Thomas Alfred Bauer

19. Januar 1945

Lexikoneintrag von Christian Schwarzenegger am 5. Februar 2016

Thomas A. Bauer war zwei Jahrzehnte Professor am Fachstandort Wien und fragte im Bereich Medienpädagogik als unkonventioneller Denker nach Möglichkeiten und Bedingungen eines emanzipatorischen Mediengebrauchs.

Stationen

Geboren im Frauenlager in Dießen am Ammersee, aufgewachsen im Kinderheim St. Leonhard in Oberösterreich und bei Pflegeeltern in St. Peter im Mühlviertel. Österreichischer Staatsbürger. 1964-1970 Studium der Philosophie und Theologie an der Katholischen Universität Eichstätt, Abschluss als Diplom-Theologe, Besuch des Priesterseminars. 1970-1973 Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft und Soziologie in Salzburg. 1973 Promotion (Der Stellenwert des Dogmas im Kommunikations- und Organisationssystem der Kirche. Eine sozialtheoretische Analyse zum Problem des kirchlichen Kommunikationsdefizits; Betreuer: Günter Kieslich bis zu dessen Tod 1971, anschließend Franz Zöchbauer). Ab 1973 (Teilzeit-)Verträge und Lektoren-Tätigkeiten an den Universitäten Salzburg, Graz, Klagenfurt und Wien. 1980 Habilitation in Kommunikationswissenschaft mit der Ausrichtung Medienpädagogik bei Michael Schmolke in Salzburg. 1977-1982 Professor für Politische Soziologie und für Visuelle Kommunikation an der Pädagogischen Akademie Graz. 1979-1992 Leiter des dortigen Instituts für Kommunikationswissenschaft und zugleich Beauftragter des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst in der Lehrerfortbildung/Medienpädagogik. 1992 Berufung zum Ordinarius für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Seit 2003 permanenter Gastprofessor an der Pontificia Universidade Catolica São Paulo, Brasilien. 2005 Gastprofessor an der City University New York. Ab 2007 wiederholt Gastprofessuren an der Beijing Foreign Studies University und an der Universität Maribor. Daneben Gastaufenthalte in Bangkok, Malaysia, Belgrad, Hanoi, Istanbul, Dubrovnik, Shanghai und Kuala Lumpur. Erster Präsident der European Society for Education and Communication. Seit 2006 Obmann der Österreichischen Gesellschaft für Bildung und Kommunikation. Ab 2007 Mitglied der Expertenkommission zur Beratung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur zur Neuorganisation der Schule. 2013 Emeritierung. Seit 2015 Vorsitzender des Österreichischen PR-Ethikrats als Nachfolger von Wolfgang R. Langenbucher. Vater von zwei Kindern.

Publikationen

  • Medienpädagogik. Einführung und Grundlegung. Köln: Böhlau 1979 (Habilitation).
  • Die Kompetenz ethischen und ästhetischen Handelns: Medienethik aus medienpädagogischer Perspektive. In: Matthias Karmasin (Hrsg.): Medien und Ethik. Stuttgart: Reclam 2002, S. 194-219.
  • Vom Strukturblick zum Kulturblick. Entwürfe zu einem Blended Theory-Modell. In: Matthias Karmasin/Carsten Winter (Hrsg.): Kulturwissenschaft als Kommunikationswissenschaft. Projekte, Probleme und Perspektiven. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, S. 127-67.
  • Kommunikation wissenschaftlich Denken. Perspektiven einer kontextuellen Theorie gesellschaftlicher Verständigung. Wien: Böhlau 2014.

Thomas A. Bauers wissenschaftlicher Werdegang beginnt, wie er es selbst formuliert hat, in einer dogmenintensiven Umwelt, nämlich mit einem Studium der Theologie. Danach besucht er das Priesterseminar und hat auch bereits die Diakonatsweihe erhalten. Einen Monat vor der bevorstehenden Priesterweihe tritt er jedoch aus dem Orden aus und verlässt wegen Auffassungsunterschieden zum Pastoral das Priesterseminar. Die Spannung zwischen Häresie und Dogma, zwischen der Freiheit der Wahl und der Vorgabe, was zu tun und wie zu denken sei, ist dabei ausgehend von ersten akademischen Schritten über die gesamte Laufbahn seines wissenschaftlichen Lebens hinweg ein wesentlicher Antrieb. Ein zentrales Thema für Thomas Bauer ist die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen eines emanzipatorischen Mediengebrauchs und die Suche nach einer Form der Medienpädagogik, die eine selbstbestimmte und mündige Teilhabe des Menschen an Gesellschaft und Kultur ermöglicht und die er zwingend als Medienkultur auflöst.

