Ursula E. Koch (Foto: privat)
Ursula E. Koch (Foto: privat)

Zwischen Frankreich und Deutschland vermitteln

Veröffentlicht am 27. November 2014

Ursula E. Koch hatte anderthalb Jahrzehnte einen Lehrstuhl in München. Zu ihrem 80. Geburtstag am 2. Dezember 2014 veröffentlicht BLexKom eine Kompilation von Interviews, die Maria Löblich, Michael Meyen und Natalie Hermann zwischen 2003 und 2005 geführt haben (vgl. Meyen/Löblich 2007: 136-150).

Stationen

Geboren am 2. Dezember 1934 in Berlin. Abitur und Dolmetscherausbildung in Stuttgart. 1955 bis 1967 Übersetzerin in Stuttgart, München und Paris. 1963 bis 1967 Germanistik-Studium an der Sorbonne. Anschließend Eintritt in den französischen Staatsdienst. Forschungs- und Lehrbeauftragte mit Prüfungsberechtigung, dann Maître de Conférences und Leiterin des Berlin-Zentrums am Germanistischen Institut der Universität Paris X-Nanterre. Gleichzeitig Zweitstudium (französische Literaturwissenschaft, Kommunikationswissenschaft). 1972 Magister, 1973 Promotion. 1979 ausgezeichnet mit dem Prix Strasbourg (vgl. Koch 1978). 1981 Habilitation (kumulativ). 1986 bis 2000 Nachfolgerin von Otto B. Roegele auf dem Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) an der Universität München.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren Sie knapp fünf Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?

Viele. Vor ein paar Tagen habe ich gerade daran gedacht, dass ich nie den Hitlergruß gemacht habe. Ich weiß nicht warum, aber ich habe ihn nie gemacht. Zwischen 1941 bis 1945 wurde ich neunmal evakuiert, zum Beispiel auf das Gut Malenchen in der Niederlausitz. Dort waren die Russen nicht weit, und ich kam wieder an einen anderen Ort. Eigentlich kann man gar nicht von einer Kindheit sprechen. Mein Vater ist gestorben, als ich elf Jahre alt war. Meine Mutter ist mit mir und meiner kleinen Schwester nach Stuttgart gezogen, weil dort ihre Eltern gelebt haben. Sie musste zusehen, wie sie mit uns beiden klarkam, und sich ein neues Leben aufbauen.

Sie haben trotzdem Abitur gemacht.

Dies habe ich meiner Mutter zu verdanken. Der Rest der Familie wollte eher, dass ich im Buchhandel lerne, aber meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich das Abitur mache, obwohl die Zeiten schlecht waren und überhaupt kein Geld da war. Sie selbst hatte das Abitur nicht machen dürfen. Sie war nur ein „Mädle“, das ja doch bald heiraten würde.

Hat Politik daheim eine Rolle gespielt?

Es wurde schweigend gegessen. Über den Krieg wollte niemand reden und über Politik gleich gar nicht. Meine Schwester und ich bedauern das noch heute. Wir haben erst später gelernt, wie man diskutiert.

Und Religion?

Ich bin evangelisch und habe meine Großeltern jahrelang jeden Sonntag in die Kirche begleitet. Das hat sich dann aber völlig gegeben. Heute gehe ich nur noch bei besonderen Anlässen in die Kirche, an Feiertagen zum Beispiel oder zu Hochzeiten und Taufen.

Wer hat Sie für Frankreich begeistert?

Meine Mutter. Sie hat immer von den Französischkursen geschwärmt, die sie als junges Mädchen in Lausanne besucht hatte. Sie war dort ein halbes Jahr im Internat. Als ich später gesehen habe, dass die Universität in Lausanne Ferienkurse anbietet, habe ich gedacht, das ist etwas für mich. Das hat so viel Spaß gemacht, dass man fast schon von einer Erleuchtung sprechen kann.

Ihr Studium in Paris haben Sie dann aber erst relativ spät begonnen.

