Geboren am 4. Oktober 1922 in Oberschlesien. Kriegsdienst, russische Gefangenschaft, Flucht nach Bayern. 1946 Studium in München (Zeitungswissenschaft, Geschichte, Wirtschaftsgeschichte). 1951 Promotion bei Karl d’Ester (vgl. Starkulla 1951). Einzige wissenschaftliche Hilfskraft (1946 bis 1952) und einziger planmäßiger wissenschaftlicher Assistent (1952 bis 1964, ab 1966 als Beamter auf Lebenszeit und 1971 bis 1985 als Akademischer Direktor). 1965/66 Gastprofessur in Cincinnati. Gestorben am 25. November 2005.
Wären Sie heute gern Professor hier am Institut?
Nein. Ganz offen: Ich habe mit der Kommunikationswissenschaft, so wie sie sich mir heute darstellt, wenig gemein. Das mag an mir liegen, weil ich nicht genügend unterrichtet bin. Ich habe kaum Verbindung zum Fach, außer natürlich zu meinen alten Schülern.
Was läuft falsch in der Kommunikationswissenschaft?
Für mich ist nicht mehr genau auszumachen, wofür dieses Fach steht, welcher Gegenstand all die Leute vereint, die in der DGPuK sind. Bedenken Sie: Wir können nicht die Kommunikationswissenschaft sein, denn Kommunikation ist legitimer Gegenstand zahlreicher Disziplinen, und genauso wenig sind wir die Medienforschung. Ich habe das wissenschaftliche Tohuwabohu vorausgesehen und die DGPuK verlassen, ich glaube 1966. Außerdem scheint es mir heute an der für eine Wissenschaft lebenswichtigen Praxisrelevanz zu fehlen.
Wie definieren Sie Praxisrelevanz?
Das Fach muss sich als angewandte Wissenschaft bewähren. Das beginnt bei der Ausbildung, oder besser: bei der Vorbildung für die Praxis. Ende der 1950er-Jahre haben allein in den bayerischen Zeitungsredaktionen mehr als 500 Absolventen gesessen, als Redakteure, Chefredakteure, Auslandskorrespondenten. Ich kann auf Anhieb mehr als zwei Dutzend Zeitungsverleger nennen, die aus dem Institut gekommen sind. Werner Friedmann, Hans Kapfinger, Ellinor Holland, Esther Betz. Das Gleiche gilt für Zeitschriften, für Fachzeitschriften, für den Rundfunk. Rudolf Mühlfenzl, Gunthar Lehner, Hans Prescher, Helmut Haselmayr. Dann die Marktforschung. Wolfgang und Renate Ernst haben hier im Institut begonnen und dann Infratest aufgebaut, weil sie alle Erträge an die Uni-Kasse abführen mussten. Otmar Ernst, der bei Springer Marketing-Chef war. Im Filmsektor Michael Braun, Eberhard Hauff, Georg Feil, im Anzeigenwesen Wolfgang Gabler. Arnold Landwehr und Heinrich Kuhn sind Archivleiter geworden, Heinrich Hugendubel und Ernst Hauschka ins Buch- und Bibliothekswesen gegangen.
Das alles ließ sich damals aus einem Studium der Zeitungswissenschaft machen.
Ich könnte Hunderte von Namen nennen. Auch aus dem Feld der Öffentlichkeitsarbeit: Winfried Bauer, Ernst Benner, Gerd Montag, Gabi Weishäupl. Mit allen wurde Kontakt gehalten, über die „Münchener Zeitungswissenschaftliche Vereinigung“, über die „Freunde der Münchener ZW“. Die Zusammenarbeit mit den einschlägigen Praxisverbänden war selbstverständlich. Befreundete Verleger haben Stipendien gewährt, es gab eine Volontärs- und Stellenvermittlung, und der lächerlich schmale Institutsetat ist durch feste monatliche Beträge von Sponsoren aufgebessert worden. Wir haben dafür in den Standesorganisationen mitgearbeitet und fachlich geholfen, bei Ausstellungen oder bei den umfassenden Übersichten über die Presse-Rechtssprechung.
Sie waren auch Gerichtsgutachter. Hans Wagner hat von 200 Gutachten geschrieben (Wagner 1988: 374).
Das dürfte nicht reichen. Ich bin von Verlegern, von Journalisten, von Gerichten in Anspruch genommen worden, bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Das hat viel Kraft gekostet, aber es hat sich gelohnt – schon allein deshalb, weil damit die Praxistauglichkeit der Disziplin bewiesen worden ist. Ich darf mit Stolz sagen, dass ich als Gutachter nicht ein einziges Mal daneben gelegen habe.
