Karl Bücher (Quelle: Privatarchiv Arnulf Kutsch)
Karl Bücher (Quelle: Privatarchiv Arnulf Kutsch)

Karl Bücher

16. Februar 1847 bis 12. November 1930

Lexikoneintrag von Michael Meyen am 21. Juni 2013

Bücher gilt als Nestor der akademischen Zeitungskunde in Deutschland. Er hat bereits 1884 in Basel Vorlesungen über die Zeitung gehalten und hier auch von den praktischen Erfahrungen gezehrt, die er bei der Frankfurter Zeitung gewonnen hatte.

Stationen

Geboren in Kirberg (Herzogtum Nassau). Vater Landwirt und Bürstenmacher, evangelisch-lutherisch. 1866 Studium in Bonn (Philologie und Geschichte). 1870 Promotion. 1872 Staatsexamen als Lehrer, dann Arbeit im Lehrerberuf. 1878 bis 1880 Redakteur der Frankfurter Zeitung (freie Mitarbeit seit 1874). 1881 Habilitation an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Professuren in Dorpat (1882), Basel (1883) und Karlsruhe (1890). 1892 Lehrstuhl für Nationalökonomie in Leipzig (Emeritierung 1917). 1902 bis 1903 Dekan der Philosophischen Fakultät, 1903 bis 1904 Rektor der Universität Leipzig. 1904 Alleinherausgeber der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 1916 Gründung des Instituts für Zeitungskunde, Universität Leipzig. Verheiratet mit Emilie Mittermaier (1853 bis 1909), ein Sohn.

Publikationen

  • De gente Aetolica amphictyoniae participe. Bonn: I. Trapp 1870 (Dissertation).
  • Zur mittelalterlichen Bevölkerungsstatistik mit besonderer Rücksicht auf Frankfurt a. M. I. Allgemeiner Theil. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 37. Jg. (1881), S. 535-580; II. Specieller Theil. Ebd. 38. Jg. (1882), S. 28-117; Das Bürgerverzeichnis von 1440. III. Artikel. Ebd. 41. Jg. (1885), S. 488-579 (Habilitation).
  • Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen: H. Laupp’sche Buchhandlung 1893. 17 Auflagen.
  • Arbeit und Rhythmus. Leipzig: S. Hirzel 1896. Sechs Auflagen.
  • Lebenserinnerungen. Erster Band. 1847-1890. Tübingen: H. Laupp’sche Buchhandlung 1919.
  • Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde. Tübingen: H. Laupp’sche Buchhandlung 1926.

Bücher gilt als Nestor der akademischen Zeitungskunde in Deutschland. Er hat bereits 1884 in Basel Vorlesungen über die Zeitung gehalten und hier auch von den praktischen Erfahrungen gezehrt, die er bei der Frankfurter Zeitung gewonnen hatte. Dort lernte er den Nationalökonomen Albert Schäffle (1831 bis 1903) kennen, der als freier Mitarbeiter politische Aufsätze lieferte. Schäffle unterstützte Bücher bei der Habilitation und machte ihn 1901 zum Mitherausgeber der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Bücher übernahm von seinem väterlichen Freund auch die theoretischen Vorstellungen über Presse und Öffentlichkeit (vgl. Meyen/Löblich 2006: 109-127).

Das internationale Ansehen, das sich Karl Bücher als Wirtschaftswissenschaftler erarbeitete, erleichterte ihm sein Alterswerk: die Gründung des Instituts für Zeitungskunde an der Universität Leipzig. Er hatte sich bereits vorher als Kritiker der Presse hervorgetan und unter anderem gefordert, die Anonymität aufzuheben sowie das Monopol der großen Nachrichtenagenturen zu brechen. Auch mit der Verbindung von Text und Anzeigen fand er sich nicht ab. Bücher sah zwar die ökonomische Zweckmäßigkeit, schrieb aber von „schweren Gefahren für den arglosen Leser“. Die Zeitung definierte er als Erwerbsunternehmen, „das Annoncenraum herstellt und verkauft, der nur durch einen redaktionellen Teil absetzbar gemacht werden kann“ (Bücher 1926a: 397) – eine Formulierung, die bis heute immer wieder zitiert wird. Die Journalistenausbildung sah Bücher als ein Mittel zur Hebung der Pressequalität. Zum 500. Jubiläum der Leipziger Universität 1909 schrieb er, dass man für diesen Beruf keine besondere akademische Disziplin brauche, wohl aber „ergänzend Vorlesungen über Geschichte, Organisation, Statistik und Technik des Zeitungswesens“, die Erteilung von entsprechenden Lehraufträgen und die Erstellung von Studienplänen, um denjenigen zu helfen, die eines Tages in der Presse arbeiten wollten (Bücher 1909).

