Karl-Heinz Röhr: Um Qualität geht es immer und überall

Karl-Heinz Röhr hat an der Universität Leipzig alle akademischen Stationen durchlaufen. Michael Meyen hat ihn am 4. März 2015 in Leipzig nach seinem Studium an der Fakultät für Journalistik gefragt, nach Hermann Budzislawski, dessen persönlicher Assistent Röhr war, und dann vor allem nach der Ausbildung, die er selbst als Professor mit verantwortet hat.


Stationen

Geboren am 1. August 1935 in Berlin. 1949 Volksschulabschluss in Borna, Lehre als Bergmaschinenmann, 1952 Maschinist in der Brikettierung. 1953 Pressenachwuchslehrgang. Volontariat beim Neuen Deutschland und Besuch der Arbeiter- und Bauern-Fakultät (ABF). 1956 bis 1960 Studium an der Fakultät für Journalistik in Leipzig. 1960 Redakteur der Leipziger Universitätszeitung. 1963 wissenschaftlicher Assistent, 1966 Promotion. 1967 Oberassistent, Studienaufenthalt in Moskau. 1969 Dozent für Journalistische Methodik und Journalistische Information an der Sektion Journalistik. 1978 Promotion B (Habilitation). 1986 außerordentlicher Professor für Grundlagen der journalistischen Methodik, 1989 ordentlicher Professor (bis 1990). 1990 Mitglied des Akademischen Senats. 1990 Vorsitzender des Journalisten- und Presseclubs Leipzig. 1992 Vorruhestand.

Publikationen

  • Aktuelle Probleme der Information in Presse, Funk und Fernsehen. Leipzig 1963.
  • Zeitungsinformation und Bildschirm. Die sozialistische Presse unter den Bedingungen des Fernsehens. Leipzig: Bibliographisches Institut 1968 (Dissertation).
  • Methodik der journalistischen Arbeit. Übungsbuch an der Sektion Journalistik (sieben Broschüren). Karl-Marx-Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1970-74 (Leitung des Autorenkollektivs).
  • Methodische Aspekte der Schaffung von wirkungsvollen journalistischen Einzelbeiträgen als Mittel der Agitation und Propaganda. Karl-Marx-Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1977 (Promotion B).
  • Journalistische Arbeit im Betrieb. Ein Handbuch. Berlin: Dietz 1984 (mit Klaus Zwanzig und Fred Schreier).
Könnten Sie zu Beginn etwas über Ihr Elternhaus erzählen, Ihre Kindheit, Ihre Jugend?
Karl-Heinz Röhr (Foto: privat)

Karl-Heinz Röhr (Foto: privat)

Ich stamme aus ganz ärmlichen Verhältnissen. Ein echter Proletarier.

Und auch noch geboren in Berlin.

Das ist reiner Zufall. Ich bin Sachse. Mein Vater war Schlosser in Borna, in einem Braunkohlenwerk. Meine Mutter war Näherin. Als sie arbeitslos wurden, gingen beide nach Berlin. Dort war es auch nicht besser. Ich bin in einem Hinterhof in Kreuzberg geboren worden, als zweites Kind. Meine Mutter wurde sehr krank, und mein Vater nahm sich das Leben, als ich ein Jahr alt war. Er wusste nicht mehr weiter. Ich bin nach Borna geschickt worden, zu einer Tante. Dort blieb ich bis 1949.

Wovon hat die Tante gelebt?

Sie war Reinemachefrau, und ihr Mann hat auf dem Friedhof gearbeitet. Es war eine schwere Kindheit. Die Schule war zeitweise Lazarett, und nach dem Krieg hatten wir Neulehrer, die zum Teil selbst keine Ahnung hatten. Ich sollte eigentlich zur Oberschule, aber das war nicht zu bezahlen. Ich wurde dann Lehrling im Braunkohlenwerk Großzössen.

Hat dabei der Beruf ihres Vaters eine Rolle gespielt?

Meine Mutter wollte, dass ich Schlosser werde. Die Stellen waren aber alle besetzt. Was ich dann machte, nannte sich Bergmaschinenmann. Eine Ausbildung für Leute, die mal auf dem Bagger arbeiten sollten oder in der Brikettfabrik. Dort kam ich in die Gewerkschaft und in die FDJ. Ich bin aufgefallen, als ich etwas über unser Jugendleben schrieb, für die Betriebszeitung.

Wie alt waren Sie da?

16, 17. Die FDJ hat mich zu einem Lehrgang nach Königstein in der Sächsischen Schweiz delegiert.

Warum ging es da?

Man wollte Jugendliche wie mich für den Journalismus gewinnen. Jugendliche aus der Arbeiterklasse.

Wie lange ging der Lehrgang?
Klaus Zwanzig, Karl-Heinz Röhr, Fred Schreier: Journalistische Arbeit im Betrieb. Ein Handbuch. Berlin: Dietz 1984.

Klaus Zwanzig/Karl-Heinz Röhr/Fred Schreier: Journalistische Arbeit im Betrieb. Ein Handbuch. Berlin: Dietz 1984.

Drei Monate. Den Abschluss habe ich mit „sehr gut“ gemacht. Auf dem Zeugnis war ein Bild von Stalin.

Wer waren Ihre Ausbilder?

Zum Teil hochrangige Leute. Georg Krausz zum Beispiel, später Vorsitzender des Journalistenverbandes. Krausz hat mit uns über Sprache und Stilistik geredet. Dann der berühmte Kulturjournalist Wilhelm Girnus vom Neuen Deutschland. Da ich zu den vier oder fünf Besten gehörte, durfte ich als Volontär zum ND. Volontariat machte man damals vor dem Studium.

Eine gute Note als Ticket zum Zentralorgan.

Ja. Die anderen gingen zur Täglichen Rundschau oder in die Bezirkszeitungen.

Können Sie sich noch erinnern, welche Idee Sie mit dem Journalistenberuf verbunden haben, bevor Sie nach Königstein gegangen sind?

Eigentlich haben mich Zeitgeschehen und Schreiben immer interessiert. Ich hatte sogar schon in der Grundschule den Ruf weg als kleiner Reporter. Als ganz junger Bursche habe ich manchmal die Tägliche Rundschau gelesen oder die Neue Zeitung.

