Dieter Roß: Journalistik zwischen Praxis und Wissenschaft

Veröffentlicht am 7. Januar 2023

Dieter Roß, Mitgründer der Hamburger Journalistik, ist am 27. November 2022 im Alter von 86 Jahren verstorben. Ihm zu Ehren veröffentlicht BlexKom hier ein Interview, das Maria Löblich und Michael Meyen am 7. Oktober 2006 in Hamburg mit Roß geführt haben (vgl. Meyen/Löblich 2007: 151-166).

Stationen

Geboren in Königsberg. Vater Forstbeamter. 1956 bis 1960 Studium der Geschichte, Philosophie, Pädagogik und Literaturwissenschaft in Hamburg und Göttingen. 1965 Promotion in Geschichte. 1960 bis 1963 Redaktionsassistent bei der Tagesschau, parallel freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk und bei der Wochenzeitung Die Zeit. 1965 Assistent am Hans-Bredow-Institut, 1966 wissenschaftlicher Referent, 1970 geschäftsführender Referent; Redakteur von Rundfunk und Fernsehen. Seit 1966 Lehraufträge an den Universitäten Hamburg, Göttingen und Osnabrück. 1970 Gründungsmitglied der Akademie für Publizistik. Seit 1971 (nebenamtlich) Dozent an der Akademie, ab 1974 ständiger wissenschaftlicher Berater. 1973 bis 1979 Sachverständiger im Fachausschuss Journalistenausbildung der Behörde für Wissenschaft und Forschung in Hamburg und 1980 bis 1982 Mitglied in der Gemeinsamen Kommission Journalistik der Universität Hamburg. 1980/81 Vertretung einer Professur in Göttingen. 1983 Professor für Angewandte Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienpraxis im neu geschaffenen Teilstudiengang Journalistik der Universität Hamburg (bis 2001).

Vielleicht können Sie zu Beginn etwas über Ihr Elternhaus sagen, über Ihre Kindheit, Ihre Jugend.
Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Ich bin auf dem Land groß geworden. Wir haben in einem Forsthaus gelebt, mit meinen Eltern und meinem Bruder. Forsthäuser waren damals in Ostpreußen eine Mischung aus Bauernhof und Polizeistation. Mein Vater hat seinen Beruf auch so gesehen, als eine Mischung aus Landwirt und Polizist. Ich bin mit Tieren aufgewachsen, mit der Jagd, mit der Natur. Als ich mit sieben Jahren meine Tante in Königsberg besucht habe, da schien mir dort alles furchtbar groß zu sein und furchtbar unübersichtlich.

Wo sind Sie zur Schule gegangen?
Zuerst in Polen, im Kreis Suwalki, in der Nähe der Grenze. Mein Vater hatte dort als Forstbeamter nach der Besetzung Polens 1941 die Aufsicht über polnische Forstleute. In der Schule war ich der einzige „Reichsdeutsche“. Die anderen Kinder waren sogenannte „Volksdeutsche“. Ich habe dadurch leidlich Polnisch gelernt und konnte meinen Eltern als Dolmetscher helfen, wenn sie mit dem polnischen Kutscher oder mit dem Hausmädchen zu tun hatten. Die Sympathie mit Polen ist bis heute lebendig geblieben, die Sympathie mit diesem historisch so geplagten Land und mit diesem schwierigen Volk.

Wie haben Sie das Kriegsende erlebt?
Wir haben Polen im Herbst 1944 verlassen. Es gab Partisanen, und meinen Eltern wurde es zu gefährlich. Außerdem wurde mein Vater eingezogen. Damit begann die Flucht. Erst mit dem Treck, zwei Pferde und ein Leiterwagen. Das ging meiner Mutter aber zu langsam. Wir sind auf die Bahn umgestiegen und zu Verwandten gefahren. Ich habe in Berlin Bombennächte gesehen, ohne jede Angst. Am nächsten Morgen haben wir Kinder Bombensplitter gesammelt und zwei kleine gegen einen großen getauscht. Das Kriegsende haben wir in Mecklenburg erlebt, in Hagenow. Zu fünft: mein Großvater, meine Tante, meine Mutter, mein jüngerer Bruder und ich. Zuerst kamen die Amerikaner, mit Schokolade und Apfelsinen. Als nächstes die Briten, ohne Geschenke. Und dann kamen die Russen, und es war Ausgangssperre. Im Frühsommer 1945 haben wir erfahren, dass mein Vater verwundet war und sich in dänischer Kriegsgefangenschaft befand. Als er in die britische Zone entlassen wurde, sind wir übergesiedelt. Mein Vater bekam eine Försterei in Niedersachsen, in der Nähe von Stadthagen. Er war nicht in der Partei gewesen und politisch nicht belastet. Ich bin 1947 ins Stadthäger Gymnasium gegangen und habe dort auch meine Frau kennen gelernt. Wir waren Klassenkameraden.

Hat Ihre Mutter gearbeitet?
Nein. Sie war Försterfrau. Später hat sie oft gesagt, dass sie gern Lehrerin geworden wäre. Damals sei das aber am Widerstand ihres Vaters, der selbst Lehrer war, gescheitert.

