Jörg Aufermann (Foto: privat)
Jörg Aufermann (Foto: privat)

Jörg Aufermann

26. April 1940

Lexikoneintrag von Maria Löblich am 21. Juni 2013

Jörg Aufermann gehört zu den Vertretern der kritischen Kommunikationswissenschaft in der Tradition von Theodor W. Adorno, einer „Perspektive, die heute zu den theoriegeschichtlichen ‚Verlierern‘ in der deutschen Kommunikationswissenschaft gezählt werden muss“ (Scheu 2012: 12).

Stationen

Geboren in Berlin, aufgewachsen in Sasbach bei Achem. Vater Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in Baden-Baden, später Generalkonsul in Belgisch-Kongo, katholisch. 1962 Studium an der FU Berlin (Publizistik, Soziologie, Japanologie). 1963 bis 1968 Mitwirkung am Aufbau der Abteilung Dokumentation des Instituts für Publizistik und des Publizistikwissenschaftlichen Referatedienstes. 1968 bis 1970 Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. 1970 Promotion (Doktorvater: Fritz Eberhard). 1971 Assistenzprofessor am Institut für Konzentrationsforschung im Fachbereich 10 (Wirtschaftswissenschaften) der FU Berlin. Vertreter der wissenschaftlichen Assistenten im akademischen Senat. 1972 Habilitation am Fachbereich 11 (Philosophie und Sozialwissenschaften). Stipendium der Stiftung Volkswagenwerk. Sommersemester 1974 Gastdozentur für Publizistik an der Ruhr-Universität Bochum. 1974 bis 2005 Lehrstuhl für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Institutsdirektor an der Georg-August-Universität Göttingen. 1975 bis 1976 Vorsitzender der DGPuK. Verheiratet, zwei Söhne.

Publikationen

  • Kommunikation und Modernisierung. Meinungsführer und Gemeinschaftsempfang im Kommunikationsprozess. München: Verlag Dokumentation 1971 (Dissertation).
  • Ausbildungswege zum Journalismus. Bestandsaufnahmen, Kritik und Alternativen der Journalistenausbildung. Opladen: Westdeutscher Verlag 1975 (mit Ernst Elitz).
  • Kommunikation und Politik. München: Verlag Dokumentation. Ab 1971 (Schriftenreihe, herausgegeben mit Hans Bohrmann, Elisabeth Löckenhoff und Winfried B. Lerg).
Theodor W. Adorno (Foto: Ilse Mayer-Gehrken, Suhrkamp)

Theodor W. Adorno (Foto: Ilse Mayer-Gehrken, Suhrkamp)

Jörg Aufermann gehört zu den Vertretern der kritischen Kommunikationswissenschaft in der Tradition von Theodor W. Adorno, einer „Perspektive, die heute zu den theoriegeschichtlichen ‚Verlierern‘ in der deutschen Kommunikationswissenschaft gezählt werden muss“ (Scheu 2012: 12). In den 1970er-Jahren ließ gerade die Laufbahn von Jörg Aufermann etwas ganz anderes vermuten: mit 32 Jahren habilitiert (kumulativ; Titel des Habilitationsvortrags: Gründe und Auswirkungen von Konzentration und Zentralisation der Massenkommunikationsmittel in der BRD; nach dem seinerzeit gültigen Berliner Hochschulgesetz war es möglich, sich eine exzellente Dissertation zugleich im Habilitationsverfahren anrechnen zu lassen) und zwei Jahre später Lehrstuhlinhaber in Göttingen (als Nachfolger von Wilmont Haacke).

Das materialistisch-kritische Fachverständnis, das Aufermanns Doktorarbeit und der von ihm mitgegründeten Schriftenreihe Kommunikation und Politik zugrunde liegt, war als Gegenentwurf zu dem empirisch-analytischen Mainstream gedacht, der sich Mitte der 1960er-Jahre im Fach durchgesetzt hatte (Aufermann et al. 1975: 5, vgl. Löblich 2010). Die Schriftenreihe trat mit dem Versprechen an, die „wechselseitige Durchdringung von historischer und soziologischer Analyse“ zu befördern und forderte das Fach auf, sich an der kritischen Analyse der Gesellschaft zu beteiligen (Aufermann et al. 1971: Klappentext).

Fritz Eberhard (Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Fritz Eberhard (Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Aufermann (2007: 287), der sich in den 1960er-Jahren als „Teil der Studentenbewegung“ verstanden hat und vom Trauzeugen Rudi Dutschke zur Hochzeit geführt wurde, bezeichnete im biografischen Rückblick seinen Doktorvater Fritz Eberhard als politisches Vorbild. Wissenschaftliche Anstöße erhielt er auch von der Lehrbeauftragten Elisabeth Noelle-Neumann, deren Berliner Seminare auch Winfried Schulz (2007) und Jan Tonnemacher (2007) begeistert haben, sowie von dem Dokumentationswissenschaftler Hans-Werner Schober.

Die Laufbahn von SPD-Mitglied Jörg Aufermann und die Entwicklung des Göttinger Instituts können auch parteipolitisch gelesen werden. Seine Berufung erfolgte unter einer SPD-Regierung. In der Amtszeit des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) wurde in Hannover ein weiteres Institut für Kommunikationswissenschaft gegründet, und unter dem CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff wurde entschieden, das Fach in Göttingen zu schließen (Aufermann 2007: 293).

Literaturangaben

Weiterführende Literatur

  • Hans Bohrmann: Fritz Eberhards Konzeption der Publizistikwissenschaft. Überlegungen anläßlich seines 100. Geburtstages am 2. Oktober 1996. In: Publizistik 41. Jg. (1996), S. 466-469.
  • Wilfried Scharf: Wilmont Haacke: Wissenschaftliche Karriere und Bedeutung für das Fach. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch/Wolfgang R. Langenbucher/Klaus Schönbach (Hrsg.): Fünfzig Jahre Publizistik. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 113-143.
  • Bernd Sösemann (Hrsg.): Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk. Stuttgart: Steiner 2001.

Empfohlene Zitierweise

    Maria Löblich: Jörg Aufermann. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013. http://blexkom.halemverlag.de/jorg-aufermann/ (Datum des Zugriffs).