Die inhaltliche Wende

Gabriel Wonn vergleicht die „Einführung in die journalistische Methodik“ von 1985 mit einem Lehrbuch, das unter dem Einfluss von Glasnost und Perestroika entstand, aber nicht mehr gedruckt wurde.


Ein Beitrag von Gabriel Wonn

1. Einleitung

Begreift man die Wende als einen gesellschaftlichen Transformationsprozess, in dem sich eher die Ostbevölkerung dem Westen annäherte als umgekehrt, dann stellt sich die Frage, inwieweit dies auch auf die Wissenschaft als Teil dieser Gesellschaft zutrifft. Dies meint nicht die strukturellen Veränderungen, die gerade auch in Kommunikationswissenschaft und Journalistik im Zuge der Vereinigung vollzogen wurden (vgl. Meyen 2015). Zu fragen ist vielmehr, ob sich die Veränderung des politischen Klimas ab dem Herbst 1989 bereits zuvor in den Forschungs- bzw. Lehrinhalten niederschlug. Gab es eine inhaltliche Wende, bevor die sächsische Regierung am 11. Dezember 1990 beschloss, die Sektion Journalistik abzuwickeln? Dieser Beitrag, der sich auf meine Bachelorarbeit stützt, rekonstruiert mithilfe einer Diskursanalyse nach Foucault (1981) den Ausbildungsdiskurs in der DDR-Journalistik und sucht dabei gezielt nach Veränderungen in der Wendezeit. Materialbasis sind dabei zwei Lehrbücher, von denen eins gedruckt und in Seminaren eingesetzt wurde und eins nicht.

Damit sind bereits die wichtigsten Einschränkungen für die Reichweite der Analyse genannt. Untersucht wurden das Lehrbuch „Einführung in die journalistische Methodik“, das 1985 mit einem Hardcover-Einband erschien und 1988 unverändert in einer zweiten Auflage gedruckt wurde, sowie ein Manuskript, das dieses Lehrbuch ersetzen sollte. Die (unfertige) Fassung trug den Titel „Redakteur und Reporter. Methodik der beruflichen Tätigkeit des sozialistischen Journalisten“ und hat mehr als zwei Jahrzehnte bei Karl-Heinz Röhr in Leipzig gelegen, der das Autorenkollektiv geleitet hat (vgl. Autorenkollektiv 1985, Röhr 1990).

Zweitauflage des Methodik-Lehrbuchs von 1988 (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut)

Beide Bücher können nur sehr bedingt stellvertretend für die gesamte Ausbildung an der Sektion Journalistik stehen. Der Bereich „Methodik“ war zwar schon wegen seiner starken Fixierung auf die handwerklichen Aspekte des Berufs (journalistischer Arbeitsprozess, Genretheorie, Recherchieren, Redigieren) aus dem Leipziger Konzept nicht wegzudenken, daneben gab es aber andere Fächer, die zumindest aus Sicht ihrer Vertreter und auch vieler Absolventen eine ähnlich große Bedeutung hatten. Je nach Perspektive sind hier die Stilistik zu nennen (journalistischer Sprachgebrauch), die Pressegeschichte, der Bereich Theorien öffentlicher Kommunikation, Medienpolitik, Psychologie oder Logik. Hans Poerschke zum Beispiel hat in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ganz ähnlich wie das Autorenkollektiv um Karl-Heinz Röhr an einem Lehrbuch zur Position des Journalismus in der Gesellschaft gearbeitet und wichtige Vorarbeiten im Kontext der Sektion Journalistik auch publiziert und so für Lehrveranstaltungen verfügbar gemacht (vgl. Poerschke 1988/89). Neben diesen Drucken gab es eine ganze Reihe von Lehrheften, Lehrbriefen, Übungsheften und Leitfäden, die größtenteils im Eigenverlag der Sektion Journalistik veröffentlicht wurden und eine wichtige Quelle für jede systematische Untersuchung der akademischen Journalistenausbildung in der DDR sein müssen.

Dieser Beitrag stützt sich auf eine Bachelorarbeit, für die in der Prüfungsordnung eine Bearbeitungszeit von zehn Wochen vorgesehen war (vgl. Wonn 2018a) und bei der es um einen Vergleich der Ausbildungsdiskurse in der DDR und in der Bundesrepublik der Gegenwart ging. Dies erklärt zum einen, warum der Kern der beiden untersuchten Leipziger Lehrbücher (in den Worten von Karl-Heinz Röhr mit Blick auf sein unvollendetes Manuskript: „pädagogische Handlungshinweise für die Anfertigung von Übungen und journalistischen Beiträgen, ein praxisbezogenes Buch“, Mail vom 30. März 2020) nur summarisch erfasst wird und warum sich der Beitrag stattdessen auf das Gesellschafts- und Journalismusbild konzentriert, das von den Leipziger Ausbildern konstruiert wird. Zum anderen sollte damit klar sein, dass dieser Beitrag selbst für das Fach „Journalistische Methodik“ keine auch nur ansatzweise vollständige Analyse von Lehrkonzept und Lehrmaterial ersetzen kann.

Die Relevanz des Beitrags und die Legitimation für seinen engen Fokus ergeben sich direkt aus dem Untersuchungsdesign. Die „Einführung in die journalistische Methodik“ (Autorenkollektiv 1985) steht für das, was an der Sektion Journalistik vor Gorbatschow möglich war und gedacht wurde. Die Entscheidung, so kurz nach dem Erscheinen eines Standardwerks keine Überarbeitung im Detail vorzunehmen, sondern sich an eine grundlegende Neukonzeption zu machen, lässt sich leicht mit den Impulsen erklären, die aus Moskau kamen und die Debatten der DDR-Eliten sehr schnell prägten und veränderten. Mit dem Schlagwort „Glasnost“ (Transparenz, Offenheit) waren Medien und Journalismus direkt angesprochen. Der Vergleich des Lehrbuchs von 1985 mit dem ungedruckten Manuskript, für das im März 1989 ein ausführliches Exposee mit dem Abgabetermin 15. November 1989 vorlag und das hier als „Röhr 1990“ zitiert wird, erlaubt es, diesem Diskussionsprozess wenigstens ansatzweise nachzuspüren und den Ausbildungsdiskurs auf politische und historische Einflüsse abzuklopfen.

