Michael Schmolke (Foto: privat)
Michael Schmolke (Foto: privat)

Am Ende war ich selbst ein „Großfürst“

Veröffentlicht am 3. März 2014

Michael Schmolke war rund drei Jahrzehnte Professor an der Universität Salzburg und hat dabei diesen Fachstandort entscheidend geprägt. Aus Anlass seines 80. Geburtstages am 13. Februar 2014 veröffentlicht BLexKom ein Gespräch, das Maria Löblich und Michael Meyen 2006 in Salzburg geführt haben (vgl. Meyen/Löblich 2007: 116-135).

Stationen

Geboren am 13. Februar 1934 in Gleiwitz (Oberschlesien). 1954 Abitur in Hannover. Studium (Publizistik, Geschichte, Germanistik, Pädagogik) in Münster (1954/55, 1957 bis 1959), Göttingen (1955/56) und München (1956). 1957 Redakteur bei der wöchentlichen Bistumszeitung Kirche und Leben in Münster. 1962 bis 1970 wissenschaftlicher Assistent am Münsteraner Institut für Publizistik (bis 1965 Verwalter einer Assistentenstelle). 1965 Promotion (Schmolke 1966). 1968 Mitbegründer der Fachzeitschrift Communicatio Socialis, Mitherausgeber bis 2012. 1970 Habilitation (Schmolke 1971). Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. 1970/71 Dozent für Kommunikationswissenschaft und Medienerziehung am Institut für Lehrerfortbildung in Essen, Lehraufträge an der Universität Münster. 1971 Direktor der Abteilung Kommunikation/Information/Dokumentation am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. 1973 bis 2002 ordentlicher Universitätsprofessor für Publizistik- und Kommunikationstheorie an der Universität Salzburg. 2003 René-Marcic-Preis für Publizistik (Land Salzburg).

In Ihrer Abschiedsvorlesung „Die Medienbiographie des Michael S.“ haben Sie erwähnt, dass Ihr Elternhaus ganz in der Nähe des Senders Gleiwitz gestanden hat. Vielleicht könnten Sie am Anfang etwas über Ihre Kindheit sagen, über Ihre Jugend.

Die Kindheit hat ziemlich genau zehn Jahre gedauert. Oder elf. Das mit dem Elternhaus in der Nähe des Gleiwitzer Senders ist richtig. In der Nähe beider Gleiwitzer Sender. Es gab den neuen Sender, der dann die Kulisse für diesen getürkten Überfall war, und einen alten. Wenn man im Internet nach Gleiwitz sucht, taucht das Bild des alten Senders auf mit der Geschichte des neuen. Ich habe das in der Vorlesung erzählt, um den Studenten klar zu machen, welchen Wert das Internet hat, wenn man nicht quellenkritisch arbeiten kann.

Woran machen Sie das Ende Ihrer Kindheit fest?

1944 ist mein Vater gestorben, und 1945 sind wir mit einem der letzten regulären Züge vor den Russen geflohen. Es war saukalt. Man kam nicht mehr dorthin, wo man hinwollte, aber ein Stück aus der Gefahrenzone heraus. Wir sind in unsere Sommerfrische gefahren, in die Grafschaft Glatz, direkt an der böhmischen Grenze. Dort konnten wir bis zum Juni bleiben. Die Russen sind erst nach dem Waffenstillstand in diesen abgelegenen Winkel gekommen. Ein Russe in Gestalt eines Motorradfahrers. Es gab keine Ausschreitungen und nichts. Das haben wir uns vorher so nicht vorstellen können.

Was war Ihr Vater von Beruf, dass Sie eine Sommerfrische hatten?

Das war nichts Besonderes. Beim Bauern. Zwar nicht im Stroh, aber doch auf einem Strohsack. Mein Vater war schlichter Finanzbeamter. Im Krieg wurde er zweimal eingezogen. Im Polenfeldzug war er Telefonist bei Seyß-Inquart. Mein Vater hat den Krieg gehasst und sich geweigert, in die Partei einzutreten. Das hat seine Beamtenkarriere gestoppt.

Hat man das als Kind schon so mitbekommen?

Ja, natürlich.

Welche Rolle hat Religion in Ihrem Elternhaus gespielt?

Eine normale. Wichtiger ist vielleicht die Schule. Normalen Religionsunterricht gab es nur ganz am Anfang, 1940. Dann durfte es das nicht mehr geben. Es wurde in die Kirchen verlagert und hieß dann Seelsorgestunde. Geleitet wurde das von Redemptoristenpatres, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Krieg mussten. Ich habe erst später gemerkt, was uns dort eigentlich vermittelt wurde und was diese Leute dort aufrechterhalten haben. Es gab zum Beispiel noch Fronleichnamsprozessionen, als es überall verboten war.

Sie haben gesagt, dass Sie bis Juni 1945 in Ihrer Sommerfrische waren.

Wir mussten dort dann innerhalb von zwei, drei Stunden alles zusammenpacken und zum nächsten Bahnhof fahren. Uns wurde geraten, nach Görlitz zu gehen. Das hat niemand verstanden. Wir hatten ja kein Radio, keine Zeitung. Wir wussten überhaupt nicht, was lief. Meine Mutter dachte, der Pole hat sich bestimmt versprochen und nicht Görlitz gemeint, sondern Gleiwitz. Auf halbem Wege hat man dann gemerkt, was wirklich gespielt wurde. Anhalten, alle Koffer raus. Wir sind tatsächlich in Gleiwitz angekommen. Fast ohne Koffer. 1946 verdichtete sich das Gerücht, dass alle Oberschlesier ausgewiesen werden, die nicht für Polen optieren. Meine Mutter und meine Tante haben den letzten Schmuck versetzt und einen Schlepper angeheuert, um nicht in ein Ausweisungslager zu müssen. Wir sind dann trotzdem in so ein Lager gekommen. Das war kein Spaß, aber es war kein KZ. Von dort wurden wir direkt in die britische Zone gebracht, in ein Lager bei Uelzen, wo ich zum ersten Mal nach anderthalb Jahren wieder Wurst gesehen habe. Zur Schule gegangen bin ich in Hannover. Bis zur Matura, 1954. Gelebt haben wir in einem Dorf in der Nähe.

Sie haben im Herbst 1954 begonnen, in Münster Publizistik zu studieren. Kurt Koszyk hat erzählt, dass die meisten seiner Kommilitonen Journalist werden wollten (Koszyk 2004: 173).

Ja, das stimmt. Publizistik wurde als Tor in den Journalismus gesehen. Wir haben dann aber auch erlebt, dass Altersgenossen von Koszyk in die Öffentlichkeitsarbeit gegangen sind oder in die Werbung. Einige von den Älteren wussten auch, wer zum Beispiel Hundhausen ist.