Ich wollte immer studieren, hatte aber lange nicht genug Geld. Als ich in München bei MAN angestellt war, bin ich oft mit der Straßenbahn an der Universität vorbeigefahren und habe davon geträumt, dort als Studentin anzufangen. Nach Paris bin ich eigentlich nur gegangen, um mein Französisch zu verbessern und nicht mehr ausschließlich als Englisch-Übersetzerin arbeiten zu müssen. Dann ist aber alles ganz anders gekommen. Ich habe mit Germanistik begonnen, weil das für mich als Deutsche am einfachsten war. Ich musste ja nebenbei in der Privatindustrie arbeiten. Eine staatliche Ausbildungsförderung wie das BAföG gab es damals noch nicht.

Wie sind Sie zur Pressegeschichte gekommen?

Das Germanistikstudium läuft in Frankreich anders als hier. Neben Literatur- und Sprachwissenschaft gibt es dort den Bereich „Civilisation“. Politische Geschichte, Wirtschafts- und Ideengeschichte. Das hat mich am meisten interessiert. Ich hatte eigentlich schon ein philologisches Promotionsthema, fand es aber entsetzlich langweilig, mich jahrelang mit Modalverben abgeben zu müssen. Ich habe den Doktorvater gewechselt und bin fortan von Pierre-Paul Sagave betreut worden. Ein Literaturwissenschaftler und „Polit-Germanist“, der wie ich aus Berlin stammte. Sagave hat mir vorgeschlagen, die Berliner Presse in den Jahren 1870/71 zu untersuchen. Dieses Thema hat mir sofort zugesagt. Geschichte wird über die Presse lebendig. Ich empfehle Geschichtsstudenten bis heute, unbedingt die Zeitungen zu lesen, die in der Zeit erschienen sind, über die sie gerade arbeiten. Aus den Zeitungen erfährt man, was die Leute damals dachten, wofür und wogegen sie gekämpft haben, was sie wissen konnten und was nicht.

Warum haben Sie sich vor allem mit dem 19. Jahrhundert beschäftigt?

Ich habe 1968 begonnen, an der Dissertation zu arbeiten. Das Thema deutsch-französischer Krieg lag damals in der Luft. Je näher das Jahr 1970 kam, desto mehr haben die Zeitungen über 1870/71 geschrieben. Was ich gemacht habe, gab es vorher außerdem nicht. Eine Untersuchung aller Leit- und Meinungsartikel, die im ersten Halbjahr 1871 in zwölf Berliner Zeitungen erschienen sind. Hier verdanke ich Pierre Albert sehr viel. Er hat mir erklärt, wie man ein solches Thema systematisch angeht. In meinen Lehrveranstaltungen bin ich ja dann teilweise auch bis ins 17. und 18. Jahrhundert zurückgegangen. Schwerpunkte waren aber das 19. und das frühe 20. Jahrhundert. Die Revolution von 1848, die großen Kämpfe um die Pressefreiheit, die Massenpresse. Der moderne Journalismus ist ja nicht erst nach 1945 entstanden.

Welche Rolle hat Ihr Doktorvater Sagave gespielt?

Er war die Leitfigur. Er hat mir nicht nur zu einem neuen Dissertationsthema verholfen, sondern auch zu einer Anstellung im Staatsdienst. Die Universität Paris X-Nanterre war damals neu gegründet worden. Ich habe Sagaves Berlin-Zentrum mit aufgebaut und war außerdem für die Bibliothek zuständig sowie für die Seminare, die seine landeswissenschaftlichen Vorlesungen vertieft haben. Daraus hat sich eine lebenslange wissenschaftliche Kooperation ergeben.

Wie haben Sie die Studentenbewegung erlebt?

In Paris habe ich nur die Anfänge mitbekommen. Daniel Cohn-Bendit war Student in Nanterre und hieß damals nur Daniel le Rouge. Als es im Mai 1968 keine Veranstaltungen mehr gab, bin ich nach Stuttgart gefahren, um mich mit meiner Dissertation zu beschäftigen. Eigentlich nur für ein paar Tage, aber plötzlich war ich ausgesperrt. Die Grenzen wurden zugemacht, ich konnte nicht nach Frankreich zurück und musste mehrere Wochen bei meiner Mutter bleiben. Dort habe ich dann Tag und Nacht RTL gehört.