Karl-Heinz Röhr selbst hat schon vor einem Vierteljahrhundert vermutet, dass eine Zeit kommen wird, in der man sich ohne Vorurteile mit dem Erbe der Leipziger Journalistik auseinandersetzen kann. Der „Versuch einer Verbindung von akademisch theoretischer Ausbildung in einem Kommunikationsberuf mit der Entwicklung von praktischen Fertigkeiten“, so Röhr damals, habe mit Sicherheit etwas hinterlassen, von dem jede Journalistenschule zehren könne (vgl. Röhr in diesem Feature). Das führt direkt zur Relevanz des vorliegenden Beitrags. Die Konzepte der Leipziger Journalistik sind im Zuge der Abwicklung ebenfalls vollständig abgewickelt und anschließend kaum untersucht worden (vgl. Meyen 2015). Schon alleine aus fachhistorischer Sicht ist hier eine Lücke zu füllen. Weitaus wichtiger aber ist der zweite Grund: Das heutige Fach kann aus der Beschäftigung mit der DDR-Journalistik lernen und praktischen Nutzen ziehen. Zum einen besteht hier eine besondere Möglichkeit zur Selbstreflexion, zum anderen baut der DDR-Diskurs auf einem Ausbildungsverständnis auf, das dem Fach im Westen zu größten Teilen abhandengekommen ist. Eine Rückbesinnung würde für Absolventen aber gerade auch im heutigen Mediensystem definitiv Vorteile bieten.

2. Akademische Journalistenausbildung in der DDR

Um dieses Ausbildungsverständnis skizzieren zu können, muss ein Blick auf das Wesen der DDR-Journalistik geworfen werden. 1950, kurz nach der Gründung des Landes, beklagte die SED bereits einen „Mangel an ausgebildetem journalistischem Nachwuchs“ (Schmidt 2017). Als die Leipziger Einrichtung ins Leben gerufen wurde, hatte sie somit einen direkten Auftrag: akademische Journalistenausbildung. Diese Grundausrichtung blieb bis zur Abwicklung der inzwischen zur Sektion Journalistik reorganisierten Einrichtung (vgl. Pürer 2017) das Leitmotiv. Karl-Heinz Röhr (2015): „Ausbildung war das A und O.“ Es ist daher unmöglich, die Ausbildungsinhalte der DDR-Journalistik losgelöst von den politischen Rahmenbedingungen zu betrachten. „Journalistik als Wissenschaft war unter den Bedingungen der DDR vom Journalismus als praktische Tätigkeit abhängig, mit ihm durch vielfache Bande verknüpft. Journalismus aber wurde in der DDR als Führungsinstrument der SED definiert, als jenes Führungsmittel, durch das sich die Partei den Massen artikuliert. Dieser Journalismus-Anspruch und das aus ihm resultierende Journalismus-Konzept beeinflussten maßgeblich die Profilierung dieser Wissenschaft“ (Schmidt 2017).

Diskussion an der Sektion Journalistik 1990. Hans Poerschke (links) und Klaus Preisigke. Im Hintergrund: Günther Rager (Quelle: Privatarchiv Klaus Preisigke).

Ob es sich bei der Leipziger Einrichtung deshalb gleich um eine „Stasi-Kaderschmiede“ handelte (Klump 1991), ist umstritten (vgl. Meyen 2017, Röhr 2015). Dass das Rote Kloster (vgl. Poerschke 2015, Meyen 2017) generell dennoch dem „Primat der Politik untergeordnet“ (Meyen 2015) bzw. indirekt der Abteilung Agitation des ZK unterstellt war, wirft die Frage auf, wie sich ein Diskurs entwickelt, der von außen das Ziel gesetzt bekommt, mittels „sozialistische[r] Erziehung (…) besonders treue Parteijournalisten“ auszubilden (Röhr 2015). Wenn eine Lehreinrichtung sich weniger der theoretischen Fundierung, als vielmehr der praktischen Ausbildung verpflichtet sieht, rücken die konkreten Lehrinhalte in den Fokus. In ihnen spiegelt sich, was als elementar für die berufliche Praxis der Auszubildenden angesehen wird. Das Lehrbuch-Manuskript von 1990 erlaubte mir, möglichen Veränderungen in einer Zeit nachzuspüren, in denen der politische Einfluss deutlich nachgelassen haben dürfte.

Die Leipziger Journalistik-Wissenschaftler wussten um die „Schere zwischen dem, was die Leute interessierte, und dem, was in der Zeitung stand“, und stellten früh fest: „Wir hatten mitunter andere Vorstellungen als die Abteilung Agitation des ZK. Bei uns wurde Wert darauf gelegt, etwas Les- oder Hörbares zu gestalten und damit auch anzukommen“ (Halbach 2017). Eine Studie, die Verbesserungen anregen wollte, landete im Panzerschrank des Leiters der Abteilung Agitation im ZK der SED (vgl. Skaun 2015). Der Diskurs über „richtige“ Journalistenausbildung wurde also sowohl vonseiten der Politik als auch vonseiten der Wissenschaft bestimmt – ein Spannungsfeld, das man kennen muss, um die Lehrbuchinhalte zu verstehen. Außerdem war der Bezug zum mittlerweile auf empirische Medienwirkungsforschung fokussierten Fach im Westen durchaus gegeben: Laut einigen Professoren sind Westliteratur und Westforschung in der DDR durchaus zur Kenntnis genommen und verarbeitet worden (Röhr 2015, Halbach 2017).

3. Untersuchungsdesign

„Kein Wissen ohne Theorie“ (Meyen et al. 2011: 33) – wer Diskursforschung betreibt, muss sich hierbei auf eine fundierte Theorie stützen können. Die Basis meiner Studie bilden die diskurstheoretischen Ansätze (oder auch „Werkzeugkisten“, Keller 2011b: 129) von Michel Foucault (1981), wie er sie in seiner „Archäologie des Wissens“ beschrieben hat. Diskurse sind laut Foucault Praktiken, „die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (Foucault 1981: 74). Auf den Inhalt meiner Studie bezogen bedeutet das: „Es gibt keine Journalistenausbildung als solche, sondern diese existiert erst durch die Diskurse über Journalistenausbildung. Und weitergedacht: Journalisten erlernen ihren Beruf nicht auf der Basis universell gültiger Lehrinhalte, sondern die Lehrinhalte selbst sind Produkte der Diskurse über ‚richtige‘ Journalistik“ (Wonn 2018b: 9). Davon ausgehend, dass eine objektive Wahrheit nicht existiert und das Denken durch Zeit und Sprache in einen gedanklichen Kontext „eingezäunt“ ist (vgl. Meyen 2013: 28), bilden sich innerhalb von Diskursen „Wahrheiten, die sich innerhalb von Denksystemen in der Geschichte formieren“ (Ruoff 2013: 92).