Und wie war das bei Ihnen?

Wir Jüngeren wollten eigentlich nur Journalisten werden. Ich erinnere mich noch genau an den Anfang. Wir standen unbeholfen vor dem Schwarzen Brett mit der Themenliste für das Proseminar. Neben mir drehte sich jemand um und fragte: „Gedenken Sie auch, Publizistik zu studieren?“ Man hat sich gesiezt, damals. Das weiß ich noch wie heute. Er hat gesagt, dass er Feuilletonredakteur werden wolle, eventuell auch Chefredakteur. Das war Dietmar Grieser. Heute ein sehr erfolgreicher Schriftsteller in Wien.

Was haben Sie 1954 von Walter Hagemann gewusst, vom Münsteraner Institut?

Vorher? Nichts. Ich habe gewusst, dass es nur drei Institute gibt. München, Berlin und Münster. Ich wollte erst bei der Hannoverschen Allgemeinen volontieren, aber die wollten mich nicht. Also habe ich gesagt, dann zuerst ein Studium. Meine Mutter wollte natürlich, dass ich Lehrer werde. Der Vater tot und sie eine Beamtenehefrau und Beamtentochter, sehr auf Sicherheit bedacht. Ich habe mein ganzes Studium so angelegt, dass ich zu ihrer Beruhigung auch Lehrer hätte werden können. Sie ist dann glücklich gestorben, als ich ihr meine Dissertation auf das Krankenbett legen konnte. Keine Übertreibung. Wenigstens ein Studienabschluss. Sie hat mich nachdrücklich vor dem Journalismus gewarnt und mich immer überreden wollen, erst einmal mein Staatsexamen als Lehrer zu machen.

Was hat Sie zu den Abstechern nach Göttingen und München bewogen?

Damals gehörte es dazu, dass man die Universität wechselt, wenn man sich das nur halbwegs leisten konnte. Es gab kaum Leute, die ihr Studium einfach nur schnell durchziehen wollten. Wir haben auch nie über Arbeitslosigkeit gesprochen, obwohl die Arbeitslosigkeit dramatisch war. Damals, als ich anfing zu studieren. Wir waren nie arbeitslos und auch nie in der Situation, wirklich suchen zu müssen. Wenn man halbwegs elastisch war, dann gab es Arbeitsplätze.

Warum Göttingen und München?

Dietmar Grieser ging nach Wien, weil da – so sagt das Klischee – das Feuilleton zu Hause ist. In Göttingen habe ich hauptsächlich Geschichte und Germanistik studiert. Publizistik gab es dort ja noch nicht. In München war mein Schwerpunkt eigentlich auch Geschichte. Franz Schnabel, der ein wirklich inspirierender Historiker war, und Heinz Gollwitzer.

Und die Zeitungswissenschaft?

Ich habe da meine Pflicht getan, aber Hanns Braun war nicht so wahnsinnig aufregend (vgl. Löblich 2004). Ich habe Vorlesungen bei ihm gehört, war aber nicht sehr fleißig.

Was konnte man bei Walter Hagemann in Münster lernen?

Walter Hagemann (Quelle: Privatarchiv Horst Hagemann)

Walter Hagemann (Quelle: Privatarchiv Horst Hagemann)

Man hat bei ihm viel über Politik gehört. Auch über die Nazizeit. Vielleicht ist Publizistik im Dritten Reich sein bestes Buch (vgl. Hagemann 1948). Über Journalismus hat man wenig gehört, weil er dort nach dem Krieg eigentlich keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen hat. Was er da vermitteln wollte, war ein bisschen altmodisch. Imponiert hat uns natürlich seine Weltreise. Der Berichtsband ist auch heute noch sehr lesenswert (vgl. Hagemann 1955). Hagemann hatte eine ganz eigene Art, Vorlesungen zu machen. Bei der Aussprache des Englischen zum Beispiel. Dietmar Grieser und ich haben immer die unfreiwilligen Witze notiert. Hagemann hieß bei uns die große Ameise. Er hatte kurze Beine und eine große Brille und wirkte sehr entschlossen.

Ameisen sind sehr fleißig.

Ja. Auch die Grundzüge der Publizistik halte ich für ein sehr gutes Buch (vgl. Hagemann 1947). Er hat das praktisch ohne Bibliothek geschrieben (vgl. Schütz 2002). Die alten Zeitungsbestände aus der Nazizeit und aus der Zeit davor waren zwar noch da, aber das hatte einmal alles unter Wasser gestanden. Viele Bücher waren kaputt.

Walter Hagemann hat in Münster sehr viele empirische Studien angeregt (vgl. Löblich 2009). Haben Methodenfragen in der Lehre eine Rolle gespielt?

In der Lehre eigentlich nicht, jedenfalls nicht bei Hagemann. Eher schon bei Günter Kieslich, der sich auch mit Methoden befasst hat und überhaupt richtig ran musste bei der Arbeit. Ganz so wie man es von den alten Professoren gehört hat, die ihre Assistenten für Zubringerdienste gebraucht haben. Winfried Lerg war so ein Fleißiger. Auch Walter Schütz natürlich und Georg Hellack. Das Methodendenken haben die Lehrbeauftragten mitgebracht, die von Emnid kamen. Rolf Fröhner zum Beispiel. Es gab in Münster so etwas wie einen Emnid-Draht, der so ähnlich gearbeitet hat wie in München die Zelle um Wolfgang Ernst, aus der dann Infratest wurde (vgl. Bacherer 1987). Die Emnid-Leute haben Methoden ganz pragmatisch gesehen: So und so kann man heute arbeiten. Das hat besonders Kieslich sehr imponiert. Mich hat das nicht so interessiert. Ich war eher Historiker und habe nicht zum Insiderkreis des Instituts gehört.

Haben Sie Wilmont Haacke in Münster kennengelernt (vgl. Scharf 2006)?

Ja. Der Herr im grauen Flanell. Haacke war älter und mir irgendwie näher.

War die NS-Vergangenheit der Zeitungswissenschaft für Sie damals ein Thema?

Erst sehr viel später. Dovifat kannte ich durch sein Engagement in der CDU und aus den Erzählungen von älteren Redakteuren. Ich hatte sehr gute Kontakte in den Journalismus, und überall hörte man von Dovifat und von seinen Kriegsvorlesungen. Es sei immer überfüllt gewesen, mit vielen Kriegsverletzten und Urlaubern. Dovifat erschien in diesen Erzählungen eher als Held des Widerstandes. Wichtig ist auch, dass sein Name für das Fach stand. Mit dem Begriff Publizistik konnten viele ja noch nichts anfangen. Es gab aber Journalisten, die sagten: Zeitungswissenschaft, aha. Dovifat (vgl. Benedikt 1986, Sösemann 1998).

