Günter Kieslich (Foto: privat)
Günter Kieslich (Foto: privat)

Günter Kieslich

24. Januar 1924 bis 9. Dezember 1971

Lexikoneintrag von Thomas Wiedemann am 11. November 2013

Günter Kieslich war einer der prominentesten Fachvertreter seiner Generation, dessen Fähigkeiten über mehrere Jahrzehnte hinweg in Erinnerung geblieben sind.

Stationen

Geboren in Breslau. Vater Lehrer, römisch-katholisch. 1942 Abitur, Einberufung zum Wehrdienst. 1949 Rückkehr aus fünfjähriger Kriegsgefangenschaft, Studium der Germanistik an der Technischen Hochschule in Braunschweig. 1950 Studium der Publizistik, Geschichte und Germanistik in Münster. 1954 Promotion (Doktorvater: Walter Hagemann). 1955 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik der Universität Münster. 1960 wissenschaftlicher Rat am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin. 1962 Pressereferent der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (bis 1968). 1963 Mitherausgeber der Publizistik. 1964 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Zeitungswissenschaft (bis 1968). 1965 Lehrauftrag an der Pädagogischen Hochschule Rheinland, Abteilung Bonn. 1968 Professor für Publizistik- und Kommunikationstheorie an der Universität Salzburg, Leiter des dortigen Instituts für Publizistik, wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Instituts für publizistische Bildungsarbeit Düsseldorf. 1970 Leiter der Abteilung für Kommunikationswissenschaft am Internationalen Forschungszentrum Salzburg, Mitglied der Gemischten Kommission für Fragen der journalistischen Aus- und Fortbildung des Deutschen Presserates. 1971 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung. Gestorben in Salzburg. Verheiratet, keine Kinder.

Publikationen

  • Freizeitgestaltung in einer Industriestadt. Ergebnisse einer Befragung in Marl/Westfalen. Dortmund-Lütgendortmund: Wulff 1956.
  • Das „Historische Volkslied“ als publizistische Erscheinung. Untersuchungen zur Wesensbestimmung und Typologie der gereimten Publizistik zur Zeit des Regensburger Reichstages und des Krieges der Schmalkaldener gegen Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig, 1540-1941. Münster: Fahle 1958 (Dissertation).
  • Die Struktur der österreichischen Tagespresse. Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für Publizistik- und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg. Salzburg: Institut für Publizistik- und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg 1969.
  • Zeitschrift: Definition. Geschichte. Typologie. In: Elisabeth Noelle-Neumann/Winfried Schulz (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch 1971, S. 350-355.
  • Zum Selbstverständnis der Publizistikwissenschaft. In: Publizistik 17. Jg. (1972), S. 68-78.
  • Der journalistische Nachwuchs in der Bundesrepublik Deutschland. Daten zur Volontärsausbildung in der Tagespresse. Köln: Bund-Verlag 1974.

Günter Kieslich war einer der prominentesten Fachvertreter seiner Generation, dessen Fähigkeiten über mehrere Jahrzehnte hinweg in Erinnerung geblieben sind. „Er war ganz anders, als man sich einen Universitätsprofessor vorstellt: dynamisch und zupackend, sprühend vor Ideen und Plänen, ein tatkräftiger Organisator, ein mitreißender Lehrer – und zugleich ein sensibler Beobachter, der Zeitströmungen seismographisch genau erfaßte und zukunftsorientiert deutete“, würdigte etwa Walter Hömberg (1997: 103) seinen Salzburger Professor, der bereits mit 47 Jahren infolge einer schweren Herzerkrankung und Lungenoperation verstarb.

Günter Kieslich am Institut für Publizistik in Münster (Quelle: Privatarchiv Georg Hellack)

Günter Kieslich am Institut für Publizistik in Münster (Quelle: Privatarchiv Georg Hellack)

Kieslichs akademische Laufbahn begann an der Universität Münster, wo der gebürtige Schlesier nach seiner Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft Publizistik, Geschichte und Germanistik studierte, 1953 zur Hilfskraft von Walter Hagemann avancierte und nach seiner Promotion zwei Jahre später Wilmont Haacke als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik beerbte. Im Zuge der Suspendierung Hagemanns wechselte Kieslich 1960 zu Emil Dovifat an die Freie Universität Berlin (vgl. N.N. 1960). Der Versuch, sich dort zu habilitieren, scheiterte jedoch aufgrund des fehlenden Rückhalts der Publizistikwissenschaft innerhalb der Philosophischen Fakultät (Bohrmann 2010: 145-146). Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Pressereferent der Kultusministerkonferenz in Bonn und wiederholten Lehraufträgen für Publizistik an der Pädagogischen Hochschule Rheinland war es dann vor allem Otto B. Roegele zu verdanken (Löblich 2010: 187), dass Kieslich 1968 einen Ruf auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Publizistik- und Kommunikationstheorie an der Universität Salzburg erhielt (vgl. N.N. 1968). Bis zu seinem Tod blieben dem Ordinarius aber nur sieben Semester, um den Aufbau des Instituts voranzutreiben.

