Walther Heide (Quelle: Privatarchiv Ingrid Klausing)

Walther Heide

3. Juli 1894 bis 1945? (1957 für tot erklärt)

Lexikoneintrag von Hendrik Wagner am 5. April 2016

Walther Heide gelang es, im Zuge der NS-Machtübernahme die selbsterwählte Rolle eines „Treuhänders der Zeitungswissenschaft“ tatsächlich auszufüllen. Als Präsident des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes stimmte er das Fach auf die Leitlinien des Nationalsozialismus ein.

Stationen

Geboren in Iserlohn (Sauerland), Vater Volksschulrektor.  Realgymnasium in Hagen mit Abitur als Abschluss. 1913 bis 1919 Militärdienst als Oberleutnant d.R., später Hauptmann d.R. 1919 bis 1920 Volontär an der Stadtbibliothek Dortmund. Studium in Marburg, Berlin und Münster (Geschichte, Zeitungswesen, Germanistik, Philosophie, Volkswirtschaft). 1920 Promotion (Soziale Zustände und Sozialpolitik in Dortmund bis Mitte des 17. Jahrhunderts) bei Aloys Meister in Münster. 1920 bis 1921 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Hauptzollamt Münster. 1921 bis 1922 Chefredakteur des Pressedienstes des Volksbundes Rettet die Ehre in Bremen. 1923 Angestellter im Auswärtigen Amt, Abteilung Presse, Reichszentrale für Heimatdienst, Referent und stellvertretende Leitung der Landesabteilung Hannover-Braunschweig. 1926 bis 1944 Mitherausgeber der Zeitungswissenschaft. 1927 Auswärtiges Amt, Abteilung Presse, stellvertretende Leitung des Referats J./Innere und auswärtige Politik mit Bezug auf die Presse im Inland. 1928 Regierungsrat. 1929 Oberregierungsrat. 1932 Leitung des Referats J. 30.1.1933 Vortragender Legationsrat. 13.3.1933 Stellvertretender Pressechef der Reichsregierung (nach Umwandlung des Referats J. in die Abteilung IV/Presseabteilung der Reichsregierung im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda). 1933 Leitung der Ausland-Pressebüro-GmbH, Honorarprofessor für Zeitungswissenschaft an der Technischen Hochschule Berlin, Präsident des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes. 1935 Mitglied des Reichskultursenats. 1937 Mitglied der NSDAP. 1945 in sowjetischer Haft. Verheiratet, zwei Söhne und zwei Töchter.

Publikationen

  • Französische Ruhrpropaganda. Bielefeld: Rennebohm & Hausknecht 1923.
  • Diplomatie und Presse. Vortrag gehalten anlässlich der Tagung „Behörde und Presse“. Köln: Gilde-Verlag 1930.
  • Handbuch der deutschsprachigen Zeitungen im Ausland. Berlin: de Gruyter 1935 (Herausgeber).
  • Wie studiere ich Zeitungswissenschaft? Berlin: Deutscher Zeitungswissenschaftlicher Verband 1935.
  • Handbuch der Zeitungswissenschaft. 2 Bde. Leipzig: Hiersemann 1940, 1941-1943 (Herausgeber).

In der Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft nimmt Walther Heide zweifelsohne eine interessante Sonderrolle ein. Denn obgleich sich seine fachliche Leistungen – sowohl auf empirischem als auch auf theoretischem Gebiet – in sehr engen Grenzen bewegten, mithin mit Fug und Recht als dürftig bezeichnet werden können (vgl. Kutsch 2010: 123), gelang es Heide, sich im Kontext der nationalsozialistischen Machtübernahme als sogenannter „Treuhänder der Zeitungswissenschaft“ zu etablieren. Damit verbunden war ein massiver Einfluss auf die organisatorische und programmatische Gestalt des Fachs, ermöglicht nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die den unvollständigen Grad der Institutionalisierung des Fachs, die politische Umbruchsituation, aber eben auch Heides besondere organisatorischen Fähigkeiten als „eigenständiger Tatmensch, umtriebig und gewandt, mit Machtinstinkt und Durchsetzungsvermögen“ (ebd.: 124) beinhalteten.