Hat Religion in Ihrem Elternhaus eine Rolle gespielt?
Kaum. Ich war zwar ein vorbildlicher Konfirmand und konnte alle Erklärungen Luthers zu den zehn Geboten auswendig. In der Gymnasialzeit habe ich aber eine gewisse Distanz zur Religion entwickelt und erst recht zur Kirche. Wir hatten in der Klasse fünf Pastorensöhne. Eine richtige Reibungsfläche. Heute denke ich in religiösen Dingen differenzierter. Bei uns zu Hause war Religion aber kaum ein Thema. Es gab auch sonst wenig zu lesen. Wir hatten natürlich Bibel und Gesangsbuch, aber sonst nur ein paar Jagdgeschichten und Bilderbücher über das Wild oder über Ostpreußen. Im größten Schrankfach standen Jagdgewehre.

Wurde das Dritte Reich am Gymnasium thematisiert?
Überhaupt nicht. Ich war damals Klassensprecher und Schulsprecher. Als wir Abiturienten uns jetzt nach 50 Jahren wieder getroffen haben, habe ich eine kleine Rede gehalten über diesen blinden Fleck. Der Geschichtsunterricht war zu Ende, nachdem wir an der Bahre Bismarcks gestanden hatten. Im Deutschunterricht haben wir Gottfried Keller gelesen und Theodor Storm. Den Realismus des 19. Jahrhunderts. Die Namen Brecht oder Thomas Mann kamen überhaupt nicht vor, ganz zu schweigen von Wolfgang Borchert. Ein kleinstädtisches Milieu in Niedersachsen. Die Lehrer, die sich über das Dritte Reich ausgeschwiegen haben, hatten dafür wahrscheinlich ihre Gründe.

Wie sind Sie in diesem Milieu Geschichtsstudent geworden?
Durch den NWDR. Das war mein Lehrer in Sachen Zeitgeschichte, Politik und Kultur. Der Nordwestdeutsche Rundfunk war auch der Grund, warum ich unbedingt in Hamburg studieren wollte. Ich wusste erst gar nicht, ob es dort überhaupt eine Universität gibt. Aber dort war der NWDR. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, was dieser Sender damals für eine Bildungsinstanz war. Ich war ein geradezu süchtiger Radiohörer.

Warum haben Sie dann ausgerechnet Geschichte studiert?
Eigentlich wollte ich Lehrer für Deutsch und Geschichte werden. Da lag es nahe, Geschichte und Literaturwissenschaft zu studieren, wobei mich die Geschichte mehr interessiert hat. Eigentlich bin ich bis heute Historiker geblieben.

Ein Historiker, der erst Lehrer werden wollte und dann Journalist.
In unserer Familie war ich der erste, der studiert hat. Der Lehrerberuf war mir durch die Schule vertraut. In der Studienzeit habe ich dann mehrere Schulpraktika machen müssen. Nicht dass ich dabei eingebrochen wäre, aber die Lehrerrolle hat mich angestrengt und nicht sehr befriedigt. Ich kam außerdem in einen Kreis von Studenten, der stark politisch motiviert war. Wir sahen uns alle irgendwie links, wenn auch nicht extrem links. Wir haben aber demonstriert, als Augstein 1962 verhaftet wurde (1). Durch diese Politisierung wurde der Journalistenberuf eine Option.

Auch ohne Studium der Publizistikwissenschaft.
Es ging nur ohne. Beim Vorstellungsgespräch hat mich Hans-Joachim Reiche, der Chefredakteur der Tagesschau, gefragt, ob ich Journalist werden will oder ob ich Publizistik studiere. Als ich gesagt habe, dass ich Geschichte studiere, konnte ich anfangen. Die Abneigung gegen die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Massenmedien war damals in der Praxis noch erheblich größer als heute. Ganz ist diese Animosität ja immer noch nicht überwunden. Ich war dann dreieinhalb Jahre bei der Tagesschau. Paul Sethe hat mich außerdem eingeladen, für die Zeit regelmäßig politische Bücher zu rezensieren. Meine Themen waren dort vor allem Osteuropa und der Kommunismus. Das ging über mehrere Jahre. In dieser Zeit habe ich auch angefangen, für den Deutschlandfunk historische und politische Features zu schreiben. So kam eins zum anderen. Mit dem Journalismus habe ich meine Promotionszeit finanziert. Daneben hat mich natürlich meine Frau unterstützt, die schon Lehrerin war.

Hatten Sie bei der Tagesschau eine feste Stelle?
Nein. Das war ein Werkvertrag, als Redaktionsassistent. Man hat den Redakteuren zugearbeitet. Für die Spätausgabe durfte man dann auch Nachrichten schreiben oder Filme texten, aber es gab immer noch einen hauptamtlichen Redakteur, der das kontrolliert hat.

Wie kommt jemand, der auf dem Weg zu einer journalistischen Karriere war, zu einer Stelle am Hans-Bredow-Institut?
Karriere ist sicher zu hoch gegriffen. Ich habe das damals nicht als Bruch wahrgenommen. Die Bredow-Stelle war für mich die logische Fortsetzung von dem, was ich als Journalist gelernt hatte. Ich hatte gemerkt, dass das Nachrichten-Handwerk für mich möglicherweise doch nicht das Richtige ist. Ich war kein besonders flinker Schreiber, und das Nachrichtengeschäft hatte nach gut drei Jahren seinen Reiz verloren. Dieses Wiederkäuen von Agenturmeldungen, diese Nachrichtenfilme mit den immer gleichen Köpfen und den immer gleichen Situationen. Wenn mich aber zum Beispiel Sethe gefragt hätte, ob ich nicht bei der Zeit einsteigen wolle, dann hätte ich sicher überlegt. Aber Sethe war da schon im Ruhestand.