Die Zeitung der US-Besatzungsbehörde.

Die gab es anfangs sogar im Osten. Später habe ich mich dann mit Kisch beschäftigt. Meine Schwester war Lokalredakteurin in Borna und hat mir hin und wieder einen Auftrag gegeben. Ein paar Zeilen schreiben. Da habe ich Feuer gefangen. In der Betriebszeitung Im Scheinwerfer des Kumpels war ich mit 17 schon so etwas wie der zweite Mann. Es gab ja nur einen festen Redakteur. Als er im Urlaub war, musste ich drei Ausgaben ohne Anleitung alleine machen.

Das wird dann beim ND nicht mehr gegangen sein.

Das würde ich gar nicht so sagen. Meist musste ich natürlich Material für andere zusammenstellen. Ich habe aber auch Nachrichten gemacht, zum Beispiel für das Laufband am Bahnhof Friedrichstraße. Ich erinnere mich auch noch an einen Text über die Hausgemeinschaften, die damals ganz neu propagiert wurden. Gerhard Dengler hatte uns Volontäre losgeschickt und war dann ganz angetan.

War Rudolf Herrnstadt noch Chefredakteur (vgl. Liebmann 2008)?

Ja. Ich habe ihn aber nicht kennengelernt. Am 17. Juni hatten alle Angst, dass das ND gestürmt wird. Das wäre gar kein Problem gewesen. Es gab nur eine Glastür und keine Bewacher.

Herrnstadt ist dann abgesetzt worden (vgl. Ciesla/Külow 2009: 96-101).
Karl-Heinz Röhr und Heinrich Bruhn (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Karl-Heinz Röhr und Heinrich Bruhn (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Fred Oelßner vom Politbüro kam deshalb in die Redaktion, ja. Natürlich wollten alle zu dieser Versammlung. Ich war damals der Jüngste in der Abteilung Außenpolitik und habe dort den Nachtdienst machen müssen. Ich war ganz stolz. Die Versammlung ging bis morgens um fünf.

Und Sie waren nicht dabei.

Nein, aber das hat trotzdem Spuren hinterlassen. Beim Studium galt ich als politisch geläutert und war das ja auch. So habe ich schnell Funktionen bekommen, in der FDJ zum Beispiel. Wissen Sie, wer mich beim ND motiviert hat, zur ABF zu gehen?

Nein.

Emil Dusiska. Er war damals Leiter der Abteilung Wirtschaft und hat mich ermahnt zu studieren. So ein Lehrgang allein reiche nicht.

Was haben Ihre Mutter und die Pflegeeltern zu Ihrem Weg gesagt?

Sie konnten das als einfache Leute nicht so richtig einordnen. Sie haben vielleicht ein bisschen geschluckt, als ich aus der Kirche ausgetreten bin. Ich bin ja getauft und konfirmiert worden. Aber sonst war das sicher in Ordnung.

Finden Sie Ihre Studienzeit im Buch Das rote Kloster von Brigitte Klump (1978, 1991) wieder?

Jein. Ich erinnere mich gut an sie. Wir haben ja auch nach 1990 ein Seminar darüber gehabt mit Karl Friedrich Reimers: Was ist da Fiktion und was nicht. Was Brigitte Klump über einzelne Personen schreibt, ist sehr subjektiv. Erfunden.

Und die Stasigeschichten?

Das ist für mich nachvollziehbar. Klump und Helga Novak waren außerordentlich hübsch, und die Stasi hat gehofft, über sie Zugang zum Berliner Ensemble zu bekommen. Das hat Brigitte Klump verallgemeinert und gemeint, die ganze Fakultät sei eine Einrichtung der Stasi. Das ist eine Überhöhung, obwohl die Stasi sicher immer daran interessiert war, bei uns Leute zu rekrutieren. Wir waren ja lauter ausgesuchte Kader (vgl. Fiedler 2013). Manche Einzelheiten in dem Buch sind dann richtig albern.

Zum Beispiel?

Dass da in der Pförtnerloge eine Abhöranlage gewesen sein soll. Auch den Fakultätsfunk hat sie ja zu einer Abhöranlage gemacht. Da gab es Durchsagen. Wann ist Volleyball zum Beispiel. Ich habe das Buch mit Befremden gelesen. Der Titel hängt uns bis heute an.

Wenn Sie Ihre Studienzeit mit dem vergleichen müssten, was Sie selbst in den 1980ern angeboten haben, als Professor: Wie würden Sie das machen?
Professorenkollegen. Von links: Heinz Halbach, Karl-Heinz Röhr und Wolfgang Rödel (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Professorenkollegen. Von links: Heinz Halbach, Karl-Heinz Röhr und Wolfgang Rödel (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Als wir angefangen haben, gab es zu wenig qualifizierte Wissenschaftler. Lauter junge Leute, bis auf die wenigen Alten wie Hermann Budzislawski, Hans Teubner oder Hedwig Voegt, die ich sehr gemocht habe. Die Jüngeren mussten sich ja selbst erst hineinfinden. Dietrich Schmidt, Heinz Halbach, Siegfried Schmidt, Arnold Hoffmann oder Uwe Boldt. Es gab keine Publikationen oder fertige Theorien über Marxismus und Journalismus oder zur Parteipresse.

Noch kein Lehrmaterial.

Nein. Das Studium war sehr historisch angelegt. Erst Dusiska hat das dann geändert und alles mehr auf den Journalistenberuf bezogen. Am Anfang hat man einfach die alten Dovifat-Bücher genommen und umgemodelt (vgl. Dovifat 1931, 1937). In der Pressegeschichte ging es um die Arbeiterparteien. Die Rote Fahne, auch die SPD-Presse. Das war ordentlich, dank Leuten wie Franz Knipping. Eine Beziehung zum Beruf hatten wir eigentlich nur über die längeren Praktika. Zum Teil ein Jahr lang. Das war ähnlich wie heute in den Journalistenschulen: Ausbildung in der Praxis.

Und später dann bei Ihnen?