Für Foucault besteht ein Diskurs aus der „Menge von Aussagen“, die „sich auf ein und dasselbe Objekt beziehen“ bzw. „zur selben diskursiven Formation gehören“ (Foucault 1981: 170). Die von ihm definierten „Formationsregeln“ legen fest, welche „Aussagen überhaupt an einem bestimmten historischen Moment an einem bestimmten Ort erscheinen können“ (Keller 2011a: 46-47). Hierbei sucht er nach Regelmäßigkeiten – den sogenannten „diskursiven Formationen“ (Foucault 1981: 58). Im Endeffekt produzieren Diskurse Wissen, anhand dessen eine Realität konstruiert wird. Nach welchen Regeln etwas als „wahr“ und etwas anderes als „falsch“ wahrgenommen wird, wird durch „Wahrheitsspiele“ bestimmt (vgl. Meyen 2013: 29). Die Deutungshoheit hierüber wird zwischen denjenigen ausgehandelt, die Macht im jeweiligen Diskurs besitzen: „legitime Sprecher“, die als kompetent anerkannt werden. Sie prägen eine diskursive bzw. „regulierte Praxis“ (Foucault 1981: 116) und erzeugen damit „Struktureffekte“, die die Grenzen des Sagbaren abstecken (Keller 2011b: 128). Im konkreten Fall „DDR-Journalistik“ finden sich legitime Sprecher in der Politik, in der politischen (sozialistischen) Theorie, an der Universität und in den Massenmedien. Dies sind die „Machtsysteme“, die im von mir untersuchten Diskurs „Wahrheit“ produzieren (vgl. Foucault 1981: 51-54, Meyen 2013: 32) – beeinflusst unter anderem von ideologischen Kämpfen und politischen Zielen. Hierbei bietet eine Diskursanalyse nach Foucault den Vorteil, dass nicht nur das Gesagte betrachtet werden kann, sondern auch das, was nicht gesagt wird.

Basierend auf diesen theoretischen Ansätzen habe ich im Sinne der Systematik und der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit (vgl. Meyen et al. 2011: 35-38) ein Kategoriensystem entwickelt, welches sowohl deduktiv aus Foucaults Theorie abgeleitet ist als auch induktiv immer wieder an den Forschungsvorgang angepasst wurde. Anhand des Kategoriensystems habe ich eine qualitative Inhaltsanalyse der Lehrbücher durchgeführt.

Den Rahmen seiner Konzeptualisierung bilden die vier Formationen, die Foucault zur Diskursanalyse in seiner „Archäologie des Wissens“ darlegt: die Formation der Gegenstände, die Formation der Äußerungsmodalitäten, die Formation der Begriffe und die Formation der Strategien (Foucault 1981: 61-104). Während ich also untersucht habe, über was in welchem Kontext und vor welchem Hintergrund überhaupt gesprochen wurde (Formation der Gegenstände), habe ich analysiert, wer aus welcher Position und Perspektive heraus Aussagen trifft. Dies inkludiert nicht nur die Autoren, sondern auch zitierte Personen oder Gastbeiträge. Hierbei spielt auch die Art der Sprache (beispielsweise erzählend, wissenschaftlich oder kritisch) eine gewichtige Rolle (Formation der Äußerungsmodalitäten). Des Weiteren wurden die Aussagen auf ihre Argumentation hin überprüft: Worauf stützen die jeweiligen Sprecher ihre Argumente (etwa: Expertenmeinungen, wissenschaftliche Forschung, Diskreditierung anderer Herangehensweisen)? Welche rhetorischen Schemata sind hierbei erkennbar? Gibt es Verweise auf andere Lehrbücher innerhalb oder außerhalb des eigenen Gesellschaftssystems (Formation der Begriffe)?

Die Formation der Strategien, welche schließlich die sich aus den anderen Formationen ergebenden strategischen Vermittlungsabsichten und Ziele erfasst, beruht vor allem auf meiner ,,subjektiv geprägten Herangehensweise an mein spezifisches Forschungsthema“ (Wonn 2018b: 14). Dem liegt zugrunde, dass es mangels eines „Generalrezepts“ (Meyen 2013: 31) für Diskurse auch Foucault selbst bei der Formationsbeschreibung schwer gefallen ist, „ins Detail zu gehen“ (Foucault 1981: 94-95). Ich habe zunächst analysiert, welche Rolle ein Journalist laut Lehrbuch generell in der Gesellschaft einnehmen soll: Verhält er sich idealerweise aktiv und gibt Richtungen für seine Rezipienten vor oder bleibt er passiv und in der Rolle des Beschreibers? Hieraus lässt sich ableiten, welche Theorie von „richtigem“ Journalismus vermittelt wird. Welche Kriterien müssen hierfür erfüllt sein? Ist „richtiger“ Journalismus“ objektiv oder subjektiv, linientreu oder kritisch etc.? Wie soll der „ideale“ Journalist konkret im Alltag arbeiten? Schlussendlich habe ich untersucht, welchen Zweck der Diskurs erfüllen soll, wem er nützt und welchen Einfluss er auf Ausbildungs- und Berufspraxis sowie die Gesellschaft ausüben könnte. Anhand der hierbei identifizierten „Bruchpunkte“ (Foucault 1981: 96) kann sowohl ein Vergleich zwischen den beiden Lehrbüchern gezogen als auch festgestellt werden, wer über Gemeinsamkeiten/Unterschiede zwischen ihnen entscheidet.

4. „Einführung in die journalistische Methodik“: Linientreue als Leitmotiv

Journalismus in der DDR war, wie bereits angesprochen, immer Teil „sozialistischer Agitation und Propaganda“ (Autorenkollektiv 1985: 10). Im Lehrbuch von 1985 wird dies besonders deutlich: „Ein Journalist in unserem Lande ist zuerst und vor allem Politiker. Für ihn gilt, was Lenin einst schrieb: ‚Unserer Arbeit liegt die richtige Bewertung der Klasseninteressen sowie all dessen zugrunde, was im gegenwärtigen Zeitabschnitt die Entwicklung eines ganzen Volkes erfordert … Die Entwicklung des Bewusstseins der Massen wird wie stets die Grundlage und der Hauptinhalt unserer ganzen Arbeit sein.‘ Von dieser Grundlage und diesem Hauptinhalt ausgehend, interessiert den sozialistischen Journalisten vor allem, was an den Ereignissen des Tages, an den sozialen und politischen Entwicklungen in unserem Lande und in der Welt den Interessen des Sozialismus entspricht oder widerspricht“ (ebd.: 11). Der Fokus auf ideologisch motivierten Wirkungsabsichten bei den Rezipienten, welche als der journalistische Beitrag zum Sieg des Sozialismus über den Klassenfeind angesehen werden, prägt das Werk maßgeblich.