Haben die Studentenproteste etwas bewegt?

Es hat sich viel verändert. Es gab auf einmal viel mehr Seminare. Vorher waren das wirklich große Gruppen mit 60 oder 70 Leuten. Dort war gar nicht vorgesehen, dass der Student den Mund aufmacht. Als ich studiert habe, saß man brav da und hat mitgeschrieben. In den kleineren Seminaren konnte man sich jetzt nicht nur öfter äußern, sondern es wurden auch andere Themen diskutiert. Moderne Themen. Ich habe zum Beispiel mit Pierre-Paul Sagave eine Veranstaltung über die soziale Marktwirtschaft in Deutschland angeboten. Das war dort damals etwas ganz Neues.

Wie hat man sich Ihre Lehr- und Forschungsarbeit in Paris vorzustellen?

Völlig anders als später in München. Als ich hierher berufen wurde, hatte ich vom deutschen Universitätsleben nur wenig Ahnung. In Nanterre habe ich meine Veranstaltungen gemacht, war dann vielleicht noch zwei Tage in der Woche in unserem Forschungszentrum und habe ansonsten zu Hause gearbeitet. In Paris hatte kein Professor ein Büro für sich. Zwei oder drei Leute mussten sich immer einen Raum teilen. Am Institut Français de Presse ist das noch heute so. In der Forschung war man weitgehend auf sich allein gestellt. Ab und zu habe ich mit meinem Doktorvater gesprochen oder mit Pierre Albert. Zum Glück hat mich die Historische Kommission zu Berlin immer wieder eingeladen. Ich habe jahrelang die Sommermonate in Berliner Bibliotheken und Archiven verbracht, manchmal auch mit Stipendien vom DAAD oder von der Thyssen-Stiftung.

War es in Paris ein Problem, dass Sie eine Frau sind?

In Frankreich ist es für Frauen viel leichter, an der Universität Karriere zu machen. Man muss zum Beispiel nicht dauernd anwesend sein. Außerdem ist dort niemand verpflichtet, Professor zu werden. Als Maître de Conférences forscht und lehrt man selbstständig und kann nach einer Bewährungsfrist Beamter auf Lebenszeit werden.

Gab es Neid auf die Ausländerin, die in Paris Karriere macht?

Neid ist nicht das richtige Wort. Ich konnte aber zum Beispiel viel besser Deutsch als manche der Franzosen. Das haben sie nicht so gern gesehen. 1972 bin ich ja auch französische Staatsbürgerin geworden, um an der Universität bleiben zu können. Die deutsche Staatsbürgerschaft konnte ich behalten. Meine Mutter musste nur bestätigen, dass ich in Stuttgart einen zweiten Wohnsitz habe.

Was hat Sie nach München gelockt?

Das Fach und vielleicht auch die größere Freiheit in der Lehre. Die französischen Universitäten waren sehr verschult. Ich hatte die Illusion, dass man in Deutschland als Professorin fünf Monate Semesterferien hat. Fünf Monate, in denen man in Ruhe forschen kann. Daraus ist dann natürlich nichts geworden. Die Kollegen haben verdutzt geschaut, als ich ihnen im ersten Jahr „schöne Ferien“ gewünscht habe. Fachlich war die Arbeit in München aber so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Mediengeschichte und Kommunikationswissenschaft haben mich mehr interessiert als Wirtschaftsgeschichte.

Was haben Sie von der deutschen Kommunikationswissenschaft gewusst, vom Institut in München?