Ein biographischer Zufall.
Ja. Gefragt hat Egmont Zechlin, mein Doktorvater, der damals das Hans-Bredow-Institut geleitet hat. Laut Satzung musste das Institut immer von einem Ordinarius der Universität geleitet werden, obwohl es nur ein An-Institut war. Es gab in Hamburg keinen Professor, der Rundfunkexperte war. Zechlin hatte in der Weimarer Republik zwar für diese oder jene Zeitung geschrieben, in Sachen Rundfunk hatte er aber keinen Namen. Er wusste, dass ich bei der Tagesschau war und für den Deutschlandfunk gearbeitet habe, und hat mir die freie Stelle angeboten. Dort bin ich dann 18 Jahre lang geblieben. Genau die Hälfte meines Berufslebens.

Gerhard Maletzke (Foto: Dorothee Stommel)

Gerhard Maletzke 2005 (Foto: Dorothee Stommel)

Was wussten Sie damals vom Hans-Bredow-Institut?
Nicht sehr viel. Ich war als Student in zwei Seminaren bei Gerhard Maletzke. Das war sehr interessant. Maletzke war als Wissenschaftler seiner Zeit voraus. Ich muss aber gestehen, dass ich als Student zu wenig mit seinem Ansatz anfangen konnte. Er hat das Institut 1964 verlassen (vgl. Meyen/Löblich 2006: 221-237). Nachfolger war Uwe Magnus. Als ich 1965 kam, habe ich Maletzke nur noch als regelmäßigen Autor in Rundfunk und Fernsehen erlebt.

Sie haben im Rückblick von einer „wissenschaftlichen Nische“ gesprochen und davon, dass die Zeitschrift Rundfunk und Fernsehen und das Internationale Handbuch für Rundfunk und Fernsehen die Arbeitskraft des Personals weitgehend absorbiert hätten (Roß 2000). Waren Sie damals zufrieden mit dem, was Sie am Hans-Bredow-Institut machen konnten?
Mit der Nische war die ruhige Arbeitsatmosphäre gemeint. Mir persönlich kam der Einstieg in eine redaktionelle und dokumentarische Tätigkeit entgegen. Das entsprach dem, was ich mir damals unter Medienwissenschaft vorgestellt habe. In die Fußstapfen von Maletzke treten zu wollen, wäre vermessen gewesen. Ich habe dann die Mediengeschichte und später die Medienpolitik für mich entdeckt. In diesem Umfeld konnte ich mich sicher bewegen und habe gesehen, dass ich dort durchaus etwas Sinnvolles beitragen kann.

Welchen Einfluss hatten Sie als Redakteur auf das, was in Rundfunk und Fernsehen veröffentlicht wurde?
Schon erheblichen Einfluss. Zechlin hat die Zeitschrift von den beiden wissenschaftlichen Referenten machen lassen, von Magnus und von mir. Wir waren haben gemeinsam über Manuskripte beraten, wir haben Themen konzipiert und nach Autoren gesucht.

Für wen haben Sie die Zeitschrift gemacht?
Magnus hatte in Göttingen bei Wilmont Haacke studiert und deshalb eher die Publizistikwissenschaft im Blick. Ich habe eher auf die Rundfunkentwicklung geschaut. Das Hans-Bredow-Institut war vom NWDR gegründet worden und wurde vom NDR finanziell alimentiert. Bis heute. Schon deshalb standen Rundfunk und Fernsehen im Mittelpunkt. Aus diesem Umfeld kamen unsere Themen, unsere Autoren und auch die meisten unserer Leser. Als es in den 1970er Jahren um die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ging, hat das natürlich auf die Zeitschrift ausgestrahlt. Später hat sich die Ausrichtung etwas geändert. Magnus ist zum WDR gewechselt und Karsten Renckstorf und Will Teichert kamen ins Institut und in die Redaktion. Beide waren Soziologen, Schüler von Janpeter Kob, der 1971 bis 1978 bei uns Direktor war. Das hat die Akzente verschoben, in Richtung Sozialwissenschaft, langsam auch in Richtung Empirie. Teichert und Renckstorf haben ja unter anderem dem Uses-and-Gratifications-Approach in Deutschland zum Durchbruch verholfen (vgl. Teichert 1972, 1973, 1975; Renckstorf 1973, 1989).

Hans Mathias Kepplinger (links) und Walter J. Schütz (Quelle: Hans Mathias Kepplinger)

Welches Verhältnis hatte Rundfunk und Fernsehen zur Kommunikationswissenschaft? Walter J. Schütz war als Redakteur der Publizistik ganz selbstverständlich Gründungsmitglied der DGPuZ und nimmt heute für sich in Anspruch, in seiner Zeitschrift alle wichtigen Trends im Fach widergespiegelt zu haben.
Das lässt sich für Rundfunk und Fernsehen sicher nicht sagen. Wir hatten den Eindruck, dass in der Publizistik noch die Printmedien und der fachinterne Diskurs dominierten. So hat sich eine Art von Arbeitsteilung ergeben. Schon deshalb war Rundfunk und Fernsehen für die Selbstverständigung des Faches bei weitem nicht so wichtig wie die Publizistik. Dazu kommt dann die Rolle der Person Schütz. Er saß mitten im Spinnennetz der DGPuZ, hatte Verbindungen zu vielen Fachkollegen und sehr viel mehr Antennen für die Dinge, die in den Instituten gelaufen sind.