Ist dieser makroperspektivisch angelegte Ansatz aber erst einmal beschrieben, konzentriert sich das Buch auf die Mikroperspektive: die konkrete Arbeit des einzelnen Journalisten – anstatt auf die Arbeit in Redaktions- oder Medienkollektiven (Mesoperspektive) oder das Mediensystem als Ganzes (Makroperspektive). Der gesamte Aufbau orientiert sich linear am journalistischen Arbeitsprozess; es handelt sich um eine vom Allgemeinen ins Spezifische gehende Thematisierung der Wertschöpfungskette von Recherche bis Redigieren. Hierbei wird das Idealbild eines selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Journalisten gezeichnet, der neben den heroisierten Eigenschaften Kreativität, Arbeitseifer und Opferbereitschaft vor allem „Freude und Leidenschaft“ im „Kampf für die Interessen des Sozialismus“ (Autorenkollektiv 1985: 11) sowie marxistisch-leninistische Bildung mitbringen muss. Die Hervorhebung einer kreativen Journalistenpersönlichkeit erinnert hierbei an die Ansätze von Dovifat (1962). Untermauert wird diese Argumentation zum einen anhand von Zitaten der im DDR-Diskurs als unfehlbar geltenden sozialistischen Ikonen (Marx, Engels, Lenin) und zum anderen durch die Abgrenzung von den Methoden des Klassenfeindes, der laut Franz Mehring, als Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung (1902 bis 1907) eine Ikone des proletarischen Journalismus, „fingerfertige Schmocks“ in „kapitalistischen Meinungsfabriken“ manipulative Beiträge verfassen lässt (Autorenkollektiv 1985: 15).

Die ideologischen Ziele stehen zudem im Einklang mit einem Lehrinhalt, der den Studierenden innerhalb der ,,Einführung in die journalistische Methodik“ sehr stark vermittelt werden soll: die bedingungslose Treue zu den Beschlüssen der SED. Das Werk versteht den Journalismus bereits bezogen auf Themenselektion und Recherchetätigkeiten als Helfer der Partei bei der Verwirklichung der von ihr vorgegebenen politischen Linie: „Eine entscheidende Rolle kommt (…) dem Studium der Dokumente und Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse zu. (…) Sie machen in ihrer Gesamtheit die politische Linie der Partei aus. Durch das Studium der Beschlüsse macht sich der sozialistische Journalist also mit den Absichten der Partei in der jeweiligen Entwicklungsetappe vertraut und gewinnt damit den wichtigsten Ausgangspunkt für seine journalistische Arbeit. (…) Nur so kann sichergestellt werden, dass die journalistische Tätigkeit in vollem Einklang mit den Absichten und dem Handeln der Partei der Arbeiterklasse und des sozialistischen Staates steht und damit die Verwirklichung der politischen Linie in dem für den Journalismus höchstmöglichen Maße unterstützt“ (Autorenkollektiv 1985: 30). Kritik an der Partei ist im Diskurs also nicht sagbar, denn es wird automatisch davon ausgegangen, dass das, was die SED beschließt, auch im Interesse des Volkes ist.

Weiterhin fällt in den Bereich des Nicht-Sagbaren, dass es einen Unterschied zwischen dem geben könnte, was die Rezipienten wollen, und dem, wovon man glaubt, dass sie es brauchen. Das „Volk“ (also die Summe der Rezipienten) wird generell als eine zu erziehende homogene Masse betrachtet, welche nur an sozialistischen Themen und Perspektiven interessiert ist. Hierbei wird der einzelne Journalist dazu angehalten, anhand der Parteibeschlüsse die für die Rezipienten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen relevanten Themen auszuwählen und argumentativ dazu zu nutzen, die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus unter Beweis zu stellen. Auch die grundsätzliche journalistische Form der Nachricht wird hierdurch parteilich: „So ist jede Nachricht ein Beleg dafür, wie wir (…) eine neue Tatsache werten und welche Position wir zu ihr einnehmen, ohne dass wir diesen Standpunkt ausdrücklich begründen“ (Autorenkollektiv 1985: 109). Es sollen also einzelne Aspekte eines Ereignisses in den Vordergrund gestellt, andere wiederum bewusst vernachlässigt werden („Agitation durch Tatsachen“, ebd.: 50). Ein weiterer Beleg für den Fokus auf sozialistisch motivierte Wirkungsabsichten findet sich in der Konstruktion von Vorbildern: Sowohl bei den Anleitungen zur Gesprächsführung mit Interviewpartnern als auch innerhalb eines eigens angelegten Porträt-Kapitels wird den Studierenden die Suche nach einem auf besonderen Leistungen für Staat und Sozialismus aufbauenden Narrativ nahegelegt („Fähigkeit des Menschen im Sozialismus“, ebd.: 35). Dies soll bei den Rezipienten auch umgekehrt die Motivation für ein systemkonformes Verhalten auslösen: Wer vorbildlich handelt, schafft es in die Zeitung.

Das Kapitel zu „Information und Argumentation“ (beide Begriffe werden bewusst nicht voneinander getrennt) zeigt schließlich besonders deutlich die Legitimation des eigenen Systems durch die Abgrenzung vom Klassenfeind, vor dessen „Pseudo-Information“ die DDR-Bürger geschützt werden müssen (Autorenkollektiv 1985: 69). Anhand verschiedener Techniken wird dem angehenden Journalisten eine den sozialistischen Zielen angepasste Argumentation vermittelt, ehe es in einem Teil über Polemisierung darum geht, die Aussagen des imperialistischen Klassenfeindes zu entkräften, zu widerlegen und/oder satirisch lächerlich zu machen.