Wie für viele andere seiner Generation sollten sich die Erfahrungen, die Walther Heide im Ersten Weltkrieg als Oberleutnant machte, als wegweisend für sein weiteres politisches Denken und Wirken erweisen. Überzeugt von der „Macht der Presse“ galt Heides Aufmerksamkeit fortan vor allem der Frage, wie man den im Krieg beobachteten hohen Einfluss der (feindlichen) Propaganda in die, aus seiner Sicht, richtigen Bahnen lenken könnte (vgl. ebd.: 122). Einerseits scheiterte Heides Versuch, in der Zeitungskunde Fuß zu fassen und eine Professur übertragen zu bekommen. Andererseits gelang es dem promovierten Historiker gemeinsam mit seinem Freund Karl d’Ester, 1926 mit der Zeitungswissenschaft die erste Fachzeitschrift der jungen Disziplin zu gründen und als ihr maßgeblicher Mitherausgeber zu fungieren. Darüber hinaus bewegte sich Heide beruflich fortan in einem Umfeld, aus dem heraus er eine enge Tuchfühlung zur sich noch im Aufbau befindlichen Zeitungswissenschaft nehmen konnte.

1921 zunächst Redakteur der Korrespondenz Rettet die Ehre, die gegen den als „Schmach“ empfundenen Versailler Friedensvertrag auftrat, stieg Heide, der alsbald Mitglied der DVP Gustav Stresemanns wurde, 1927 zum Referenten im Auswärtigen Amt auf, um dort das Selbstverständnis eines „beamteten Journalisten“ zu entwickeln und auszuprägen. Dieses Selbstverständnis umschloss zwar durchaus noch ein Plädoyer für die Freiheit der Presse, beinhaltete aber vor allem einen starken Rekurs auf die Interessen des Staates, der vor überzogener Kritik geschützt werden müsse (vgl. ebd.: 123-124, 126). Dass das Fach im Sinne eines qualitativen Erkenntnissprungs die öffentliche Kommunikation mitsamt ihren sozialen Beziehungen als Erkenntnisinteresse für sich entdeckte (vgl. Averbeck/Kutsch 2002: 59), sah der Pressemann Heide insofern mit der Gefahr eines Verlustes an Orientierung verbunden, als er die zeitungswissenschaftliche Forschung gemäß einer expliziten Aufgabenbeschränkung auf das Materialobjekt Zeitung konzentriert wissen wollte (vgl. Kutsch 2010: 127).

Karl d'Ester, Helmut Fischer, Walther Heide (von links) und der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler (November 1935, Quelle: Zeitungswissenschaft 12. Jg.)

Karl d’Ester, Helmut Fischer, Walther Heide (von links) und der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler (November 1935, Quelle: Zeitungswissenschaft 12. Jg.)

Heide, der das Idealbild eines bestimmten politischen Zeitungsjournalismus vor Augen hatte, nutzte nun die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme einhergehende Neuverteilung von Ressourcen im Bereich Wissenschaft und Politik, um seine eigenen fach- und pressepolitischen Vorstellungen mithilfe von zwei miteinander verflochtenen Organisationsformen umzusetzen: Unter Reichskanzler Franz von Papen zum Leiter des Inlandsreferats der Vereinigten Presseabteilung im Auswärtigen Amt befördert, wurde Heide die Loyalität zu den neuen Machthabern insofern gedankt, als er fortan als Leiter eines Auslandspressebüros getarnte subventionierte deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften im Ausland verwalten sowie eine propagandistische Beeinflussung von im Ausland erscheinenden deutschsprachigen Blättern vornehmen sollte (vgl. ebd.: 129). Mehr oder minder parallel dazu gründete er den Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verband (DZV). Dabei stellte dieser nur formal einen Zusammenschluss einiger weniger studentischer Zeitungswissenschaftlicher Vereinigungen dar. In Wirklichkeit handelte es sich um ein allein von Walther Heide gesteuertes fachpolitisches Instrument, das die fehlende Masse durch eine „totalitäre Erfolgsrhetorik“ zu überstrahlen versuchte (ebd.: 131-132). Damit stand Heide, der 1933 eine eher symbolisch und scheinlegitimierend zu verstehende Honorarprofessur für Zeitungswissenschaft an der Technischen Universität Berlin übertragen bekam, also keiner eigentlichen Fachgesellschaft vor. Vielmehr gelang es ihm im Kontext der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ der Wissenschaft als Führer und Präsident des DZV, entscheidenden Einfluss auf die weitere organisatorische und inhaltliche Fachentwicklung zu nehmen. In diesem Sinne versuchte Heide den Nutzen des sich noch immer wenig institutionalisierten Fachs herauszustellen, um auf diese Weise einerseits Zuschüsse für zeitungswissenschaftliche Institute zu akquirieren und andererseits die Disziplin in die Journalistenausbildung einzubinden. Letzteres erreichte er über die Durchführungsverordnung zum Schriftleitergesetz von 1933, das dank seines Wirkens einen Passus erhielt, wonach künftig das zeitungswissenschaftliche Studium auf die praktische Journalistenausbildung angerechnet wurde (vgl. ebd.: 130-134).