Obwohl Günter Kieslichs Wirken als Publizistikwissenschaftler nicht einmal zwei Jahrzehnte währte, hat er das Fach durch sein vielfältiges institutionelles Engagement entscheidend mitgeprägt. Er war Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Zeitungswissenschaft und gehörte zeitweilig ihrem Vorstand an (vgl. Schütz 2000). Besonders am Herzen lag ihm außerdem die Fachzeitschrift Publizistik, an deren Entstehung und Entwicklung er maßgeblich beteiligt war – seit ihrer Gründung 1956 als Redakteur (gemeinsam mit Walter J. Schütz), seit 1963 als Mitherausgeber und seit 1967 als geschäftsführender Herausgeber (vgl. Schütz 2006). Und als 1971 schließlich die Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung ins Leben gerufen wurde (vgl. Allwang 2008), zählte Kieslich selbstverständlich zum Vorstand.

Günter Kieslich (Foto: privat)

Günter Kieslich (Foto: privat)

Sein Fach verstand der historisch-philologisch ausgebildete Publizistikwissenschaftler, der schon in den 1950er-Jahren in Münster mehrere empirische Studien begleitet hatte (exemplarisch Kieslich 1956), als interfakultäre und mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Methoden arbeitende Disziplin. In Forschung und Lehre suchte er den Kontakt zu Politikwissenschaftlern, Historikern, Soziologen und Psychologen. Neben der Kommunikationsgeschichte, der Zeitschriftenforschung und dem Lokaljournalismus galt Kieslichs Interesse vor allem dem Berufsbild des Journalisten und dem journalistischen Nachwuchs. Gemeinsam mit Wolfgang R. Langenbucher verfasste er das Memorandum zur Journalistenausbildung (N.N. 1971), das die Gemischte Kommission für Fragen der journalistischen Aus- und Fortbildung im Januar 1971 dem Deutschen Presserat vorlegte und einen wesentlichen Anstoß zur Errichtung der Diplomstudiengänge in den 1970er- und 1980er-Jahren gab (Meyen/Höfler 2008: 42). Mit seinen Strukturanalysen der österreichischen Tagespresse (Kieslich 1969) und seiner postum veröffentlichten Volontärsstudie (Kieslich 1974) kommt Günter Kieslich das Verdienst zu, die sozialwissenschaftlich-empirische Erforschung der Publizistik in Österreich in die Wege geleitet zu haben (vgl. Hömberg 1997). Als sein Nachfolger wurde 1973 Michael Schmolke nach Salzburg berufen. Neben Walter Hömberg zählt Heinz Pürer zu Kieslichs wichtigsten Schülern.

Literaturangaben

  • Diana Allwang: Die Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung. Drittmittelaufträge aus Politik und Medienwirtschaft. In: Michael Meyen/Manuel Wendelin (Hrsg.): Journalistenausbildung, Empirie und Auftragsforschung. Neue Bausteine zu einer Geschichte des Münchener Instituts für Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2008, S. 85-115.
  • Hans Bohrmann: Habilitieren in bewegten Zeiten. In: Horst Pöttker/Gabriele Toepser-Ziegert (Hrsg.): Journalismus, der Geschichte schrieb. 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: de Gruyter 2010, S. 143-150.
  • Walter Hömberg: Zukunftsorientierter Forscher und mitreißender Lehrer. Vor 25 Jahren starb Günter Kieslich. In: Publizistik 42. Jg. (1997), S. 103.
  • Günter Kieslich: Freizeitgestaltung in einer Industriestadt. Ergebnisse einer Befragung in Marl/Westfalen. Dortmund-Lütgendortmund: Wulff 1956.
  • Günter Kieslich: Die Struktur der österreichischen Tagespresse. Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für Publizistik- und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg. Salzburg: Institut für Publizistik- und Kommunikationstheorie der Universität Salzburg 1969.
  • Günter Kieslich: Der journalistische Nachwuchs in der Bundesrepublik Deutschland. Daten zur Volontärsausbildung in der Tagespresse. Köln: Bund-Verlag 1974.
  • Maria Löblich: Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2010.
  • Michael Meyen/Barbara Höfler: Ende des Studiengangs, Ende der Debatte? Das „Münchener Modell“ zur Ausbildung von Diplom-Journalisten. In: Michael Meyen/Manuel Wendelin (Hrsg.): Journalistenausbildung, Empirie und Auftragsforschung. Neue Bausteine zu einer Geschichte des Münchener Instituts für Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2008, S. 28-84.
  • N.N.: Dr. Kieslich an die Freie Universität Berlin berufen. In: Publizistik 5. Jg. (1960), S. 178.
  • N.N.: Dr. Günter Kieslich Ordinarius für Publizistikwissenschaft in Salzburg. In: Publizistik 13. Jg. (1968), S. 74.
  • N.N.: Memorandum zur Journalistenausbildung. In: Deutscher Presserat: Tätigkeitsbericht 1970. Bonn-Bad Godesberg: Zeitungs-Verlag und Zeitschriftenverlag 1971, S. 64-85.
  • Walter J. Schütz: Henk Prakke und die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“. In: Joan Hemels/Arnulf Kutsch/Michael Schmolke (Hrsg.): Entgrenzungen. Erinnerungen an Henk Prakke. Assen: van Gorcum 2000, S. 72-90.
  • Walter J. Schütz: 38 = 50 minus 12. Geschichte(n) im Rückblick der „Publizistik“-Redaktion 1956-1963. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch/Wolfgang R. Langenbucher/Klaus Schönbach (Hrsg.): 50 Jahre Publizistik. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 15-32.

Weiterführende Literatur

Weblink

Empfohlene Zitierweise

    Thomas Wiedemann: Günter Kieslich. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013. http://blexkom.halemverlag.de/guenter-kieslich/ (Datum des Zugriffs).