Kurt Koszyk (Quelle: Koszyk 1999)

Kurt Koszyk (Quelle: Koszyk 1999)

Ich kannte viele Namen. Natürlich hatte ich d’Ester und Roegele gelesen, Habermas, Dovifat, Haacke und Noelle-Neumann, Wilke, Hömberg natürlich und (immer wieder!) Kurt Koszyk. Koszyk hatte ich 1976 auch persönlich kennengelernt, auf einer Tagung in Bremen (vgl. Presse und Geschichte 1977). Seitdem sind wir befreundet. Hans Bohrmann muss ich ebenfalls erwähnen. Ich habe ihn wiederholt in Berlin getroffen. Wovon ich in Paris nichts wusste, das waren die Grabenkämpfe im deutschen Fach. Solche erbitterten Kämpfe waren mir aus der französischen Kommunikationswissenschaft nicht bekannt. Kämpfe, die persönlich werden und bis zu Prozessen gehen.

Gab es noch andere Unterschiede in der Fachkultur?

In Frankreich spielen die Nachbarfächer eine größere Rolle. Dort ist der Professor für Mediengeschichte Historiker und die Professorin für Medienrecht Juristin. Außerdem ist das ganze Gebiet viel breiter gefächert. Wenn man dort von Information et Communication spricht, dann gehören zum Beispiel auch die Archivleute dazu und die unglaublichsten Dinge, die in Deutschland gar nichts mit dem Fach zu tun haben (vgl. Averbeck-Lietz 2010).

Hatten Sie schon vor Ihrer Berufung Kontakt nach München?

Heinz Starkulla im Münchner Zeitungsarchiv (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Heinz Starkulla im Münchner Zeitungsarchiv (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Ja. Ich bin bei meiner Arbeit über die illustrierte satirische Presse Berlins im 19. Jahrhundert auf das Institut gestoßen (vgl. Koch 1991). Ich habe ein bestimmtes Witzblatt gesucht und nach München geschrieben. Die Antwort von Heinz Starkulla: Dieses eine Witzblatt haben wir zwar nicht, aber wir haben viele andere. Kommen Sie! Das war 1977/78. Ja, und dann bin ich gekommen, und Herr Starkulla hat mir die unglaublichen Schätze des d’Ester-Archivs gezeigt. Zeitschriften, Mappen mit Karikatur-Ausschnitten, viel französische Literatur. Von diesem Archiv war ich schlicht begeistert, auch wenn es damals noch völlig ungeordnet war. Mit Herrn Starkulla bin ich in Verbindung geblieben. Wir haben korrespondiert, unsere Ideen ausgetauscht. 1981 kam dann eine Münchner Gruppe zu einer Exkursion nach Paris. Hans Wagner, Heinz Starkulla. Auch Detlef Schröter, der später ein sehr enger Mitarbeiter geworden ist.

Haben Sie mit einer Berufung nach München geliebäugelt?

Nein, nie. Ich habe in Frankreich studiert, gelehrt und geforscht. Ich habe mich wohlgefühlt. Ich hatte vor, meine Karriere dort fortzusetzen. Dann ist München an mich herangetreten. Ich habe dort einen Vortrag gehalten, und dann ist die Sache erst einmal wieder eingeschlafen. Als der Ruf da war, bin ich zu einer Wahrsagerin gegangen und habe gefragt, ob ich den Schritt nach Deutschland wagen soll. Die Antwort war ausweichend. Ich musste selbst entscheiden und musste das auch schnell machen, weil das Institut in einer personellen Notlage war (vgl. Meyen/Löblich 2004) und weil man in Deutschland nicht mehr verbeamtet werden kann, wenn man älter als 52 ist. Als Angestellte wäre ich nicht nach München gegangen. Gewechselt bin ich um des Faches willen. Ich habe die Entscheidung nicht bereut, obwohl die Jahre zwischen den Fronten nicht immer einfach waren.

Was waren das für Fronten?

In München stand auf der einen Seite die Schule Wagner (vgl. Höfler/Megnin 2004), auf der anderen das Team Pürer und Stuiber. Ich war die Vierte und stand dazwischen. Dann kam noch Werner Früh. Er hat sich aber ziemlich abgesondert. Ich bedauere noch heute, dass sich dort keine kollegiale Gemeinschaft entwickelt hat. Ich war in einer unangenehmen Lage, weil ich zwischen beiden Parteien stand und manchmal auch schlichten musste.