Sie haben gesagt, die Kommunikationswissenschaft habe heute keinen klaren Gegenstand. Wenn Sie Einfluss hätten, was wäre dann der Gegenstand?
Zeitung in des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Die aktuelle Nachricht. Im weiteren Sinn der Austausch solcher Mitteilungen zum Zeitgeschehen und zum Zeitbewusstsein unter Zeitgenossen. Aswerus hat vom „Zeitgespräch der Gesellschaft“ gesprochen und vom „Mensch, der Zeitung hat“ (vgl. Aswerus 1993). Zeitungswissenschaft ist also die Wissenschaft vom Menschen des aktuellen Miteinanders und nicht die Wissenschaft von den natürlichen oder technischen Medien dieses Mitteilungsverkehrs. Ich habe als erster dafür plädiert, dass wir den Kommunikationsbegriff nutzen, weil international kein Mensch etwas mit unserem Wort Zeitung anfangen kann. Ich habe deshalb von „Sozialer Zeit-Kommunikation“ gesprochen oder in perfektem ausländisch von „Current Social Communication“. Um Namen zu nennen: Ich liege auf einer Linie mit d’Ester, Groth und, ganz aktuell, mit Hans Wagner.
Sie sind 1946 nach München gekommen, haben bei Karl d’Ester Zeitungswissenschaft studiert. Wie hat man sich dieses Studium vorzustellen? Unter welchen Bedingungen wurde gearbeitet, mit welcher Literatur?
Das Institut war ausgebombt und notdürftig in einem Keller des Südhofs untergebracht, vollgestopft mit Zeitungen und Zeitschriften. Die Handbibliothek war 1944 verbrannt, etwa 5000 Bände. Die restlichen Bücher waren ausgelagert worden in irgendwelche Schlösser. Die kamen erst im Laufe der Jahre zurück, Kiste um Kiste. Die „Präsenzbibliothek“ befand sich in einem einzigen Schrank. Dazu kam das, was von d’Esters Privatbibliothek übrig war.
Walter J. Schütz hat berichtet, dass er 1949 als Student in Münster nur fünf Fachbücher zur Verfügung hatte (Schütz 2002: 86f.).
Bei uns waren es vielleicht 20, 30 Bände. Mehr nicht. Groth natürlich, Salomon, Bauer.
Und das Studium?
Die Studenten mussten zunächst einmal eine gewisse Zahl von Arbeitsstunden im Uni-Bereich ableisten, je nach politischer oder militärischer „Belastung“. Zum Beispiel das Dach decken. Im Hauptgebäude waren anfangs nur sieben Hörsäle nutzbar. Es wurde rund um die Uhr studiert, auch samstags. Viele Professoren waren gefallen oder noch nicht zugelassen wegen politischer Belastung. Nach gut einem halben Jahr ist auch d’Ester von der Militärregierung entlassen worden. Er ist der Uni fast ein Jahr lang fern geblieben. Das hieß, dass der gesamte Institutsbetrieb auf meinen Schultern gelastet hat. Ich bin fast vom ersten Tag meines Studiums an Assistent gewesen.
Wie das? Wie kommt man zu so einer Rolle?
Sonst hätte das Institut schließen und den Studienbetrieb einstellen müssen. Es gab 700 Studierende, Haupt- und Nebenfach. Manche hatten schon vor dem Krieg begonnen, Jahre versäumt und mussten weiterkommen. Also hieß es, das zu tun, was man im Krieg gelernt hatte: Organisieren. Ich habe in erster Linie Leute aus der Praxis herangezogen und Gastredner aus dem akademischen Bereich, natürlich immer mit Blick auf Themen, die einen Bezug zum Fach hatten. Es war ungewiss, wie lange das Interim dauern würde. Otto Groth war zu alt, um noch Beamter zu werden. Außerdem gab es Reibereien zwischen den Fakultäten. Groth hätte man allenfalls in die Staatswirtschaftliche Fakultät zu Adolf Weber gelassen. Das hätte aber bedeutet, das ganze Studium umzuorganisieren. Es schien alles verfahren, aber es ging irgendwie vorwärts. Und dann kam d’Ester zurück und war ein total gebrochener Mann.
Durch das Amtsenthebungsverfahren?