Wir haben versucht, die Praxis auch ins Studium zu holen, vor allem auch mit unseren Schreib- und Stilistik-Übungen. Aber natürlich vor allem auch mit dem Einbläuen der in der DDR notwendigen politischen Grundlagen für den Journalismus. Im Übrigen hatte sich die Wissenschaft allgemein selbst verändert. Ich nenne nur die Stichpunkte Kybernetik oder auch die Soziologie. Das wurde ja zunächst skeptisch beäugt.

Amerikanisch, bürgerlich?

Ja. Als man gesehen hat, dass das wichtig ist, war es schwierig, das mit dem Marxismus-Leninismus zu vereinen. Wir haben versucht, das alles um uns herum aufzugreifen. Auch die sogenannte Leitungswissenschaft (vgl. Thimm 1966). Daraus wurde bei uns die Lehre vom journalistischen Schaffensprozess, angeregt von Dusiska. Wie geht der Journalist vor: von der Idee und vom Thema über die Recherche und das Produzieren bis zur Rückkopplung. Das war eine sehr beglückende Zeit, auch wenn es Übertreibungen gab. Wir haben gute Sachen gemacht.

Nach dem Studium haben Sie aber erst mal bei der Universitätszeitung gearbeitet.
Festakt zum Sektionsgeburtstag 1984. Vorn von links: Wolfgang Rödel, Manfred Seidler, Franz Knipping, Arnd Römhild, Horst Ulbricht, Fred Güldemann, Günter Labudda. Werner Michaelis sitzt ganz links in Reihe 3. Neben ihm: Jürgen Seifferth, Fredo Frotscher, Ulrich Langer, Hartmut Blumenauer, Tobias Liebert und Arnold Hoffmann. Über Michaelis in Reihe 4: Karl-Heinz Röhr. Daneben: Rolf Schulze, Ursula Wächter, Bärbel Böttcher, Manfred Anders, Klaus Preisigke (Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

Festakt zum Sektionsgeburtstag 1984. Vorn von links: Wolfgang Rödel, Manfred Seidler, Franz Knipping, Arnd Römhild, Horst Ulbricht, Fred Güldemann, Günter Labudda. Werner Michaelis sitzt ganz links in Reihe 3. Neben ihm: Jürgen Seifferth, Fredo Frotscher, Ulrich Langer, Hartmut Blumenauer, Tobias Liebert und Arnold Hoffmann. Über Michaelis in Reihe 4: Karl-Heinz Röhr. Daneben: Rolf Schulze, Ursula Wächter, Bärbel Böttcher, Manfred Anders, Klaus Preisigke (Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

Ich wurde abkommandiert. Dort war Not am Mann. Ich hatte eigentlich einen Vorvertrag mit Hedwig Voegt, damals Prodekanin für wissenschaftlichen Nachwuchs. Auch in Leipzig wurde immer nach Leuten gesucht, die an der Universität bleiben konnten. Klaus Puder zum Beispiel (vgl. Haller 1997) oder Gottfried Braun. Ich war als Student mehrmals Hilfsassistent. Für Franz Knipping habe ich in der Deutschen Bücherei nach Material über Karl Bücher gesucht. Meine Diplomarbeit über den Kommentar sollte sogar als Lehrmaterial veröffentlicht werden.

Berlin war keine Option für den ehemaligen ND-Volontär?

Das wäre schwierig geworden für die Familie. Meine kranke Mutter war allein in Borna und ich hatte sehr früh geheiratet. Mit meiner Frau war ich in einer Studentenwohnung. Ich hatte schon an der ABF abgelehnt, ein Auslandsstudium zu machen. Als Wissenschaftler und Lehrkraft zu arbeiten, hat mich schon gereizt.

Sehr viel Erfahrung im Journalismus konnten Sie dort nicht einbringen.

Die Praktika und drei Jahre bei der Universitätszeitung. Das war ein Nachteil, ja. Dafür war ich aber auch den Redaktionsturbulenzen nicht so ausgesetzt gewesen. Darf ich kurz abschweifen?

Bitte.

Uns an der Sektion wurde ja immer unterstellt, dass wir ausschließlich die politische Linie der Partei im Kopf hätten. Das stimmt schon in gewisser Weise. Und dennoch war die politische Atmosphäre bei uns besser und freier als in den Redaktionen. Dort gab es viel mehr Druck aus den Bezirksleitungen und aus der Abteilung Agitation (vgl. Fiedler 2014). Bei uns schaute kein Mensch außer uns selbst richtig hin, und unsere Studenten waren junge Menschen, die viele Fragen hatten und sich nicht alles gefallen ließen. Schon in meiner Studien- und Assistentenzeit, aber später dann noch mehr.

Als ich 1988 nach Leipzig kam, wurde dort ganz anders diskutiert als vorher bei der Ostsee-Zeitung.

Die Studenten waren in der letzten Phase der DDR fixiert auf Lehrkräfte, die bei aller Parteilichkeit wider den Stachel löcken konnten. In den 1980ern Bernd Okun zum Beispiel, aus der Sektion Marxismus-Leninismus. Uns wurde zwar immer wieder gesagt, dass in jeder Seminargruppe mindestens einer bei der Stasi ist, ich persönlich habe davon aber nichts gemerkt. Ich war sehr gern im Fernstudium, weil man da mit erfahrenen Leuten diskutieren konnte. Mit Leuten aus der Praxis.

Gibt es jemanden, den Sie als Ihren akademischen Lehrer bezeichnen würden?
Hermann Budzislawski (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Hermann Budzislawski (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Hermann Budzislawski. Ich habe ihn verehrt. Budzislawski ist die Brücke vom klassischen Akademiker zum Publizistik-Lehrer. Belesen, analytisch, kreativ, anregend, mehrsprachig.

Und die anderen Lehrer?

Hedwig Voegt hat mich auch beeindruckt, mit ihrem Enthusiasmus. Sie hatte in der Nazizeit im Gefängnis den Faust auswendig gelernt. Die anderen waren ja fast alle gleichaltrig oder nur ein paar Jahre älter. Klaus Höpcke zum Beispiel.