Journalismus ist also in dem Strang des Diskurses, der durch das Lehrbuch „Einführung in die journalistische Methodik“ verkörpert wird, vor allem Parteiarbeit. Die journalistische Entfaltung des Einzelnen sowie Objektivität sind prinzipiell erwünscht, aber nur solange sie sich dabei innerhalb eines klar abgesteckten politischen Rahmens befinden. Ein Journalist nimmt eine aktive Rolle in der Gesellschaft ein: Er soll subjektiv und erziehend das Denken seiner Rezipienten beeinflussen, Richtungen vorgeben und sogar „mobilisierend“ vermitteln (Autorenkollektiv 1985: 12), sprich: Bürger zur aktiven Teilnahme am Kampf des Sozialismus gegen den Kapitalismus motivieren. Der Gegner scheint hierbei bereits fast besiegt: Mithilfe einer dauerhaft auftretenden Kampfrhetorik wird dem auszubildenden Journalisten das Gefühl gegeben, die „spätkapitalistische Ordnung“ sei ohne dessen Manipulationen bereits jetzt am Ende (ebd.: 13). „Manipulation“ ist hierbei ein Wort, das nur im Bezug auf das Verhalten des Klassenfeindes auftritt. Aufgrund negativer Konnotation ist das Wort auf eigene Handlungsweisen bezogen unsagbar, es wird hier mit anderen Begriffen gearbeitet (etwa: „Orientierung geben“).

Zusammengefasst nützt die linientreue Perspektive, die in der „Einführung in die journalistische Methodik“ dominiert, natürlich vor allem der als unfehlbarer Gesamtapparat dargestellten SED. Ihrer Forderung nach „besonders treuen Parteijournalisten“ (Röhr 2015) wurde innerhalb der „Einführung in die journalistische Methodik“ vollständig Rechnung getragen. Kritik an Missständen innerhalb des Staates sowie diesbezügliche Verbesserungsvorschläge sind nicht sagbar. Mithilfe von Argumentationen der sozialistischen Größen Marx, Engels und Lenin, deren Aussagen gegen Kritik immun machen, wird dem angehenden Journalisten das Selbstbild eines Politikers in Symbiose mit der Parteiführung vermittelt. Die über allem anderen stehenden intendierten Wirkungen auf die Rezipienten sind hierbei selbstverständlich durch deren automatisches Interesse an sozialistischen Themen gewährleistet, während wissenschaftliche Forschung vor allem „lehrbezogen“ (Röhr 2015) stattfinden soll.

5. „Redakteur und Reporter“: Wissenschaft und Wandel

Das Manuskript von 1990 fällt schon wegen seiner Gestaltung auf: Das im Vergleich zum Vorgänger fast doppelt so umfangreiche Werk ist in zwei Teile gegliedert. Ein kleinerer erster Teil thematisiert die Aufgaben des Journalismus, die Massenmedien als solche und einen Medienwandel, der den sozialistischen Journalismus vor große Herausforderungen stellt (T1, Makroebene). Der wesentlich umfangreichere zweite Teil behandelt die Arbeit des einzelnen Journalisten (Mikroebene), der aber auch in redaktionelle Arbeit (Mesoebene) eingebunden ist (T2). Auffallend in der Darstellung: Zum einen ist der Buchinhalt in für wissenschaftliche Literatur typische Unterpunkte unterteilt, zum anderen werden Textaussagen durch wissenschaftliche Modelle, Schaubilder und klassifizierende Aufzählungen gestützt.

Der bereits erwähnte Medienwandel, den „Redakteur und Reporter“ als grundlegende Herausforderung begreift, ist folgerichtig der Ausgangspunkt für einen Großteil der Intentionen, die das Lehrbuch verfolgt: „Jede journalistische Tätigkeit steht nunmehr im Sog der explosiven Entwicklung der internationalen Kommunikation. (…) Da wir auch weiterhin lernen müssen, mit ideologischen Gegensätzen zu arbeiten, schließt dies dringlich ein, unsere eigene Ideologie, die Werte der sozialistischen Gesellschaft immer wirkungsvoller in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen (…). Heute ist besonders zu beachten, dass die antisozialistische Einwirkung insbesondere des Fernsehens und des Rundfunks der BRD auf die Bürger der DDR (…) keinen ideologischen Stillstand erlaubt“ (Röhr 1990, T1: 8-9).

Karl-Heinz Röhr bei der Verteidigung seiner Promotion B 1987. Rechts neben ihm: Siegfried Schmidt. Auf dem Wandbild: Ministerpräsident Willi Stoph (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Da also der technische Wandel eine immer stärker werdende manipulative Beeinflussung der DDR-Bürger durch die Medieninhalte des Westens erlaubt, muss der einzelne Journalist neben „politisch-ideologischen Überzeugungen“, „hoher Allgemeinbildung“ und „Belastbarkeit“ (Röhr 1990, T1: 38) auch technische Kenntnisse mitbringen und diesbezüglich stets auf dem neuesten Stand sein. Anstatt hierbei die Abgrenzung zu den Methoden des Klassenfeindes im Sinne der Motivation zu nutzen, wird in alternativloser und wissenschaftlicher Sprache immer wieder eine hohe journalistische Qualität gefordert: „Die journalistischen Produkte in den sozialistischen Massenmedien müssen ganz einfach eine hohe Qualität besitzen, wenn wir unsere Wirkungen im Massenbewusstsein erzielen (…) wollen“ (Röhr 1990, T1: 9). Dass also im Umkehrschluss ohne ebendiese Qualität keine Wirkungen bei den Rezipienten erreicht werden können, ist von besonderer Bedeutung für den in „Redakteur und Reporter“ deutlich werdenden Strang des DDR-Diskurses.

Anders als im Lehrbuch von 1985 sind die Rezipienten hier keine einheitliche Masse mehr, sondern bringen viele einzelne subjektive Anforderungen an Medieninhalte mit: „Wir können den Rezipienten (…) nicht einfach als Objekt vorgenommener ideologischer Beeinflussung betrachten. Er ist selbst aktives Subjekt der Kommunikation. Wer dies als Journalist nicht beachtet, wird über die Köpfe der Leute hinwegschreiben oder ins Leere senden. Journalistische Tätigkeit, die schließlich – mit ihrem Resultat – beim Partner nicht ‚ankommt‘, hat letztlich ihren gesellschaftlichen Zweck verfehlt“ (Röhr 1990, T1: 63). Es ist daher von großer Wichtigkeit, schlussfolgert das Autorenkollektiv, dass Medieninhalte den Rezipienten sowohl politisch relevant als auch darstellerisch interessant präsentiert werden und zusätzlich Unterhaltungs- und Entspannungsfunktionen bedienen. Die Rezipienten sollen befähigt werden, anhand möglichst breitgefächerter Informationen „mitzudenken“ und „mitzuentscheiden“ (ebd.: 2). Schließlich soll der sozialistische Journalismus veranschaulichen, dass der Sozialismus unter allen aufgezeigten Lösungen die besten Antworten auf die Probleme der Zeit bietet. Für den Sozialismus muss quasi immer wieder aufs Neue geworben bzw. die Rezipienten müssen von ihm überzeugt werden und sollen sich bewusst für ihn entscheiden.

