwort auf meine Genesungswünsche bleibt nun meine letzte (digitale) Kontaktspur zu Hannes Haas. Gut zwei Wochen später, am 20. März 2014, ist er tot. Er stirbt völlig unerwartet an den Folgen von Lungenkrebs im 57. Lebensjahr. Alle am Institut sind fassungslos und schockiert – es ist wie ein Blitz aus heiterem Himmel, niemand von uns ahnte etwas von seiner Krankheit, möglicherweise nicht einmal er selbst.
Haas hatte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft in Wien studiert. In dieser Zeit sammelte er auch journalistische Erfahrungen als freier Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks (ORF) in Oberösterreich, wo er geboren wurde.
Als Hannes Haas Ende der 1970er-Jahre sein Studium aufnahm, befand sich das Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in einer Umbruchphase. Inhaltlich war es auf dem Sprung von der historisierend-deskriptiven Publizistikwissenschaft hin zu einer Empirie-affinen Sozialwissenschaft. Eine Veränderung, die auch personell mit einer Generationenablöse Hand in Hand ging – allerdings in zwei Etappen: Nachdem der langjährige Vorstand Kurt Paupié 1981 verstorben war, übernahm zunächst Marianne Lunzer die interimistische Institutsleitung. Lunzer war Pressehistorikerin, die sich unter anderem mit der Entstehung der österreichischen Parteipresse nach dem Zusammenbruch der Monarchie (1918) auseinandersetzte. Von Paupie und Lunzer wurde jeder von uns in die Publizistikwissenschaft hinein sozialisiert. Sie hielten beide die sogenannten „Hauptvorlesungen“ und sie waren Ansprechpartner, wenn man am Ende des Studiums eine Dissertation verfassen und damit das Doktorat erwerben wollte (eine andere Graduierung gab es damals noch nicht).
Hannes Haas wählte Marianne Lunzer zu seiner „Doktormutter“, denn er bearbeitete ein journalistisch-historisches Thema, das noch dazu genau in „ihren“ Zeitraum passte. Titel der Dissertation: „Die politische und gesellschaftliche Satire der Wiener humoristisch-satirischen Blätter vom Zusammenbruch der Monarchie bis zum Justizpalastbrand 1918-1927.“ Nach seiner Promotion im Jahre 1983 übernahm er eine Assistentenstelle.
Ab dieser Zeit wuchsen – nein: explodierten – die Studentenzahlen, begünstigt durch die österreichische Bildungspolitik, die keine universitären Zugangsregelungen erlaubte. Jahrzehntelang sollten wir das, was lapidar als „Massenuniversität“ etikettiert wird und außerhalb Österreichs (bis heute) kaum vorstellbar ist, hautnah erfahren: eine permanente Masse von 5000 bis 7000 aktiven Publizistik-Studierenden, die einem nahezu lächerlich kleinen Häuflein von am Institut tätigen Personen gegenüberstanden. Im April 1984 wurde schließlich Wolfgang R. Langenbucher auf die vakante Paupie-Stelle berufen. Eine der ersten zentralen Aufgaben war die Entwicklung eines Curriculums für das neu einzurichtende Magisterstudium und damit zugleich auch die Steuerung der Studierendenströme.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt beginnt sich – so scheint es nun im Rückblick für mich erkennbar – die intellektuell-akademische Karriere von Hannes Haas als Wissenschaftler und Universitätslehrer wie ein roter Faden zu entwickeln.
Das kam so: Im Sinne der neuen Studienordnung war das Studium auf die Bedürfnisse einer praxisbezogenen wissenschaftlichen Berufsvorbildung umzustellen. Die Betonung lag auf „wissenschaftlich“ und „Vorbildung“ (nicht „Ausbildung“). Das Problem, mit dem wir damals konfrontiert waren, bestand (und besteht ja bis heute) darin, dass die meisten Studienanfänger vom Publizistikstudium eine Journalistenausbildung erwarten. Als Teil dieser Problemlösung entwickelten wir ergänzend zur Einführungsvorlesung für alle Inskribierten (im „AudiMax“) sogenannte „Übungen zur Einführung in die Kommunikationswissenschaft“, die in kleineren Gruppen abzuhalten waren. Das didaktische Motto lautete: die Studierenden dort abzuholen, wo sie sind – also an ihren Erwartungen, etwas über Journalismus zu hören, anzuknüpfen und sie von dort weg in wissenschaftliches Denken einzuführen.