Auch wenn Bauers Professur einen Fokus auf audiovisuelle Medien hat, ist er in seinem Arbeiten nie auf eine bestimmte Mediengattung begrenzt geblieben. Er fragte stattdessen immer nach den Bedingungen des Kommunizierens und der dem Kommunizieren zugrunde liegenden Medialität. Grundbedingung jeder Gesellschaft ist für ihn ihre Medialität, und Kommunikation wird in einem „elaborierten Kulturmodell, einem kontextuellen Modell des sozialen Beobachtens“ (Bauer 2014) aufgelöst. Der Weg zur Teilhabe ist Kommunikation, und Kommunikation ergibt sich aus den Möglichkeiten und Formen eines gesellschaftlichen kommunikativen Verstehens. Kennzeichnend für sein Schaffen ist letztlich eine ganz eigene Variante, Kommunikation zu denken, die sich aus den Cultural Studies, Versatzstücken des Konstruktivismus, der Semiotik sowie handlungs- und medientheoretischen Schriften speist. Dabei allerdings dienen Bauer, wie Klaus Beck (2015:447) in einer Rezension von dessen Werk Kommunikation wissenschaftlich denken festgehalten hat, diese Theoriefelder eher als „Inspiration denn als Begründung“. Als Essenz seines kommunikationswissenschaftlichen Wirkens plädiert Bauer für eine hermeneutische Wende der Kommunikationswissenschaft, damit sie begrifflich relationale und kontextualisierte kommunikative Routinen der Gesellschaft beobachten, verstehen und sich auch in diese einmischen kann. Bauer versteht Kommunikationswissenschaft als eine Interventionswissenschaft. Bezeichnend sind für ihn dementsprechend auch die zahlreichen Initiativen, die in Medienprojekten, Bildungsinitiativen und Vorhaben zur Medienkompetenzvermittlung gipfeln – ein angesichts seines hochgradig abstrakten theoretischen Denkens überraschendes Scharnier zwischen Theorie und Praxis.

In seiner aktiven Laufbahn war Bauer der heimliche Außenminister des Wiener Instituts. Dies belegen neben seinen Gastprofessuren auch Kooperationen in Asien, Südamerika und in Europa, insbesondere in Südosteuropa und auf dem Balkan. In Wien hat er etwa als Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des Herausgebervereins das partizipatorische Wiener Community-Fernsehen OKTO mitbegründet. Ebenso war er Chefredakteur von deScripto („A Journal of Media in South East Europe“) und ist auch noch nach der Emeritierung an Projekten zur International Media Literacy Development beteiligt. Bauers Emeritierungsvorlesung trug den Titel „Verstehen – Vermessen – Verstören“. Dieses Verstören, die produktive Irritation seiner Kommunikationspartner in der Fach-Community, im Hörsaal und in den gesellschaftlichen Institutionen war und ist eine der großen Eigenschaften und Motivationen des rastlosen Lehrers und Aufklärers Thomas Bauer, einem der unkonventionellsten Denker in der Kommunikationswissenschaft.

Literaturangaben

  • Thomas A. Bauer: Kommunikation wissenschaftlich Denken. Perspektiven einer kontextuellen Theorie gesellschaftlicher Verständigung. Wien: Böhlau 2014.
  • Klaus Beck: Rezension von Bauer, Thomas A. (2014): Kommunikation wissenschaftlich Denken. Perspektiven einer kontextuellen Theorie gesellschaftlicher Verständigung. In: Publizistik 60. Jg. (2015), S. 447-449.

Weblinks

Thomas Alfred Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien
Thomas A. Bauer

Empfohlene Zitierweise

Christian Schwarzenegger: Thomas Alfred Bauer. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2016. http://blexkom.halemverlag.de/thomas-alfred-bauer/ (Datum des Zugriffs).