Karl Weber

23. Februar 1880 bis 22. Oktober 1961

Lexikoneintrag von Roger Blum am 10. März 2016

Der Historiker und Journalist Karl Weber gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Zürich und dann auch in Bern zur zweiten Generation der Publizistikwissenschaftler in der Schweiz. Er trug zur Institutionalisierung und ein Stück weit auch zur theoretischen Fundierung des Fachs bei.

Stationen

Geboren in Liestal (Hauptort des Schweizer Kantons Baselland). Evangelisch-reformiert. Vater Lehrer, aus dem Aargau zugezogen, Mutter Liestalerin. Studium der Geschichte, der deutschen und französischen Philologie sowie der Pädagogik in Basel. 1906 Promotion mit einer historischen Arbeit. Mittelschullehrer. 1908 Heirat mit Anna Barbara Holinger. 1909 bis 1920 Redakteur bei der Basellandschaftlichen Zeitung, 1920 bis 1930 bei den Basler Nachrichten und 1930 bis 1952 bei der Neuen Zürcher Zeitung  (als Bundeshausredakteur in Bern). 1917 bis 1920 FDP-Abgeordneter im Kantonsparlament von Baselland, in den 1930er-Jahren Kämpfer gegen die Wiedervereinigung von Basel-Stadt und Baselland. Medienpolitisches Engagement 1921 bis 1923 als Präsident des Vereins der Schweizer Presse (heute Journalistenverband impressum) sowie als Mitglied der gemischten pressepolitischen Kommission und der Pressekontrolle des Bundes 1941 bis 1945. 1927 Habilitation in Publizistik an der Universität Zürich, dort ab 1928 Lehrauftrag für Zeitungskunde und Journalistik. 1938 bis 1952 Titularprofessor und Leiter des Journalistischen Seminars. 1942 bis 1952 außerordentlicher Professor für Journalistik auch an der Universität Bern. Zieht als Rentner nach Liestal zurück.

Publikationen

  • Die Revolution im Kanton Basel. Liestal: Lüdin 1907 (Dissertation).
  • Die schweizerische Presse im Jahre 1848. Basel: Frobenius 1927 (Habilitation).
  • Die Zeitung als Objekt der Kritik. Antrittsvorlesung an der Universität Zürich. Zürich: Schulthess Polygraphischer Verlag 1928.
  • Entstehung und Entwicklung des Kantons Basellandschaft 1798 bis 1932. In: Karl Gauss/Ludwig Freivogel/Otto Gass/Karl Weber: Geschichte der Landschaft Basel und des Kantons Basellandschaft. Bd. 2. Liestal: Lüdin 1932, S. 319-744.
  • Die Entwicklung der politischen Presse in der Schweiz. In: Die Schweizer Presse. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins der Schweizer Presse. Luzern: Keller 1933.
  • Zum Kampf um Baselland. Zürich: Neue Zürcher Zeitung 1936.
  • Zur Soziologie der Zeitung. In: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich (Hrsg.): Festgabe Fritz Fleiner zum siebzigsten Geburtstag am 27. Januar 1937. Zürich: Schulthess Polygraphischer Verlag 1937, S. 417-432.
  • Die Zeitschrift im Geistesleben der Schweiz. Bern: Büchler 1943.
  • Die Schweiz im Nervenkrieg. Aufgabe und Haltung der Schweizer Presse in der Krisen- und Kriegszeit 1933-1945. Bern: Lang 1948.

Karl Weber war dreierlei zugleich: Historiker, Journalist und Publizistikwissenschaftler. Ihn interessierte die Presse als historische Quelle, als publizistische Plattform und als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand. Während seines 50-jährigen Berufslebens publizierte er drei Jahrzehnte lang als Geschichtswissenschaftler (Klaus 1962), rund drei Jahrzehnte wirkte er als Publizistikwissenschaftler, und praktisch die ganze Zeit war er Journalist; die drei Tätigkeiten überschnitten sich zeitlich.