Ja. Er war seit jeher schwer herzkrank. Die wirklich ungerechtfertigten politischen Beschuldigungen haben ihm den Rest gegeben. Fachlich war mit ihm nicht mehr viel anzufangen. Er hat sich von allen Seiten angegriffen gefühlt und erbitterte Rundum-Verteidigungen geführt. Das spielte bis in Veröffentlichungen hinein, die ich nach Möglichkeit entschärft und zurecht gebogen habe. Er hat Briefe an Gott und die Welt geschrieben, vorzugsweise an den Bundeskanzler, oft wirr. Er hat dort über den Straßenlärm geklagt oder über den Hungerlohn der Professoren. Es war nicht leicht, das Image des renommierten Wissenschaftlers zu bewahren.
Woher kam die Motivation, am Image von Karl d’Ester zu arbeiten? War es die faszinierende Persönlichkeit, der Mensch d’Ester?
Da war einmal der Wissenschaftler, der wesentlich an der Grundlegung des Fachs beteiligt war, der als Propagandist die Disziplin an der Universität etabliert hatte. Dann aber war da der Mensch Karl d’Ester, der das Persönliche, das Menschliche über alles gestellt hat, vielleicht auch über das Fachliche. Er hat vielen Leuten unglaublich geholfen, vor allem seinen Studierenden, und sich dabei oft genug selbst unendlich geschadet. Es ist ganz bezeichnend, dass ihm die am wenigsten gedankt haben, denen er trotz ihrer Unfähigkeit zu wissenschaftlichen Ehren verholfen hatte.
Was hat die Studenten angezogen? Was hat Sie selbst angezogen?
Ich war aus russischer Gefangenschaft nach München gekommen und hatte mir geschworen, im nächsten Krieg nicht wieder als Kanonenfutter herzuhalten und in Gefangenschaft die Zeit zu vertrödeln. Ich habe die Ärzte beneidet, die in ihrem Beruf arbeiten konnten und ausreichend beköstigt wurden. Also habe ich ein Medizinstudium begonnen, ohne Begeisterung. Eines Tages läuft mir ein Schulkollege über den Weg und lädt mich ein, ihn bei seinem Nenn-Onkel Karl d’Ester zu besuchen. Ich bin hingegangen und sofort in die d’Ester-Familie eingebunden worden. Der ewige Junggeselle Karl d’Ester, seine alte Haushälterin und Familien-Kommandöse Tante Becker und Gertrud Schnippe, seine Sekretärin und spätere Adoptivtochter.
Also eine Art Ersatzfamilie?
Vor allen Dingen habe ich gesehen, dass im Institut unendlich viel Arbeit zu leisten ist, hochinteressante Arbeit. Das hat mich gereizt. Zeitungen haben mich schon immer fasziniert. Ich habe sie regelrecht verschlungen.
Gab es eine familiäre Vorbelastung, eine Beziehung zum Journalismus?
Überhaupt nicht. Mein Vater war Berg-Ingenieur. Die Tagesfragen und die Politik, das hat mich aber immer interessiert.
Wollten Sie Journalist werden?
Ich glaube nicht. Ich war ja von der Penne weg in den Krieg gezogen. Da hat man keinen Gedanken an einen Beruf verschwendet. Vielleicht bin ich vom Impetus Karl d’Esters angesteckt worden, von der Begeisterung für sein Fach. Der große Wissenschaftler hat mir sicher imponiert.
Karl d’Ester wurde vorgeworfen, zu viele Studenten zu promovieren. Im Senat soll einmal das Wort von der „Doktorfabrik“ gefallen sein.
Völlig berechtigt. Der Grund ist auch hier d’Esters unendliche Menschenliebe. Er hat auch Doktorarbeiten viel zu oft aus reiner Nächstenliebe übertragen, ohne nach der wissenschaftlichen Potenz des Kandidaten zu fragen. Dazu kam nach dem Krieg die Überalterung der Studenten. Es gab viele Kommilitonen, die 30, ja 40 Jahre und älter waren und ohne Beruf dastanden. Die Zeitungswissenschaft hatte keinen anderen Abschluss als die Promotion. Chancen in der Praxis hatten aber nur die mit einem Abschluss.
Tatsächlich? Mit dem Doktortitel in die Redaktion?
