Karl d'Ester (Quelle: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung München)
Karl d'Ester (Quelle: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung München)

Karl d’Ester

11. Dezember 1881 bis 31. Mai 1960

Lexikoneintrag von Ingrid Klausing am 4. Februar 2015

Karl d’Ester gehört zu den Gründervätern der Zeitungswissenschaft in Deutschland. Er hatte an der Universität München den ersten planmäßigen Lehrstuhl der Disziplin inne und stand drei Jahrzehnte an der Spitze des dortigen Instituts. Nach 1945 vermochte er dem Fach aber keine neuen Impulse mehr zu geben.

Stationen

Geboren in Vallendar am Rhein. Vater Kaufmann, katholisch. Besuch des Gymnasiums in Koblenz. 1902 bis 1906 Studium der Philosophie, Altphilologie, Germanistik, Theologie und Geografie in München, Wien und Münster. 1906 Promotion in Münster bei Julius Schwering. 1907 bis 1909 Ausbildung für das höhere Lehramt. 1909 zweites Staatsexamen. 1909 bis 1919 Schuldienst am Realgymnasium in Hörde. 1919 Habilitation in Münster bei Aloys Meister. 1919 bis 1924 Privatdozent, seit 1923 außerordentlicher Professor mit der Lehrbefugnis für Historische Zeitungskunde und Geschichte der öffentlichen Meinung in Münster sowie dort Studienrat. 1924 Ruf nach München auf die neu gegründete Professur für Zeitungswissenschaft als außerordentlicher Professor und Vorstand des Instituts für Zeitungswissenschaft. 1934 Ordinarius in München. Dezember 1945 Entlassung auf Weisung der amerikanischen Militärregierung. September 1947 endgültige Wiedereinstellung nach entlastendem Spruchkammerbescheid. 1952 Emeritierung, bis 1954 kommissarische Institutsleitung. 1956 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, 1959 Bayerischer Verdienstorden. Gestorben in Aurach-Fischbachau. Nicht verheiratet, eine Adoptivtochter. Nachlass im Institut für Zeitungsforschung in Dortmund.

Publikationen

  • Das Zeitungswesen in Westfalen von den ersten Anfängen bis zum Jahre 1813. In seiner geschichtlichen Entwicklung und kulturellen Bedeutung dargestellt. Münster: Schöningh 1907 (Dissertation).
  • Zeitungswesen. Breslau: Hirt 1928.
  • Das politische Elysium oder die Gespräche der Todten am Rhein. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Presse und des deutschen Gedankens am Rhein. 2 Bände. Neuwied: Strüder 1936/1937 (= Zeitung und Leben 30 und 31).
  • Karl d’Ester. Auswahl der publizistikwissenschaftlichen Schriften. Bochum: Brockmeyer 1984 (herausgegeben von Wilhelm Klutentreter).
  • Zeitungswissenschaft. Monatsschrift für internationale Zeitungsforschung 1. Jg. (1926) bis 19. Jg. (1944) (herausgegeben mit Walther Heide).
  • Zeitung und Leben. Bd. 1. 1928 bis 94. 1943 bei wechselnden Verlagen (Schriftenreihe).

Karl d’Ester gehörte neben Erich Everth und Emil Dovifat zu den Gründervätern der Zeitungswissenschaft in Deutschland (vgl. Meyen 2007: 21-23). Er hatte seit 1924 den ersten planmäßig errichteten Lehrstuhl des Fachs inne (vgl. Roegele 1974: 321) und leitete das dazugehörige Institut an der Universität München mit einer kurzen Unterbrechung 30 Jahre lang. D‘Esters Verdienste werden in seinem fast lebenslangen Bemühen um die Institutionalisierung der Disziplin gesehen, seinem „Kampf um die Zeitungswissenschaft“ (d’Ester 1951: 210), den er in zwei autobiografischen Werken geschildert hat (vgl. d’Ester 1951, 1957, Bohrmann/Kutsch 1981: 596, Stöber 2004: 27).