Hat es Ihnen etwas bedeutet, auf den Lehrstuhl berufen zu werden, der auf Karl d’Ester zurückgeht und den dann knapp zweieinhalb Jahrzehnte Otto Roegele innehatte?

Dieser Lehrstuhl hat mich sehr gereizt. Karl d’Ester hat viel über Frankreich geforscht (vgl. exemplarisch d’Ester 1942) und sehr viel über das Witzblatt. Ein völlig unterschätztes Medium, bis heute. Karl d’Ester hatte selbst eine große Studie über das Witzblatt geplant, ist dann aber offensichtlich nicht dazu gekommen. Zu d’Ester habe ich sozusagen eine wissenschaftlich-verwandtschaftliche Beziehung. Otto B. Roegele hatte für seine Nachfolge eigentlich an jemand anderen gedacht. Wir haben uns freundschaftlich ab und zu getroffen. Aber mehr war da nicht.

Wer war Roegeles Favorit?

Hans Bohrmann.

Sie haben schon auf die Grabenkämpfe hingewiesen und auf das sehr viel engere Fachverständnis. Was war in München noch anders als in Paris?

Markus Behmer (im Vordergrund) mit Jeffrey Wimmer (Foto: Michael Meyen)

Markus Behmer (im Vordergrund) mit Jeffrey Wimmer (Foto: Harald Lachmann)

Viel! Das ganze Universitätsleben. Die Studierenden erschienen mir viel aufgeweckter. Sie hatten vor allen Dingen schon Forschung betrieben, spätestens in den Hauptseminaren. Dann natürlich das große Dienstzimmer. In München konnte ich mir die Stühle aussuchen, die Vorhänge, die Teppiche. Völlig neu war auch, plötzlich mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte zu haben. Hierzu gibt es in Frankreich keine Parallele. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Was mache ich mit diesen jungen Leuten? Ich habe dann versucht, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglichst viel Freiraum für ihre eigenen Forschungsinteressen zu lassen. Mir lag sehr viel daran, dass sie hier und da einen Tag in Ruhe zu Hause, in Archiven oder in Bibliotheken arbeiten können. Mir hat das persönliche Verhältnis sehr viel gebracht. Zu Klaus Arnold, Markus Behmer, Verena Blaum, Susanne Kinnebrock und Detlef Schröter habe ich noch heute freundschaftlichen Kontakt.

Welche Ziele hatten Sie, als Sie nach München kamen?

Ich wollte natürlich in dem Bereich arbeiten, der mich am meisten interessiert hat: Medien- und Kommunikationsgeschichte. Und ich wollte den Studenten vermitteln, dass dieser Bereich spannend sein kann. Sicher ist mir das nicht bei allen gelungen. Einige werden sich zu Tode gelangweilt haben. Wer aber einmal ins Archiv gegangen war und eine Zeitung in die Hand genommen hatte, der hat dann oft auch eine sehr schöne Magister- oder Diplomarbeit geschrieben. In manchen Semestern hatte ich 20 und mehr Examenskandidaten (vgl. Behmer 2000: 397-412).

Was antworten Sie jemandem, der Ihnen vorwirft, vor allem deskriptive historische Untersuchungen vorgelegt zu haben?

Auf welche Arbeiten soll sich das beziehen?

Zum Beispiel auf den Teufel in Berlin (vgl. Koch 1991).

Dieses Buch ist das Ergebnis von zehn Jahren historischer Quellenarbeit in Archiven und Bibliotheken. Mir ging es darum, die verschiedenen satirischen Zeitschriften aus Berlin überhaupt erst einmal aufzuspüren, diese Blätter inhaltlich zu erschließen und in ihrem politischen und publizistischen Kontext darzustellen. Ich habe jede einzelne Nummer durchgesehen. Es waren Tausende. Nur so habe ich Entwicklungslinien zeichnen und schließlich etwas über die Entstehung von Stereotypen und Nationenbildern sagen können. Es gibt in dieser Untersuchung auch quantitative Elemente und Aussagen zu den Lesern und zur Wirkung, auch wenn man Tote nicht mehr befragen kann. Einem Forscher vorzuwerfen, diese oder jene Methode anzuwenden, erscheint mir nicht mehr zeitgemäß.