Man muss sich in die damalige Situation hineindenken: Die Lizenzträger waren ja in der Regel Newcomer, überwiegend mit einem akademischen Hintergrund. Leute, die Nicht-Promovierte als Versager gesehen haben. Nicht-Akademiker wiederum wollten ihr Blatt mit Doktoren schmücken. Schon deshalb haben die Studierenden die Promotion angestrebt. Dazu kam, dass nach dem Krieg nur drei Institute übrig geblieben waren: Berlin, Münster, München. Hier haben sich die Doktoraspiranten gesammelt. Manche hatten von d’Esters Milde gehört, andere haben die bayerische Fettlebe geschätzt. Das hat zu einem kolossalen Doktoranden-Stau geführt, den d’Ester noch immer weiter angeheizt hat. Obwohl es Literatur nur in besagtem Schrank gab. In der Staatsbibliothek und in der Unibibliothek war wenig zu bekommen. Die Zeitungen lagen in Pasing, in einer Fabrik, zwölf Meter übereinander gestapelt. Ich selbst habe für meine Dissertation die d’Estersche Ausschnittsammlung geordnet, Millionen und Abermillionen von Ausschnitten. Was zu meinem Thema passte, habe ich sofort verarbeitet. Sie können sich vorstellen, was das für eine Materialsammlung war. Und ich hatte keine Zeit, denn ich wurde an allen Ecken und Enden gebraucht. Meine Doktorarbeit habe ich nachts auf dem Klo geschrieben. Ich hatte eine kleine Wohnung und ein Kleinkind, das nicht gestört werden durfte. Unter solchen Verhältnissen hat man damals promoviert.
Hat es Sie nicht gestört, dass Ihre Arbeit durch den Stempel „Doktorfabrik“ entwertet wurde?
Ich habe da am allerwenigsten an mich gedacht. Aber es gab Ärger mit der Fakultät. Viele Fächer haben auf diese Zeitungswissenschaft geguckt, die da mit zum Teil wirklich lächerlichen Arbeiten aufgekreuzt ist, und das in einer Quantität, die unglaublich war. Ich habe ständig bei empörten Fachvertretern vorsprechen müssen, auch beim Dekan, und um gut Wetter gebeten. Nicht alle haben sich überzeugen lassen. Es gab ernsthafte Bestrebungen, das Fach bei nächster Gelegenheit abzuschaffen.
War Hanns Braun Ihr Wunsch-Nachfolger?
Angesichts der Situation, ja. Hagemann und Haacke hatten sich bei der Fakultät persönlich beworben und damit alle Chancen verspielt. Man hat sich damals nicht selbst benannt. Schwalber, der Kultusminister, liebäugelte aber mit Walter Hagemann, der damals noch gut katholisch war und als fachlicher Allround-Mann galt (vgl. Wiedemann 2012). Als einer, der nicht nur die Zeitungswissenschaft vertritt, also Presse, sondern auch Rundfunk und Film. Die Fakultät ist gefragt worden, ob man das antiquierte Zeitungsfach nicht ausweiten müsse zu einer hochmodernen Publizistikwissenschaft. Wir haben dann nachgewiesen, dass das Institut schon in den 1920er-Jahren Abteilungen für Rundfunk, Film und andere Medien hatte, als erstes in Deutschland.
Neben Braun standen dann noch Hans Jessen und Wilhelm Klutentreter zur Auswahl (vgl. Löblich 2004).
Klutentreter hatte bei seiner Habilitation blamabel versagt, unmittelbar vor dieser Berufungsgeschichte. Die Fakultät war nach diesem Reinfall außerordentlich anti-zeitungswissenschaftlich gestimmt. Das hat mich selbst lange entmutigt, eine Habilitation zu versuchen. Und Jessen kam nicht in Betracht. Er hatte einen starken Sprachfehler.
In den Akten steht, dass das zu vernachlässigen sei.
An den Probevortrag erinnere ich mich wie heute. Was er vorgetragen hat, war kaum zu verstehen. Ich habe gern mit Jessen zusammengearbeitet und ihn persönlich sehr geschätzt. Er hat die Fakultät wohl aber auch fachlich nicht überzeugen können.
Auch Hanns Braun war eher Theaterkritiker als Wissenschaftler.