Können Sie sich erinnern, wie damals die Beziehungen zwischen dem Hans-Bredow-Institut und den Universitätseinrichtungen des Fachs gewesen sind?
Ich kann mich nur an einen intensiven Kontakt erinnern. An einen Besuch aus Münster. Mit Henk Prakke an der Spitze, mit Winfried Lerg und Michael Schmolke, mit ein paar Studenten. Wir haben einen Tag in Hamburg diskutiert, auch über Lergs rundfunkhistorische Arbeiten (vgl. Lerg 1965). Natürlich kannte man die Fachkollegen von den Tagungen. Den Prominenten von Noelle-Neumann über Eberhard und Roegele bis zu Kieslich ist man dort respektvoll begegnet, aber meist folgenlos. Von der eigenen Arbeit schienen sie alle weit entfernt. Man war schließlich nur wissenschaftlicher Mitarbeiter eines kleinen Rundfunk-Instituts in Hamburg. Natürlich hatten wir an der Universität Lehraufträge, aber auch dort ging es dann wieder meist um Rundfunkthemen.

Wie haben Sie die sozialwissenschaftliche Wende im Fach wahrgenommen, den Trend, den ja Renckstorf und Teichert auch in das Hans-Bredow-Institut gebracht haben?
Ich bin unter den Direktoren Zechlin und Wenke wissenschaftlich sozialisiert worden. Beide hatten eine geisteswissenschaftliche Perspektive, beide waren auf den Rundfunk ausgerichtet und beide haben den Trend zur empirischen Sozialwissenschaft mit Skepsis oder sogar mit Ablehnung verfolgt. Mit Renckstorf und Teichert hat sich das geändert, aber sehr moderat. Natürlich gab es Grundsatzdiskussionen, und ich habe einiges dazulernen müssen. Letztlich hat uns drei Referenten aber auch persönliche Freundschaft immer wieder zusammengeführt. Vor allem mit Teichert hat mich außerdem das Interesse an der medienpraktischen Relevanz von Wissenschaft verbunden. Als Wolfgang Hoffmann-Riem Direktor wurde, ist die Institutsarbeit insgesamt deutlich ausgeweitet worden. Nicht nur in Richtung Sozialwissenschaft, sondern auch rechtlich und historisch-politologisch.

War es in der Zeit der Studentenbewegung im Hans-Bredow-Institut tatsächlich so ruhig, wie Sie das beschrieben haben (Roß 2000)?
Wir waren ja nicht in der Universität, sondern in der Heimhuder Straße. Zu uns kamen die Studenten wegen der Bibliothek. Dort haben wir meist auch unsere Seminare gemacht. Dort gab es nur Kleinigkeiten. Vielleicht hat einer mal das rote Buch von Mao hochgehalten. Zechlin und Wenke mussten aber in der Universität Kämpfe durchstehen wegen ihrer Zeit im Nationalsozialismus. Wenke hatte als Privatdozent einige Rezensionen geschrieben, in denen extreme Linke reichlich bösartig Spuren nationalsozialistischer Ideologie entdeckt zu haben glaubten. Seine Veranstaltungen sind boykottiert und dann gesprengt worden.

Sie haben von zwei Lagern geschrieben, von den „verständnislosen Gegnern“ der protestierenden Studenten und den „verständnisvollen Sympathisanten“ (Roß 2000). Haben Sie sich einem dieser beiden Lager verbunden gefühlt?
Eher den Sympathisanten. Als nach dem Tod von Benno Ohnesorg die Auslieferung der Bildzeitung blockiert wurde, war ich dabei, wenn auch nicht in vorderster Front. Gewalt gegen Personen war mir aber immer zuwider.

Können Sie Kollegen verstehen, die heute auf die 68er schimpfen und die Wissenschaftsfeindlichkeit der Bewegung beklagen?
Teilweise. Ich stehe dieser Bewegung inzwischen auch etwas distanzierter gegenüber. Wenn ich mit meinem Sohn über dieses Thema streite, falle ich aber noch immer in die Rolle des Alt-68ers. Er ist Reporter bei der Zeit und hält den Schaden, den die Bewegung verursacht hat, für deutlich größer als den Nutzen. Ich sage dann immer, Du kennst die Adenauer-Zeit nicht, Du hast nicht erlebt, wie verklemmt und vermieft dieses Land gewesen ist.

Darf man Sie fragen, ob Sie in einer politischen Partei aktiv waren oder sind?
Ich bin nie in einer Partei gewesen.

War das je ein Thema?
Nicht wirklich. Das hängt auch mit meinem Freundeskreis zusammen. Dort gab es einen Kommilitonen, acht Jahre älter als ich. Er war noch als Soldat im Krieg gewesen und als fanatischer Gegner des Nationalsozialismus zurückgekommen. Sein antinazistischer und antirassistischer Rigorismus hat mein politisches Denken geprägt. Ich hatte trotzdem keine Lust, mich der Disziplin einer Partei zu unterwerfen.

Sie waren links und haben sich immer wieder mit Medienkritik beschäftigt (vgl. Roß 1993, 1997). Welches Verhältnis haben Sie zur Kritischen Theorie?
Adorno ist für mich schon ein nachhaltiges Erlebnis gewesen. Nicht nur wegen seiner Medienkritik, sondern auch wegen seiner bürgerlich-konservativen Kunst- und Kulturauffassung. Karl Kraus hat mich ganz ähnlich beeinflusst. Möglicherweise bin ich deshalb mit zunehmendem Alter zu einer Art „Bildungsbürger“ geworden. Die Traditionen des alten Europa scheinen mir inzwischen wichtiger als die postmodernen Beliebigkeiten, die die Massenmedien überfluten.