Was wusste man als Student über Wilmont Haacke?

Wir wussten zwei Sachen. Erstens: Es gibt zwei Fassungen vom Handbuch des Feuilletons (Haacke 1943/44, 1951-53). Beide hatten wir in Münster und konnten sie vergleichen, obwohl er versucht hat, das zu verhindern. Und zweitens: Es gibt einen Sonderdruck aus der Zeitungswissenschaft (vgl. Haacke 1941-1943). Er hatte dort einen erheblichen Teil geschrieben. Über Haacke wussten wir Bescheid. Er war aber ein sehr angenehmer Mensch und saß weit weg, in Wilhelmshaven. Deshalb hat ihm niemand ans Bein gepinkelt.

Ab 1957 haben Sie bei Kirche und Leben gearbeitet. Waren Sie ein Redakteur, der im Nebenamt sein Studium zu Ende bringen wollte, oder ein Student, der nebenbei gejobbt hat?

So kann man das nicht sagen. Ich hatte ja schon vorher vom Schreiben gelebt. Günter Graf von der Bischöflichen Pressestelle hatte mich immer wieder aufgefordert, nicht nur zu studieren, sondern etwas Praktisches zu machen, für die Katholische Nachrichtenagentur zum Beispiel. Bei den beiden Zeitungen in Münster bekam man für eine Fünf-Zeilen-Meldung fünf Mark. Das war unheimlich viel Geld. Mein Monatsbudget lag bei 130 Mark. Da waren fünf Mark viel. Ich habe zuverlässig geschrieben und dann auch in der Redaktion ausgeholfen. Das war ein schönes Zusatzeinkommen.

Und die Festanstellung bei der Kirchenzeitung?

Das hing mit Hagemann zusammen. Mit seinen politischen Aktionen wurde die Lage ja erkennbar unsicher. Da fingen die Absetzbewegungen an. Ich habe bei ihm noch eine Dissertation angemeldet. Das Thema weiß ich gar nicht mehr. Ich hatte jedenfalls dieses Initiationsgespräch und durfte ins Doktorandenkolloquium. Dann war er weg.

Wie sehen Sie Walter Hagemann heute? Welche Bedeutung hat er Ihrer Meinung nach für die Fachentwicklung?

Er war ein schrecklich guter Systematiker. Wenn er gesagt hat, dass Publizistik immer als Gesamtphänomen zu betrachten ist, dann gilt das auch heute noch. Außerdem hat er immer versucht, die Realität der journalistischen Arbeit mit seiner Systematik zu verbinden. Das Thema Unterhaltung war ihm unheimlich. Publizistik hatte gefälligst aktuell zu sein. Allenfalls den Fortsetzungsroman ließ er noch gelten. Am Rande der Journalistik konnte Unterhaltung mitlaufen. Das hat dann Henk Prakke wirklich in den Griff bekommen mit seiner „Soziusfunktion“ (vgl. Prakke et al. 1968).

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass sich Hagemann-Schüler immer noch regelmäßig treffen (vgl. Wiedemann 2012)?

Das ist wie ein Abiturtreffen. Die Studenten kannten sich alle, und das studentische Leben war anders als heute. Man lebte sehr knapp, aber man feierte ausgiebig. Außerdem hat es sehr lange gedauert, bis man dann wirklich promoviert war. Die Leute waren alle längst im Beruf und haben endlos an ihrer Dissertation geschrieben. Im Doktorandenkolloquium bei Henk Prakke kamen immer dieselben Antworten. Ja, die Gliederung ist fertig, ich bin bei der Materialsammlung, dann und dann nehme ich Urlaub und rechne, dass ich zu Weihnachten einreichen kann. Daraus wurden dann drei Jahre oder vier.

Sie hatten noch als Student Ihren ersten Aufsatz in der Publizistik (vgl. Schmolke 1959). Waren Sie stolz?

Günter Kieslich am Institut für Publizistik in Münster (Quelle: Privatarchiv Georg Hellack)

Günter Kieslich am Institut für Publizistik in Münster (Quelle: Privatarchiv Georg Hellack)

Man war viel stolzer auf alles, was in der Zeitung stand. Ich habe zum Beispiel viel für das Echo der Zeit geschrieben. Eine ganze Seite in einer richtigen Wochenzeitung: Das hat mir mehr imponiert. Der Publizistik-Beitrag ist eher zufällig passiert. Aus einem Seminar heraus, auf Anregung von Günter Kieslich. Der Form halber wurde der Text als „Bericht“ platziert. Ein Student konnte ja keinen Aufsatz schreiben.

Sehen Sie sich eher als Schüler von Walter Hagemann oder von Henk Prakke oder vielleicht gar von Günter Kieslich?

Eher Henk Prakke. Hagemann-Schüler? Ich war dabei bei Hagemann. Ich hab ihn in voller Aktion erlebt, aber Hagemann-Schüler würde ich mich nicht nennen, obwohl die Umstellung auf Prakke sehr schwierig war. Das hab ich ja schon aufgeschrieben (vgl. Schmolke 2000).

In diesem Text ist von dem „schwankenden Assistentenkahn“ die Rede, auf den Sie dann gestiegen sind. Warum haben Sie Ihre sichere Position im Journalismus aufgegeben und sich auf dieses Abenteuer eingelassen?

Ich wollte wirklich eine Dissertation schreiben und dachte, dass das im Apparat selbst besser gehen würde. Unsicher war die Position ja vor allem deshalb, weil man ohne abgeschlossenes Studium nicht wirklich Assistent werden konnte. So war ich drei Jahre Verwalter einer wissenschaftlichen Assistentenstelle. Das Gehalt war das gleiche wie vorher als Jungredakteur.

Sie haben dann über Adolph Kolping promoviert (Schmolke 1966). Woher kam das Thema?

Aus meiner allerersten Journalistenzeit. Der Kolpingverband hat in Münster einen Pressereferenten gesucht. Ich habe mir dort ein Zusatzhonorar verdient und bin im Archiv auf eine ganze Reihe von Zeitschriften gestoßen, die Kolping gemacht hat, in den 1850er-Jahren. Er hat furchtbar viel geschrieben. Ich habe dann in Köln weitergesucht, am Hauptsitz des Verbandes, und dort so viel Interessantes gefunden, dass ich mir gedacht habe, warum nicht Kleinpublizistik. Die Zeitschriften haben damals den Verband wirtschaftlich getragen und dem Chef die Selbstständigkeit ermöglicht. Kolping war unheimlich selbstbewusst und eigentlich schon ein Mensch des 20. Jahrhunderts.