Gut, er hatte sich vorher nicht zeitungswissenschaftlich betätigt, aber er war ein außerordentlich solider Journalist und Schriftsteller. Hochgebildet, politisch völlig unbelastet, seriös bis in die Fingerspitzen. So etwas Seriöses hatten wir bitter nötig. Ich habe ihn in erster Linie scharf gemacht in Richtung Promotionsflut. Das hat er schnell in den Griff bekommen. Auf den Punkt gebracht: Als d’Ester ging, gab es Bestrebungen, das Fach abzuschaffen. Als Braun ging, wurde in der Fakultät beschlossen, die außerordentliche Professur in ein Ordinariat umzuwandeln. Das war der Unterschied zwischen beiden. Das geht nicht gegen den Wissenschaftler d’Ester. Kein großer Systematiker, aber ein großer Historiker seines Fachs, einer, der wie kein anderer die Theorie der „Zeitung“ erhärtet hat. Aber es bezieht sich auf den gebrochenen Karl d’Ester, der im Begriff war, das Fach zu ruinieren, das er mit geschaffen hatte.
Hanns Braun war bei der Berufung nicht mehr der Jüngste.
Er galt von vornherein als Interimslösung. Die Fakultät war der Meinung, bis zu Brauns Ausscheiden hat sich Starkulla habilitiert und mit dem lässt sich fachlich etwas anfangen. Das hat mir nicht nur ein Dekan versichert.
Warum haben Sie sich dann nicht habilitiert?
Ich hatte einfach zu viel zu tun. Die Studenten, das Institut, die vielen Gutachten. Und Braun war sehr krank. Da musste ich nicht nur in der Lehre zusätzlich einspringen.
Bedauern Sie das im Rückblick?
Nein, bestimmt nicht. Ich hätte später noch die Möglichkeit gehabt, im Zuge irgendwelcher hochschulrechtlicher Angleichungsbestimmungen zum Professor ernannt zu werden. Ich hatte mich auch beworben. Die Fakultät hat dann aber handgreifliche Leistungsbeweise von mir verlangt. Ich habe keine Gutachten oder andere Unterlagen vorgelegt, sondern den Prozess mit einem Brief beendet. Ich habe geschrieben, dass ich keine Zeit hatte, wissenschaftlich zu arbeiten. Punktum. Bis zu einem gewissen Grade stimmte das ja auch. Fortan bin ich als fünftes Rad am Institutswagen gelaufen und hatte meine Ruhe.
Was empfindet man als akademischer Lehrer, wenn man seine Schüler vorbeiziehen sieht?
Ich war immer ein Herz und eine Seele mit den meisten von ihnen. Zehn, zwölf Professoren sind aus meinem Haufen hervorgegangen. Wissenschaftlich am intensivsten hatte ich mit vier Kadetten zu tun: Wagner, Langenbucher, Glotz und, allen voran, Aswerus. Der ist auch nicht Professor geworden, obwohl er die wissenschaftliche Potenz für mindestens drei Professuren hatte. Braun hat ihn gefeuert. Braun war nicht nur seriös, sondern auch eitel. Und Aswerus war ähnlich eitel. Ein Geistlicher mit sehr gesundem Selbstbewusstsein. Er hat den Anschein erweckt, Braun wissenschaftlich an die Seite drücken zu wollen. Der hat ihn daraufhin abserviert. Aswerus hatte sich auch bei anderen in die Nesseln gesetzt, bei Max Müller zum Beispiel. Er hat sich geweigert, seine zeitungswissenschaftlichen Karten auf den Tisch zu legen. Er hat geglaubt, dass er unentbehrlich wird, wenn er die Brocken peu à peu hinwirft.
In den Lehrveranstaltungen?
Das haben sich die Studenten nicht gefallen lassen und rebelliert. Aswerus war eine schwierige Persönlichkeit und hatte auch fachlich eine eigenartige Entwicklung hinter sich. Er kam von Hagemann zu uns und lag wissenschaftlich auf der Linie von Dovifats Ethik-Publizistik. Es hat Mühe gekostet, ihn zu bekehren. Dann allerdings war der Gewinn erheblich. Dann hat er seine eminenten philosophischen Kenntnisse auf den Tisch gelegt. Diese Dimension hatte uns gefehlt. Ein Jammer, dass er vorzeitig aufgeben musste.
Otto Roegele hat von der „unermüdlichen Hilfe“ geschrieben, die Sie Otto Groth zukommen ließen bei der Fertigstellung seines Siebenbänders Die unerkannte Kulturmacht (vgl. Groth 1960-1972), Christoph Peters von einer „geheimen Liebe“ (Roegele 1997: 77; Peters 1988: 339). Welches Verhältnis hatten Sie zu Otto Groth?