Anfang der 1970er Jahre haben Sie sich für die journalistische Aus- und Fortbildung an der Akademie für Publizistik engagiert. Woher kam das Interesse an journalistischer Ausbildung?
Sicher aus meinen eigenen Erfahrungen mit dem Beruf. Ich habe ja als Bredow-Mitarbeiter noch weiter für die Zeit geschrieben und kannte vor allem reine Nachrichtenredaktionen. Manches wurde mir dort zu aktualistisch gesehen. Die Nachrichten-Routine hat kaum zugelassen, über die Bedingungen und die Folgen des Journalismus nachzudenken. Außerdem wurde damals intensiv über die Voraussetzungen für den Journalistenberuf diskutiert. Ausbildung versus Begabung. Die Akademie für Publizistik schien eine Chance zu sein, praxisnah auszubilden, aber nicht problemblind. Das Angebot ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Der Andrang war sehr groß. Wir hatten sechswöchige Kurse für Volontäre und einwöchige für Redakteure und haben dort Mediengeschichte und Medienrecht behandelt, Medienwirkungen, Recherche- und Interviewtechniken, oft verbunden mit praktischen Übungen.

Wie sind die Verleger- und Journalistenverbände, die die Akademie getragen haben, ausgerechnet auf Sie gekommen, auf jemanden aus einem Rundfunkinstitut?
Ich war ja nicht die Hauptfigur. Bei der Gründung haben die Verbände und die Medienbranche dominiert und bei den Dozenten ausgewiesene Praktiker. Ich war der Wissenschaftler, der von außen kam, um Ratschläge zu geben. Dazu kam, dass die Zeitungsvolontäre auch mit der Rundfunkarbeit vertraut gemacht werden sollten. Als der Kursbetrieb dann lief, wurde ich gefragt, ob ich nicht als ständiger wissenschaftlicher Berater und Dozent mitarbeiten wolle.

Ab 1973 waren Sie mehrere Jahre Sachverständiger im Fachausschuss Journalistenausbildung der Behörde für Wissenschaft und Forschung in Hamburg. Was antworten Sie jemandem, der sagt, letztlich hat sich Dieter Roß dort seine eigene Professur geschaffen?
Da kann ich nur sagen: So viel Einfluss hatte ich nicht. Aber ich will nicht ausschließen, dass mir die Bekanntheit in diesem Kreis einen Bonus verschafft hat. Es gab ja mehrere Ausschüsse. Der Studiengang hat eine komplizierte Geschichte (vgl. Hennig 1983, Roß 2002). Am Anfang war Dortmund das Vorbild (2). Damals hat Hamburg noch eine Gesamthochschule geplant. Dort sollte es einen grundständigen Hauptfachstudiengang Journalistik geben. Als der Plan Gesamthochschule geplatzt war, hat man versucht, eine bescheidenere Variante im Rahmen der Universität zu etablieren. In Gang gehalten hat das vor allem Jörg Hennig. Er hat den Fachbereich Sprachwissenschaften dazu gebracht, wenigstens an einen Teilstudiengang oder an ein Nebenfach zu denken. Die Universität musste die Journalistik dabei aus eigenen Mitteln bestücken, und nur die Sprachwissenschaftler waren bereit, eine Professur zur Verfügung zu stellen. Deshalb gab es eine Minimallösung. Eine Professur, eine halbe Sekretariatsstelle, eine halbe Mitarbeiterstelle und 42 Studierende pro Jahr.

Sind Sie zur Bewerbung aufgefordert worden?
Nein. Als ich die Ausschreibung für „Journalistik mit dem Schwerpunkt Angewandte Kommunikationswissenschaft“ gelesen habe, fühlte ich mich aber angesprochen. Vor allem unser Sohn hat mir außerdem sehr zugeredet. In der Berufungskommission saßen zwei Wissenschaftler, die schon in den Vorbereitungsgremien für die Universität gearbeitet hatten. Außerdem war dort Walter Menningen, damals Direktor des Funkhauses Kiel. Als Vertreter der Medienpraxis mit Stimmrecht.

Jürgen Wilke 1992 mit Elisabeth Noelle-Neumann und X (Foto: privat)

Jürgen Wilke 1992 mit Elisabeth Noelle-Neumann und Heinz Maier Leibnitz (Foto: privat, Archiv von Jürgen Wilke)

Wer waren Ihre Konkurrenten?
Vorgetragen haben damals noch Jürgen Wilke und Dieter Prokop. Ich habe da für mich eigentlich wenig Chancen gesehen, vor allem gegenüber Wilke. Er hatte sich gerade habilitiert (vgl. Wilke 1984). Vielleicht passte das Hamburger Projekt aber genau zu mir und zu meinem Credo, dass die Universität auch die Aufgabe hat, Studierende auf journalistische Berufe vorzubereiten und ihnen die nötigen Sach- und Reflexionskompetenzen anzubieten. Den Teilstudiengang Journalistik habe ich deshalb für sinnvoll und für notwendig gehalten, auch oder vielleicht sogar gerade als Nebenfach, Zusatzfach oder Wahlfach. Mein Tätigkeitsprofil und meine beruflichen Erfahrungen haben der Hamburger Aufgabe offenbar entsprochen.