Was hat Henk Prakke zu diesem Thema gesagt?

Er war da sehr liberal. Es hat ihn auch interessiert. Prakke hat immer gesagt, die Niederländer seien alle Halbtheologen. Die Betreuung lag aber bei Lerg, der von diesen Sachen nur so viel verstanden hat, wie er im Zusammenhang mit der von Joseph Höffner gepflegten Christlichen Sozialwissenschaft stand. Das hat mich aber nicht gestört.

Auch beim zweiten Qualifikationsschritt haben Sie eine Arbeit über die konfessionelle Presse vorgelegt.

Natürlich hing das mit den endlosen Archivstudien zu Kolping zusammen, es ging jetzt aber um etwas ganz anderes. Von 1845 bis zur Nazizeit gab es auf katholischer Ebene eine ununterbrochene Auseinandersetzung über das Thema Publizistik. Mich hat der Grundkonflikt interessiert: Warum können dogmatisch enge Gemeinschaften in diesem Feld nicht wirklich glücklich werden, warum können sie keinen Erfolg nach außen haben, warum streiten sie darüber? Man hat das gleiche Phänomen später auch bei den Parteien beobachtet, bei den Gewerkschaften. Ich habe auf diese Frage keine letztgültige Antwort gefunden.

Warum sind Sie am Institut geblieben, als die Dissertation fertig war?

Weil es mir gefallen hat. Ich hatte gemerkt, dass man mit Prakke gut zusammenarbeiten kann, und habe bei ihm vieles gelernt, auch jenseits der Wissenschaft. Wir hatten sehr enge Kontakte in die Niederlande und wurden nicht wie die Moffen behandelt, wie die üblen Deutschen, sondern völlig gleichberechtigt. Prakke hat allerdings verlangt, dass man niederländisch lesen kann. Er hat das nicht angeordnet, ging aber davon aus, dass man es kann. Und dann war sein Arbeitsstil sehr gut. Sehr liberal, wenn auch mit ein paar Marotten. Man musste zum Beispiel sehr pünktlich sein.

Franz Dröge und Winfried B. Lerg standen am Institut für eine empirisch-sozialwissenschaftliche Kommunikationswissenschaft und Sie eher für eine geisteswissenschaftliche.

Henk Prakke (Zweiter von links) mit Michael Schmolke (links) und Winfried B. Lerg (ganz rechts) sowie Franz Dröge (Quelle: Privatarchiv Joachim Westerbarkey)

Henk Prakke (Zweiter von links) mit Michael Schmolke (links) und Winfried B. Lerg (ganz rechts) sowie Franz Dröge (Quelle: Privatarchiv Joachim Westerbarkey)

Ich war gewissermaßen der Traditionalist. Die Zweiteilung hat sich im Studienplan gespiegelt und es gab sie unter den Studenten. Eine ziemlich große Gruppe von Studenten hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, von heute auf morgen Soziologen werden zu müssen. Hauptsächlich junge Männer. Ich mochte diese Gruppe, die sich auf den Kampf gegen die empirische Richtung eingeschworen hatte, nicht einfach hängen lassen. Prakke hat beide Seiten ermutigt. Er wollte, dass ich auf jeden Fall die Gegenposition halte.

Warum haben Sie sich nicht wie Dröge und Lerg an der Debatte um das Selbstverständnis des Fachs in der Publizistik beteiligt (vgl. Dröge/Lerg 1965)?

Das ist mir eigentlich erst jetzt richtig klar geworden. Meine besten Lehrer hatte ich in der Geschichte. Dort habe ich gelernt, dass man aus der Geschichte keine Theorie entwickeln kann. Man kann dort natürlich sehr wohl empirische Methoden einsetzen, aber eine Geschichtstheorie als solche ist nicht denkbar, weil es immer um individuelle Entwicklungen geht.

Emil Dovifat hat Ihre Dissertation sehr gelobt (Dovifat 1967) und Sie 1969 in einem Brief aufgefordert, die Publizistikwissenschaft gegen die „eintrocknende mathematische Empirie“ zu verteidigen und die geisteswissenschaftlich-normative Linie nicht in die innere Emigration zu führen, sondern zu überzeugender öffentlicher Leistung (vgl. Benedikt 1986: 178f.). Was haben Sie ihm geantwortet?

Der Zug war ja längst abgefahren. Die Dröge-Lerg-Richtung war intellektuell nicht unbedingt überzeugender, aber es war erkennbar, dass man mit empirischen Verfahren, mit einer Erweiterung des methodischen Apparats, viel mehr leisten kann. Mich hat zum Beispiel der Kieslich-Weg sehr überzeugt. Ich habe das in meine Arbeiten eingebaut und auch manches von Prakke übernommen, der ja ziemlich blind Amerikanisches einbringen wollte. Dovifat war als Person sicher absolut überzeugend, aber er konnte nicht retten, was nicht zu retten war.

Wie haben die Münsteraner den Neuaufbau in Mainz wahrgenommen?

Aufmerksam. Auch die ersten Aufsätze von Elisabeth Noelle. Die Empiriker ohnehin. Das war ja Wasser auf ihre Mühlen. Mir hat vor allem gefallen, dass das Fach nicht soviel Nabelschau betreiben dürfe, sondern arbeiten und etwas vorlegen solle. Sehr verbreitet war das Jammern über die fehlende Anerkennung durch die Nachbarfächer. Auch die Jüngeren haben gejammert. Absolut überzeugt hat mich ein Text von Noelle, der vom Bedarf der Studierenden ausging. Für ein Fach, das jedes Jahr einen solchen Zuwachs habe, müsse es einen Bedarf geben (vgl. Noelle-Neumann 1975). Sie hat vollkommen recht gehabt. Das Fach ist gewachsen. Bis zur Sättigungsgrenze und vielleicht sogar ein bisschen darüber hinaus. Ich habe diese Argumentation überall verwendet und hier in Österreich immer Erfolg damit gehabt.

Wie war das Verhältnis zwischen Henk Prakke und Elisabeth Noelle-Neumann?

Freundlich und von Respekt geprägt. Auf einer unserer Exkursionen waren wir auch in Mainz und wurden dort privat empfangen. Prakke und seine Adjutanten. Außerordentlich freundlich. Ich war später auch als Ordinarius dort zu Besuch, obwohl es auf einer der ersten DGPuZ-Sitzungen einen großen Knall gegeben hatte. In Frankfurt beim Hessischen Rundfunk. Zum einen waren Noelle-Neumann die Jungtürken ein Dorn im Auge, weil die immer etwas verändern wollten, und zum anderen habe ich in einer der Diskussionen von kommerzieller Medienforschung gesprochen. Sie war sehr pikiert, aber das hat sich später gegeben.