Ich würde fast sagen: Den Tag und die halbe Nacht habe ich für das Institut gearbeitet und die restliche Nachthälfte Otto Groth geopfert. Anders wären seine sieben Bände wohl nicht erschienen. Er war ja damals schon steinalt und hat immer noch wie besessen geschrieben, alles per Hand. Seine Handschrift konnte niemand entziffern, und die Manuskriptseiten glichen Mondlandschaften. Ich habe das alles sozusagen in die Schreibmaschine übersetzt. Den meisten Elaboraten sind unendlich viele Gespräche voraus gegangen. Den Journalisten sauber vom Publizisten abgrenzen, das Zeitungsmedium als Forum begreifen und nicht als Kanzel. Gelegentlich gab es harte Auseinandersetzungen. Ich war jedenfalls Feuer und Flamme für die Riesen-Unternehmung, auch wenn ich sie mir kürzer gewünscht hätte, konzentrierter. Aber Männer in diesem Alter holen gern ein wenig weiter aus.
Welches Verhältnis hatte Groth zum Institut?
Kein direktes. Zeitweise waren Groth und d’Ester ja Konkurrenten. Begonnen hatte alles sehr harmonisch. Groth hat d’Esters Sammlungen und die Institutsbestände für seinen Vierbänder genutzt und sich dafür in der Jubiläumsschrift für d’Ester wärmstens bedankt. Als d’Ester 1946 von der Uni geschasst wurde, traf er im Kultusministerium zufällig Groth und hat in ihm sofort einen Denunzianten gesehen. Von da an war das Verhältnis gestört. Ich habe später oft mit Groth darüber gesprochen. Er hat gesagt, er habe gar kein Interesse daran gehabt, d’Ester zu schaden, da er ja auf eine Professur in der Staatswirtschaftlichen Fakultät spekuliert habe. Er sei am Ende froh gewesen, dass das nicht geklappt hat, denn sonst wäre Die unerkannte Kulturmacht nie fertig geworden. Heute weiß ich aus Unterlagen, die ich habe, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Groth war von Leuten, die d’Ester sehr nahe gestanden hatten, mit üblen politischen Verleumdungen aufgehetzt worden. Er war zeitweise sehr erbost über d’Esters „Verrat“ und hat tatsächlich versucht, bei maßgeblichen Stellen entsprechend Einfluss auszuüben. Ob er etwas bewirkt hat, steht dahin. Karl d’Ester hat später mehrere schriftliche Anläufe unternommen, die alte Beziehung wieder herzustellen. Das ist schließlich auch halbwegs gelungen. Man hat wieder fachlich-sachlich miteinander korrespondiert.
Sie haben Karl d’Ester, Hanns Braun und Otto B. Roegele erlebt. Wie fällt Ihr Vergleich aus?
Rein zeitungswissenschaftlich lassen sich diese drei nicht vergleichen. D’Ester ist und bleibt die große Gründerfigur des Fachs. In dieser Hinsicht können seine beiden Nachfolger nicht mithalten. Den Schaden, den der späte, gebrochene d’Ester dem Fach zugefügt hat, diesen Schaden hat Hanns Braun behoben. Er hat das Fach und das Institut konsolidiert. Ihm vor allem verdankt das Institut, dass es heute noch existiert. Roegele war mein Wunschkandidat, nachdem Oskar Köhler ausgefallen war. Roegele habe ich als Publizist, als Journalist sehr geschätzt. Er war zweifach promoviert, und ich habe diesem erfahrenen Praktiker den Einstieg in unsere Wissenschaft ohne Weiteres zugetraut. Meine Erwartungen sind nicht enttäuscht worden, auch wenn mir manche seiner Schöpfungen weniger behagen. Eine Film- und Fernseh-Hochschule in Verbindung mit dem Institut hatte ich schon früher bekämpft, und auch der Diplomstudiengang war nicht nach meinem Geschmack.
Otto Roegele hat geschrieben, er habe sich bei der Gründung dieses Studienganges Karl d’Ester verbunden gefühlt, der ja immer versucht habe, Journalisten an der Universität auszubilden.
Das hat er missverstanden, auch wenn ich nicht die Illusion habe, dass Karlchen d’Ester, Karlchen, das war sein studentischer Kosename, dass Karlchen den Anstoß aus dem Ministerium nicht ebenfalls hingenommen hätte. Ich glaube aber nicht, dass die politischen Überlegungen, gewissen linken oder allzu liberalen Journalistenschulen durch eine akademische Ausbildung gegensteuern zu wollen, dass solche Überlegungen Erfolg haben können. Wissenschaft hat die Aufgabe, dem Studierenden den großen Überblick über das gesellschaftliche Kommunikationsgeschehen zu verschaffen und über die Rolle der Medien. Praxis-Routine kann nur die Praxis vermitteln. Die beste Journalistenschule ist und bleibt die Redaktion.