Sehen Sie im Vergleich mit Kommunikationshistorikern wie Jürgen Wilke mehr Gemeinsamkeiten oder mehr Unterschiede?

An Wilkes Mediengeschichte (Wilke 2000) sehe ich, dass unsere Vorlesungen ganz ähnlich aufgebaut waren. Es gibt also eine gewisse Verwandtschaft. Andererseits würde ich mich nicht mit Stichproben zufriedengeben, um zu untersuchen, ob sich die Zusammensetzung der Nachrichten verändert hat (vgl. Wilke 1984), weil man auf diese Weise wesentliche Dinge übersehen kann.

Wenn es Frauen in Frankreich an den Universitäten leichter haben: Haben Sie in Deutschland Nachteile gespürt?

Nein, eigentlich nicht. Ich war ja nicht die erste Professorin im Fach. In den Sitzungen der Fakultät war ich zwar am Anfang die einzige Frau, aber ich bin dort sehr freundlich aufgenommen worden. Das Problem war eher, dass ich aus einem völlig anderen Umfeld kam, wissenschaftlich und universitär. Ein Kollege hat einmal zu mir gesagt, dass ich überhaupt nichts verstehen würde. Ich war noch zu schüchtern, um ihn einfach nach Paris einzuladen. Dort hätte er dann „überhaupt nichts“ verstanden.

Hat man als Professorin Zeit für ein Privatleben, Zeit für Kinder?

Die Münchner Jahre waren eigentlich nur Arbeit. Wenn man allein an diesen enormen Studentenberg denkt. Als ich hierher kam, gab es am Institut 2200 Studenten. Diese Zustände kann man sich gar nicht mehr vorstellen. In den Seminaren saßen die Leute teilweise auf dem Boden. Selbst im Forschungsfreisemester lief das Kandidatenseminar weiter. Das Korrigieren der Abschlussarbeiten natürlich auch. In Paris hatte ich mehr Zeit für mich selbst. Meine Tochter ist schon 1959 während meiner kurzen Ehe geboren worden und war zum Glück schon lange selbstständig, als ich nach München gegangen bin. Ich freue mich über jede Akademikerin, der es in Deutschland gelingt, Karriere und Familie miteinander zu vereinbaren.

Sie haben sich mit den französischen Medien beschäftigt, deutsch-französische Veranstaltungen organisiert, über Witzblätter geschrieben, über Satire. Sie haben Ausstellungen zu diesen Themen veranstaltet. Sowohl die Gegenstände als auch die Publikationsform Ausstellung waren (und sind) im Fach eher ungewöhnlich. Haben Sie sich als Außenseiterin gefühlt?

Pierre-Paul Sagave (links), Ursula E. Koch und Christian Rouyer (französischer Konsul) am 1. Februar 2000 in der Résidence de France in München (Quelle: Privatarchiv Ursula E. Koch)

Pierre-Paul Sagave (links), Ursula E. Koch und Christian Rouyer (französischer Konsul) am 1. Februar 2000 in der Résidence de France in München (Quelle: Privatarchiv Ursula E. Koch)

