Zeitungswissenschaft hat ein exklusives Thema

Veröffentlicht am 2. Januar 2017

Rückblick auf die Münchner Schule: Zum 80. Geburtstag von Hans Wagner am 11. Januar 2017 veröffentlicht BLexKom eine Interview-Kompilation, die Michael Meyen und Maria Löblich (2007) zusammengestellt haben.

Stationen

Geboren am 11. Januar 1937 in Nesselwang. Besuch der Volksschule in Nesselwang, 1947 Wechsel an das Johann-Michael-Sailer-Gymnasium in Dillingen. 1954 Immatrikulation an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Dillingen. 1955 Wechsel an die Universität München (Theologische Fakultät, Zahnmedizin, ab 1957 Zeitungswissenschaft). Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Zeitungswissenschaft. 1962 Leiter der Presse- und Informationsstelle des Erzbischöflichen Ordinariats München (ab Ende 1966 bis 1972 im Nebenamt; ab 1970 Aufbau der Pressearbeit für die Deutsche Bischofskonferenz). 1965 Promotion an der Universität München. Titel der Dissertation: Faktische Ordnung der sozialen Kommunikation. Versuch einer Systematisierung der Zeitungswissenschaft. 1966 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Zeitungswissenschaft. 1967/68 Lehrstuhlvertretung in Salzburg. 1971 Mitglied des Lehrkörpers der Hochschule für Politik in München (1981 dort auch Senatsmitglied). 1975 Habilitation an der Philosophischen Fakultät I der Universität München. Titel der Schrift: Die Partner in der Massenkommunikation. Zeitungswissenschaftliche Theorie der Massenkommunikation. 1975 Privatdozent und Wissenschaftlicher Rat am Institut. 1980 Ernennung zum Professor (C2) an der Universität München, 1992 Überleitung auf eine C3-Professur. 1990 bis 1996 Prodekan, 1996 bis 2001 Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät. 2002 Pensionierung.

Könnten Sie zu Beginn etwas über Ihr Elternhaus erzählen, über Ihre Kindheit, Ihre Jugend?

Mein Vater hat in einer Brauerei gearbeitet und war im Krieg. Ich war nur drei Jahre an der Volksschule und bin dann in ein katholisches Internat gekommen. Mit zehn Jahren. Die Schulbibliothek und die Bücher, die es sonst in meiner Umgebung in Nesselwang gab, hatte ich da schon ausgelesen. In Dillingen bin ich dann der Kunstgeschichte begegnet, der alten Geschichte, den Griechen, den Römern. Ich war wie ein Schwamm, der alles aufgesaugt hat. Im Internat gab es plötzlich all das, was bei uns daheim gefehlt hat. Auch viele Zeitungen und Zeitschriften. Das war für mich eine ganz neue Welt.

Haben Religion oder Politik daheim eine Rolle gespielt?

Mein Elternhaus war katholisch. Aber ganz normal, nichts Überkandideltes. Ich wüsste nicht einmal, was meine Eltern gewählt haben. Vermutlich konservativ. Als die ersten Wahlen waren, war ich schon nicht mehr zu Hause. Mein politisches Interesse ist erst im Internat geprägt worden.

Was haben Sie dort gelesen?

Im Grunde alles, was aktuell war. Und dann die alten Philosophen. Die Verbindung von Geschichte, Latein und Griechisch, das war für mich schon damals etwas ganz Besonderes. Wir hatten in Dillingen eine exzellente Crew von Lehrern. Alle vom Krieg geprägt. Dort wurde auch über das Dritte Reich gesprochen. Wenn heute immer geklagt wird, dass diese Lehrergeneration die Vorgänge damals tabuisiert habe, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Ich war gut in Deutsch und habe auf dem Gymnasium auch schon geschrieben, für eine ganze Reihe von Jugendzeitschriften. Gedichte, Kurzgeschichten, Aufsätze. Damals habe ich angefangen, mit einer Laufbahn im Journalismus zu liebäugeln.

Wurde man in den bischöflichen Knabenseminaren am Dillinger Sailer-Gymnasium nicht auf den Priesterberuf vorbereitet?

Ich hatte zunächst überlegt, Theologie zu studieren, und bin deshalb nach zwei Semestern Philosophie in Dillingen nach München gewechselt. Dort schien mir das dann aber doch nicht mehr der richtige Beruf zu sein.

Warum dann ausgerechnet Zahnmedizin?