Der sozialistische Journalist soll also Überzeugungsarbeit leisten. Um hierfür gewappnet zu sein, braucht er laut „Redakteur und Reporter“ zunächst vor allem die Wissenschaft: „Bereits im Alltagsdenken ist die naive Vorstellung kaum noch anzutreffen, wonach Informationen quasi mühelos und unverfälscht zum Rezipienten gelangen und als Wirkung in das Leben der Gesellschaft einfließen. (…) Der Journalist benötigt daher für seine Tätigkeit auch einen Einblick in psychische Vorgänge kommunikativen Verhaltens“ (Röhr 1990, T1: 70-71). Das vierte Kapitel (ebd.: 70-98) widmet sich folgerichtig psychologischen Erkenntnissen aus der Medienwirkungs- und der Rezeptionsforschung. Rezeptionsprozess, Rezeptionsbedingungen und -schwierigkeiten, Anschlusskommunikation und bestmögliche Wirkungsmechanismen werden als unverzichtbar für eine erfolgreiche Vermittlung der Medieninhalte dargestellt.

Die Themenauswahl wird folgerichtig von den beabsichtigten Wirkungen determiniert, wobei es hier anders als (implizit und teilweise auch explizit) 1985 nicht (mehr) um eine „einspurige Beeinflussungsstrategie“ geht, sondern um einen Beitrag zum „gesellschaftlichen Meinungsaustausch“ (Röhr 1990, T2: 91). Beispielhaft für ein geeignetes Thema wird interessanterweise ein solches genannt, welches die Beseitigung eines Missstandes zum Ziel hat (verschmutzte Kinderspielplätze, vgl. ebd.: 102) und hierbei keine sozialistische Erfolgsgeschichte erzählt. Interessant allerdings ist vor allem, dass die Beschlüsse der SED als Themen- und Recherchequelle vollständig fehlen. Mehr noch: Im gesamten Buch ist nie explizit von der Partei und ihren konkreten politischen Zielsetzungen die Rede. Entweder wird eine Orientierung an der Parteilinie als selbstverständlich angesehen oder aber ganz bewusst im Sinne der in der auch rhetorisch überall im Werk angestrebten Seriosität nicht thematisiert. Das Lehrbuch möchte größtenteils nüchterne Professionalität vermitteln, während unterschwellig dennoch Emotionalisierung betrieben wird: Die mit Kampfrhetorik untermalte wachsende Bedrohung durch kapitalistische Medieninhalte soll Zusammengehörigkeitsgefühl und Verantwortungsbewusstsein erzeugen.

Zusammengefasst bleibt jegliche direkte Kritik an SED und Staat auch in der Ära Gorbatschow und trotz des Ideals „Glasnost“ nicht sagbar, Verbesserungsvorschläge bei Missständen werden aber als konstruktiv angesehen. Der Diskursstrang, der in „Redakteur und Reporter“ zutage tritt, traut den Rezipienten nämlich durchaus zu, kritisch mitzudiskutieren, mitzuentscheiden und somit auch unbegründete Aussagen in monoton gestalteten Medieninhalten abzulehnen. Damit solche Bürger dem Sozialismus nicht verlorengehen, sollen angehende Journalisten lernen, die Medienrezeption auf der Basis von Wissenschaft zu verstehen, sich an den Bedürfnissen ihres Publikums zu orientieren, hochqualitative Produkte zu erschaffen und die Menschen damit immer wieder aufs Neue vom Sozialismus als beste Staatsform zu überzeugen. Damit nutzt der Diskurs natürlich immer noch dem Staat DDR und seiner führenden Partei: Sowohl Ideologie als auch Staatsform werden legitimiert. Dass es sich allerdings um eine direkte Beeinflussung der Bürger handelt, ist nicht nur nicht sagbar, es wird sogar ausdrücklich und vehement bestritten. Schlussendlich nützt die Orientierung an wissenschaftlicher Forschung auch dem Autor und seinen Mitarbeitern selbst, da sie ihre eigenen Forschungsergebnisse zur unabdingbaren Bezugsgröße für guten Journalismus erklären.

6. Entwicklung des DDR-Ausbildungsdiskurses im Vergleich beider Lehrbücher

Da es sich bei den von mir untersuchten Lehrinhalten um Aussagen desselben Diskurses handelt, finden sich zunächst natürlich sehr augenfällige Gemeinsamkeiten. Diese Konstanten bilden die Basis des Diskurses. Zunächst einmal ist hier der weltanschauliche Zweck des Diskurses bzw. seine Zielsetzung zu nennen: Beide Lehrbücher beinhalten den Willen, Journalisten auszubilden, die an der Festigung und Verbreitung der sozialistischen Weltanschauung interessiert sind. Politische Wirkungsabsichten hinsichtlich der Rezipienten sind demzufolge die zentrale Leitgröße für „richtigen“ Journalismus. Hierbei kann der als aktiv auf die Gesellschaft einwirkende Journalist nur dann autonom und objektiv arbeiten, solange er den sozialistischen Deutungsrahmen nicht verlässt. Infolgedessen werden das politische System und seine führende Partei SED gestützt, die ebenso wie die heroisierten journalistischen Ikonen (vor allem Marx, Engels und Lenin) nicht kritisierbar sind.

Wesentlich interessanter wird es aber, wenn der Blick auf die Unterschiede zwischen beiden Lehrbüchern gerichtet wird. Hier zeigt sich, dass der Diskurs aus zwei Strängen besteht: zum einen die Linientreue im Interesse der SED, zum anderen Wissenschaft im Sinne der optimalen Rezeption. Es gibt also eine Partei- und eine Ausbilderperspektive. Diese Perspektiven entstammen jeweils den Systemen Politik und Universität, welche hierdurch wiederum Macht im Diskurs gewinnen wollen. Dabei scheint die Bedeutung der Linientreue abzunehmen, auch wenn dies anhand der Analyse von nur zwei Lehrbüchern natürlich nicht generell gesagt werden kann. Die Sektion Journalistik war schließlich auch bis zu ihrem Ende nie autonom. Außerdem bleibt das solidarische Wir-Gefühl im Kampf gegen den Kapitalismus durchaus vorhanden, infolgedessen die SED letztendlich immer noch ihre treuen Parteijournalisten bekommt. Deren Arbeit soll nun aber weniger Bevormundung und Beeinflussung von „oben“, sondern Überzeugung der Rezipienten durch Dialog sein.