Nicht als Außenseiterin, nein. Es muss ja nicht jeder im Mainstream schwimmen. Mit den Ausstellungen habe ich nach jahrelangen Recherchen Ende der 1980er-Jahre begonnen, zunächst in Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Institut für Zeitungsforschung. Als Erstes entstanden die Wanderausstellungen über den Pariser und Berliner Karikaturenkrieg zwischen 1848 und 1890 (Koch 1990) und über die Karikaturen der Bismarckzeit (Koch 1991). Eine vorzügliche Gelegenheit, das Institut nach außen darzustellen. Das gilt auch für die Wanderausstellung zum 100. Geburtstag des Simplicissimus, die am Lehrstuhl gemeinsam erarbeitet wurde, zusammen mit Markus Behmer, Susanne Kinnebrock und einem Forschungsseminar (vgl. Koch/Behmer 1996). Diese Ausstellung ist drei Monate lang im Hauptgebäude der Münchner Universität gezeigt worden und dann durch ganz Bayern gewandert, mit einem enormen Presse-Echo. Man hat von unserem Institut gesprochen. Mein Glanzstück ist sicher der politische Reigen Marianne und Germania in der Karikatur. Ein Längs- und Querschnitt durch vier, fünf Jahrhunderte: Deutschland und Frankreich, Selbstbild und Fremdbild, Freund- und Feindbild im politischen und publizistischen Kontext. Diese Ausstellung war zunächst Bestandteil der Berliner Festspiele 1996. Anschließend habe ich sie mithilfe von Pierre-Paul Sagave für die Goethe-Institute und für die französischen Kulturinstitute neu konzipiert (vgl. Koch/Sagave 1999). Im März 2000 war sie beispielsweise im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München zu sehen und im Mai 2002 in Südfrankreich. Es gibt sie immer noch. Das halte ich für einen schönen Erfolg, für einen schönen persönlichen Erfolg.

Haben Sie dafür von den Kollegen Anerkennung bekommen?

Von den meisten Kollegen, glaube ich, ja. Bei den Vernissagen haben die Institutsmitglieder immer fröhlich mitgefeiert. Eine Mitarbeiterin hat allerdings einmal gesagt, ein paar Bilder aufhängen, das könne ja jeder. Sie kannte offenbar die wissenschaftlichen Vorarbeiten für eine solche Veranstaltung nicht.

Wie haben Sie die Ausstellungen finanziert?

Manchmal musste man wirklich mit der Sparbüchse herumgehen. Bei der Simplicissimus-Ausstellung hat am Ende sogar das Münchner Lokal Alter Simpl ein paar Sektflaschen spendiert. Das Geld kam bei dieser Ausstellung vom Kultusministerium, von der Universität und ihrer Fördergesellschaft, von den Zeitungsverlegern, vom Journalistenverband. Es hat immer geklappt, Quellen anzuzapfen, auch wenn es manchmal nicht leicht war.

Haben Sie bewusst die öffentliche Reputation gesucht, vielleicht als Ausgleich für die Anerkennung, die Ihnen die Kollegen im Institut versagt haben?

Das könnte eine Rolle gespielt haben. Vielleicht habe ich mich dadurch noch mehr mit Frankreich beschäftigt, als ich es ohnehin getan hätte. Das französische Unterrichtsministerium hat dieses Engagement belohnt. 1989 bin ich „Chevalier“ geworden und 2000 „Commandeur dans l’Ordre des Palmes Académiques“.

Wo sehen Sie Ihre Position in der Kommunikationswissenschaft?

Martin Loiperdinger (Foto: privat)

Martin Loiperdinger (Foto: )

Ich bin immer Grenzgängerin geblieben. Ich habe versucht, die Ideen der deutschen Kommunikationswissenschaft nach Frankreich zu vermitteln und umgekehrt. Ich habe mich mit den französischen Kollegen und Kolleginnen auseinandergesetzt, und ich hatte das große Glück, in München Mitarbeiter zu haben, mit denen ich vergleichende Forschung betreiben konnte. Detlef Schröter zum Beispiel, der nicht nur die französische Sprache beherrscht, sondern ganz entscheidend geholfen hat, die fünf deutsch-französischen Medienkolloquien zu organisieren, die wir 1989 bis 1998 zusammen mit der Universität Paris II veranstaltet haben. Oder Martin Loiperdinger, der die Kinoentwicklung in Deutschland und Frankreich verglichen hat. Der Vergleich war für mich immer ganz wichtig. Erst wenn man vergleicht, kann man Gesetzmäßigkeiten und Eigentümlichkeiten feststellen.

Gibt es Wissenschaftler, die für Sie Vorbild waren?