Seit seiner Dissertation bei dem Literaturhistoriker Schwering galt d’Esters Interesse der Pressegeschichte. Neben seinem Beruf als Gymnasiallehrer beteiligte er sich mit Erich Schulz am Aufbau des zeitungswissenschaftlichen Bestandes der Dortmunder Stadtbibliothek, habilitierte sich mit der unveröffentlicht gebliebenen Arbeit über Die rheinische Presse unter französischer Herrschaft 1779-1814 und war als Dozent an der Universität Münster tätig. Nachdem er es Anfang 1921 noch abgelehnt hatte, die Nachfolge Karl Büchers in Leipzig zu übernehmen, folgte er dem Ruf an das neu gegründete Institut für Zeitungswissenschaft an der Universität München (vgl. Roegele 1974, Bohrmann/Kutsch 1981: 576-577, Kutsch 2002). Für den Aufbau des Instituts standen d’Ester spärliche Ressourcen zur Verfügung, auch bestanden an der Universität Vorbehalte gegen die neue Disziplin. Die Ausstattung war verglichen mit anderen Einrichtungen des Fachs schlecht und der Betrieb nur durch d‘Esters private Sammlung von pressehistorischem Material, sein persönliches (und zum Teil finanzielles) Engagement sowie die engen Beziehungen zur Pressepraxis und die Mithilfe der Studierenden gewährleistet (vgl. Meyen/Löblich 2006: 55-57). Mit der Herausgabe der ersten Fachzeitschrift Zeitungswissenschaft gelang ihm gleichwohl zusammen mit seinem Freund Walther Heide ein wesentlicher Schritt für die Institutionalisierung der Disziplin. In den späten 1920er-Jahren war d’Ester dank einer regen Öffentlichkeitsarbeit, deren Höhepunkt die maßgebliche Mitarbeit an der Internationalen Presse-Ausstellung (PRESSA) in Köln 1928 darstellte, der bekannteste deutsche Zeitungswissenschaftler und befand sich auf dem Gipfel seiner Bedeutung (vgl. Bohrmann/Kutsch 1981: 580-582, Stöber 2002: 68).

Karl d'Ester 1935 (Quelle: Beilage Nachrichtenblatt der ZVM Nr. 1/12, 1935, Auch ein Bericht … von unserem Zeichner Hanns Wiedmann)

Karl d’Ester 1935 (Quelle: Beilage Nachrichtenblatt der ZVM Nr. 1/12, 1935, Auch ein Bericht … von unserem Zeichner Hanns Wiedmann)

Die Aufwertung der Zeitungswissenschaft und seines Instituts durch die Nationalsozialisten begrüßte Karl d’Ester (1934) genauso, wie er schließlich der Beschränkung des Fachs auf das Medium Presse Folge leistete. Trotz einiger Kompromisse, als eklatantes Beispiel gilt die Mitgestaltung der Ausstellung „Der Ewige Jude“, hielt d’Ester an seiner katholisch-konservativen Einstellung fest. Dennoch war er für die Besatzungsbehörden durch seine Tätigkeit im Dritten Reich belastet. Seine zeitweilige Dienstenthebung traf ihn unerwartet, er selbst sah sich im Nachhinein als Gegner der Nationalsozialisten (vgl. d’Ester 1957: 64-66). Das Institut für Zeitungswissenschaft konnte schließlich weiter unter seiner Leitung betrieben werden, allerdings gelang d‘Ester keine neue Ausrichtung der Disziplin mehr (vgl. Bohrmann 2002). Die wissenschaftlichen Ergebnisse aus München wurden vorwiegend im Rahmen von Dissertationen erarbeitet. D’Ester promovierte bis 1960 fast 400 Doktoranden, was innerhalb der Universität die Skepsis gegen das Fach verstärkte und seinem wissenschaftlichen Ruf schadete (vgl. Meyen 2014 sowie ausführlich Klausing 2014).