Welche Beziehungen gab es damals auf Assistentenebene?

Das lief ganz gut. Lerg und Schulz konnten sehr gut miteinander. Gut war auch der Austausch mit Langenbucher und Glotz. Weniger fachlich, sondern vor allem hochschulpolitisch. Assistenten hatten damals nicht viel Zeit, sich mit theoretischen Positionen herumzuschlagen.

1968 sind Sie zum Hauptfeind der Studentenbewegung in Münster geworden (vgl. Klein 2006). Wie kommt man als Assistent zu dieser Ehre?

Das war seltsam. Dröge hat die Seite gewechselt und Positivismus und Empirie als bürgerlich verbannt. In der zweiten Auflage von Wissen ohne Bewusstsein (Dröge 1973) ist diese Distanzierung auch schwarz auf weiß niedergelegt. Man könnte sagen, er ist zum Gegner übergelaufen, also zu mir, nur dass ich nicht auf der roten Seite stand, sondern auf der (aus studentischer Sicht) tiefschwarzen. Im Grunde hatten wir aber jetzt ganz ähnliche Positionen. Als Lerg gesehen hat, wohin der Wind sich dreht, ist er auch übergelaufen. Aber nicht politisch, sondern nur inhaltlich, cum grano salis zur Frankfurter Schule (vgl. Scheu 2012). Mir blieb nichts anderes übrig, als das zu verteidigen, was die beiden vorher gemacht hatten. Ich habe die empirisch-analytische Position am Institut bewahrt und war damit der doppelte Feind der Studenten. Erstens Historiker, zweitens empirisch-analytisch, positivistisch-bürgerlich. Ein bürgerlich-amerikanisches Schreckbild mit katholischem Hintergrund. Etwas Schlimmeres gab es nicht. Am Tag meiner Habilitation hing ein Zettel neben dem Seminarraum: „Hier kommt der Haken hin, an dem Schmolke aufgehängt wird“.

Welche Rolle hat Henk Prakke gespielt?

Keine. Er war entsetzt, dass solche Radikalität unter deutschen Studenten ausbrechen kann, und hat sehr schnell die Flucht ergriffen. Im Durchgang zu seinem Arbeitszimmer wurde der Türrahmen mit einem Balkenkreuz verrammelt und mit Stacheldraht umwickelt. Eine Geschmacklosigkeit sondergleichen. Er hatte ja schon einmal in einer Zelle bei den Deutschen gesessen, mit Stacheldraht um sich herum. Die Zellennummer war bei ihm zu Hause, bei seinen Heiligtümern. Die hat er uns immer wieder gezeigt. Er ist dann von einem Tag auf den anderen gegangen.

Wie haben Sie solche Drohungen wie die mit dem Haken verkraftet?

Das hat mich nicht so sehr berührt. Es gab ein Häuflein Schmolke-Anhänger, eine Garde aus später sehr erfolgreichen Journalisten, Bürgermeistern und so weiter. Wir haben ganz normal unsere Sachen gemacht und uns nicht einschüchtern lassen.

Elisabeth Noelle hat im Rückblick von Verletzungen berichtet, die ihr Leben lang nicht geheilt seien (vgl. Eisinger et al. 1992: 176). Wie sehen Sie die Studentenproteste heute?

Ich habe die Jahre nach wie vor in unguter Erinnerung. Es gab menschliche Gemeinheiten, die man sich nicht vorstellen kann. Bedrohungen und nächtliche Anrufe sind da noch harmlos. Franz Dröge war daran nicht beteiligt, das muss man zu seiner Ehre sagen. In Münster war es mindestens genauso schlimm wie an anderen Universitäten. In den Zeitungen stand davon nichts, weil es nach 14 Tagen eine Absprache unter der Lokalpresse gab, nichts mehr zu berichten. Da war die Sache in der Öffentlichkeit tot. Der Höhepunkt war eine Nacht, in der unser Filmarchiv aufgebrochen wurde. Blechschränke. Die Revolution hat die Filmrollen auf das Dach geschleppt, ablaufen lassen und damit gedroht, das Material anzuzünden. Da wurde zum ersten Mal Polizei geschickt (vgl. Merten 2007: 320).

Haben Sie deshalb das Institut verlassen?

Der I-Punkt war die Absage von Günter Kieslich. Er hat im Nachfolgeverfahren für Prakke vorgesungen und war selbstverständlich der Beste. Der Vortrag war sehr gut. Direkt nach der anschließenden Diskussion hat er zu meinem Entsetzen gesagt, nein, er komme nicht nach Münster, denn in dieser Atmosphäre könne er nicht leben und arbeiten. Das war für mich der Anstoß, mich organisatorisch vom Institut zu lösen. Ich war zwar nach der Habilitation sehr schnell zum Außerplanmäßigen Professor ernannt worden, wäre aber immer auf eine Verlängerung des Assistentenvertrags angewiesen gewesen und vor allem auf Lehraufträge. Um halbwegs leben zu können, brauchte man Lehraufträge. Der neue Fachbereich war mehrheitlich kommunistisch besetzt unter Führung der Erziehungswissenschaftler, und die haben mir alle Lehraufträge verweigert. Haben mich nach und nach runter gefahren, so dass ich nur noch von der Politikwissenschaft Lehraufträge hatte. Und dann kam das Angebot vom Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik.

Haben Sie das als Warteschleife bis zu einer möglichen Berufung gesehen?

Nein, das hätte ich mir auf Dauer vorstellen können. Das Deutsche Institut war völlig neu strukturiert worden in der Debatte über die Bildungskatastrophe. Es gab das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, und die kirchliche Seite wollte dazu ein Gegenstück entwickeln. Mit großzügiger Ausstattung. Wir konnten damals alles haben, sogar Vorläufer von Computern. Eine Abteilung wurde direkt auf mich zugeschnitten. Information, Kommunikation und Dokumentation. Ich hätte mir vorstellen können, dort völlig frei forschen zu können, und ich konnte es auch.

Warum haben Sie sich trotzdem um eine Professur beworben?

Hier für Salzburg oder für Münster? Zu meiner Überraschung war ich ja auch in Münster auf der Liste. Wie das gegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe mich nicht beworben und auch nicht vorgesungen, war aber auf Platz drei. Vielleicht haben Lerg und Dröge auf Beschwichtigung hingearbeitet und gedacht, dass sie den Schmolke auf lange Sicht noch brauchen können. Könnte sein, aber beide kann man heute nicht mehr fragen.

Bedauern Sie heute, dass Sie keine Schule rund um die „funktionale Publizistik“ gebildet haben (vgl. Prakke et al. 1968, Klein 2006)?