Diesen Plan setzte er dann mithilfe einer Stiftung des Zeitungsverlegers Edgar Herfurth (1865 bis 1950) und gestützt auf vaterländische Argumente um. Seiner Meinung nach hatte die Presse in den ersten Kriegsjahren versagt. In der Eingabe an das sächsische Kultusministerium, in der Bücher Anfang 1915 die Gründung eines zeitungskundlichen Instituts an der Universität Leipzig vorschlug, konstatierte er einen „Tiefstand des Zeitungswesens“ und sah als einzigen Ausweg „die Erziehung eines Journalistenstandes“, der „in wissenschaftlicher, technischer und sittlicher Hinsicht seinen großen Aufgaben gewachsen ist“ (vom Bruch 1980: 604). Bücher verstand das Leipziger Institut keineswegs als Keimzelle für eine neue Universitätsdisziplin. Noch zehn Jahre nach der Gründung schrieb er, dass es keine Zeitungswissenschaft gebe und in Leipzig auch die Forschung immer ausschließlich der Vorbereitung auf den Journalistenberuf gedient habe (Bücher 1926b). Gegen diese Beteuerungen spricht, dass Bücher in Leipzig 1921 das Promotionsrecht für das Fach durchsetzte (das es in der Weimarer Republik an keiner anderen Universität gab), dass er nach einem erfolglosen Versuch (Johannes Kleinpaul) einer Habilitation den Weg bahnte (Paul Walter Schöne) und trotz Alter und Krankheit so lange lehrte, bis 1926 mit Erich Everth der erste ordentliche Lehrstuhl für Zeitungskunde in Deutschland besetzt wurde (vgl. Koenen 2005).

Literaturangaben

  • Rüdiger vom Bruch: Zeitungswissenschaft zwischen Historie und Nationalökonomie. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Publizistik als Wissenschaft im späten deutschen Kaiserreich. In: Publizistik 25. Jg. (1980), S. 579-605.
  • Karl Bücher: Vorbildung für den Journalistenberuf an deutschen Universitäten. In: Leipziger Tageblatt, Nr. 208 vom 29. Juli 1909. Jubiläumsausgabe zur 500-Jahr-Feier der Universität Leipzig, S. 1-2.
  • Karl Bücher: Zur Frage der Preßreform. In: Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde. Tübingen: H. Laupp’sche Buchhandlung 1926a, S. 391-429.
  • Karl Bücher: Zeitungskunde. In: Deutsche Presse 16. Jg. (1926b), Nr. 50/51, S. 5-6.
  • Erik Koenen: Ein „einsamer“ Wissenschaftler? Erich Everth und das Leipziger Institut für Zeitungskunde zwischen 1926 und 1933. Ein Beitrag zur Bedeutung des Biographischen für die Geschichte der Zeitungswissenschaft. In: Medien & Zeit 20. Jg. (2005), Nr. 1, S. 38-50.
  • Michael Meyen/Maria Löblich: Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland. Konstanz: UVK 2006.

Weiterführende Literatur

  • Jürgen Backhaus (Hrsg.): Theory – History – Anthropolgy – Non Market Economies. Marburg: Metroplis 2000.
  • Heinz-Dietrich Fischer/Horst Minte (Hrsg.): Karl Bücher. Auswahl der publizistikwissenschaftlichen Schriften. Bochum: N. Brockmeyer 1981 (= Publizistik-Wissenschaftler im deutschen Sprachraum, Bd. 1).
  • Hanno Hardt: Social Theories of the Press. Early German and American Perspectives. Beverly Hills, London: Sage 1979, S. 99-131.
  • Erik Koenen/Michael Meyen (Hrsg.): Karl Bücher. Leipziger Hochschulschriften 1892-1926. Leipzig: Universitätsverlag 2002 (= Karl-Bücher-Forschungsstelle der Universität Leipzig. Kleine Arbeiten und Materialien, Bd. 2).
  • Arnulf Kutsch: Historisch-ethisch vs. empirisch-soziologisch fundierte Zeitungswissenschaft. Zum Bruch zwischen Walter Schöne und Karl Bücher. In: Michael Haller (Hrsg.): Tatsachen und Meinungen. Für Klaus Puder. Leipzig: Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft 1997, S. 18-35.
  • Arnulf Kutsch: Schriftenverzeichnis Karl Bücher. Leipzig: Universitätsverlag 2000 (= Karl-Bücher-Forschungsstelle der Universität Leipzig. Kleine Arbeiten und Materialien, Bd. 1).
  • Arnulf Kutsch: Zum Verhältnis zwischen Karl Bücher und Karl d’Ester. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Zeitungswissenschaft in Deutschland. In: Ute Nawratil/Philomen Schönhagen/Heinz Starkulla junior (Hrsg.): Medien und Mittler sozialer Kommunikation. Beiträge zu Theorie, Geschichte und Kritik von Journalismus und Publizistik. Festschrift für Hans Wagner. Leipzig: Universitätsverlag 2002, S. 125-153.
  • Manfred Rühl: Publizieren. Eine Sinngeschichte der öffentlichen Kommunikation. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999, S. 169-196.
  • Beate Wagner Hasel: Die Arbeit des Gelehrten: Der Nationalökonom Karl Bücher (1847-1930). Frankfurt/Main: Campus 2011.
  • Siegfried Weischenberg: Max Weber und die Entzauberung der Medienwelt. Theorien und Querelen – eine andere Fachgeschichte. Wiesbaden: Springer VS 2012, S. 109-134.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Michael Meyen: Karl Bücher. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013. http://blexkom.halemverlag.de/karl-bucher/ ‎(Datum des Zugriffs).