Neben Pierre-Paul Sagave Kurt Koszyk, das versteht sich von selbst. Uns hat das Interesse für die Geschichte der deutschen Presse verbunden, auch wenn ich manchmal andere Schwerpunkte gesetzt habe. Vorbild für die Historiografie der französischen Presse ist Pierre Albert. Für meine Dissertation über die Berliner Presse war Jacques Kayser wichtig (vgl. Kayser 1963). Und dann möchte ich vielleicht noch Rolf Reichardt nennen, einen Meister der Diskurs- und Bildanalyse.

Im Rückblick betrachtet: Wären Sie lieber auf einen anderen Lehrstuhl berufen worden? In Deutschland, in Frankreich?

Allenfalls auf einen Lehrstuhl in Berlin, weil in Berlin meine wichtigsten Forschungsstätten sind. Aber sonst? Die indirekte Nachfolge von Karl d’Ester und dann natürlich die direkte von Roegele, nein, etwas Besseres kann ich mir auch im Rückblick nicht vorstellen.

Was bleibt von Ursula Koch in der Kommunikationswissenschaft? Was sollte bleiben, wenn Sie darauf Einfluss hätten?

Mein Versuch, wissenschaftliche Ansätze zu integrieren und zu vermitteln. Meine, gemessen an der Zahl und an der Qualität der Abschlussarbeiten, nicht erfolglosen Bemühungen, junge Menschen für Kommunikations- und Mediengeschichte zu begeistern. Die Erinnerung an die Grenzgängerin zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Frankreich-Orientierung, das muss ich zu meiner Freude sagen, hat zumindest bei meinen Studierenden stets großen Anklang gefunden. Bleiben sollte, wenn ich darauf Einfluss hätte, auch die Beschäftigung mit der politischen Karikatur. Dieser Gegenstand hat schon Karl d’Ester fasziniert.

Literaturangaben

  • Stefanie Averbeck-Lietz: Kommunikationstheorien in Frankreich. Berlin: Avinus 2010.
  • Karl d’Ester: Die Presse Frankreichs im eigenen Urteil. 1540-1940. Stuttgart: Kohlhammer 1942.
  • Markus Behmer (Hrsg.): Deutsche Publizistik im Exil. 1933 bis 1945. Personen, Positionen, Perspektiven. Festschrift für Ursula E. Koch. Münster: Lit 2000.
  • Barbara Höfler/Manuel Megnin: Von den Erstlingen zum Communichator analog. Institutsgeschehen im Spiegel der Studentenzeitschriften. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 330-360.
  • Jacques Kayser: Le Quotidien francais. Paris: A. Colin 1963.
  • Ursula Koch: Berliner Presse und europäisches Geschehen 1871. Berlin: Colloquium 1978.
  • Ursula Koch: Voisins et Ennemis. La Guerre des caricatures entre Paris et Berlin (1848-1890). Katalog zur Ausstellung. München 1990.
  • Ursula Koch: Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustrierte politische Wochenblätter einer Metropole 1848-1890. Köln: Leske 1991.
  • Ursula Koch/Markus Behmer (Hrsg.): Grobe Wahrheiten – Wahre Grobheiten. Feine Striche – Scharfe Striche. Simplicissimus, Jugend und andere Karkikaturen-Journale der Münchener Belle-Epoque als Spiegel und Zerrspiegel der kleinen wie der großen Welt. München: R. Fischer 1996.
  • Ursula Koch/Pierre-Paul Sagave (Hrsg.): Marianne und Germania in der Karikatur (1550-1999). Leipzig: Institut Français 1999.
  • Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004.
  • Michael Meyen/Maria Löblich: „Ich habe dieses Fach erfunden”. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007.
  • Presse und Geschichte: Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung. Referate einer internationalen Fachkonferenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Presseforschung, Universität Bremen, 5.-8. Oktober 1976 in Bremen. München: Verlag Dokumentation, Saur 1977.
  • Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Köln: Böhlau 2000.

Empfohlene Zitierweise

    Ursula E. Koch: Zwischen Deutschland und Frankreich vermitteln. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/frankreich-koch/ ‎(Datum des Zugriffs).