Was haben Sie von Budzislawski gelernt?

Redigieren. Er hatte die Fähigkeit, aus fremden Texten etwas Eigenes zu machen. Das war zum Beispiel bei diesem Buch hier ganz wichtig.

Sozialistische Journalistik (Budzislawski 1966).

Da ist nur wenig auf seinem eigenen Mist gewachsen. Wir mussten vorarbeiten. Er hat das dann in der Luft zerrissen, etwas diktiert und auch geschrieben. Am Ende stand ein Budzislawski. Er konnte formulieren, jenseits vom Funktionärsdeutsch.

Sie waren ihm ja als Assistent zugeordnet. Ging es da hauptsächlich um solche Zuarbeiten?

Nein, nein. Das war eine eigenartige Konstellation (vgl. Siemens 2013, Schemmert/Siemens 2013). Nach dem Krieg bemühte man sich im Osten um die klügsten Köpfe. Dafür gab es Sonderverträge, zum Beispiel für Ernst Bloch oder für Hans Mayer. Auch Physiker oder Chemiker. Für solche Leute gab es Privilegien. Vermutlich auch ein hohes Gehalt.

Wissen Sie, wie viel Budzislawski verdient hat?

Nein. Er bekam aber sofort ein Häuschen in Eutritzsch. Nicht sehr groß, aber immerhin. Außerdem hatte er einen Fahrdienst. Er rief früh bei der Leipziger Volkszeitung an und wurde abgeholt. Wenn er dann um eins oder um zwei keine Lust mehr hatte, fuhren sie ihn mit seinen vollen Aktentaschen wieder nach Hause. Auch für die Fahrten wie nach Prag gab es Auto und Chauffeur. Er hatte also schon Privilegien. Auch die ganzen Westzeitungen, die er intensiv las: New York Times, Le Monde. Zu den Privilegien gehörte eben auch ein persönlicher Assistent. Das war aber im alten deutschen Hochschulwesen nicht ungewöhnlich. Eine Art Adjutant.

Karl-Heinz Röhr.
Siegfried Schmidt (Foto: Jürgen Schlimper)

Siegfried Schmidt (Foto: Jürgen Schlimper)

Auch Gottfried Braun, ganz kurz. Siegfried Schmidt etwas länger und dann ich. Budzislawski hat uns aber nicht ausgebeutet. Ich habe an Besprechungen teilgenommen und ihn an Termine erinnert. Sonst war ich ein freier Mann.

In den Akten finden sich viele Briefe, in denen Budzislawski darum bittet, als Dekan entpflichtet zu werden, um sich ganz auf die Lehre konzentrieren zu können.

Es gab zwei Gründe. Zuerst der politische Druck, für den er nicht richtig gewappnet war. Er war ja eigentlich eher Sozialdemokrat. Die Entwicklung und auch die Atmosphäre wurden zunehmend dogmatisch, hier in Leipzig wahrscheinlich noch stärker als anderswo.

Mit Paul Fröhlich als Bezirkssekretär.

Ja. Erst kamen Wladimir Ruban, ein Gastprofessor aus der Sowjetunion, und Basil Spiru, der ein ganz schlimmer Einpeitscher war. Ein richtiger Stalinist, obwohl er auch selbst gelitten hatte. Auch junge Leute wie Klaus Höpcke und Klaus Raddatz wollten die Parteilinie in ihrer ganzen Strenge durchsetzen. Das lag ihm alles nicht so. Aus den Briefen geht sicher auch hervor, dass ihm vorgeworfen wurde, zu weich zu sein und nicht durchzugreifen.

Und der zweite Grund?

Ich habe ja erzählt, wie sich die Wissenschaft weiter entwickelt hat. Das war nicht mehr sein Ding. Budzislawski lebte von Beiträgen in Zeitschriften und Zeitungen. Ich habe nie erlebt, dass er in die Bibliothek gegangen wäre und dort ein Buch gelesen hätte. Auch Dusiska später nicht. Vielleicht kann ich noch eine Anekdote aus seinem letzten Jahr erzählen.

Bitte.

Willy Walther und ich haben ihm für seine Vorlesung etwas vorbereitet zum Thema journalistische Information, schon mit den modernen Ansatzpunkten zum philosophischen und kybernetischen Informationsbegriff (vgl. Poerschke 2010). 20 Seiten oder so. Er fing an, das vorzutragen, verwechselte die Blätter und brach einfach ab. Extemporieren konnte er nicht. Er stand einfach nicht mehr im Stoff.

Wie sind Sie zu Ihrem Promotionsthema gekommen (vgl. Röhr 1968)?

Das habe ich mir selbst gesucht. Forschungspläne wie später gab es ja noch nicht. Auch nicht das, was man heute Projekte nennt. Anlass war eine Diskussion in ZV+ZV über die Ausbreitung des Fernsehens. Die Ängste der Verleger. Ich dachte, das ist auch für den sozialistischen Journalismus interessant. Es war ja der Beginn des Fernsehzeitalters.

Das ging einfach so?
6. Mai 1963: Die Fakultät für Journalistik macht Gerhart Eisler zum Ehrendoktor. Ganz vorn von links: Arnold Hoffmann, Franz Knipping, ?, Hans Teubner. Werner Michaelis sitzt ganz rechts am Rand (Foto: Herbert Bessiger; Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

6. Mai 1963: Die Fakultät für Journalistik macht Gerhart Eisler zum Ehrendoktor. Ganz vorn von links: Arnold Hoffmann, Franz Knipping, ?, Hans Teubner. Werner Michaelis sitzt ganz rechts am Rand (Foto: Herbert Bessiger; Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

Franz Knipping als Dekan war sofort sehr aufgeschlossen und Budzi hatte nichts dagegen. Also habe ich das bearbeitet. Ich hätte genauso gut etwas über die sozialistische Presse machen können.

Sie haben in der Dissertation auch Umfragedaten genutzt.

Wir haben damals angefangen, über die Beweisführung in solchen Arbeiten zu diskutieren. Die Idee, empirisch zu forschen, war noch gar nicht entwickelt, übrigens nicht nur bei uns. Es fehlten auch die technischen Voraussetzungen. Ich habe Chefredakteure befragt. Dusiska meinte dann, das sei nichts Besonderes. Ich hätte ja nur aufgeschrieben, was die gesagt haben.

