Stefan Wehmeier

(1968 bis 2018)

Ein Nachruf von Patrick Donges am 19. Februar 2018

Stefan Wehmeier ist am 13. Februar 2018 im Alter von 49 Jahren gestorben. Patrick Donges erinnert an seine beruflichen Stationen und würdigt sein Wirken im Fach und an der Universität Greifswald.

Die beruflichen Stationen Stefan Wehmeiers verweisen auf ein bewegtes, umtriebiges und leider viel zu kurzes Leben: Geboren 1968 studiert der gebürtige Westfale Publizistik, Neuere Geschichte und Wirtschaftspolitik an der Universität Münster und schließt mit einer Promotion über Fernsehen im Wandel. Differenzierung und Ökonomisierung eines Mediums bei Arnulf Kutsch ab. Nach der Promotion beginnt Stefan Wehmeier zunächst eine praxisorientierte Laufbahn einzuschlagen, wird Volontär und Redakteur beim kress report und später Referent für Kommunikation bei IP Deutschland, dem Vermarkter der RTL Group. Von dieser Stelle aus zieht es ihn wieder in die Wissenschaft: Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig wird eine längere (und in der Rückschau auch die längste) berufliche Station. Rund sechseinhalb Jahre ist er als Mitarbeiter von Günter Bentele tätig und hat seinen Anteil am erfolgreichen Aufbau des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit/PR (heute Communication Management) in Leipzig. Nach zwischenzeitlichen Aufenthalten in den USA, Finnland und Neuseeland wird Stefan Wehmeier 2007 als Juniorprofessor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation an die Universität Greifswald berufen. Vom großen Leipziger Institut ins kleine Greifswald: Schon wenige Monate nach seinem Dienstantritt muss Stefan Wehmeier die Vertretung der einzigen „ordentlichen“ Professur für Kommunikationswissenschaft übernehmen und den ganzen Arbeitsbereich am Laufen halten. Die Befristung seiner Stelle als Juniorprofessor vor Augen verlässt er Greifswald, wechselt für 21 Monate auf eine Adjunkt-Professur für Strategische Kommunikation nach Dänemark, dann für 17 Monate auf eine Forschungsprofessur für Strategische Kommunikation und Neue Medien an die FH-Wien, und schließlich für weitere zwölf Monate auf die Professur für Public Relations und Organisationskommunikation an die Universität Salzburg. 2012 nimmt er zum zweiten Mal einen Ruf an die Universität Greifswald an; bei gleicher Denomination (Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation), aber jetzt als W2 und endlich „auf Dauer“. Die Hoffnung, auf der viele Jahre angestrebten Professur endlich ankommen und etwas Dauerhaftes aufbauen zu können, trügt jedoch: Nur rund anderthalb Jahre nach seinem Dienstantritt in Greifswald wird die Krankheit erkennbar, an deren Folgen Stefan Wehmeier im Februar 2018 – mit nicht einmal 50 Jahren – stirbt.

Unsere Wege kreuzten sich Ende der 1990er-Jahre. In seiner 1998 erschienenen Dissertation adaptierte Stefan Wehmeier das Modell der Akteur-Struktur-Dynamiken des Soziologen Uwe Schimank auf den Wandel des Fernsehens und sorgte damit bei mir in Zürich für einen Schweißausbruch, da ich in meiner (fast fertigen) Dissertation über Rundfunkpolitik ähnlich argumentierte und Stefans Buch viel zu spät zur Kenntnis genommen hatte. Wir trafen uns als einzige Kommunikationswissenschaftler auf einem Workshop des Netzwerkes Neo-Institutionalismus in Wien, weil wir uns beide aus unterschiedlichen Perspektiven heraus für diesen theoretischen Ansatz interessierten. Für einige Zeit waren wir die einzigen Professoren am kleinen Arbeitsbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Greifswald. Die Zusammenarbeit mit ihm war immer unkompliziert. Auch als „ordentlicher Professor“ nahm er sich nicht wichtiger als nötig. Notwendige Absprachen konnten wir, im Türrahmen stehend, in wenigen Minuten kollegial treffen. Leider war das auch oft notwendig: Um seine wöchentlichen Fahrten zwischen der Familie im thüringischen Arnstadt und Greifswald habe ich ihn nie beneidet (eine Tour rund sechs Stunden, abends mit dem Regionalexpress, erster Halt Greifswald-Süd). Zu ruhigen Abenden in seiner Wohnung oder beim Griechen kam es leider viel zu selten. Stefan Wehmeier schulterte einen kleinen, aber erfolgreichen Masterstudiengang Organisationskommunikation – und dies an einem Ort, an dem es jenseits der Universität und der Universitätsmedizin keine große Organisation gibt. Er hatte 2012 gezögert, wieder nach Greifswald zurückzukehren. Den Ruf auf die W2 lehnte er zunächst ab und nahm ihn später doch an, als auch die Zweitplatzierte abgesagt hatte und die Liste eigentlich durch war (die rechtliche Absicherung dieses ungewöhnlichen Vorgehens hat das Rektorat in Greifswald vermutlich sehr beschäftigt). Greifswald profitierte von seinem Netzwerk, von seinen internationalen Kontakten nach Dänemark und Schweden. Diese Netze fester zu ziehen und eine dauerhafte Struktur zu schaffen war ihm in der kurzen Zeit nicht vergönnt.