Zur Publizistikwissenschaft kam Weber über die Geschichte, aber er verließ sie als Soziologe und als Analytiker der Medienpolitik: In seiner Habilitationsschrift untersuchte er die Rolle der Presse bei der Gründung des schweizerischen Bundestaates 1848 (Weber 1927). Inspiriert durch Max Weber arbeitete er fast drei Jahrzehnte nach dem deutschen sozialwissenschaftlichen Übervater eine Vorstudie zur Soziologie der Schweizer Presse aus (Weber 1937). Und nach seinen Erfahrungen mit der Schweizer Pressekontrolle während der Nazi-Zeit veröffentlichte er nach dem Zweiten Weltkrieg eine kritische Bilanz der amtlichen Zensurpolitik, über die die Regierung mit einem von dem Journalisten Max Nef verfassten Bericht  Rechenschaft abgelegt hatte (Weber 1948). Webers Hauptberuf war der des Bundeshauskorrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, Wissenschaft betrieb er im Nebenamt. So leitete er nebenbei das Journalistische Seminar an der Universität Zürich und versah ebenfalls nebenbei in seinen letzten zehn Berufsjahren auch die außerordentliche Professur für Journalistik an der Universität Bern (Meier/Blum 2004: 171-172). Themen seiner Vorlesungen und Seminare waren Pressegeschichte, Technik der Tagespresse, praktischer Journalismus, Zeitungsökonomie, Nachrichtenagenturen, Presserecht, Feuilleton, öffentliche Meinung, „Wahrheit, Macht und Freiheit der Presse“, „Weltpresse und Schweizerpresse in der Kriegszeit“, psychologische Probleme der Presse, schweizerische Pressepolitik 1939 bis 1945. Sowohl in Zürich als auch in Bern trug er wesentlich zur Institutionalisierung des Fachs bei.

Weber plädierte für einen skeptischen wissenschaftlichen Blick auf die Presse. Er sah es aber als Aufgabe der Zeitungswissenschaft, nicht nur den publizistischen Akteuren ins Gewissen zu reden, sondern auch den Glauben an die aufbauenden Kräfte der Presse zu stärken. Zugleich stellte er die Zeitungswissenschaft in den Dienst der „geistigen Landesverteidigung“ der Schweiz, um sie von der nationalsozialistisch gelenkten Publizistikwissenschaft in Deutschland abzugrenzen. Er beklagte die fehlende wissenschaftstheoretische Fundierung des Fachs und die fehlende Forschung. Darum regte er die Soziologie des schweizerischen Zeitungswesens an, aber auch die Erforschung der Wirkung der Presse (vgl. Meier/Blum 2004). Gemäß Siegfried Weischenberg (2014: 108) war Karl Weber der Erste, der sich „in elaborierter, detailreicher Weise mit Max Webers ‚Vorbericht‘ auseinandergesetzt hat – und er blieb auch für die folgenden vier Jahrzehnte der Einzige“.

Karl Weber genoss während der 1930er- und 1940er-Jahre als Medienpolitiker hohes Ansehen, zumal er unbeirrbar an der Überzeugung festhielt, die Unabhängigkeit der Presse sei ein vorgeschobenes Bollwerk für die Unabhängigkeit des Landes. Er wehrte sich darum immer wieder gegen die Beschränkung der Pressefreiheit (Klaus 1962: 15; Meier/Blum 2004: 173-174).

Beeindruckend war seine Schaffenskraft: Neben seiner publizistikwissenschaftlichen, historischen und journalistischen Arbeit und neben seiner medienpolitischen Mitwirkung an der „geistigen Landesverteidigung“ der Schweiz verfasste er auch einen Roman und mehrere Festspiele. Dem ebenfalls aus Liestal stammenden Dichter und Nobelpreisträger Carl Spitteler gratulierte er 1920 in Luzern mit wohlgesetzten Alexandrinern zum 75. Geburtstag – in Baselbieter Mundart.

Literaturangaben

  • Fritz Klaus: Karl Weber als Geschichtsschreiber. In: Baselbieter Heimatbuch. Bd. 9. Liestal: Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale 1962, S. 7-18.
  • Peter Meier/Roger Blum: „Im schweizerischen Erdreich verwurzelte Wissenschaft“. Zur Fachgeschichte der Journalistik und Zeitungskunde in der Schweiz vor 1945. In: Wolfgang Duchkowitsch/Fritz Hausjell/Bernd Semrad (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Münster: Lit 2004, S. 167-177.
  • Karl Weber: Die schweizerische Presse im Jahre 1848. Basel: Frobenius 1927.
  • Karl Weber: Zur Soziologie der Zeitung. In: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich (Hrsg.): Festgabe Fritz Fleiner zum siebzigsten Geburtstag am 27. Januar 1937. Zürich: Schulthess Polygraphischer Verlag 1937, S. 417-432.
  • Siegfried Weischenberg: Max Weber und die Vermessung der Medienwelt. Empirie und Ethik des Journalismus – eine Spurenlese. Wiesbaden: Springer VS 2014.

Weiterführende Literatur

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Roger Blum: Karl Weber. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2016. http://blexkom.halemverlag.de/karl-weber/ ‎(Datum des Zugriffs).