Stationen
Geboren in Küsnacht (Zürich). Vater Professor für Mathematik. Ab 1949 Studium in Zürich (Germanistik, Anglistik). 1957 Promotion in Germanistik (Doktorvater: Emil Staiger). Gesangsausbildung. Gymnasiallehrer. Mitarbeit bei Radio Zürich, der Neuen Zürcher Zeitung und Communicatio Socialis. Selbststudium der Publizistikwissenschaft. 1965 Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds. 1966 Lehrauftrag am Journalistischen Seminar der Universität Zürich. 1969 bis 1970 Gastdozentur für Kunstsoziologie in Uppsala. 1970 Habilitation an der Philosophischen Fakultät I in Zürich (Publizistische Strategien und soziokultureller Wandel). 1973 Assistenzprofessor für Publizistik mit Berücksichtigung der Kunstsoziologie an der Universität Zürich. 1975 Leiter des dortigen Publizistischen Seminars (1977 Extraordinarius, 1983 Ordinarius für Publizistikwissenschaft). 1974 Mitbegründer der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (Präsident bis 1984). 1978 Mitglied der Eidgenössischen Expertenkommission für eine Medien-Gesamtkonzeption (bis 1981) und Mitglied einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Radio- und Fernsehgesetzes. 1983 Nationale Begleitforschung zu den lokalen Rundfunkversuchen in der Schweiz (bis 1988). 1985 Leiter des Beirats Medienerziehung und Medienforschung der Bertelsmann-Stiftung (bis 1995, ab 1992 als Vorstandsmitglied) und Mitherausgeber der Publizistik (bis 2000). 1996 Ordinarius für Kommunikationssoziologie an der Università della Svizzera Italiana in Lugano (bis 2001). 1997 Honorarprofessor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. 2000 Gründung der Ulrich Saxer-Stiftung. Verheiratet mit Miriam Saxer, ein Sohn.
Publikationen
- Gottfried Kellers Bemühungen um das Theater. Ein Beitrag zur Problematik des deutschen Theaters im späten 19. Jahrhundert. Winterthur: P. G. Keller 1957 (Dissertation).
- Medienpolitische Systeme: eine Analyse schweizerischer Medienpolitik. In: Publizistik 21. Jg. (1976), S. 9-30.
- Medien als problemschaffende und problemlösende Systeme: Zur Notwendigkeit der Annäherung der Medienforschung an ihren Gegenstand. In: Publizistik 42. Jg. (1997), S. 73-82.
- Medien-Kulturkommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998 (Hrsg., = Sonderheft Publizistik 2).
- Politik als Unterhaltung. Zum Wandel politischer Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft. Konstanz: UVK 2007.
- Mediengesellschaft. Eine kommunikationssoziologische Perspektive. Wiesbaden: Springer VS 2012.
Im Vergleich zu vielen anderen Vertretern der Jungtürken in der Kommunikationswissenschaft (vgl. Meyen/Löblich 2007) stammte Ulrich Saxer aus einem bürgerlichen Elternhaus (der Vater war Rektor der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, die Familie wohnte am Ufer des Zürichsees). Nach einem abgebrochenen Studium der Rechtswissenschaften wandte er sich in Zürich den Fächern Germanistik und Anglistik zu und promovierte 1957 bei Emil Staiger über Gottfried Kellers Bemühungen um das Theater (Saxer 1957). Anschließend war er als Deutschlehrer tätig, nebenbei aber auch für Radio Zürich und die Neue Zürcher Zeitung im Einsatz. Er fühlte sich zu den Medien hingezogen, doch kam der Journalismus („zu unsolide“) als alleiniges Arbeitsfeld für ihn nicht infrage (Saxer 2007: 61).
Also begann Saxer, sich die Publizistikwissenschaft zu erschließen – durch ein Selbststudium. Er las Bücher, vor allem US-amerikanische, und wählte eigene Schwerpunkte (insbesondere Musik und Kunst). Dass er dabei schon früh eine sozialwissenschaftliche Perspektive auf die Disziplin einnahm, bezeugt sein erster Lehrauftrag, den er 1966 unter dem Titel „Soziologische Aspekte der Massenmedien“ am Journalistischen Seminar der Universität Zürich abhielt. Nach einer Gastdozentur am Kunsthistorischen Institut der Universität Uppsala habilitierte Saxer 1970 in Zürich mit der Schrift Publizistische Strategie und soziokultureller Wandel. Auch hier verknüpfte er die sozialwissenschaftliche Forschung mit einem kulturwissenschaftlichen Interesse und betrat Neuland im Fach (vgl. Jarren 2005). Außerdem plädierte er bereits in dieser Arbeit für eine stärkere Berücksichtigung der Makroebene in der Kommunikationswissenschaft – ein Ansinnen, das auch in seinen späteren Publikationen immer wieder auftaucht.