Im Volontariat?
Das wäre der wichtigste Weg. Denkbar sind aber auch andere Praktika, vermittelt etwa durch einschlägige Lehraufträge im Rahmen des Studiums. Eine andere Verbindung von Wissenschaft und Praxis an der Universität scheint mir nicht sinnvoll, weil dabei immer das Akademische auf der Strecke bleibt. Die „Praxis-Studenten“ wollen handfeste Praxis lernen und nehmen das Wolkenkuckucksheim Theorie zähneknirschend in Kauf. Die Diplomarbeiten waren entsprechend. Das laste ich aber nicht den Studenten an, sondern dem System.
Kurz nach Roegeles Berufung sind Sie für ein Jahr in die USA gegangen. Christoph Peters hat das als Ausweichmanöver interpretiert und von Versuchen berichtet, den neuen Lehrstuhlinhaber in die Zeitungswissenschaft einzuführen. Es habe einige erfolgreiche gemeinsame Schwünge gegeben, dann sei aber doch eher ein Parallelslalom daraus geworden (Peters 1988: 340). Wie war Ihr Verhältnis zu Roegele?
Es ist anfangs einiges schief gelaufen. Mir wurde hinterbracht, Roegele habe in vertrauter Journalisten-Runde gesagt, von der Zeitungswissenschaft sei im Grunde überhaupt nichts zu halten. Er wolle sich da als Praktiker aus der Affäre ziehen. Das hat mich zunächst auf Distanz gehen lassen. Später ist das Verhältnis besser bis gut geworden, aber ich habe mich nicht mehr engagiert und auch nie nur den kleinsten Versuch unternommen, schlechten Ratgebern entgegen zu wirken. Ich habe im Fach eine Art Privatkolleg etabliert. Bin nebenher gelaufen. Habe weiter meine Gutachten gemacht, habe Briefe geschrieben, die andere nicht schreiben wollten oder konnten. Kurz: Ich hatte mich ins Privatleben zurückgezogen.
Haben Sie Otto Roegele die Änderung des Institutsnamens verziehen?
Ich habe ihm alles verziehen. Alles verstehen, heißt alles verzeihen. Ich habe alles verstanden, auch wenn ich anderer Ansicht war. „Kommunikationswissenschaft“ konnte ich nicht akzeptieren, aus den dargelegten Gründen. Halbwegs zufrieden war ich mit dem Klammer auf, Zeitungswissenschaft, Klammer zu.
Roegele hat sich im Rückblick unter anderem vorgeworfen, zwischen den Schulen im Haus keinen wirklichen Dialog zustande gebracht zu haben (Roegele 1997: 107).
Das konnte er beim besten Willen nicht, weil er fachlich nicht über den Dingen stand. Er war ja kein gelernter ZWler. Wenn ich es darauf angelegt hätte, „meine Zeitungswissenschaft“ unter allen Umständen am Institut durchzusetzen, hätte ich damit zwar kaum Erfolg gehabt, aber ich hätte allen Beteiligten viel Ärger bereitet. Ich hatte sehr gute Verbindungen. Das hätte ich aber nie gemacht.
Gibt es etwas, was Heinz Starkulla sich vorwirft?
Nein. Glotz, Langenbucher und Wagner können bezeugen, dass ich weit davon entfernt war, irgendjemandem irgendetwas oktroyieren zu wollen. Ich habe gedacht, jeder soll nach seiner Façon selig werden. Ich bin immer geneigt, andere Meinungen gelten zu lassen.
Otto Roegele hat für die 68er harte Worte gefunden. Wie ist Ihre Erinnerung an diese Zeit?
Ich habe sie immer als große Kindsköpfe gesehen. Das habe ich ihnen auch gesagt, und sie haben es akzeptiert. Wenn man mit ihnen geredet hat und versucht hat, ihre Argumente zu verstehen, dann fühlten sie sich ernst genommen. Ich habe nie verstanden, wie es mit Heißler, Mohnhaupt und den anderen so weit kommen konnte, dass sie auch vor Mord und Totschlag nicht zurückgeschreckt sind. Ich habe das sehr bedauert.
Mitte der 1980er-Jahre sind Sie in den Ruhestand gegangen, etwas vor der Zeit. Wollten Sie nicht weiter kämpfen?