Abgesehen von ZV+ZV: Welche Rolle spielte generell, was außerhalb der DDR publiziert wurde?

Wir hatten nur begrenzten Zugang zur Westliteratur, auch sprachlich. Es konnte ja fast niemand Englisch oder Französisch.

Und Westdeutschland?

Empirische Forschung gab es dort auch erst später, mit Noelle-Neumann (vgl. Löblich 2010). Auch in der journalistischen Methodik war man dort nicht weiter, in meinem Gebiet. Das galt ja als rein praktisch. Nicht an eine Universität gehörend. Ich habe trotzdem regelmäßig die Publizistik gelesen. Entscheidend ist aber etwas ganz anderes.

Was?

Bei uns konnte niemand eine Dissertation ohne Verweis auf die wichtigsten westlichen Quellen vorlegen. Es wurde verlangt, dass die Literatur zur Kenntnis genommen wird, und sei es nur wegen der sogenannten klassenmäßigen Auseinandersetzung. Wir konnten ja in die Deutsche Bücherei gehen. In den westdeutschen Hochschulen wurde dagegen nie gefragt, was in der DDR zu einem bestimmten Thema gemacht wurde, bis heute nicht.

Und der Osten? Sie waren ja 1967 selbst für einen Studienaufenthalt in der Sowjetunion.

Wir haben zwar Sachen aus dem Russischen übersetzen lassen, waren aber selbst viel weiter. In Tschechien oder Polen war noch weniger zu holen.

Wie hat Ihnen die IAMCR-Tagung 1974 in Leipzig gefallen (vgl. Meyen 2014)?
Die IAMCR in Leipzig, 1974. Ganz links: Yassen Zassurski (Sowjetunion). Rechts neben der Dolmetscherin außerdem zu sehen: Emil Dusiska, Werner Michaelis und Alice Bunzlova (Prag; Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

Die IAMCR in Leipzig, 1974. Ganz links: Yassen Zassurski (Sowjetunion). Rechts neben der Dolmetscherin außerdem zu sehen: Emil Dusiska, Werner Michaelis und Alice Bunzlova (Prag; Quelle: Privatarchiv Werner Michaelis).

Das war erst mal eine gewisse Öffnung. Wir konnten viele Kollegen treffen. Natürlich wollten und sollten wir bei dieser Gelegenheit unsere eigenen Ansichten verbreiten. Wir hatten aber auch bestimmte organisatorische Aufgaben. Ich musste mich um die sowjetischen Freunde kümmern, um Yassen Zassurski zum Beispiel. Ich durfte auch Frau Noelle-Neumann vom Flugplatz abholen. Ins Ausland bin ich später nicht mitgefahren. Ich war etwas über Kreuz mit Emil Dusiska.

Warum?

Als er hier anfing, wollte er mich übernehmen, als persönlichen Assistenten. Das wollte ich nicht. Ich passte nicht richtig in sein Schema.

Mit etwas zeitlichem Abstand sieht Ihre Laufbahn fast mustergültig aus.

Fast, ja.

Promotion mit Anfang 30, Habilitation mit Anfang 40, Professor mit Anfang 50.

Den Knick sieht keiner. Als ich meine Promotion B machte, leitete ich ja schon den Bereich journalistische Methodik. Professor wurde ich damals trotzdem nicht. Dusiska meinte, ich müsse erst Leitungserfahrung sammeln.

Was hieß das?

Ich sollte Parteisekretär werden. Das wollte ich zwar nicht, musste mich aber darauf einlassen. Dann war Dusiska weg, und niemand wollte sich mehr an seine Zusagen erinnern.

Eine Parteifunktion als Karriereknick.

Ja. So verkehrt war das aber nicht, weil ich die Parteiarbeit so organisieren konnte, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Natürlich war ich in dieser Zeit sozusagen der oberste Politfunktionär der Sektion, der den Genossen sagen sollte, wie es laut Parteibeschlüssen gehen muss. Ich habe das durchaus ernst genommen. Aber ganz wichtig waren mir die Beziehungen der Genossen untereinander. Wie man miteinander redet. Bei mir gab es keine Parteiverfahren oder irgendwelche Strafen. Vorher war das gang und gäbe. Ich versuchte, mein Sozialismusbild zu praktizieren.

Wie viel Macht hatte der Parteisekretär an der Sektion?

Gar keine. Gerhard Fuchs ließ sich sowieso nicht in die Suppe spucken.

Noch mal einen Schritt zurück: Die Auseinandersetzungen um das Ausbildungskonzept waren in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre besonders intensiv (vgl. Kluge 2011). Wie bewerten Sie diese Auseinandersetzungen im Rückblick?

Ich hatte ja schon gesagt, dass die Ausbildung zunächst sehr geschichtslastig war. In den Prüfungen wurde nach Jahreszahlen gefragt. Damals war aber die philosophische Ausbildung noch in die Einrichtungen integriert, eine Bereicherung für das Fach. Manfred Kliem war Mitglied unseres Lehrkörpers. Dann wurden die Institute für Marxismus-Leninismus gegründet. Für uns war das ein Verlust. Die philosophische Fundierung des Journalismus blieb uns selbst überlassen. Hans Poerschke hat das dann ja gemacht.

Ich dachte eher an die Praxisrelevanz. Die journalistische Methodik, Ihr Gebiet.

Das war eine meiner ersten Aktivitäten als Assistent. Wir haben zwei Konferenzen organisiert, zum Q in der Journalistik, also zur Qualität (vgl. Schmidt/Vorwerk 1963), und zu Nachrichten, die ich mit Edmund Schulz vorbereitet habe. Außerdem nahm Siegfried Schmidt die Anregungen über den sogenannten Bitterfelder Weg auf. Schreibende Arbeiter, Journalismus und Literatur. So richtig fundiert war das aber alles nicht. Und dann wurde es kurios.