Warum hatte ausgerechnet der Fachbereich Sprachwissenschaften Interesse an einer akademischen Journalistenausbildung?
Jörg Hennig hat schon eine entscheidende Rolle gespielt. Er hat sich immer für Massenmedien interessiert. Er war für die Universität im Kuratorium des Bredow-Instituts und hat sich als Linguist wiederholt mit journalistischen Themen befasst, zum Beispiel mit der Verständlichkeitsforschung (vgl. Hennig 1979, 1980). Er hat zu diesen Themen ja dann auch in der Journalistik gelehrt. Wichtig war, dass er nicht aufgegeben hat, als der Gesamthochschul-Plan mit dem Hauptfach gescheitert war. Die Hauptfach-Idee ist in der Medienpraxis auch zunehmend auf Widerstand gestoßen. Die Praktiker sind mehr und mehr vom Dortmunder Modell abgerückt. Sie wollten in Hamburg keinen Diplom-Journalisten. Die Geschichte hat sich wiederholt, als 2000 das Hauptfach „Journalistik und Kommunikationswissenschaft“ eingeführt werden sollte. Das haben die Praktiker nicht mitgetragen und sind aus den Institutsgremien ausgeschieden.

Haben Sie diese Ablehnung verstanden?
Ich habe das Nebenfach sehr geschätzt – wegen der Nähe zur Praxis und weil Studierende aus ganz unterschiedlichen Hauptfächern in die Journalistik kamen. Die Praxis hat diese Form akzeptiert und unsere Absolventen angenommen. Etwa zwei Drittel der Studenten sind tatsächlich im Journalismus oder in der PR gelandet. Der Teilstudiengang Journalistik war aber nicht nur Teil der medienpraktischen Kultur, sondern auch Teil der Universitätskultur. Dort wird ein reines Nebenfach nicht ganz für voll genommen. Man hat zum Beispiel kein Promotionsrecht. Ich habe versucht, das den Praktikern zu erklären, bin aber mit diesem Argument nicht durchgedrungen. Vielleicht ist Otfried Jarren auch wegen dieses Problems nach Zürich gegangen. Ohne die Aufwertung zum Hauptfach hätten wir sicher Siegfried Weischenberg nicht als Nachfolger gewinnen können. Mit dem Hauptfach ist das Institut auch in der Universitätskultur angekommen. Ich gebe aber zu, dass dieser Prozess für mich nicht ganz schmerzfrei war.

Warum hängen Sie so am Nebenfach Journalistik?
Im Nebenfach hatte die Kommunikationswissenschaft genau das Gewicht, das für die praktische Medienarbeit unabdingbar ist. Im Journalismus werden kaum theoretisch und methodisch hoch spezialisierte Kommunikationswissenschaftler gebraucht, sondern Mitarbeiter, die sachkundig sind, die die journalistischen Arbeitstechniken beherrschen und die in der Lage sind, über die Funktionen, Bedingungen und Folgen ihrer Arbeit nachzudenken.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht auf die Hamburger Professur berufen worden wären?
Ich hätte mich wahrscheinlich bemüht, in die Medienforschungsabteilung einer Rundfunkanstalt zu kommen. Uwe Magnus und später auch Will Teichert sind diesen Weg gegangen.

Im Sommersemester 1980 und im Wintersemester 1980/81 haben Sie eine Stelle in Göttingen vertreten. Hätten Sie sich damals vorstellen können, dort Professor zu werden?
Nein. Ich habe mich niemals auf eine Professur mit dem Hauptfach Publizistik- oder Kommunikationswissenschaft beworben.

Ist Ihnen der Wechsel vom Bredow-Institut an die Universität schwergefallen?
Überhaupt nicht. Das hatte für mich eine innere Logik. Ich hatte schon in meiner Bredow-Zeit regelmäßig gelehrt und das in Göttingen ja auch schon mit vollem Deputat üben können. Die Lehre war mir immer besonders wichtig gewesen. Der neue Teilstudiengang hat außerdem eng mit dem Bredow-Institut zusammengearbeitet. Ohne die Instituts-Bibliothek wären wir gar nicht arbeitsfähig gewesen. Teichert und Renckstorf wurden Lehrbeauftragte. Und dann haben wir natürlich viele ausgewiesene Praktiker geholt.

Karsten Renckstorf (Quelle: Communications 39. Jg.)

Im Rückblick betrachtet: War die Hamburger Professur die Position, auf der Dieter Roß die Erfahrungen, die er in seinem Berufsleben gesammelt hat, am besten einbringen konnte?
Das müssten andere beurteilen. Ich habe mich in diesem Studiengang zu Hause gefühlt, weil er dem entsprochen hat, was ich wollte und konnte. Natürlich habe ich mir manches nachträglich aneignen müssen, was ich nicht von Grund auf gelernt hatte. Für mich persönlich war es aber ein Glücksfall, mit Praktikern zusammenzuarbeiten, die sich für die wissenschaftlichen Dimensionen des Journalismus interessiert haben, und mit Studierenden, die gerade die praktische Variante des Faches wollten.

Wo sehen Sie Ihre Position im Fach? Haben Sie sich als Außenseiter gesehen?
Außenseiter wäre zu hart, auch wenn ich sicher nicht in der „Mitte des Faches“ stehe. Mein Weg war sicher auch das Ergebnis einer bestimmten Konstellation, in der sich das Fach gegenüber der Medienpraxis geöffnet und die akademische Ausbildung für den Journalistenberuf gefördert hat. Das war in den 1970er und 1980er Jahren und ist vorbei (vgl. Wilke 1987). Heute würde ich mit einem ähnlichen wissenschaftlichen Profil kaum eine solche Chance bekommen. Höchstens bei einer Fachhochschule oder bei einer der privatwirtschaftlichen Einrichtungen, die die Journalistenausbildung mehr und mehr an sich ziehen. Ich halte das nicht gerade für einen Fortschritt.