Zeitungsbaum (d'Ester 1928: 11)

Zeitungsbaum (d’Ester 1928: 11)

D’Esters Beitrag zur theoretischen und methodischen Fundierung der Zeitungswissenschaft wird kontrovers gesehen. Er selbst war der Ansicht, die Zeitungswissenschaft müsse sich zunächst ein Fundament erarbeiten und könne sich theoretischen Fragen erst widmen, nachdem einzelne Objekte gesammelt, beschrieben und historisch erforscht worden seien (vgl. d’Ester 1928: 127-128). Viele Zeitgenossen und Schüler verehrten ihn als Pionier, dessen Handschrift das Erscheinungsbild der Zeitungswissenschaft maßgeblich geprägt habe (vgl. N.N. 1931, Starkulla/Wagner 1981: I). Die Nachfolger im Münchner Institut knüpften an d‘Esters Theorieperspektive an, die er an seinem „Zeitungsbaum“ illustriert hatte, und fanden darin alle Erscheinungsformen des Nachrichtenverkehrs „in allen Zeiten und Gesellschaften als Gegenstand der Zeitungswissenschaft“ repräsentiert (Starkulla/Wagner 1981: IV). Von anderer Seite wird darauf hingewiesen, dass sich d’Esters wissenschaftliches Interesse auf die Pressegeschichte beschränkte und er kein größeres theoretisches Werk verfasste. Vielmehr sei seine Tätigkeit von seiner Sammelleidenschaft überlagert gewesen (vgl. Bohrmann/Kutsch 1981: 576-597). Jüngere Forschungen sehen das zentrale Anliegen der Gründergeneration der Zeitungswissenschaftler in der Etablierung der Disziplin an den Universitäten. Diese gelang auch d‘Ester, indem er für sein Ziel in der Öffentlichkeit eintrat, wobei auch persönliches Prestige und Prominenz eine Rolle spielten (vgl. Lacasa 2009: 109). „Stets tätig werbend mit Wort und Schrift für seine Sache“, sei der Münchner Ordinarius gewesen und habe eine weitreichende Wirkung entfaltet, so Hans Jessen in seinem Nachruf (1960: 398).

Umschlag „Schwarz auf Weiß“ nach einem Gemälde von Ernst Maria Fischer

Umschlag „Schwarz auf Weiß“ nach einem Gemälde von Ernst Maria Fischer

Karl d’Ester, der aus einer angesehenen rheinländischen Familie stammte, wird vielfach als freundlicher, gutmütiger und hilfsbereiter Mensch geschildert. Seine Sorge habe den Studenten gegolten, an die er seine Begeisterung für das Fach weitergab und die ihn später dankbar verehrten (d’Ester 1957: 167-173, vgl. Dovifat 1960). Er pflegte ein großes Netzwerk, hielt Vorträge, veranstaltete Ausstellungen und publizierte über die Zeitungswissenschaft hinaus. Seine Sammlung, die neben Büchern, Zeitungen, Zeitschriften auch Karten, Dias, Filme sowie unzählige Zeitungsausschnitte umfasste, trug zu seiner Bekanntheit bei und d’Ester wurde nicht müde, für eine Aufbewahrung in einem eigenen Pressemuseum zu werben, was ihm versagt blieb. An runden Geburtstagen wurde er mit Festschriften bedacht und für seine Lebensleistung erhielt er zahlreiche öffentliche Ehrungen (vgl. d’Ester 1951, 1957, Klutentreter 1952: 74-95). Sein Nachfolger am Münchner Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft wurde 1954 Hanns Braun.

