Wolfgang Eichhorn

(1960 bis 2016)

Ein Nachruf von Markus Behmer am 13. November 2016

Wolfgang Eichhorn ist, erst 55 Jahre alt, am 11. November 2016 gestorben. Markus Behmer, der selbst lange am Münchner Fachinstitut tätig war, erinnert sich an seinen Kollegen.

Er war kein „Netzwerker“; kaum einmal stand er im Mittelpunkt; Wolfgang Eichhorn wirkte im Hintergrund. Selten ging er auf Tagungen, hielt sich fern von Zitationszirkeln. Er war vielmehr der, der dafür sorgte, dass das Netzwerk lief. Dies im wörtlichen Sinne: Er hat die Webseite der DGPuK einst eingerichtet und sie mehr als ein Jahrzehnt lang betreut. Seit 2001 war er EDV-Beauftragter des Münchner Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) an der LMU. Zugleich war er auch der Internet-Koordinator der Fakultät für Sozialwissenschaften und verantwortete den Bereich Informationssysteme und Computernetzwerke.

Nerdig konnte er hinter Bildschirmen und Servern verschwinden. Ein Nerd war er aber keineswegs, vielmehr ein Intellektueller, der sich bestens mit dem amerikanischen Gegenwartsroman auskannte, mit deutscher Philosophie, mit der Geschichte der populären Musik (der er auch als Gitarrist einer Blues- und Rockband praktisch verbunden war), des Films, der Werbung. Und – selbstverständlich – mit seinem Fach, der Kommunikationswissenschaft, speziell der Medienwirkungsforschung und aktueller Medienentwicklungen. Hier war er ein international geschätzter Experte, Mitglied etwa des Editorial Boards der Australian Journalism Review. Sein Büro war kein Hightech-Labor, vielmehr eine Gelehrtenstube, übervoll mit Papier in Regalen, Stapel auf Borden, Tischen und Stühlen.

In der EDV war er ein Autodidakt. Er war Sozialwissenschaftler, wusste daher, was seine Kolleginnen und Kollegen brauchten – und setzte dies um, half bei Anwenderfragen, auch bei Alltagsproblemchen, wenn naive Tastendrücker (wie ich) mal wieder nicht weiterkamen. Wolfgang Eichhorn war ein lakonischer Mensch, ironisch bis hin zum Sarkasmus – und immer hilfsbereit.

In München hatte er in den 1980er-Jahren studiert, 1986 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Klaus Schönbach am Ergänzungsstudiengang Journalistik der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. 1989 kam er zurück ans IfKW. Von 1994 bis 2001 betreute er dort den Diplomstudiengang Journalismus. Er vertrat den akademischen „Mittelbau“ in der Institutsleitung, dem Fakultätsrat und anderen Gremien der universitären Selbstverwaltung.

„Publish or perish“ war kein Motto, das er schätzte. Seine Publikationsliste ist relativ schmal. Alles, was er tat und schrieb, war tief durchdacht. Promoviert wurde er 1995 mit einer beeindruckend gründlichen theoretischen Analyse des Agenda-Setting-Konzepts. Ein Lehrbuch zur Statistik hat er gemeinsam mit mehreren Kollegen verfasst, viele seiner Aufsätze sind eher versteckt, etwa in Festschriften, erschienen. Ein wesentliches Wirkungsfeld von ihm war die angewandte Forschung mit zahlreichen Projekten etwa zur Kommunikation im lokalen Raum, zur Softwareentwicklung oder auch im Bereich des Media Consultings.

Typisch für ihn ist vielleicht ein kurzer, gemeinsam mit Ute Nawratil verfasster Text, ursprünglich 1997 geschrieben für eine „graue Publikation“, eine „Bierzeitung“ zum 60. Geburtstag von Hans Wagner, veröffentlicht schließlich 2011 im „Jahrbuch für Marginalistik“ (und 2014 im Journal of Obnoxious Behaviour „revisited“): „Die Rauschspirale“. Eine Fiktion, frei erfunden, aber keineswegs prä-postfaktisch. Vielmehr eine Wissenschaftssatire, die auf 17 kleinen Seiten Fehlentwicklungen der Empirie entlarvt, die aus wenigen, aus ungenauen Messdaten meint, viel Wissen generieren zu können, Welterklärung aus Schmalspurerkenntnis. Erhellend – und amüsant.

Mehr als 20 Kolleginnen und Kollegen aus dem Mittelbau des großen Münchner Instituts bekamen irgendwann Professuren. Alle haben Wolfgang Eichhorn viel zu verdanken, tief zu danken. Er blieb. Blieb länger als alle anderen. Nun ist er gegangen.