Sie haben vorhin das Vorbild Maletzke erwähnt. Gibt es andere Wissenschaftler, die für Sie eine Vorbildfunktion hatten oder möglicherweise bis heute haben?
Maletzke war sicher kein Vorbild, dem ich hätte nacheifern können. Aber es gab schon Kollegen, mit denen ich gern zusammengearbeitet habe und von denen ich viel lernen konnte. Will Teichert, Wolfgang Hoffmann-Riem, Jörg Hennig, Otfried Jarren. Ich habe nach meiner Pensionierung Tisch und Stuhl am Institut behalten dürfen und treffe dort regelmäßig die Kollegen Neverla, Weischenberg und Pörksen. Die Tradition des Praxisbezugs wirkt dort in Lehre und Forschung fort. Mich hat regelrecht glücklich gemacht, dass es dem Institut gerade gelungen ist, bei der Rudolf-Augstein-Stiftung eine Professur mit dem Schwerpunkt „Praxis des Qualitätsjournalismus“ einzuwerben.

Gab es Gegner, Konkurrenten oder vielleicht sogar Feinde?
Feinde? Ich wüsste nicht. Ich habe immer vermieden, Feinde zu haben. Meine Frau sagt manchmal sogar, ich sei zu harmoniesüchtig.

Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?
Das ist ja schlimmer als der Fragebogen in der FAZ. Stolz? Nein. Aber es hat mich gefreut, an einem Versuch beteiligt gewesen zu sein, den ich immer noch für lohnend halte. Wenn die Journalistenausbildung in der Kommunikationswissenschaft heute abzusterben droht, dann hängt das auch damit zusammen, dass das Fach zu theorie- und methodenlastig geworden ist und sich zu sehr als empirische Sozialwissenschaft versteht. Auf den meisten Lehrstühlen sitzen Theoretiker oder Methodiker. Leute, die wahrscheinlich eine weitere Generation von Theoretikern und Methodikern heranziehen werden. Ich habe das Glück gehabt, in einer Pha-se zu arbeiten, wo das noch nicht so eindeutig und so verengt war. Darauf kann ich nicht stolz sein, aber es gab da etwas, woran ich mich mit Freude und vielleicht auch mit diesem oder jenem Erfolg beteiligen konnte.

Mit Blick auf die akademische Journalistenausbildung klingt das resignierend.
Ich glaube, dass das realistisch ist. Die Journalistenausbildung im Rahmen des Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat längerfristig keine guten Aussichten. Es arbeiten immer noch mehr Sprach- und Literaturwissenschaftler im Journalismus als Absolventen medienwissenschaftlicher Fächer (vgl. Weischenberg et al. 2006). Das finde ich bedauerlich. Ich würde mir im Journalismus etwas mehr an wissenschaftlicher Qualifikation wünschen und etwas mehr Reflexionspotenzial, gerade mit Blick auf die Bedrohungen durch Kommerz und Entertainment. Statt aber quasi antizyklisch grundlegende Standards und Normen für den Journalismus zu entwickeln und zu vermitteln, erschöpfen sich große Teile des Faches in fachinternen theoretischen, methodischen und empirischen Legitimationsübungen, deren medienpraktischer Nutzwert sich in engen Grenzen hält. Das ist noch milde ausgedrückt. Ist das nicht eine Kapitulation der Wissenschaft vor der Praxis und ein Rückzug in den Elfenbeinturm?

Würden Sie etwas anders machen, wenn Sie heute noch einmal von vorn anfangen könnten?
Eine hypothetische Frage. Hypothetisch geantwortet: Ich würde etwas mindestens Ähnliches besser zu machen versuchen.

Was bleibt von Dieter Roß in der Kommunikationswissenschaft? Was sollte bleiben, wenn Sie darauf Einfluss hätten?
Papst Johannes XXIII. hat gemahnt, Giovanni, nimm dich nicht so wichtig. Eines meiner Lebensmotti. In der Kommunikationsforschung werde ich kaum etwas Bleibendes hinterlassen, denn ich war immer eher Vermittler als Entdecker. In der akademischen Lehre bin ich daher ein wenig zuversichtlicher. Ich hoffe, dass in den Köpfen meiner Studenten dieses oder jenes weiterwirkt. Doch auch das wird nicht von Dauer sein: Der Wirkungskreis fast jeden Lehrers erlischt, wenn diejenigen einmal abtreten, die ihn erlebt haben.

