Klaus Merten (Foto: privat)

Klaus Merten

(1940 bis 2020)

Ein Nachruf von Armin Scholl am 20. April 2020

Klaus Merten ist am 20. Februar 2020 im Alter von 79 Jahren gestorben. Armin Scholl würdigt seine wissenschaftliche Leistung an der Universität Münster.

In der letzten Zeit war es ruhig geworden um Klaus Merten. Zwar hatte er sich einigermaßen von einem Schlaganfall vor einigen Jahren erholt, aber die Energie, die ihn bis dahin ausgezeichnet hatte, war deutlich geschwunden, und auch seine Besuche im Institut wurden immer weniger. Wenn über Klaus Merten gesprochen wird, dann kommen nahezu ausnahmslos seine überragenden wissenschaftlichen Fähigkeiten in Theorie und Methoden, in Wirkungsforschung wie in PR-Forschung auf den Tisch, sehr oft aber auch seine schwierige Persönlichkeit, insbesondere seine Streitbarkeit. Der Streit widerfuhr ihm dabei mehr, als dass er ihn suchte. Die kausale Richtung ging eher so, dass die wissenschaftlichen Konflikte, die er austrug, auch in persönlichen Streit ausarteten, als umgekehrt, dass ihn ein persönlicher Streit zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung motivierte.

Persönlich erinnere ich mich jedoch hauptsächlich und viel lieber an den großzügigen, zugeneigten, bescheidenen und warmherzigen, wissenschaftlich scharfsinnigen und mit enormer Transparenz und Kritikfähigkeit argumentierenden Klaus Merten.

Sein Lebenslauf ist so bekannt, dass ich ihn nicht wiederholen muss, sondern die Gelegenheit ergreife, bestimmte wissenschaftliche Aspekte zu würdigen, die zwar ansonsten nicht unbedingt zu kurz kommen, aber in ihrer Konsequenz meines Erachtens unterschätzt werden. Gerne wird erwähnt, dass Klaus Merten nicht nur Publizistik, sondern auch Elektrotechnik und Mathematik sowie Soziologie studiert hat. Interessant ist aber, dass diese ungewöhnliche Kombination nicht in eine naturwissenschaftlich dominierte Perspektive mündet. Wer naturwissenschaftlich vorgebildet ist, hat in der Regel ein – nennen wir es – szientistisches Verständnis von Wissenschaft, das sich sehr stark orientiert an Kausalität, an erkenntnistheoretischem Realismus, an einem mechanistischen und standardisiert-quantifizierenden Methodenverständnis. Nicht so Klaus Merten: Wer seine Dissertation gelesen hat, in der er eine Begriffsanalyse zu dem grundlegenden Begriff des Fachs, nämlich Kommunikation, durchgeführt hat, lernt eindrucksvoll, wie sehr er dem Gegenstand gerecht wird und dabei mit einer naturwissenschaftlich geschulten Systematik vorgeht.

Sein Wissenschaftsverständnis ist durch Reflexivität, Selektivität und Systemizität (nicht anstatt, sondern übergeordnet zu Kausalität) gekennzeichnet. Diese Vorstellung hat er später auf die Medienwirkungsforschung übertragen. Dass sein transklassisches Wirkungsmodell, wie er es titulierte, erkenntnistheoretisch im Konstruktivismus fundiert war, war theoretisch konsequent und methodologisch innovativ. Mit Klaus Merten hat ein Kommunikationswissenschaftler vorgemacht, wie man systemtheoretisch empirisch forscht, und zwar ohne die weithin akzeptierten Regeln des Kritischen Rationalismus auch nur im Mindesten zu beeinträchtigen. Merten war Konstruktivist und Kritischer Rationalist, Systemtheoretiker und Empiriker.

Die Begriffsanalyse hat Merten noch auf weitere Felder angewandt: Aktualität, Publizität/Öffentlichkeit, Public Relations, Propaganda, Gerücht. Immer gehen die logisch stringenten Begriffsbestimmungen über lapidare Nominaldefinitionen hinaus und entfalten ein theoretisches Gerüst. In seinem Wissenschaftsverständnis werden Begriffe nicht dezisionistisch gesetzt, sondern logisch hergeleitet.

Ein besonderes Faible war die historische Fundierung heutiger Phänomene: Die Methode der Inhaltsanalyse verfolgte er konsequent bis zur ihren Anfängen zurück; den biblischen Propheten Moses charakterisierte er als frühen PR-Praktiker; und die antike griechische Agora benutzte er anschaulich als Modell für eine vormoderne (kleine) Öffentlichkeit. Seine Wanderungen durch Kreta, die er in einem Reiseführer publiziert hat, machten Klaus Merten mit vielen dörflichen Strukturen bekannt und ließen ihn erahnen, wie Meinungsführerschaft in frühen Gesellschaften funktioniert haben könnte. Mein persönliches Highlight seiner historischen Referenzen ist die grafische Darstellung der Evolution von Kommunikationsmedien als exponentielle Kurve oder als Countdown der Menschheitsgeschichte kondensiert in eine Zeitstunde.

Ich bin dankbar dafür, dass ich viele spannende und kenntnisreiche Seminare und Vorlesungen von Klaus Merten besuchen durfte, dass ich als studentische Hilfskraft an mehreren seiner originellen empirischen Projekte mitarbeiten konnte, dass er mich promoviert hat, dass er mir ein wissenschaftliches Vorbild war. Und ich bin stolz darauf, als sein Schüler bezeichnet zu werden.