Kurios?
Gründung der Sektion Journalistik am 31. Januar 1969. Werner Lamberz gratuliert Emil Dusiska. Rechts: Gregor Schirmer, Vize-Minister für das Hoch- und Fachschulwesen (Foto: ADN/Zentralbild, Busch; Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Gründung der Sektion Journalistik am 31. Januar 1969. Werner Lamberz gratuliert Emil Dusiska. Rechts: Gregor Schirmer, Vize-Minister für das Hoch- und Fachschulwesen (Foto: ADN/Zentralbild, Busch; Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Dusiska wurde Direktor und ordnete an, dass das Institut für Theorie und Praxis der Pressearbeit ein Jahr in Klausur geht und keinen Unterricht macht. Wir haben in Arbeitsgruppen gesessen und Papiere ausgearbeitet. Das Lehrfundament. Das hat nicht allen gefallen. Später hat auch nicht allen gefallen, dass wir alle in das Übungssystem einbezogen haben. Auch die Pressehistoriker mussten die Artikel von Studenten bewerten und diskutieren.

War das Übungssystem also Ergebnis dieser Klausur?

Unter anderem, ja.

Gab es zu viel Ideologie im Studium?

Wir hatten sicher mehr als alle anderen Fachrichtungen, denn es ging ja um Parteijournalismus. Die Partei hat von uns erwartet, marxistisch-politisch gebildete und besonders treue Parteijournalisten auszubilden. Zum Teil nahm das idiotische Züge an. Wolfgang Wittenbecher hat zum Beispiel gefordert, dass zu jedem Seminar Literatur von Marx und Lenin angegeben wurde. Die beiden hatten sich aber nicht zu jeder Frage geäußert. Zum Beispiel nicht dazu, wie man eine Nachricht schreibt oder wie man als Journalist recherchiert.

Ihr Kollege Wolfgang Tiedke (2011: 79) hat gesagt, er habe sich schon als Student Anfang der 1970er-Jahre abgeschminkt, dass die Journalistik in der DDR eine Wissenschaft sei. Hat Tiedke Recht?
Friedensdemonstration von Leipziger Journalistikstudenten Anfang der 1980er-Jahre (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Friedensdemonstration von Leipziger Journalistikstudenten Anfang der 1980er-Jahre (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr)

Das ist eine uralte Frage, die ja auch die westdeutschen Kollegen immer wieder diskutieren.

Das ist noch keine Antwort.

Ich sage Ja und Nein. Journalistik ist eine Wissenschaft, weil sie einen eigenen Gegenstand hat: Kommunikation in der Öffentlichkeit durch Massenmedien. Das kann man auch mit Methoden aus anderen Disziplinen bearbeiten. Die Mediziner übernehmen ja auch Methoden aus der Psychologie oder aus der Chemie. Wenn man natürlich nur pragmatisch bleibt und in der Tagespolitik, dann ist es keine Wissenschaft.

Haben Sie sich an der Sektion eher als Wissenschaftler gefühlt oder als Lehrer und Erzieher, vielleicht sogar wie Tiedke als Politiker?

Als Politiker habe ich mich nicht gesehen. Ich wusste, dass wir außerhalb der Sektion keinen Einfluss haben. Wir waren höchstens Interpreten der Informationspolitik. Wenn ich mir einen Vorwurf mache, dann diesen, dass ich mich dazu hergegeben habe, wider besseren Wissens diese Politik vor den Studenten im Sinne der Partei zu interpretieren, also apologetisch.

Erzieher, Wissenschaftler?

Erzieher war ich gern. Ich habe gern unterrichtet. Fragen stellen, moderieren, Dinge erklären, auch wenn mir die praktische Erfahrung manchmal fehlte. Das war sogar oft gut, weil man ohne Scheuklappen mit den Studenten über ihre Übungsarbeiten diskutieren konnte.

Welches Lehrheft, welchen Aufsatz oder welchen Forschungsbericht sollte man lesen, um den Journalistikprofessor Karl-Heinz Röhr von seiner besten Seite kennenzulernen?
Zweitauflage des Methodik-Lehrbuchs von 1988 (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut)

Zweitauflage des Methodik-Lehrbuchs von 1988 (Leipzig: VEB Bibliographisches Institut)

Ich bin nicht zum Klassiker geworden. Aber lesen Sie die Einführung in die journalistische Methodik (Autorenkollektiv 1988). Dort finden Sie zwar nicht meinen Namen, als ursprünglicher Forschungsgruppenleiter gab ich aber dafür die Anstöße, es sind meine Ideen, mein Konzept.

Und die Reihe mit Übungsheften zur journalistischen Methodik (vgl. Autorenkollektiv 1970-1974)?

Das ist sicher mein Verdienst. Wie wird recherchiert? Wie schreibt man einen Kommentar, wie eine Nachricht? Wie führt man ein Interview? Das ist nicht alles von mir, aber ich habe vieles angeregt, bereichert und betreut, und erfahrene Praktiker haben das für gut befunden.

Anke Fiedler (2014) hat in ihrer Dissertation über Medienlenkung in der DDR neben den Behörden in Berlin und den Leitmedien an dritter Stelle die Leipziger Journalistenausbildung genannt, noch vor dem MfS. Haben Sie sich als Medienlenker verstanden?

Überhaupt nicht. Wir hatten mit der Medienlenkung nichts zu tun. Haben Sie mit Wolfgang Tiedke über die große Inhaltsanalyse aus den 1970ern gesprochen? Das Projekt mit Rainer Gummelt, Wulf Skaun und anderen?

Ja, haben wir (Meyen/Fiedler 2011: 79).

Dort wurde ja untersucht, wie die Beschlüsse der Partei in den verschiedenen Zeitungen umgesetzt werden. Ein Ergebnis war, dass das Niveau in den einzelnen Bezirkszeitungen sehr unterschiedlich war. Es war ein kritisches Ergebnis. Die Gruppe ist damit mit großen Erwartungen in die Abteilung Agitation gezogen.

Und?

Heinz Geggel hat das sofort in seinen Stahlschrank eingeschlossen. Der Bericht wurde nie wieder angeschaut. Die Kollegen hatten die Illusion, dass sie etwas ändern können.