Hierbei scheint sich die Kenntnis der Leipziger Wissenschaftler über die Diskrepanz zwischen den Publikumsinteressen und den tatsächlichen Medieninhalten stark auf den Diskurs auszuwirken. Karl-Heinz Röhr und sein Autorenkollektiv bewegen sich 1990 weg von einem Kommunikationsschema, das Rezipienten als homogene Masse begreift, die alles vom Kommunikator als relevant Angesehene aufnimmt. Während Wissenschaft in der „Einführung in die journalistische Methodik“ nur ein Methodengerüst darstellt, wird die Vermittlung von Kenntnissen zur Medienrezeption nun von Röhr und seiner Mannschaft als Schlüssel für einen Journalismus dargestellt, der seine Rezipienten als Individuen erreichen kann. Das in der „Einführung in die journalistische Methodik“ wichtige Kapitel zu Argumentation und Polemik fehlt dementsprechend vollständig, nicht zuletzt deshalb, weil in „Redakteur und Reporter“ auffällig viel Wert auf wissenschaftliche und seriöse Sprache gelegt wird. Die Position der Wissenschaftler im Diskurs wird durch das zweite Buch jedenfalls ungemein gestärkt, da sie ihre Arbeit im Umkehrschluss als unverzichtbar darstellen.

Warum aber wird diese Entwicklung in der Journalistenausbildung als so wichtig angesehen, dass sich solch entscheidende Inhalte innerhalb so weniger Jahre teilweise grundlegend verändern? Die Antwort hierauf lässt sich im Klassenkampf finden: War der Klassenfeind im ersten Buch noch selbstbewusst als so gut wie besiegt dargestellt worden, ist er im zweiten eine reelle Bedrohung. Der Medienwandel, der hierfür verantwortlich gemacht wird, wird in der „Einführung in die journalistische Methodik“ überhaupt nicht erwähnt. Hieran ist erkennbar: Der Diskurs verändert sich, weil sich die äußeren Umstände verändern.

Friedensdemonstration von Leipziger Journalistikstudenten Anfang der 1980er Jahre (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Für die Autonomie des einzelnen Journalisten ändert sich allerdings auch im Arbeitsprozess relativ wenig. Während er sich 1985 bei jedem Schritt an den Beschlüssen der SED orientieren soll, ist er im Nachfolgewerk Teil redaktioneller Strukturen und Linien. Dies bedeutet aber eine Änderung der Perspektive: weg von der romantisierten Darstellung einer freien Journalistenpersönlichkeit, hin zu hierarchischen Strukturen, neuen Anforderungen (technisches Knowhow, Teamwork, Führungsstärke) und der Arbeit an einem gemeinschaftlichen Produkt. Mit Blick auf die Unterschiede lässt sich sagen: Wären die Ausbildungsinhalte eins zu eins von Journalistikstudenten übernommen worden, hätten nach dem Austausch der Standardlehrbücher tatsächlich zumindest etwas „andere“ Journalisten die Sektion Journalistik verlassen. Ob dies dann aber auch zu einer Veränderung der Medieninhalte hin zu Unterhaltung und Publikumsinteressen geführt hätte, ist stark zu bezweifeln und angesichts der journalistischen Berufspraxis in der DDR (vgl. Meyen/Fiedler 2011, Röhr 2015) wohl eher als Idealvorstellung zu betrachten. Außerdem ist es natürlich ebenso unwahrscheinlich, dass Ausbildungsinhalte schließlich zu hundert Prozent das Denken und den Alltag der angehenden Journalisten prägen. Wie stark sie es in diesem Fall tatsächlich getan hätten, kann aufgrund der politischen Veränderungen und dem daraus resultierenden Nichterscheinen von „Redakteur und Reporter“ nicht mehr erforscht werden.

7. Fazit

Dass es eine inhaltliche Wende im Ausbildungsdiskurs gegeben hat, ist trotz der gleich gebliebenen Zielsetzung der DDR-Journalistik klar zu erkennen. Die entscheidende Frage wäre nun: Ist diese inhaltliche Wende ein Produkt der politischen Wende bzw. hat eine Veränderung des politischen Klimas zu einem Umdenken innerhalb des Diskurses geführt? Diesbezüglich müssen zunächst zwei entscheidende Schwächen der Studie berücksichtigt werden. Zunächst einmal lässt das Forschungsdesign keine definitiv belegbaren Rückschlüsse auf die Motive der Autoren zu. Hierzu können lediglich anhand der sich aus der Analyse ergebenen Plausibilität Vermutungen angestellt werden. Des Weiteren habe ich nur zwei Lehrbücher untersucht, die innerhalb meiner Studie für den Ausbildungsdiskurs in der DDR-Journalistik stehen. Man kann zwar argumentieren, dass es sich hier um die Standardwerke handelt, aber dennoch deckt diese Rekonstruktion vermutlich nicht den gesamten Diskurs ab.

Dennoch können Tendenzen diskutiert werden. Zunächst einmal liegt die Vermutung nahe, dass die politische Wende die inhaltliche durchaus beeinflusst hat. Dies lässt sich vor allem damit belegen, dass nicht nur der Medienwandel und die damit einhergehenden Beeinflussungsmöglichkeiten des Westens eine große Rolle bei der Gestaltung des Manuskripts von 1990 spielen, sondern eben auch die damit implizierte Prämisse, dass die DDR-Bürger sich (möglicherweise stärker als zuvor) beeinflussen lassen. Dass dies als immer bedrohlicher für den Sozialismus aufgefasst wird, dass bezüglich des Klassenfeindes eben nicht mehr von „Spätkapitalismus“ gesprochen wird, dass der Rezipient sowohl als kommunikatives Individuum als auch innerhalb der politischen Debatte dringend ernster genommen werden muss – all das sind Indizien dafür, dass eine Veränderung der politischen Stimmung und Lage die Lehrinhalte der DDR-Journalistik beeinflusst hat.