Josef Hackforth, Michael Schmolke, Winfried B. Lerg und Joachim Westerbarkey (von links nach rechts) auf der DGPuK-Jahrestagung 1975 in Göttingen (Foto: Raimund Kommer)

Josef Hackforth, Michael Schmolke, Winfried B. Lerg und Joachim Westerbarkey (von links nach rechts) auf der DGPuK-Jahrestagung 1975 in Göttingen (Foto: Raimund Kommer)

Nein. Lerg, Dröge und Schmolke waren damals davon überzeugt, dass wir weg müssen vom Schulenbilden. Wir wollten das bewusst nicht. Das war geradezu Programm. Wir waren uns da auch mit Langenbucher und Glotz einig. Es gibt keine Roegele-Schule, keine Schmolke-Schule, keine Dröge-Schule. Vielleicht wäre es bei Dröge anders gelaufen, wenn er in einer anderen Position gewesen wäre. Es gibt auch keine Koszyk-Schule. Im Bereich des historischen Arbeitens haben wir keine Ideologien auf uns einwirken lassen.

Wie ist es 1968 zur Gründung von Communicatio Socialis gekommen?

Das vatikanische Konzil hatte Aufsehen erregt. Vor allem, dass sich die erste amtliche Äußerung des Konzils mit Publizistik befasst hat. Das Dekret „Inter mirifica“ über die Instrumente der sozialen Kommunikation, Ende 1963. Dieses Dekret wurde über die Kirche hinaus diskutiert. Unter meinen Münsteraner Studenten waren einige Theologen und ein Missionar. Franz Josef Eilers, deutlich älter als ich. Er hatte die Idee und gefragt, ob wir nicht mitmachen wollen, Karl Höller und ich.

Nach der Gründung der Zeitschrift haben Sie, abgesehen von den Beiheften, keinen Aufsatz mehr in der Publizistik veröffentlicht. Hatten Sie keine Angst, aus der Fachöffentlichkeit zu verschwinden, wenn Communicatio Socialis Ihr Hauptpublikationsfeld wird?

Darüber habe ich nicht nachgedacht. Zur Publizistik gab es aber eine sehr enge Verbindung über Walter J. Schütz. Wir haben unsere Sorgen geteilt. Für den Rezensionsteil und die Miszellen habe ich ja sehr vielfältig gearbeitet.

Walter Hömberg hat das Überleben von Communicatio Socialis vor allem mit Ihrer Person erklärt, mit Ihrer Ausdauer (Hömberg 1999: 91).

Das kann man so nicht sagen. Eigentlich hat Franz Josef Eilers für das Überleben gesorgt. Wir waren lange völlig unabhängig, weil er über seinen Orden Geld besorgt hat, aus Vermächtnissen, die fromme Leute am Ende ihres Lebens ohne bestimmte Bindung gestiftet haben. Eilers wollte nur, dass wir niemals von der Amtskirche abhängig sind. Ich selbst habe höchstens mal für eine Überbrückung gesorgt. Wenn es gebrannt hat, Sponsoren gesucht.

Im kirchlichen Umfeld?

Ja. Mit Hilfe alter Bekanntschaften, alter Freundschaften. Manche Leute, mit denen man studiert hat, sind später Bischof geworden. Kamphaus in Limburg oder Spital in Trier. In Münster kannte man sich ja. Es kam nicht so sehr darauf an, was man studiert hat, sondern ob das interessante Leute waren. Ein seltsames Verhältnis hatte ich zu Reinhard Lettmann, der jetzt in Münster Bischof ist. Er war damals Sekretär von Bischof Höffner. Zwischen dem Institut und dem bischöflichen Haus gab es einen Garten. Wenn bei uns gefeiert wurde, haben die Studenten regelmäßig Cola-Dosen in den Bischofsgarten geworfen. Auf Anordnung von Prakke musste ich dann los und mich entschuldigen. Dadurch kannte mich Lettmann. Er hat dann auch einmal die Zeitschrift gerettet. Als Privatmann.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt, Michael Schmolke sei ein treuer Diener der katholischen Kirche, der seinen Dienst zeitweise auf einer Lehrkanzel für Publizistikwissenschaft versehen hat?

Er sollte doch bitte meinen Lebensweg als ganzen anschauen. Er würde dann einen gar nicht mehr so treuen Diener finden. Er müsste mein Lehrprogramm anschauen und würde feststellen, dass das eine mit dem anderen wenig zu tun hat. Es ist, aufs Ganze gesehen, interessant, dass das Fach lange von meist dezent agierenden Katholiken bestimmt wurde. Vielleicht liegt es an der Kluft, die ich in meiner Habilitation beschrieben habe, an dem Wunsch, diese Kluft zu überwinden.

Wie ist es zu Ihrer Berufung nach Salzburg gekommen?

Ich bin aufgefordert worden, mich zu bewerben. Salzburg war schon früher einmal eine Option gewesen. Ich hatte mit Günter Kieslich in der Journalistenfortbildung zusammengearbeitet, im Haus Busch in Hagen. Er war wissenschaftlicher Leiter und ich Dozent oder Kursleiter. Er wollte mich als Assistent nach Salzburg mitnehmen, hat es dann aber gelassen, als er gesehen hat, wie schlecht die Assistentengehälter in Österreich waren.

Wer waren die Konkurrenten im Berufungsverfahren?

Es war nicht so wie heute. Nicht 50 Bewerbungen, sondern weniger als zehn. Außer mir waren Saxer, Langenbucher und Koszyk in der engeren Wahl.

Was haben Sie vom österreichischen Universitätssystem gewusst, als Sie hierher gekommen sind?

Nicht sehr viel. Ich wurde aber von den Kollegen aus der Fakultät sehr gut aufgenommen. Zwei Historiker haben mich besonders beschützt: Fritz Fellner, der in der Fakultät der Linksaußen war, und Erika Weinzierl, eine links-katholische Zeitgeschichtlerin. Beide haben mich sehr gut informiert und unter ihre Fittiche genommen.

Was war in Österreich anders als in der deutschen Kommunikationswissenschaft?

An dem Institut in Wien konnte man sich nicht orientieren. Das war damals schon ein Massenbetrieb mit einem Institutsleiter, der gewisse Marotten entwickelt hatte, um sich vor diesem Ansturm zu schützen. Ich habe Kurt Paupié in der Anfangszeit aus Höflichkeit immer besucht, wenn ich in Wien war. Er wollte mich aber so schnell wie möglich wieder loswerden, vielleicht auch, weil ihm das unheimlich war, was wir in Salzburg gemacht haben. Sehr gut konnte man sich an dem orientieren, was Kieslich angefangen hatte. Da brauchte ich nicht viel umzudenken.

