Wolfram Peiser (Foto: privat)
Wolfram Peiser (Foto: privat)

Wolfram Peiser

(1962 bis 2021)

Ein Nachruf von Michael Meyen am 28. Juni 2021

Wolfram Peiser hat seinen Kampf gegen den Krebs am 19. Juni 2021 verloren. Michael Meyen erinnert an einen Kollegen, mit dem er weite Strecken des akademischen Weges gemeinsam zurückgelegt hat.

Es ist erst ein paar Wochen her, dass Wolfram bei mir im Büro war. Wie immer kam er ohne Anmeldung. Ein energisches Klopfen, und schon waren wir mitten im Gespräch. Es ging um eine Universität, die den Freiraum für Forschung und Lehre immer stärker einschränkt, um die Kommunikationswissenschaft und ihre Menschen und um das Münchener Institut natürlich. Ich bin manchmal froh, meinte Wolfram, dass ich da im Moment nicht Partei ergreifen muss. Vielleicht bin ich einfach auch schon zu lange raus und damit zu weit weg. Über neue Bücher wollte er nicht reden. Lass mal, Michael. Das muss heute nicht sein.

Wolfram Peiser saß in der Oettingenstraße neben mir, Tür an Tür sozusagen. In den letzten Jahren hat sich dort der Nachwuchs die Klinke in die Hand gegeben. Ich weiß gar nicht mehr, wer diesen Lehrstuhl alles vertreten hat. In der Leitungssitzung haben wir jedes Semester von Neuem gehofft, dass der geschätzte Kollege bald zurückkehrt, für ihn und mindestens genauso sehr für uns. Die erste Krebsattacke haben die allermeisten gar nicht mitbekommen. Eine Infektion, nicht ganz auskuriert, hieß es ziemlich vage. Man sah in Wolframs Augen und in seinem Gesicht, dass da mehr gewesen sein musste, aber er war nicht so, dass man gleich nach solchen Dingen fragte.

Später haben wir oft über die Krankheit gesprochen. Wenn er sich gut fühlte, spazierte er aus seiner Wohnung durch den Englischen Garten ins Institut und schaute einfach, wer gerade da war. Wolfram ist mit dem Krebs nicht viel anders umgegangen als mit jeder anderen Aufgabe im Leben. Egal ob Möbelkauf, Seminarvorbereitung, Antrittsvorlesung oder Betreuung der Studierenden: Er musste alles gelesen und durchdacht haben, bevor er eine Entscheidung traf. Früher hatten wir über Theorien diskutiert, über irgendeinen Aufsatz oder eine Projektidee. Jetzt ging es um Therapien, Nebenwirkungen, Heilungswahrscheinlichkeiten – genauso fundiert und genauso differenziert wie sonst auch. Selbst da, wo es ihn ganz persönlich betraf, blieb Wolfram in der Beobachterrolle. Ich habe gelernt, was der Krebs aus dem Alltag machen kann. Wie das ist, wenn man Möhren oder Zwiebeln schneiden will und nicht merkt, wenn das nicht klappt, weil in den Fingern kein Gefühl mehr ist. Warum man Möhren nicht mehr sehen kann, wenn das Gift auch den Geschmack tötet, und eigentlich nur noch Junkfood runterbekommt, obwohl die Ärzte sagen, dass es auch um die Ernährung geht. Wie der Krebs den Schlaf zerstört.

Wolfram Peiser war einer der ersten Kommunikationswissenschaftler, die ich außerhalb des kleinen Kreises traf, in dem ich mich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre als Habil-Stipendiat in Leipzig bewegte. Wahrscheinlich täuscht die Erinnerung, aber heute glaube ich, dass Wolfram immer da war, wenn ich zu einer Tagung fuhr. Das heißt: Er hat vorgetragen, und ich saß im Publikum. Mit seiner Dissertation über die „Fernsehgeneration“ war er mir einen Schritt voraus, mindestens (vgl. Peiser 1996). Ich arbeitete gerade zur Mediennutzung in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten und wollte die Langzeitstudie Massenkommunikation gewissermaßen rückwärts schreiben. In Kurzform: in den Archiven Daten finden, die das ergänzen, was die Medienforschung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab 1964 institutionalisiert hat, und so herausarbeiten, wie das Fernsehen das Leben der Deutschen in Ost und West verändert hatte (vgl. Meyen 2001). Wolfram nutzte die Datensätze, die es schon gab, und setzte damit neue Standards bei dem Thema, das mich gerade umtrieb: Wie hängen Massenmedien und sozialer Wandel zusammen? Konkreter: Was macht ein neuer Kanal mit der Gesellschaft?