Es ist allerdings anzumerken, dass der wissenschaftliche Diskursstrang nicht erst in dieser Situation entstanden ist. Aus Interviews mit Zeitzeugen und auch aus dem Vortrag von Karl-Heinz Röhr, der in diesem Feature dokumentiert wird, ist bekannt, dass an der Sektion Journalistik nicht erst 1989/90 über einen Journalismus diskutiert wurde, der stärker auf die Publikumsinteressen zugeschnitten ist. Daher läutet die historische Wende-Zeit für mich keinen „Wende-Diskurs“ ein, der den DDR-Diskurs nach und nach ablöst, da die bereits vorhandene wissenschaftliche Perspektive sich nun innerhalb des Diskurses emanzipiert und stärker nach Deutungsmacht strebt. Der Fokus auf wissenschaftliche Rezeptions- und Rezipientenforschung lässt indes ebenfalls auf einen Einfluss der sich wandelnden politischen Situation auf den Diskurs schließen, da hierbei relativ offensichtlich auf die Methodik des Klassenfeindes zurückgegriffen wird. Diese wird somit als erfolgreich angesehen. Da man davon ausgehen kann, dass die Leipziger Forscher die Inhalte des Westens zur Kenntnis genommen haben, ist eine solche Interpretation zumindest nicht ausgeschlossen. Wollte man weiter gehen, könnte man möglicherweise auf ein Gefühl der wissenschaftlichen Unterlegenheit schließen: „Ich hatte auf der Konferenz Bammel, weil die berühmte Noelle-Neumann sozusagen meine Kontrahentin war. Sie verzichtete aber auf eine Diskussion mit mir. Die war völlig erstaunt, dass wir das alles kannten. Wir haben es allerdings nicht immer zitiert und manchmal auch Tricks angewendet. (…) Sachen aus der Westliteratur Karl Marx untergeschoben“ (Halbach 2017).

Kann die heutige Kommunikationswissenschaft, kann die heutige Journalistikwissenschaft von den Leipziger Lehrinhalten profitieren? Was ist dem Fach durch die institutionelle, personelle und inhaltliche Abwicklung der DDR-Konzepte verloren gegangen? In meiner Bachelorarbeit habe ich die beiden hier analysierten Lehrbücher mit der aktuellen Auflage des Standardwerks von Claudia Mast (2018) verglichen (vgl. Wonn 2018b). Während Journalisten in der DDR praktisch (handwerklich) für ihren Beruf geschult werden sollten, liefert das „ABC des Journalismus“ durch den Fokus auf den Wettbewerb im Mediensystem eine Anleitung zum Überleben in einer „Survival of the Fittest“-Arena. Das Handwerk, das zum „Überleben“ nötig wäre, wird allerdings nicht gelehrt, zumindest nicht im Lehrbuch von Claudia Mast (2018). Wie in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft insgesamt spielt der eigentliche journalistische Arbeitsprozess eine untergeordnete Rolle; er wird besprochen, aber nicht im Detail analysiert und auch nicht einstudiert.

Das heißt auch: Der aktuelle Diskurs bietet das Potenzial, grundlegende DDR-Inhalte in den Lehrkanon zu integrieren, weil es dafür keine Platzhalter gibt, die zunächst verdrängt werden müssten. Der Vorteil des DDR-Diskurses, dass hier tatsächlich praktisch ausgebildete Journalisten die Universität verlassen sollten, deckt sich bei näherer Betrachtung durchaus mit dem Wettbewerbsgedanken des BRD-Diskurses. Gerade hier besteht ja ein Interesse an direkter Einsetzbarkeit der Absolventen. In Kombination mit dem sozialwissenschaftlich-empirischen Aspekt, der den aktuellen BRD-Diskurs kennzeichnet, könnte eine theoretisch und praktisch umfassende Ausbildung entstehen, die die Interessen von Wissenschaft und Berufspraxis vereint. Diese Aussicht erscheint zumindest lohnenswerter als das bisher gängige fragenlose Verschwinden der jahrzehntelangen Leipziger Arbeit aus dem Gedächtnis des Fachs.

Literatur

  • Autorenkollektiv: Einführung in die journalistische Methodik. Karl-Marx-Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1985.
  • Emil Dovifat: Zeitungslehre. Band 1: Theoretische und rechtliche Grundlagen – Nachricht und Meinung – Sprache und Form. Berlin: de Gruyter 1962.
  • Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981.
  • Heinz Halbach: Wir hatten Narrenfreiheit. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017.
  • Reiner Keller: Diskursforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011a.
  • Reiner Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse: Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011b.
  • Brigitte Klump: Das rote Kloster. Als Zögling in der Kaderschmiede des Stasi. München: Herbig 1991.
  • Claudia Mast: ABC des Journalismus. Ein Handbuch. Köln: Herbert von Halem 2018.
  • Michael Meyen/Anke Fiedler: Uniformität mit Profil. Eine Zusammenfassung. In: Anke Fiedler/Michael Meyen (Hrsg.): Fiktionen für das Volk: DDR-Zeitungen als PR-Instrument. Fallstudien zu den Zentralorganen Neues Deutschland, Junge Welt, Neue Zeit und Der Morgen. Münster: Lit 2011, S. 321-331.
  • Michael Meyen/Maria Löblich/Senta Pfaff-Rüdiger/Claudia Riesmeyer: Qualitative Forschung in der Kommunikationswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011.
  • Michael Meyen: „Wir haben freier gelebt“. Die DDR im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Bielefeld: transcript 2013.
  • Michael Meyen: Journalistik in der DDR. Leipziger Biografien. Feature. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015.
  • Michael Meyen: Studieren im Roten Kloster. Die Anfänge der Journalistenausbildung in der DDR. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017.
  • Hans Poerschke: Sozialistischer Journalismus. Ein Abriss seiner theoretischen Grundlagen. Manuskript, mehrere Teile. Karl-Marx-Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1988/89.
  • Hans Poerschke: Ich habe gesucht. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015.
  • Heinz Pürer: Zur Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Ein Streifzug von den Anfängen bis zur Gegenwart. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017.
  • Karl-Heinz Röhr (Leiter des Autorenkollektivs): Redakteur und Reporter. Methodik der beruflichen Tätigkeit des sozialistischen Journalisten (Manuskript). Verfasst an der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig 1990. In: Privatarchiv Michael Meyen.
  • Karl-Heinz Röhr: Um Qualität geht es immer und überall. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015.
  • Siegfried Schmidt: Hermann Budzislawski und die Leipziger Journalistik. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017.
  • Wulf Skaun: Es gibt keine unpolitische Wissenschaft. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015.
  • Gabriel Wonn: Zwischen Linientreue und Wissenschaft. Eine Diskursanalyse über die Entwicklung der Journalistenausbildung innerhalb der DDR im Vergleich zu den heutigen BRD-Ausbildungsinhalten (Bachelor Thesis). Ludwig-Maximilians-Universität München: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 2018a.
  • Gabriel Wonn: Journalistik heute: Survival of the Fittest. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2018b.

Empfohlene Zitierweise

Gabriel Wonn: Die inhaltliche Wende. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2020. http://blexkom.halemverlag.de/inhaltliche-wende/ (Datum des Zugriffs).

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