Heinz Pürer hat Sie als „leidenschaftlichen Österreicher“ gefeiert (Pürer 1994: 335). Was muss man tun, um einen solchen Ehrentitel zu bekommen?

Die Salzburger sind ja erst seit 1816 Österreicher. Viele von ihnen wissen von der österreichischen Geschichte nicht sehr viel. Ich kannte mich dort sehr gut aus und habe mich auch hier sehr viel damit befasst. Das hat den Salzburgern imponiert. Außerdem haben mich die Landeshauptmänner Hans Lechner und Wilfried Haslauer in die Politikberatung eingebunden.

Sie haben an den österreichischen Medienberichten mitgearbeitet, sich mit der Zukunft der Printmedien in Österreich beschäftigt, mit der Salzburger Mediengeschichte. Wollten Sie den Makel des Dazugezogenen abstreifen?

Man hat mich diesen Makel nur gelegentlich fühlen lassen. Also: nein. Die Themen haben mich interessiert. Vor allem die Salzburger Landesgeschichte. Die Österreicher meinen ja immer, Salzburg sei Österreich. Ich bin Schlesier, und Schlesien war viel länger österreichisch oder jedenfalls habsburgisch.

Und die anderen Themen?

Lechner und Haslauer haben eine interessante Medienpolitik gemacht. Außerdem haben die Zeitungsverleger und der Rundfunk nicht von vornherein jede Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ausgeschlossen. Die Medienberichte waren eine Idee von Benno Signitzer. Er hatte hier keine Planstelle und wollte sich gewissermaßen selber eine schaffen. Es war die Kreisky-Zeit. Signitzer stand der richtigen Partei nahe, kannte die richtigen Leute und hat das Geld locker gemacht.

Otto B. Roegele hat in einem autobiografischen Aufsatz geschrieben, dass in der neuen Ära ohne empirische Forschung weder die eigene Karriere noch das Ansehen eines Instituts zu fördern waren (Roegele 1997: 89). Galt das auch für Salzburg?

Ganz sicher. Das hatte ja Kieslich schon eingeleitet. Die erste größere Untersuchung über den bundesdeutschen Journalistennachwuchs war gerade fertig, als er gestorben ist (vgl. Kieslich 1971). Ich habe die empirische Forschung hier von Anfang an weiter gefördert. Nicht ausschließlich, aber wer in den Projekten mitgearbeitet hat, hat dort dann natürlich auch ein Dissertationsthema gefunden.

Wen wollten Sie ausbilden?

Ich habe lange an der alten Ideologie festgehalten, nicht auszubilden, sondern zu bilden.

Wen wollten Sie bilden?

Leute, die nachher im Leben etwas anfangen können. Der erste Ruck in Richtung Berufsorientierung ist dadurch gekommen, dass Benno Signitzer auf PR umgesattelt ist. Er hat neben internationaler Kommunikation ganz bewusst PR als zweites Standbein gewählt und hatte damit Erfolg.

Nicht nur Signitzer, sondern auch Ihre anderen drei Habilitanden Hans Heinz Fabris, Thomas Bauer und Heinz Pürer machen etwas anderes als ihr akademischer Lehrer. Warum gibt es keine Schmolke-Schüler?

Ich habe mich an meine bereits erwähnte Überzeugung gehalten. Es gibt Promovenden, die später Professor geworden sind und ihre Arbeiten in meinem Denkstil geschrieben haben. Eher zufällig, glaube ich. Ein Brasilianer und zwei Koreaner. Auf die Habilitierten mag abgefärbt haben, dass sie Wert auf eine gut strukturierte Lehre legen, auf eine Lehre, die von den Studenten angenommen wird.

Wenn Sie an die 29 Jahre am Salzburger Institut zurückblicken: Was war Ihr größter Erfolg?

Schwierig. Wahrscheinlich liegt der größte Erfolg – in summa – im hochschulpolitischen Bereich. Als ich in der Fakultät das erste Mal über unsere Betreuungsrelation gesprochen habe und dort auch mit Statistiken und Grafiken kam, gab es eine Riesenaufregung. Was nimmt sich der heraus? Sie haben aber dann allmählich angefangen, darüber nachzudenken, was Vorlesungen mit 200 Leuten bedeuten und Seminare mit 100. Heute hat das Fach eine ganz andere Reputation. Ich finde, das ist ein guter Erfolg. Ganz ohne Zirkus erreicht, ohne Streiks, ohne Demonstrationen. Als ich ganz jung war in der Fakultät, habe ich zu den Großfürsten aufgeschaut, zu den renommierten Germanisten, Romanisten. Am Schluss war ich dann so ein Großfürst. Einer, um den man nicht herum kam. Ein Erfolg war sicher auch, das Institut immer in einem Gleichgewicht gehalten zu haben, auch wenn dieses Gleichgewicht manchmal labil war.

Und wissenschaftlich?

Da bin ich sehr zurückhaltend. Vielleicht die Habilitationsschrift (Schmolke 1971). Das merke ich an dem Echo. Ein lang anhaltendes Echo, bis heute. Vielleicht auch die Medienberichte. Etwas in Gang gesetzt und institutionalisiert zu haben, was in diesem Land anfangs unmöglich schien. Das waren absolut zuverlässige Nachschlagemittel. Die Idee ist zwar von Signitzer, aber die Institutionalisierung war dann überwiegend meine Sache.

Gibt es etwas, was Sie heute anders machen würden? Misserfolge?

Ja, das gibt es. Doch das verdränge ich natürlich. Das Institut ist ja immer eher linkslastig gewesen. Es gab eine Phase, in der mir gesagt wurde, ich müsse meine Position viel stärker in den Vordergrund rücken. Vielleicht war es aber doch nicht so verkehrt, mit leichter Hand für ein liberales Arbeitsklima und eine korrekte Verwaltung zu sorgen.

Wenn Sie heute hierher kommen: Ist das noch Ihr Institut?

Im Großen und Ganzen schon. Als ich gegangen bin, war alles fertig. Die neue Mannschaft konnte mit einer Personalvermehrung starten. Je mehr Personen man hat, desto größer ist dann natürlich die Gefahr, dass das auseinander geht. Insofern ist es nicht mehr mein Institut. Es gibt aber noch viele, die sich sehr freuen, wenn ich im Hause bin.

Gibt es Wissenschaftler, die für Sie eine Vorbildfunktion hatten?