Während sich Heide auf der internen Ebene der Verbandsorganisation des nationalsozialistischen Führerprinzips bediente, um sich selbst als uneingeschränkten Führer zu installieren, benutzte er nach außen den Begriff des „Treuhänders der Zeitungswissenschaft“. In dieser Funktion veranstaltete er sogenannte DZV-Tagungen und wirkte beim Reichserziehungsministerium auf die Genehmigung eines eigenen zeitungswissenschaftlichen Lehrplans ein (vgl. Maoro 1987: 287-288). Unter dem Slogan „Von der Presse kommen wir, bei der Presse bleiben wir“ versuchte Heide fortlaufend, „jegliche Zersplitterung“ der Disziplin zu unterbinden, und bekämpfte in diesem Zusammenhang die Bemühungen des Leipziger Ordinarius Hans Amandus Münster, der sich für eine nicht auf das Materialobjekt Presse beschränkte Publizistikwissenschaft einsetzte (vgl. Hachmeister 1987: 56-59).

Dass Heide aus diesem – radikal nationalsozialistischen – Umfeld im Lauf des Zweiten Weltkrieges eine durchaus ernst zu nehmende Opposition aus den Reihen des NS-Dozentenbundes erwuchs, wurde später zum Anlass genommen, um seinem Wirken eine Art „innere Emigration“ zum Nationalsozialismus anzudichten (vgl. Haacke 1969). Tatsächlich nutzte Heide, der nach Kriegsende von der sowjetischen Besatzungsmacht festgenommen, als vermisst gemeldet und 1957 schließlich für tot erklärt wurde, die nationalsozialistische „Machtergreifung“ aus, um seine fachpolitischen Vorstellungen im Zuge einer Selbstgleichschaltung der Disziplin gemäß der nationalsozialistischen Ideologie voranzutreiben (vgl. Averbeck/Kutsch 2002: 61). Im Krieg selbst betonte er immer wieder die vermeintliche Kriegswichtigkeit des Fachs (vgl. exemplarisch DZV-Rundschreiben 1940/Nr. 6). Das von Heide (1940, 1941-1943) vorangetriebene, allerdings unabgeschlossene Handbuch der Zeitungswissenschaft stellt dabei ein anschauliches, bleibendes Resultat der von ihm vertretenen Fokussierung auf eine positivistische pressefixierte Disziplin dar.

Literaturangaben

  • Stefanie Averbeck/Arnulf Kutsch: Thesen zur Geschichte der Zeitungs- und Publizistikwissenschaft 1900-1960. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 57-66.
  • Wilmont Haacke: Heide, Alexander Walter. In: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 241-242.
  • Lutz Hachmeister: Theoretische Publizistik. Studien zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Berlin: Spiess 1987.
  • Walter Heide (Hrsg.): Handbuch der Zeitungswissenschaft. 2 Bde. Leipzig: Hiersemann 1940, 1941-1943.
  • Arnulf Kutsch: Die Entstehung des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte Bd. 12. Stuttgart: Steiner 2010, S. 121-144.
  • Bettina Maoro: Die Zeitungswissenschaft in Westfalen 1914-45. Das Institut für Zeitungswissenschaft in Münster und die Zeitungsforschung in Dortmund. München: Saur 1987.

Weiterführende Literatur

  • Hans Bohrmann/Arnulf Kutsch: Der Fall Walther Heide. Zur Vorgeschichte der Publizistikwissenschaft. In: Publizistik 20. Jg. (1975), S. 805-808.
  • Gerhard Keiper (Bearb.): Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945. Bd. 2, G-K. Hrsg.: Auswärtiges Amt, Historischer Dienst. Paderborn: Schöningh 2005.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Hendrik Wagner: Walther Heide. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2016. http://blexkom.halemverlag.de/walther-heide/ (Datum des Zugriffs).