Ein „Schritt voraus“ ist hier keineswegs nur zeitlich gemeint oder gar Koketterie. Wolfram Peiser war damals auf dem Sprung an die Spitze der Disziplin. 1998 hat er bei der Jahrestagung der DGPuK in Mainz im wichtigsten Panel gesprochen – da, wo sich die gesamte Fachgesellschaft versammelte. Es gab seinerzeit noch kein Reviewverfahren. Das Dreifach-Panel zum Tagungsthema hatten Friedrich Krotz und Arnulf Kutsch organisiert. Ob man einen Vortragsslot bekam, hing von der eigenen Reputation ab und davon, ob man auf dem Zettel der Verantwortlichen stand. Gesprochen haben dort zum Beispiel Elisabeth Noelle-Neumann oder Hans Mathias Kepplinger – und Wolfram Peiser, frisch promoviert. In dem BlexKom-Eintrag zu seiner Person findet man einige der Aufsätze, die in dieser Zeit entstanden sind – datenanalytisch auf der Höhe der Zeit und an Orten publiziert, die für die deutschsprachige Medienforschung erst viel später zur Normalität werden sollten.

Geholfen hat ihm dabei sicher die Anbindung an die Mainzer Schule und hier vor allem an Klaus Schönbach, der die Dissertation betreut hat, und an Christina Holtz-Bacha, die später seine Chefin war. Beide verkörperten schon damals Internationalität. Was heute fast schon Grundvoraussetzung für eine Professur ist (eine kumulative Habilitation, gestützt auf Veröffentlichungen in hochrangigen Fachzeitschriften), hob Wolfram Peiser aus dem Bewerberfeld heraus, das sich ab 2004 um den neuen Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit den Schwerpunkten Kommunikationstheorien, Mediensysteme und Kommunikationspolitik an der Universität München bemühte. Als studierter Wirtschaftswissenschaftler (1984 bis 1990 in Wuppertal) konnte er nicht nur alle Lücken füllen, die Heinz-Werner Stuiber mit seiner Pensionierung hinterließ, sondern auch gleich noch die Vorlesung „Medienökonomie“ übernehmen.

Dienstantritt war am 1. Januar 2006. Vorher hat Wolfram den Lehrstuhl dreieinhalb Semester lang vertreten. Wir sind damals oft zusammen essen gegangen, auch weil ich nicht genug bekommen konnte von der Belesenheit und den Tipps des neuen Kollegen. Später hat das etwas nachgelassen. Wolfram hat noch einige Texte veröffentlicht, die zentrale Fragen der Kommunikationswissenschaft ganz grundsätzlich angehen und so bis heute Bestand haben, darunter seine Münchner Antrittsvorlesung zum Rieplschen Gesetz (Peiser 2008) und eine Meta-Betrachtung zur Methodenorientierung im Fach (Peiser 2011). Bei vielen Themen aber schienen seine Akribie und die Zweifel, die ganz zwangsläufig zu jeder Studie gehören, die Produktivität eher zu lähmen. Vermutlich wollte ich mich davon nicht anstecken lassen.

Dem Institut kam das Arbeitsethos von Wolfram Peiser in jeder Hinsicht zugute. Er hat viele Jahre den Prüfungsausschuss im Masterstudiengang Kommunikationswissenschaft geleitet, dort ein Eignungsfeststellungsverfahren aufgesetzt, das seinesgleichen suchen dürfte, und strittige Fälle (egal ob bei der Bewerbung oder später bei der Bewertung) so umsichtig gelöst, dass nichts zurückbleiben konnte. Wer bei ihm im Seminar saß, eine Abschlussarbeit schrieb oder gar promovierte wie Sven Engesser, Philipp Müller und Benjamin Krämer, hat von einem unglaublichen Wissensschatz und seinen Erfahrungen als empirischer Forscher profitieren dürfen. Man muss dazu nur in den drei gerade genannten Dissertationen blättern.

Ich weiß, dass das abgedroschen klingt, schreibe diesen Satz aber trotzdem, weil er auf Wolfram Peiser tatsächlich zutrifft: Die Kommunikationswissenschaft war sein Leben. Zurück ins Büro, zurück in die Lehre, zurück zu seinen Leuten: Das war das, was ihn in den Jahren der Krankheit am Leben gehalten hat. Mit jedem neuen Semester, das der Therapieplan schluckte, wurde das Fenster bis zur Pensionierung kleiner und damit auch die Hoffnung, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird. Vor ein paar Wochen schrieb er, dass wir Ersatz suchen sollen für die Fachmentorate in den Habilitationsverfahren von Cornelia Wallner und Thomas Wiedemann. Da wusste ich, dass ich bald einen Nachruf schreiben muss.

Literaturangaben

  • Michael Meyen: Hauptsache Unterhaltung. Mediennutzung und Medienbewertung in den 50er Jahren. Münster: Lit 2001
  • Wolfram Peiser: Die Fernsehgeneration. Eine empirische Untersuchung ihrer Mediennutzung und Medienbewertung. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996
  • Wolfram Peiser: Riepls „Gesetz“ von der Komplementarität alter und neuer Medien. In: Klaus Arnold/Markus Behmer/Bernd Semrad (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Münster: Lit 2008, S. 155-184
  • Grundlegende methodische Orientierungen in der Kommunikationswissenschaft. In: Andreas Fahr (Hrsg.): Zählen oder Verstehen? Diskussion um die Verwendung quantitativer und qualitativer Methoden in der empirischen Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2011, S. 43-56

Empfohlene Zitierweise

Michael Meyen: Wolfram Peiser (1962 bis 2021). In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2021. http://blexkom.halemverlag.de/nachruf-peiser/ (Datum des Zugriffs).