Das wissenschaftliche Feld Stefan Wehmeiers waren, von der Dissertation abgesehen, Public Relations und Organisationskommunikation. Vier Jahre engagierte er sich als Sprecher der DGPuK-Fachgruppe. Seine wichtigsten Arbeiten beschäftigen sich mit der Institutionalisierung von Strukturen und Prozessen, beispielsweise von CSR-Kommunikation in Unternehmen. Er forschte zum Mythos organisationaler Rationalität und zum „leeren“ Begriff der Transparenz. Immer war er auf der Suche nach Theorien, die er auf Fragen der Organisationskommunikation anwenden konnte. Insbesondere die Weiterentwicklung des Institutionalismus beschäftigte ihn, die Anwendbarkeit dieser eigentlich strukturorientierten Theorie auch auf die Erklärung von Prozessen innerhalb von Organisationen. Applying sociology to public relations, Sociocybernetics as a frame-work for communication management, Public relations and neo-institutional theory, Public relations, organizational communication and the idea that communication constitutes organization, so die Titel einiger Aufsätze, die er gemeinsam mit Oliver Raaz, Peter Winkler, Howard Nothhaft, Dennis Schoeneborn, Friedericke Schultz, Magnus Fredriksson, Josef Pallas, Oana Brindusa Alba, Ulrike Röttger, Günter Bentele und anderen schrieb. Stefan Wehmeier interessierte das Ganze mehr als die einzelnen Teile, er wollte Bezüge zwischen der PR-Forschung und anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen herstellen, die PR-Forschung als akademische und nicht nur anwendungsbezogene Disziplin professionalisieren. Seine 2012 erschienene Habilitationsschrift trug den programmatischen Titel Public Relations: Status und Zukunft eines Forschungsfelds. In ihr wandte er sich gegen eine PR-Forschung, der es nur um die (betriebswirtschaftliche) Optimierung von Organisationen gehe, der Suche nach dem „ultimativen Steuerungs-, Mess- und Strategietool“, wie er es formulierte. Entsprechenden Rationalisierungsbemühungen der Organisation Universität, beispielsweise in Form der ausgeprägten Evalutionitis, begegnete er mit einer gelassenen Ironie. Als praxisorientiert verstand er seine Rolle nicht. Organisationen beobachten, verstehen wollen, je nach Fragestellung mithilfe quantitativer oder qualitativer Methoden erforschen, Theorien „haben und prüfen oder entwickeln“. Dies formulierte er in seiner Habilitation als vielleicht „etwas antiquiertes“ Programm, aber immer noch den besten Weg, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu produzieren. Dass Stefan Wehmeier dieses Programm in seinen – erzwungenermaßen langen – „akademischen Wanderjahren“ nur anreißen konnte, dass die Krankheit mit der Ernennung auf die lang ersehnte Professur kam, ist das für die Kommunikationswissenschaft Tragische an seinem viel zu frühen Tod.

Weiterführende Literatur

  • Moritz Kampe: Stefan Wehmeier. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017.