Wilmont Haacke (Quelle: Publizistik 26. Jg.)
Wilmont Haacke (Quelle: Publizistik 26. Jg., S. 110)

Wilmont Haacke

4. März 1911 bis 23. Juli 2008

Lexikoneintrag von Thomas Wiedemann am 30. Dezember 2014

Der Feuilleton- und Zeitschriftenforscher Wilmont Haacke war beteiligt an der Neugestaltung des Fachs nach 1945, steht gleichzeitig aber für die personelle Kontinuität der damaligen Disziplin mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft.

Stationen

Geboren in Monschau (Eifel), ursprünglicher Vorname Wilhelm. Vater Studienrat. Ab 1931 Studium in Göttingen und Berlin (Zeitungswissenschaft, Germanistik, Geschichte), freie journalistische Tätigkeit. 1937 Promotion (Doktorvater: Emil Dovifat) und Journalist beim Berliner Tageblatt. 1939 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Wien. 1942 Habilitation an der Deutschen Karls-Universität Prag, Lehrauftrag und Direktor am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Freiburg (bis 1945). Von 1946 bis 1949 Verwaltungsaufgaben an der Universität Mainz und Verlagsleiter bei Erwin Burda in Freiburg. 1949 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1953 Dozent für Publizistik an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven, Lehrauftrag für Pressegeschichte in Münster (bis 1963). 1954 Umhabilitierung. 1955 außerplanmäßiger Professor für Publizistik. 1963 Lehrstuhl für Publizistik und Direktor des gleichnamigen Instituts in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen (bis 1973). Mitbegründer und Mitherausgeber (bis 1993) der Publizistik. Zweimal verheiratet, drei Kinder.

Publikationen

  • Feuilletonkunde. Das Feuilleton als literarische und journalistische Gattung. Leipzig: Hiersemann 1943/44 (Habilitation).
  • Julius Rodenberg und die Deutsche Rundschau. Eine Studie zur Publizistik des deutschen Liberalismus (1870-1918). Heidelberg: Vowinckel 1950 (Dissertation).
  • Handbuch des Feuilletons. Emsdetten: Lechte 1951-1953.
  • Die Zeitschrift. Schrift der Zeit. Essen: Stamm 1961.
  • Die politische Zeitschrift 1665-1965. Band 1. Stuttgart: Koehler 1968. Band 2 (1900-1980) 1982.
  • Erscheinung und Begriff der politischen Zeitschrift. Tübingen: Mohr 1968.
  • Publizistik und Gesellschaft. Stuttgart: Koehler 1970.

In Wilmont Haackes Kindheit und Jugend war kein Platz für das Schöngeistige, mit dem der „Feuilletonprofessor“ (Grieser 1991) später in Verbindung gebracht wurde. Die Mutter starb früh, der Vater (ein Studienrat und Verfechter der alten Schule) schickte ihn in das Realgymnasium der Staatlichen Bildungsanstalt in Naumburg an der Saale (dort sollte der Sohn militärische Disziplin erlernen). Zur Emanzipation kam es erst nach dem Abitur im Jahr 1931 und einem Semester in Göttingen: Haacke tauschte den Vornamen Wilhelm gegen Wilmont ein, verlegte sein Studium nach Berlin und ging seinen Interessen nach. Er besuchte Vorlesungen in den Fächern Zeitungswissenschaft, Germanistik, Geschichte und Philosophie und verfasste gleichzeitig (unter den Pseudonymen Will Mont, Will Hacke oder Stefan Lafeuille) Feuilletonartikel in Zeitungen im In- und Ausland (allen voran im Londoner Wochenblatt European Herald, für das er vier Jahre lang als Deutschland-Korrespondent über das Kulturleben in der Reichshauptstadt berichtete; vgl. Koschwitz 1981).

Dass Wilmont Haacke 1937 bei Emil Dovifat mit einer (erst 1950 veröffentlichten) Arbeit über den jüdischen Publizisten Julius Rodenberg und die liberale Deutsche Rundschau promovierte, darf nicht über seinen unbedingten Willen hinwegtäuschen, ungeachtet des Nationalsozialismus in Journalismus und Wissenschaft zu reüssieren (vgl. Scharf 2006: 138-139). Nach seinem Eintritt in die NSDAP erhielt er eine Festanstellung beim Berliner Tageblatt (dort war er verantwortlich für die Sonntagsbeilagen „Literatur und Zeit“ und „Geistiges Leben“) und 1939 wurde er auf Geheiß von Walther Heide als Assistent von Karl Oswin Kurth mit dem Aufbau des Wiener Instituts für Zeitungswissenschaft betraut. Wie groß Haackes Leidenschaft für das Feuilleton war und wie sehr er sich in seinen Publikationen zugleich an den Geist der Zeit anpasste, bezeugen die von ihm verfassten bzw. herausgegebenen Feuilletonsammlungen (etwa Das heldische Jahr), sein Beitrag zum Wiener jüdischen Feuilleton im Handbuch der Zeitungswissenschaft (Haacke 1940) sowie vor allem die zweibändige Feuilletonkunde, mit der er sich 1942 an der Deutschen Karls-Universität bei Josef März habilitierte und die beispielhaft für eine Qualifikationsschrift in der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft steht. Den Höhepunkt erreichte Haackes Karriere in der ideologisch überformten Disziplin, als ihm im selben Jahr die Leitung des Freiburger Instituts (in der Nachfolge von Wilhelm Kapp) übertragen wurde (vgl. Kutsch 1985).