Mit seinem Startkapital übertraf Saxer viele seiner deutschsprachigen Kollegen, was ihm den Einstieg in das Fach erleichterte. 1973 wurde er Assistenzprofessor für Publizistik mit Berücksichtigung der Kunstsoziologie am Publizistischen Seminar in Zürich (vgl. Rühl 2012: 465). Als dessen Leiter Christian Padrutt zwei Jahre später tödlich verunglückte, stand Saxer plötzlich an der Spitze des Instituts. Mehr noch: Die damals (nicht nur in Zürich) erst entstehenden Fachstrukturen bescherten ihm die Freiheit, „seine“ Themen in die Kommunikationswissenschaft hineinzutragen und die Entwicklung der Disziplin in eine bestimmte Richtung zu lenken. Dazu gehört zunächst sein früher Beitrag zur Institutionalisierung des Fachs – als Mitbegründer der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft in Zürich 1974, an der er schon mit Padrutt gearbeitet hatte und der er dann zehn Jahre als Präsident vorsaß. Seine eigene Bekanntheit und das Ansehen des Züricher Instituts steigerte Saxer allerdings auch schon, bevor er 1983 zum Ordinarius ernannt wurde. Obwohl stets darauf bedacht, sich selbst als unpolitisch darzustellen, übernahm er außeruniversitäre Tätigkeiten in den Bereichen Medienpädagogik bzw. Medienpolitik und war Mitglied in der Eidgenössischen Expertenkommission für eine Medien-Gesamtkonzeption sowie in einer vom Schweizer Bundesrat eingesetzten Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Radio- und Fernsehgesetzes.
Neben der unzulänglichen Berücksichtigung der Makro- und Mesoebene glaubte Ulrich Saxer noch weitere Defizite der Kommunikationswissenschaft erkannt zu haben – und er wurde nicht müde, diesen in seinem Werk entgegenzuwirken: durch eine stärkere Bezugnahme auf die soziologische und die systemtheoretische Perspektive (mit der Unterteilung in die drei gleichwertigen Funktionssysteme Politik, Wirtschaft und Kultur), durch die immer wieder neu auszuhandelnde Einigung auf Theorien und Begriffe, durch die Verbindung von Theorie und Praxis (auch wenn er der empirisch ausgerichteten Wissenschaft letztlich die größere Kompetenz zuwies) und durch ein Mehr an Interdisziplinarität (vgl. Saxer 2012). Diesen letzten Punkt erachtete Saxer gerade für die noch junge Kommunikationswissenschaft als notwendig. Dass er selbst dabei immer wieder Kunst und Kultur ins Spiel brachte, war angesichts seiner Herkunft, seiner Begeisterung für Musik (für die auch eine Gesangsausbildung steht) und seines Privatlebens (Saxer war mit einer Pianistin verheiratet) alles andere als ungewöhnlich.
Ulrich Saxer hatte klare Vorstellungen, was die Kommunikationswissenschaft ausmacht, und konnte über Jahrzehnte hinweg den wissenschaftlichen Diskurs auch über die Grenzen der Schweiz hinaus mitbestimmen – als Mitherausgeber der Publizistik, als Vertreter des Fachs in der Bertelsmann-Stiftung, als Gutachter für unzählige Berufungsverfahren und als häufig gebuchter Keynote-Speaker auf den Jahrestagungen der DGPuK. Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1996 hörte Saxer nicht auf, an der Kommunikationswissenschaft zu arbeiten: Er publizierte weiter, übernahm nach nur einer Woche im Ruhestand ein Ordinariat in Lugano und ein Jahr später eine Honorarprofessur in Wien. Mit der Gründung der Ulrich Saxer-Stiftung zur Förderung des publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Nachwuchses in der Schweiz leistete er den vielleicht vornehmsten Beitrag zur künftigen Entwicklung der Disziplin. Sein wichtigster Schüler ist Heinz Bonfadelli.
Literaturangaben
- Otfried Jarren: Ulrich Saxer 75 Jahre. In: Publizistik 50. Jg. (2005), S. 477-479.
- Michael Meyen/Maria Löblich: „Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007.
- Manfred Rühl: Ulrich Saxer (6.1.1931-8.6.2012). In: Publizistik 57 Jg. (2012), S. 464-466.
- Ulrich Saxer: Ich habe dieses Fach erfunden. In: Michael Meyen/Maria Löblich: „Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007, S. 59-75.
- Ulrich Saxer: Mediengesellschaft. Eine kommunikationssoziologische Perspektive. Wiesbaden: Springer 2012.
Weiterführende Literatur
- Heinz Bonfadelli/Werner A. Meier (Hrsg.): Krieg, Aids, Katastrophen …: Gegenwartsprobleme als Herausforderung der Publizistikwissenschaft. Festschrift für Ulrich Saxer. Konstanz: UVK 1993.
- Otfried Jarren: Ulrich Saxer zum 75. Geburtstag. In: Medienwissenschaft Schweiz (2005), Nr. 2, S. 98-100. http://www.sgkm.ch/zeitschrift/2005/2(2005)16Personalien.pdf.
- Otfried Jarren: Prof. Dr. Ulrich Saxer. 6. Januar 1931 bis 8. Juni 2012. In: Universität Zürich: Nekrologe 2012. Zum Gedenken an unsere verstorbenen Professoren. Zürich: Universität Zürich 2013, S. 43-45. http://www.uzh.ch/about/portrait/dies/2013/reden/UZH_Nekrologe_2012.pdf.
- Franz Ronneberger: Ulrich Saxer 60 Jahre. In: Publizistik 36. Jg. (1991), S. 98-99.
- Michael Schmolke: Mitarbeiter der ersten Stunde. Erinnerungen an Ulrich Saxer. In: Communicatio Socialis 45. Jg. (2012), S. 306-307.
Weblinks
- Wikipedia-Eintrag
- Nachruf des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich
- Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien: Dialog Publizistik Zürich Wien. Kommunikationswissenschaft audiovisuell. Ulrich Saxer (Zürich) im Gespräch mit Roland Burkart (Wien). 24. Mai 2007
Empfohlene Zitierweise
-
- Ricarda Seitz: Ulrich Saxer. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/ulrich-saxer/ (Datum des Zugriffs).