Die Reflexionsbasis dafür hatte Hannes Haas bereits in einer Publikation über die journalistische Textgattung der „Reportage“ (Haas 1987) entwickelt und in einer darauffolgenden zweiten Publikation (gemeinsam mit Klaus Lojka) schließlich auf das Konzept dieser Einführungsübung umgelegt. Ausgangsüberlegung war, dass es gelingen müsse, „die Vorgehensweise kommunikationswissenschaftlicher Forschung einerseits und des Journalismus – hier stellvertretend für andere Kommunikationsberufe – andererseits in einer Lehrveranstaltung gleichzeitig integrativ und komparativ zu behandeln“ (Haas/Lojka 1988). Als Ergebnis entstand ein Lehrveranstaltungskonzept, das zwischen den Prozessen wissenschaftlichen Forschens und journalistischen Recherchierens Gemeinsamkeiten bzw. Äquivalente suchen sollte – und dabei auch fündig wurde.
Elf Jahre später hatte Hannes Haas diesen Gedanken der Gemeinsamkeit von Forschung und Recherche sodann extensiv elaboriert und in einer knapp 600 Seiten umfassenden Monografie als Habilitationsschrift mit dem Titel Empirischer Journalismus (Haas 1999) vorgelegt. Penibel arbeitet er dort heraus, wo strukturelle Nähe, „Ähnlichkeiten im Vorgehen“ und „in den Methoden des Zugriffs auf komplexe Wirklichkeit“ (ebd.: 29) zu suchen und zu finden sind. Mit dieser Nähe zwischen Wissenschaft und Journalismus, so Haas, lasse sich nicht nur „die Aufwertung des Journalismus zur Wissenschaft demonstrieren, sondern auch der abschätzige Vergleich des Wissenschaftlers mit dem Journalisten“ (ebd.: 30). Und er geht bei dieser Gelegenheit auch mit jenen ins Gericht, die meinen, in journalistischen Qualitäten von Wissenschaftlern Anzeichen mangelnder Seriosität erkennen zu müssen, anstatt sie als „besondere Fähigkeiten zur mediengerechten Präsentation“ oder als „Fähigkeit zur gut didaktisierten, verständlichen Vermittlung ihrer Arbeit“ (ebd.) anzuerkennen.
Mit diesem Hinweis lässt sich die Brücke zum Vorlesungen haltenden Universitätslehrer aber auch zum Menschen Hannes Haas schlagen. Er galt – dieses Urteil erfährt man in vielen Gesprächen mit Studierenden und Absolventen, aber auch in Postings und Leserbriefen anlässlich seines Todes (als pars pro toto: ein Beitrag in der Online-Ausgabe der Wiener Zeitung) – als begnadeter Lehrer, der fachliche Inhalte mit seinem ganz speziellen Humor zu präsentieren verstand. Diese Fähigkeit zu „einem unnachahmlich trockenen und zugleich intelligenten Humor“ (Gottschlich) oder zum geistreichen Schmäh, wie sie Langenbucher etikettiert, wird jeder von uns, der ihm näher begegnet war, bestätigen.
Mit Hannes Haas verlieren wir am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien einen hochgeschätzten Kollegen, der zur mittlerweile bereits „alten Garde“ zählte, die vor mehr als drei Jahrzehnten einen Generationenwechsel am Wiener Institut einleitete. Langsam tritt nun auch diese Generation ab und macht einer neuen Platz. Einige sind schon da, manche werden noch kommen. Das einzig Beständige ist ja bekanntlich die Veränderung. Hannes Haas war allerdings – fatalerweise – eines der jüngeren Mitglieder dieser/unserer Gruppe der „Altvorderen“. Er hätte noch viele produktive Jahre als aktiver universitärer Lehrer und Forscher sowie als Ehemann und Familienvater vor sich haben können. Es ist schade und traurig, dass sie ihm nicht mehr vergönnt waren. Es ist und bleibt unfassbar, dass er so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde.
[1] AKH = Allgemeines Krankenhaus (in Wien)
Literaturangaben
- Maximilian Gottschlich: Hannes Haas zum Gedenken. Universität Wien 2014.
- Hannes Haas: Die hohe Kunst der Reportage. Wechselbeziehungen zwischen Literatur, Journalismus und Sozialwissenschaften. In: Publizistik 32. Jg. (1987), S. 277-294.
- Hannes Haas/Klaus Lojka: Erkenntnis durch Recherche. Ein Modell für Forschung und Lehre. In: Medien-Journal: Zeitschrift für Kommunikationskultur 12. Jg. (1988), Nr. 1, S. 2-10.
- Hannes Haas (1999): Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Wien: Böhlau.
- Wolfgang R. Langenbucher: In Memoriam Hannes Haas. Universität Wien 2014.