Ich hatte schon lange nicht mehr gekämpft. Ich hatte keine Lust mehr, war froh, dem Betrieb entkommen zu können.
Als Sie gingen, waren vier von fünf Professorenstellen vakant. Sind Sie zufrieden mit dem, was dann passiert ist?
Nicht sehr. Es gab wenig passende Angebote. Ich kannte die Kandidaten nicht und habe sie für Notlösungen gehalten. Frau Koch habe ich gefördert, weil sie mir solides historisches Arbeiten zu garantieren schien. Auf Theorie habe ich schon gar nicht mehr geschaut, denn da war weithin Tabula rasa.
Wenn man sich die Stellenbesetzungen im Fach anschaut, dann fällt auf, dass das Münchner Institut längst nicht so großen Einfluss hat wie etwa das Institut für Publizistik in Mainz, obwohl dort das Fach erst Mitte der 1960er-Jahre aufgebaut wurde. Woran liegt das?
Frau Noelle-Neumann hat nicht nur theoretisch etwas geboten, sondern war auch ein Management-Genie. Sie hat gute Leute herangezogen, hat sie hervorragend aufgebaut und schließlich dafür gesorgt, dass sie angemessen untergekommen sind. Das alles ging den Münchner Lehrstuhlinhabern ab, zumal sie kein Theorieangebot hatten. Als kleiner Mann habe ich da nur am Rande tätig werden können und auch nicht im Traum daran gedacht, die Aktivitäten der Chefs konterkarieren zu wollen.
Was bleibt von Heinz Starkulla in der Geschichte dieses Instituts?
Gar nichts. Oder vielleicht doch ein paar Schüler. Vielleicht. Ich denke in erster Linie an Wagner. Indirekt auch an Glotz, Langenbucher. Das wird sich herausstellen. Ich habe gesagt, Kinder, seid doch nicht so ungeduldig, wartet doch ab. 100 Jahre nach uns stellt sich mindestens die Substanz unserer Theorie in einem ganz anderen Licht dar. Auf der anderen Seite: Wenn ich daran denke, was damals zur Debatte stand, die Auflösung des Instituts und damit die Auslöschung unserer Bemühungen, und wenn man dann sieht, was daraus heute geworden ist, dann kann ich nur sagen, es hat sich gelohnt, ein bisschen daran gearbeitet zu haben.
Literaturangaben
- Bernd Maria Aswerus: Vom Zeitgespräch der Gesellschaft. Zusammengestellt und eingeführt von Hans Wagner. München: R. Fischer 1993.
- Otto Groth: Die unerkannte Kulturmacht. Sieben Bände. Berlin: de Gruyter 1960 bis 1972.
- Maria Löblich: Eine Fehlbesetzung? Die Berufung von Hanns Braun als Nachfolger Karl d’Esters in München. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 66-89.
- Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004.
- Christoph Peters: Starkulla 65: »Was heißt das?«. In: Hans Wagner (Hrsg.): Idee und Wirklichkeit des Journalismus. Festschrift für Heinz Starkulla. München: Olzog 1988, S. 339-348.
- Otto B. Roegele: Ausbreitung, Lähmung, Konsolidierung – München 1963–1985. In: Arnulf Kutsch/Horst Pöttker (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 62-109.
- Walter J. Schütz: Neuanfang mit brauner Lektüre. Studienbedingungen nach 1945 – ein Erfahrungsbericht. In: Medien & Zeit 17. Jg. (2002), Nr. 2-3, S. 85-91.
- Heinz Starkulla: Organisation und Technik der Pressepolitik Gustav Stresemanns (1923-1929). München: Phil. Diss. 1951.
- Heinz Starkulla/Hans Wagner: Karl d’Ester. 1881-1960. München: Deutsche Zeitungswissenschaftliche Vereinigung 1981.
- Hans Wagner: Die Karrieren eines außergewöhnlichen Zeitungswissenschaftlers. In: Hans Wagner (Hrsg.): Idee und Wirklichkeit des Journalismus. Festschrift für Heinz Starkulla. München: Olzog 1988, S. 357–378.
- Thomas Wiedemann: Walter Hagemann. Aufstieg und Fall eines politisch ambitionierten Journalisten und Publizistikwissenschaftlers. Köln: Herbert von Halem 2012.
Empfohlene Zitierweise
- Heinz Starkulla: Doktorarbeiten aus Liebe. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/starkulla-interview/ (Datum des Zugriffs).