Nicht alle Leiter der Abteilung waren wie Heinz Geggel.
Karl-Heinz Röhr bei der Verteidigung seiner Promotion B 1987. Rechts neben ihm: Siegfried Schmidt. Auf dem Wandbild: Ministerpräsident Willi Stoph (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Karl-Heinz Röhr bei der Verteidigung seiner Promotion B 1987. Rechts neben ihm: Siegfried Schmidt. Auf dem Wandbild: Ministerpräsident Willi Stoph (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Bei meiner Dissertation war das nicht anders. Ich dachte, dass müsste die Genossen da oben doch interessieren. Überhaupt nicht.

Also keine Medienlenkung an Fakultät und Sektion.

Wir haben die kleinen Medienlenker befähigt, die Wünsche der Partei umzusetzen. Das ja.

Wie haben Sie sonst die Zusammenarbeit mit der Abteilung Agitation im ZK erlebt?
Karl-Heinz Röhr gratuliert Emil Dusiska 1979 zu seinem 65. Geburtstag (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Karl-Heinz Röhr gratuliert Emil Dusiska 1979 zu seinem 65. Geburtstag (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Ich war ja einer der Privilegierten. Ich war ein paar Mal dort. Ich habe Fritz Gluth besucht und zu Georg Förster hatte ich ein gutes Verhältnis, auch persönlich. Ich selbst habe nie irgendwelche Anweisungen bekommen.

Gab es den Versuch, Einfluss zu nehmen?

Ich persönlich habe das nicht erlebt, eher im Gegenteil. Als ich 1978 Parteisekretär wurde, kam Heinz Geggel nach Leipzig. Wir hatten Fragen zur Medienpolitik. Die hatten wir ja immer. Statt uns darüber aufzuklären, hat er uns erklärt, es sei ein großer Segen, dass wir in der DDR nach wie vor nur fünf Pfennig für ein Brötchen verlangen. Diese Ignoranz dem journalistischen Nachwuchs gegenüber war kaum zu ertragen.

Wenn es um die Leipziger Journalistik geht, ist viel von Ausbildung die Rede und wenig von Forschung. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Wolfgang Rödel verliest ein Gutachten. Sitzend: Karl-Heinz Röhr (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Wolfgang Rödel verliest ein Gutachten. Sitzend: Karl-Heinz Röhr (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Ausbildung war das A und O. Sozialistische Erziehung. Das wurde von uns erwartet und das haben wir mit voller Überzeugung auch versucht, da gibt es gar keinen Abstrich. Geforscht wurde eigentlich lehrbezogen. Wir haben untersucht, was wir in Vorlesungen und Seminaren diskutieren konnten. Dafür haben wir die Studenten mit Seminarreferaten und Diplomarbeiten einbezogen und auch genutzt. Die Partei oder die Praxis wollten keine Forschung, sondern wie schon gesagt Interpretation. Publikumsforschung wurde uns ja schon Ende der 1970er-Jahre untersagt. Sie hatten Angst, dass ihnen die Ergebnisse nicht gefallen. Darf ich noch eine Anekdote erzählen?

Gern.

Kurz vor Schluss meiner Zeit hatte ich eine Gruppe von vielleicht fünf Studenten, die in der Presse nach gelungenen Beiträgen suchen sollten. Schneidet aus, was euch gefällt, und wir reden dann darüber, entwickeln Kriterien für Qualität. Das muss 1987 gewesen sein. Vielleicht war die Gruppe nur faul. Denn sie hat nichts gefunden. Ein paar schöne Stilübungen, ja. Mehr nicht.

Sie haben alle Dekane bzw. Direktoren von Fakultät und Sektion erlebt. Wenn Sie die fünf vergleichen müssten: Wie würden Sie das machen?

Ich sage etwas Verrücktes: Franz Knipping konnte das am besten. Er war vielleicht etwas bürokratisch, aber er ließ die Leute machen und sein Dekanat lief. Emil Dusiska benahm sich wie ein Diktator. Ein Jahr Pause für ein neues Lehrkonzept. Punkt. Auf diese Idee wäre Knipping nie gekommen.

Und Budzislawski?

Wir haben ihn alle verehrt. Ein ungeheures Charisma, aber mit den Problemen, die ich erwähnt habe. Gerhard Fuchs war ein Duckmäuser. Intern war er kritisch, aber kein Kämpfer. Er wollte nicht anecken und er hatte Angst, dass die Sektion in Ungnade fällt. Er hat aber durchgesetzt, an den Chefredakteursrunden mit Geggel teilzunehmen. Wir hatten ja das Gefühl, weit ab vom Schuss zu sein. Als ich Parteisekretär war, habe ich ihn immer gefragt, was es Neues gibt, wenn er zurückkam.

Was hat er geantwortet?

Nichts Neues. Das kannst du vergessen. Seine Leitung hatte er aber im Griff. Er kannte das ja aus dem Apparat.

Wenn Sie selbst nach 1990 die Möglichkeit für einen Neuaufbau gehabt hätten: Was hätten Sie beibehalten?
50. Geburtstag von Sektionsdirektor Gerhard Fuchs 1979. Von rechts: Manfred Anders, Karl-Heinz Röhr (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

50. Geburtstag von Sektionsdirektor Gerhard Fuchs 1979. Von rechts: Manfred Anders, Karl-Heinz Röhr (Quelle: Privatarchiv Karl-Heinz Röhr).

Das Übungssystem auf jeden Fall. Auch die Zusammenarbeit mit den Praktikern und den Versuch, Journalismus auf ein breites philosophisches und fachliches Fundament zu stellen. Die Studenten wissen ja nicht, wo sie eines Tages landen. Man braucht also eine breitgefächerte Ausbildung. Und dann etwas, wofür ich bestimmt Ohrfeigen bekomme. Vielleicht sogar von Ihnen.

Was kann das sein?