Nach dem Ende des Dritten Reiches dauerte es vier Jahre, bis Haacke in dem um Neuausrichtung bemühten Fach als Assistent von Walter Hagemann Fuß fassen konnte. Doch obwohl er die Neugründung der Publizistikwissenschaft in Münster hautnah miterlebte (und an der Wiege der Fachzeitschrift Publizistik stand, vgl. Schütz 2006), 1953 eine Dozentur für Publizistik in Wilhelmshaven übernahm, zwei Jahre später zum außerplanmäßigen Professor aufstieg und 1963 auf den Lehrstuhl für Publizistik der Georg-August-Universität Göttingen berufen wurde (verbunden mit der Leitung des Instituts an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät), spielte er bei der Weiterentwicklung der Kommunikationswissenschaft eine untergeordnete Rolle. Denn seine Feuilletonforschung (insbesondere die Neufassung seiner Habilitation) brachte zwar eine Fülle an Material hervor und lieferte neben der Dokumentation publizistischer Persönlichkeiten eine umfassende Beschreibung der sogenannten „kleinen Form“ (der Zeitungssparte, der Textgattung und ihrer Stilmittel). Doch war sie im Fach, das sich zunehmend der analytischen und empirischen Massenkommunikationsforschung nach US-Vorbild verschrieb (vgl. Löblich 2010), ebenso wenig anschlussfähig wie seine Beschäftigung mit dem Zeitschriftenwesen. Dabei suchte Haacke ab Mitte der 1950er-Jahre nach einer Verbindung  zwischen geistes- und sozialwissenschaftlichen Herangehensweisen, lehnte jede Form der Feldforschung aber entschieden ab. Hinzu kommt, dass Haacke sich wegen seiner NS-Vergangenheit angreifbar fühlte und auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1973 auf Ehrungen (vonseiten der DGPuK) zurückhaltend reagierte (vgl. Langenbucher 2004: 28). Während seinen Schülern (darunter Hansjürgen Koschwitz) das weltmännische und elegante Auftreten des langjährigen Junggesellen in Erinnerung geblieben ist, hat sich die Kommunikationswissenschaft erst spät kritisch zu Haackes Rolle in der NS-Zeitungswissenschaft (und den antisemitischen Passagen in der Feuilletonkunde) geäußert (vgl. exemplarisch Weischenberg 1992: 58; Pöttker 2002; Blaum 2004). Nachfolger des Feuilletonprofessors auf dem Göttinger Lehrstuhl war Jörg Aufermann.

Literaturangaben

  • Verena Blaum: Schmarotzende Misteln. Wilmont Haacke und die sogenannte Verjüdung des deutschen Feuilletons. In: Wolfgang Duchkowitsch/Fritz Hausjell/Bernd Semrad (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Münster: Lit 2004, S. 181-192.
  • Dietmar Grieser: Der Feuilletonprofessor. Zum 80. Geburtstag von Wilmont Haacke. In: Publizistik 36. Jg. (1991), S. 97-98.
  • Wilmont Haacke: Das Wiener jüdische Feuilleton. In: Walther Heide (Hrsg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft. Leipzig: 1942, Spalte 2051-2072 und 2151-2159.
  • Hansjürgen Koschwitz: Wilmont Haacke 70 Jahre. In: Publizistik 26. Jg. (1981), S. 111-112.
  • Arnulf Kutsch: Rundfunkwissenschaft im Dritten Reich. Geschichte des Instituts für Rundfunkwissenschaft der Universität Freiburg. München: Saur 1985.
  • Wolfgang R. Langenbucher: Ronneberger war ein Chamäleon. In: Wolfgang Duchkowitsch/Fritz Hausjell/Bernd Semrad (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Münster: Lit 2004, S. 23-40.
  • Maria Löblich: Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2010.
  • Horst Pöttker: Konformität – Opportunismus – Opposition. Zur Typologie von Verhaltensweisen im NS-Regime und danach. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 46-56.
  • Wilfried Scharf: Wilmont Haacke. Wissenschaftliche Karriere und Bedeutung für das Fach. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch/Wolfgang R. Langenbucher/Klaus Schönbach (Hrsg.): 50 Jahre Publizistik. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 113-143.
  • Walter J. Schütz: 38 = 50 minus 12. Geschichte(n) im Rückblick der ‚Publizistik‘-Redaktion. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch/Wolfgang R. Langenbucher/Klaus Schönbach (Hrsg.): 50 Jahre Publizistik. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 15-32.
  • Siegfried Weischenberg: Journalistik. Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation. Band 1: Mediensysteme, Medienethik, Medieninstitutionen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992.

Weiterführende Literatur

  • Hanno Hardt: Am Vergessen scheitern. Essay zur historischen Identität der Publizistikwissenschaft, 1945-1968. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 34-39.
  • Franz Ronneberger: Wilmont Haacke zum 65. Geburtstag. In: Publizistik 21. Jg. (1976), S. 88-89.
  • Wilfried Scharf: Wilmont Haacke 90 Jahre alt. In: Publizistik 46. Jg. (2001), S. 69-70.
  • Wilfried Scharf: Abschied von Wilmont Haacke (4.3.1911-23.7.2008). In: Publizistik 53. Jg. (2008), S. 579-580.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Thomas Wiedemann: Wilmont Haacke. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/wilmont-haacke/ (Datum des Zugriffs).