Als Wissenschaftler? Henk Prakke in gewisser Weise, weil er meinen Blick über den Tellerrand gelenkt hat. Durch das, was ich bei ihm gelernt habe, bin ich eigentlich erst auf den Begriff Kommunikationsgeschichte gekommen. Ansonsten? Franz Schnabel, Herbert Grundmann, auch Werner Conze. Damals war noch keine Rede von seinen angeblichen Naziverfehlungen. Ich würde gern einmal an einem Buch über die Jungwissenschaftler im Dritten Reich mitarbeiten. Franz Ronneberger ist so ein klassischer Fall. Was hätten wir denn gemacht 1932/33, als viele arbeitslos waren?

Was bleibt von Michael Schmolke in der Kommunikationswissenschaft?

Nicht viel. Ich überschätze mich da nicht. Aber es bleiben, soweit ich das beobachte, die Schlechte Presse (Schmolke 1971) und die bald 40 Jahrgänge der Communicatio Socialis, ohne die Arbeiten im einschlägigen Sektor unseres Fachs heute nicht mehr gedacht werden können. Es bleiben die Arbeiten zur Salzburger Mediengeschichte, und es bleiben gut 300 Absolventen. Viele von ihnen sind erfolgreiche Kommunikationsexperten, und sie lassen mich gelegentlich wissen, dass sie mich in guter Erinnerung haben.

Literaturangaben

  • Karin Bacherer: Geschichte, Organisation und Funktion von Infratest. Universität Salzburg: Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft 1987.
  • Klaus-Ulrich Benedikt: Emil Dovifat. Ein katholischer Hochschullehrer und Publizist. Mainz: Grünewald 1986.
  • Emil Dovifat: Rezension Michael Schmolke: Adolf Kolping als Publizist. Ein Beitrag zur Publizistik und zur Verbandsgeschichte des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert. In: Publizistik 12. Jg. (1967), S. 185-187.
  • Franz Dröge: Wissen ohne Bewusstsein. Materialien zur Medienanalyse der Bundesrepublik Deutschland. Unter Mitarbeit von Ilse Modelmog. 2. Auflage. Frankfurt/Main: Athenäum 1973.
  • Franz Dröge/Winfried B. Lerg: Kritik der Kommunikationswissenschaft. In: Publizistik 10. Jg. (1965), S. 251-284.
  • Robert Eisinger/Thomas Kielinger/Wolfgang R. Langenbucher/Denis McQuail/Norbert Schwarz: Disputation mit Elisabeth Noelle-Neumann. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Öffentliche Meinung. Theorien, Methoden, Befunde. Freiburg: Alber 1992, S. 157-179.
  • Wilmont Haacke: Das Wiener jüdische Feuilleton. In: Walther Heide (Hrsg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft. Band 2. Leipzig: Hiersemann 1941-43, Sp. 2051-2072.
  • Wilmont Haacke: Feuilletonkunde. Das Feuilleton als literarische und journalistische Gattung. Bände I und II. Leipzig: Hiersemann 1943/44.
  • Wilmont Haacke: Handbuch des Feuilletons. Drei Bände. Emsdetten: Lechte 1951/53.
  • Walter Hagemann: Grundzüge der Publizistik. Münster: Regensberg 1947.
  • Walter Hagemann: Publizistik im Dritten Reich. Hamburg: Heitmann 1948.
  • Walter Hagemann: Weltreise 1955 in 28 Kapiteln. Münster: Selbstverlag 1955.
  • Walter Hömberg: Publizistikprofessor mit Profil. Michael Schmolke 65 Jahre. In: Communicatio Socialis 32. Jg. (1999), S. 91-93.
  • Günter Kieslich: Der journalistische Nachwuchs in der BRD. Eine Forschungsarbeit für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland. Salzburg: Institut für Publizistik und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg 1971.
  • Petra Klein: Henk Prakke und die funktionale Publizistik. Über die Entgrenzung der Publizistikwissenschaft zur Kommunikationswissenschaft. Münster: Lit 2006.
  • Kurt Koszyk: Karl d’Ester, gepackte Kisten und das Chaos in München. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 170-179.
  • Maria Löblich: Eine Fehlbesetzung? Die Berufung von Hanns Braun als Nachfolger Karl d’Esters in München: In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 66-89.
  • Maria Löblich: Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2010.
  • Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): „Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007.
  • Elisabeth Noelle-Neumann: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft: ein Wissenschaftsbereich oder ein Themenkatalog? In: Publizistik 20. Jg. (1975), S. 743-748.
  • Heinz Pürer: Michael Schmolke zum 60. Geburtstag. In: Publizistik 39. Jg. (1994), S. 335-337.
  • Henk Prakke/Franz Dröge/Winfried B. Lerg/Michael Schmolke: Kommunikation der Gesellschaft. Einführung in die funktionale Publizistik. Münster: Regensberg 1968.
  • Otto B. Roegele: Ausbreitung, Lähmung, Konsolidierung – München 1963–1985. In: Arnulf Kutsch/Horst Pöttker (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 62-109.
  • Wilfried Scharf: Wilmont Haacke: Wissenschaftliche Karriere und Bedeutung für das Fach. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch/Wolfgang R. Langenbucher/Klaus Schönbach (Hrsg.): 50 Jahre Publizistik. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 113-143.
  • Andreas Scheu: Adornos Erben in der Kommunikationswissenschaft. Eine Verdrängungsgeschichte? Köln: Herbert von Halem 2012.
  • Michael Schmolke: Reden und Redner vor den Reichspräsidentschaftswahlen im Jahre 1932. In: Publizistik 4. Jg. (1959), S. 97-117.
  • Michael Schmolke: Adolph Kolping als Publizist. Ein Beitrag zur Publizistik und zur Verbandsgeschichte des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert. Münster: Regensberg 1966.
  • Michael Schmolke: Die schlechte Presse. Katholiken und Publizistik zwischen Katholik und Publik 1821–1968. Münster: Regensberg 1971.
  • Michael Schmolke: Henk Prakke als Publizistikwissenschaftler an der Universität Münster. In: Joan Hemels/Arnulf Kutsch/Michael Schmolke (Hrsg.): Entgrenzungen. Erinnerungen an Henk Prakke. Mit einer Bibliografie. Assen: Van Gorcum 2000, S. 14-26.
  • Walter J. Schütz: Neuanfang mit brauner Lektüre. Studienbedingungen nach 1945 – ein Erfahrungsbericht. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2/3, S. 85-91.
  • Thomas Wiedemann: Walter Hagemann. Aufstieg und Fall eines politisch ambitionierten Journalisten und Publizistikwissenschaftlers. Köln: Herbert von Halem 2012.

Empfohlene Zitierweise

    Michael Schmolke: Am Ende war ich selbst ein „Großfürst”. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/grossfuerst/ (Datum des Zugriffs).