Aktuell-politisches Argumentieren. APA. Uns wurde immer unterstellt, dieses Seminar solle die Studenten auf Linie bringen. Wenn man bösartig ist, war es tatsächlich manchmal und bei manchen Kollegen ein kleines FDJ-Lehrjahr. Ich habe das nie so gesehen. Ich wollte, dass künftige Journalisten mitten drin sind in der aktuellen Politik. Ich habe das wie eine Fernsehdiskussion aufgezogen und mich immer aufgeregt, wenn die Studenten politisch nicht auf dem Laufenden waren, sich nicht für Kultur oder Sport interessierten und wichtige Namen nicht kannten.

Wann haben Sie gewusst, dass es beim Neuaufbau keinen Platz für Sie geben wird?

Sofort. Ich war ja mal Parteisekretär. Das war ein Makel. Ich hätte bei der Evaluierung keine Chance gehabt. Die Westkollegen wären erschrocken.

Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?

Es gibt wenig, für das ich mich schämen müsste. Ich bin auch stolz, dass ich meine Ideale von menschlicher Zusammenarbeit realisieren konnte. Und dass ich vielleicht einer ganzen Journalistengeneration vieles Nützliche beibringen konnte, und seien es Kreativität und Nachdenken. Bis heute. Ich kümmere mich auch jetzt um vieles, halte die Leipziger Journalisten-Senioren und die Kollegen von der alten Sektion zusammen. Ich bin nach wie vor ein kommunikativer Mittelpunkt, auch glücklich in meiner Familie. Das macht mich schon stolz.

Gibt es etwas, was Sie heute anders machen würden?

Hinterher ist das leicht gesagt. Heute sagt jeder, dass man den Mund hätte aufmachen sollen. In der DDR konnte das immer die Karriere beenden. An der Karriere hingen auch die Ehefrau und die Kinder. Aber es wäre unredlich, wenn wir uns heute als verdeckte Widerstandskämpfer ausgeben würden. Ich jedenfalls habe aus freien Stücken und mit echter Überzeugung für einen guten Journalismus in der DDR gearbeitet, auch wenn man das heute als Illusion ansehen muss.

Was soll eines Tages vom Journalistenausbilder und Journalistikwissenschaftler Karl-Heinz Röhr bleiben?

Ich würde mir wünschen, dass sich jemand in 30 oder 40 Jahren an unsere Beschreibungen der journalistischen Genres und an unsere Übungsbücher erinnert und sagt, das war doch ganz vernünftig, journalistische Beiträge nach bestimmten Kriterien zu gestalten und zu bewerten. Um journalistische Qualität geht es immer und überall.

Literaturangaben

  • Autorenkollektiv: Methodik der journalistischen Arbeit. Übungsbuch an der Sektion Journalistik. Sieben Hefte. Karl-Marx Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1970 bis 1974.
  • Autorenkollektiv: Einführung in die journalistische Methodik. Karl-Marx Universität Leipzig: Sektion Journalistik 1988.
  • Hermann Budzislawski: Sozialistische Journalistik. Leipzig: Bibliographisches Institut 1966.
  • Burghard Ciesla/Dirk Külow: Zwischen den Zeilen. Geschichte der Zeitung „Neues Deutschland“. Berlin: Verlag Das Neue Berlin 2009.
  • Emil Dovifat: Zeitungswissenschaft. Zwei Bände. Berlin: de Gruyter 1931.
  • Emil Dovifat: Zeitungslehre. Zwei Bände. Berlin: de Gruyter 1937.
  • Anke Fiedler: DDR-Zeitungen und Staatssicherheit: Zwischen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und operativer Absicherung. In: Deutschland Archiv 2013, S. 145-155.
  • Anke Fiedler: Medienlenkung in der DDR. Wien: Böhlau 2014.
  • Michael Haller (Hrsg.): Tatsachen und Meinungen. Festschrift für Klaus Puder. Universität Leipzig: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 1997.
  • Volker Kluge: Wir haben eine ganze Generation geprägt. In: Michael Meyen/Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR. Berlin: Panama Verlag 2011, S. 195-209.
  • Brigitte Klump: Das rote Kloster. Eine deutsche Erziehung. Hamburg: Hoffmann und Campe 1978.
  • Brigitte Klump: Das rote Kloster. Als Zögling in der Kaderschmiede des Stasi. München: Herbig 1991.
  • Irina Liebmann: Wäre es schön? Es wäre schön! Mein Vater Rudolf Herrnstadt. Berlin: Berlin Verlag 2008.
  • Maria Löblich: Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende in der Publizistik- und Zeitungswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2010.
  • Michael Meyen: IAMCR on the East-West Battlefield: A Study on the GDR’s Attempts to Use the Association for Diplomatic Purposes. In: International Journal of Communication Vol. 8 (2014), S. 2071–2089.
  • Hans Poerschke: Öffentlichkeit als Gegenstand gesellschaftswissenschaftlicher Diskussion in der DDR. In: Tobias Eberwein/Daniel Müller (Hrsg.): Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag. Festschrift für Horst Pöttker. Wiesbaden: VS Verlag 2010. S. 43-56.
  • Karl-Heinz Röhr: Zeitungsinformation und Bildschirm. Die sozialistische Presse unter den Bedingungen des Fernsehens. Leipzig: Bibliographisches Institut 1968.
  • Christian Schemmert/Daniel Siemens: Die Leipziger Journalistenausbildung in der Ära Ulbricht. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61. Jg. (2013), Nr. 2, S. 201-237.
  • Dietrich Schmidt/Fred Vorwerk (Hrsg.): Um das Q in der journalistischen Arbeit. Leipzig: Fakultät für Journalistik 1963.
  • Daniel Siemens: Elusive Security in the GDR. Remigrants from the West at the Faculty of Journalism in Leipzig, 1945-1961. In: Central Europe Vol. 11 (2013), Nr. 1, S. 24-45.
  • Wolfgang Tiedke: Wir haben die richtigen Fragen gestellt. In: Michael Meyen/Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR. Berlin: Panama Verlag 2011, S. 75-86.
  • Walter Thimm: Philosophische Aspekte der sozialistischen Leitungswissenschaft. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Band 14 (1966), S. 654-665.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

  • Karl-Heinz Röhr: Um journalistische Qualität geht es immer und überall. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/karl-heinz-roehr/ (Datum des Zugriffs).