Anmerkungen

  • 1 Am 10. Oktober 1962 war im Spiegel ein Beitrag von Conrad Ahlers erschienen, in dem Einzelheiten eines NATO-Manövers geschildert und die Verteidigungsfähigkeit der Bundesregierung in Frage gestellt wurden. Der Generalbundesanwalt erhob gegen die Hamburger Spiegel-Redaktion Anklage wegen Landesverrats. Am 23. Oktober 1962 wurde Haftbefehl gegen den Herausgeber Rudolf Augstein sowie Conrad Ahlers und weitere Redakteure erlassen. Die Redaktionsräume wurden von der Polizei besetzt und durchsucht. In der gesamten Bundesrepublik kam es zu Protesten und zu Podiumsdiskussionen über Pressefreiheit. In Hamburg demonstrierten hunderte Studenten vor dem Untersuchungsgefängnis, in dem Augstein einsaß. Im Zuge der „Spiegel-Affäre“ musste Verteidigungsminister Strauß zurücktreten. Der Bundesgerichtshof lehnte die Anklage wegen mangelnden Beweisen ab (vgl. Kepplinger 1999: 702f.).
  • 2 Der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau setzte 1975 eine Planungskommission zur Vorbereitung des Modellversuchs „Journalistenausbildung“ in Dortmund ein. Kurt Koszyk wurde zum Leiter der Projektgruppe gewählt, die das Konzept erarbeiten sollte (Stellenplan, Sachmittel, Curriculum). Der Studiengang wurde dann zunächst an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund eingerichtet, nachdem die Bemühungen gescheitert waren, ihn an der Universität Dortmund anzusiedeln. 1981 wurde die Diplom-Journalistik schließlich doch in die Universität integriert. Die auf vier Jahre angesetzte Modellversuchs-Phase wurde je zur Hälfte von Bund und Land finanziert. 1976 nahmen 51 Studenten in Dortmund ihr Journalistik-Studium auf (Weischenberg et al. 1976). 1977 wurde Kurt Koszyk auf den zunächst einzigen Lehrstuhl für Journalistik berufen. 1978 folgten die Berufungen von Gerd Kopper (Strukturfragen der Massenmedien) und Ulrich Pätzold (Vermittlungsformen des Journalismus). 1979 kamen Siegfried Weischenberg (Produktion) und 1979 Udo Branahl (Schwerpunkt Medienrecht) hinzu, 1980 Jürgen Heinrich (Ökonomie).

Literaturangaben

  • Jörg Hennig: Verbessern Moderationen die Verständlichkeit? Zur Funktion des Moderators in Nachrichtensendungen des Fernsehens. In: Praxis Deutsch Heft 36 (1979), S. 58-60
  • Jörg Hennig: Umfassend, objektiv, verständlich? Zu den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. In: Manfred Brauneck (Hrsg.): Film und Fernsehen. Bamberg: Buchners 1980, S. 492-503
  • Jörg Hennig: Der Teilstudiengang „Journalistik“ der Universität Hamburg. In: Publizistik 28. Jg. (1983), S. 263-265
  • Hans Mathias Kepplinger: Publizistische Konflikte. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Medienge-schichte der Bundesrepublik Deutschland. Köln: Böhlau 1999, S. 698-719
  • Winfried B. Lerg: Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland. Herkunft und Entwicklung eines publizistischen Mittels. Frankfurt am Main: Josef Knecht 1965
  • Michael Meyen, Maria Löblich: Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland. Konstanz: UVK 2006
  • Michael Meyen/Maria Löblich: “Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007.
  • Karsten Renckstorf: Alternative Ansätze in der Massenkommunikationsforschung: Wirkungs- vs. Nutzenansatz. In: Rundfunk und Fernsehen 21. Jg. (1973), S. 183-197
  • Karsten Renckstorf: Mediennutzung als soziales Handeln. Zur Entwicklung einer hand-lungstheoretischen Perspektive der empirischen (Massen-)Kommunikationsforschung. In: Max Kaase, Winfried Schulz (Hrsg.): Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Opladen: Westdeutscher Verlag 1989, S. 314-336
  • Dieter Roß: Die neue Unverbindlichkeit. Der Zerfall der Öffentlichkeit und die Allgegenwart der Medien. In: Siegfried von Kortzfleisch, Peter Cornehl (Hrsg.): Medienkult – Medienkultur. Berlin: Reimer 1993, S. 15-33
  • Dieter Roß: Traditionen und Tendenzen der Medienkritik. In: Hartmut Weßler, Christiane Matzen, Otfried Jarren, Uwe Hasebrink (Hrsg.): Perspektiven der Medienkritik – die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit öffentlicher Kommunikation in der Mediengesellschaft. Dieter Roß zum 60. Geburtstag. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 29-45
  • Dieter Roß: Wissenschaftliche Nische in Polit-Turbulenzen: die 60er Jahre. In: 50 Jahre Hans-Bredow-Institut. Hamburg: Hans-Bredow-Institut 2000
  • Dieter Roß: Journalistik und Kommunikationswissenschaft Hauptfach an der Universität Hamburg. In: Publizistik 47. Jg. (2002), S. 327
  • Will Teichert: „Fernsehen“ als soziales Handeln. Zur Situation der Rezipientenforschung: Ansätze und Kritik. In: Rundfunk und Fernsehen 20. Jg. (1972), S. 421-439
  • Will Teichert: „Fernsehen“ als soziales Handeln (2). Entwürfe und Modelle zur dialogischen Kommunikation zwischen Publikum und Massenmedien. In: Rundfunk und Fernsehen 21. Jg. (1973), S. 356-382
  • Will Teichert: Bedürfnisstruktur und Mediennutzung. Fragestellung und Problematik des „Uses and Gratifications Approach“. In: Rundfunk und Fernsehen 23. Jg. (1975), S. 269-283
  • Siegfried Weischenberg, Frauke Höbermann, Claus Eurich: Start des Modellversuchs Journalistik im Gesamthochschulbereich Dortmund. In: Publizistik 21. Jg. (1976), S. 481-484
  • Siegfried Weischenberg, Maja Malik, Armin Scholl: Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland. Konstanz: UVK 2006
  • Jürgen Wilke: Nachrichtenauswahl und Medienrealität in vier Jahrhunderten. Eine Modellstu-die zur Verbindung von historischer und empirischer Publizistikwissenschaft. Berlin: de Gruyter 1984
  • Jürgen Wilke (Hrsg.): Zwischenbilanz der Journalistenausbildung. München: Ölschläger 1987

Empfohlene Zitierweise

Dieter Roß: Journalistik zwischen Praxis und Wissenschaft. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2023. http://blexkom.halemverlag.de/dieter-ross-inteview ‎(Datum des Zugriffs).