Literaturangaben

  • Hans Bohrmann: Als der Krieg zu Ende war. Von der Zeitungswissenschaft zur Publizistik. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 12-33.
  • Hans Bohrmann/Arnulf Kutsch: Karl d’Ester (1881-1960). Anmerkungen aus Anlaß seines 100. Geburtstages. In: Publizistik 26. Jg. (1981), S. 575-603.
  • Emil Dovifat: Karl d’Ester †. In: Publizistik 5. Jg. (1960), S. 177-178.
  • Karl d’Ester: Zeitungswesen. Breslau: Hirt 1928.
  • Karl d’Ester: Was ist Zeitungswissenschaft? Zeitungswissenschaft als Faktor der politischen Erziehung. In: Zeitungswissenschaft 9. Jg. (1934), S. 2-12.
  • Karl d’Ester: Schwarz auf Weiß. Ein Leben für die Jugend, die Wissenschaft und die Presse. München Pohl 1951.
  • Karl d’Ester: Der Traum eines Lebens. Ein deutsches Institut für internationale Presseforschung und ein Weltpressemuseum. Ingolstadt: Donau Kurier 1957.
  • Hans Jessen: Traum eines Lebens. Gedenkwort für Professor Dr. Karl d’Ester, München. In: International Communication Gazette 6. Jg. (1960), S. 397-398.
  • Ingrid Klausing: Dissertationen in München. Eine Bibliografie. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014.
  • Wilhelm Klutentreter (Hrsg.): Beiträge zur Zeitungswissenschaft. Festgabe für Karl d’Ester. Zum 70. Geburtstage von seinen Freunden und Schülern. Münster: Aschendorff 1952.
  • Arnulf Kutsch: Zum Verhältnis zwischen Karl Bücher und Karl d’Ester. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Zeitungswissenschaft in Deutschland. In: Ute Nawratil/Philomen Schönhagen/Heinz Starkulla (Hrsg.): Medien und Mittler sozialer Kommunikation. Beiträge zu Theorie, Geschichte und Kritik von Journalismus und Publizistik. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2002, S. 125-153.
  • Ivan Lacasa: Potenziale und performative Ziele. Ein Vorschlag zur Verfeinerung der kommunikationswissenschaftlichen Geschichtsschreibung am Beispiel der Gründergeneration der Zeitungswissenschaft. In: Stefanie Averbeck-Lietz/Petra Klein/Michael Meyen (Hrsg.): Historische und systematische Kommunikationswissenschaft. Festschrift für Arnulf Kutsch. Bremen: edition lumière 2009, S. 181-196.
  • Michael Meyen: Geschichte der Kommunikationswissenschaft als Generationsgeschichte. Über den Einfluss prägender Lebenserfahrungen der zentralen Akteure auf die Entwicklung einer akademischen Disziplin im deutschsprachigen Raum. In: Studies in Communication Sciences 7. Jg. (2007), S. 11-37.
  • Michael Meyen: Die Doktorfabrik: Promovieren in München. Feature. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann: Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014.
  • Michael Meyen/Maria Löblich: Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland. Konstanz: UVK 2006.
  • N.N.: Karl d’Ester zum 50. Geburtstag von Freunden, Kollegen und Schülern. Sonderheft Zeitungswissenschaft 6. Jg. (1931), Nr. 6.
  • Otto B. Roegele: Hochschule, Praxis und Journalistenausbildung. Zur Geschichte der Gründung des Münchner Instituts für Zeitungswissenschaft. In: Publizistik 19. Jg. (1974), S. 316-323.
  • Heinz Starkulla/Hans Wagner (Hrsg.): Karl d’Ester. 1881-1960. Professor für Zeitungswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1924-1954. Passau: Neue Presse 1981.
  • Rudolf Stöber: Emil Dovifat, Karl d’Ester und Walter Hagemann. Die Wiederbegründung der Publizistik in Deutschland nach 1945. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 67-84.
  • Rudolf Stöber: Karl d’Ester und die Frühgeschichte der deutschen Presse. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 20-27.

Weiterführende Literatur

  • Hans Bohrmann: Wie drei Freunde die Kontroversen über den Gegenstand und die Methoden des Faches zu ihren Gunsten entschieden. Ein Beitrag zum Institutionalisierungsprozess der Zeitungswissenschaft. In: Stefanie Averbeck-Lietz/Petra Klein/Michael Meyen (Hrsg.): Historische und systematische Kommunikationswissenschaft. Festschrift für Arnulf Kutsch. Bremen: edition lumière 2009, S. 137-156.
  • Ivan Lacasa: Zeitungswissenschaft als publizistische Aktion. Karl d’Ester, Emil Dovifat, Erich Everth. In: Medien & Zeit 23. Jg. (2008), Nr. 4, S. 4-8.
  • N.N.: d‘Ester, Karl (Maria). In: Wilhelm Kosch (Hrsg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert. Bd. 8. Berlin: de Gruyter 2005, S. 99-102.

Weblinks

  • Wikipedia-Eintrag
  • 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Eine Ausstellung am IfKW

Empfohlene Zitierweise

    Ingrid Klausing: Karl d’Ester. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/karl-dester/ (Datum des Zugriffs)