Ich habe erst das Philosophikum gemacht und dann nicht richtig gewusst, wie es weitergehen soll. Zahnmedizin klang interessant. Nach zwei Semestern habe ich aber gemerkt, dass das Physikum ein Problem wird, weil ich am Gymnasium Chemie abgewählt hatte. Ich konnte mir gar nicht leisten, deshalb ein paar Semester dranzuhängen, weil ich mir das Studium selbst verdienen musste. Ich habe in München als Straßenbahnfahrer gearbeitet und als Bauglaser und in den Ferien bei uns im Allgäu alle möglichen Jobs gemacht, um am Ende genug Geld für das nächste Semester zu haben. Ich bin wieder zurück zur Philosophie und habe mich darauf besonnen, was ich eigentlich wollte: auf den Journalismus.

Sind Sie deshalb 1957 zum Hauptfach Zeitungswissenschaft gewechselt?

Arbeitszimmer von Karl d'Ester (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Arbeitszimmer von Karl d’Ester (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Ich habe eigentlich nur ein zweites Nebenfach gesucht. Ich hatte mir bei Dempf ein Thema für die Promotion geholt. Ich wollte eine Dissertation machen über Augustinus. Ich bin also in die zeitungswissenschaftliche Vorlesung von Braun gegangen. Auf meiner Wunschliste standen aber noch andere Nebenfächer, zum Beispiel Literaturgeschichte. Hanns Braun hat sich in dieser Vorlesung mit Aswerus beschäftigt, und das hat mich neugierig gemacht. Ich bin dann in die Aswerus-Vorlesung gegangen, und die hat mich so fasziniert, dass ich mich im Hauptfach eingeschrieben habe.

Was haben Sie über das Fach gewusst, als Sie das erste Mal zu Braun gekommen sind?

So gut wie nichts. Die Studienkollegen haben gesagt, wenn du ein Nebenfach suchst, das schnell gehen soll, dann musst du dorthin gehen. Sonst war ich wie alle anderen der Meinung, dass Zeitungswissenschaft etwas mit Zeitung zu tun hat, mit gedruckten Zeitungen. Ich war also ziemlich unbefleckt.

Was hat Sie an Aswerus fasziniert? Heinz Starkulla hat zum Beispiel gesagt, dass Aswerus von den Studenten kritisiert worden sei, weil er oft undurchsichtig geblieben wäre (Starkulla 2004: 165).

Es kommt darauf an, mit welchen Erwartungen man hingeht. Ich hatte damals schon sechs oder sieben Semester studiert, bei Wenzl, bei Dempf und bei Lersch. Ich war also auf einer anderen Schiene als die meisten Studenten. An Aswerus hat mich fasziniert, dass er versucht hat, dem Fach eine philosophisch-sozialwissenschaftliche Basis zu geben. Ich habe bei ihm sämtliche Soziologen und Philosophen kennengelernt, die damals „in“ waren und etwas mit Kommunikationswissenschaft zu tun hatten. Das war eine wild-theoretische Vorlesung, die die meisten eher abgeschreckt hat. Simmel, Max Weber, Hannah Arendt, Jaspers. Starkulla hat sicher gemeint, dass Aswerus von Semester zu Semester seine Nomenklatur gewechselt hat. Deshalb ist er schließlich auch mit Braun aneinander geraten. Er hat in einer Vorlesung mit einer eigenen Nomenklatur ein System aufgebaut und am Schluss angekündigt, er setze das im nächsten Semester fort. Im nächsten Semester war die Nomenklatur dann völlig anders. Es gab die alten Begriffe nicht mehr. Er hatte völlig neue kreiert.

Wahrscheinlich war er selbst noch ein Suchender.

Das war das eine. Ich habe ihn eines Tages gefragt, warum er von Semester zu Semester die Begriffe wechselt. Er hat in schöner Offenheit erklärt, dass er den Studenten nicht alles sage, was er denke oder wolle: „Ich möchte das ja publizieren, und ich möchte nicht, dass irgend jemand vorher über dieses System schreibt.“ Er hat uns schon bewusst gewisse innere Zusammenhänge seines Systems vorenthalten.

Wolfgang Langenbucher hat erzählt, dass die Studenten sich gegen Aswerus gewehrt haben (vgl. Meywen/Löblich 2007: 204).

Heinz Starkulla im Münchner Zeitungsarchiv (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Heinz Starkulla im Münchner Zeitungsarchiv (Quelle: Privatarchiv Heinz Starkulla junior)

Sie haben sich beschwert, dass das nicht mehr die Fortsetzung der Vorlesung ist, sondern etwas ganz Neues. Aswerus wiederum hat behauptet, es sei die Fortsetzung. Wenn ich jetzt nachträglich die Mitschriften anschaue, war es die Fortsetzung. Verschlüsselt. Er war natürlich auch ein ziemlich arroganter Bursche. Jedenfalls war er unendlich stolz, als Lehrbeauftragter Grundlagen-Theorie anzubieten. Die Fakultät, die alte Philosophische Fakultät, hat mit Argusaugen geschaut, dass Basisfächer nur von bestallten Professoren gemacht werden. Lehraufträge gab es normalerweise nur für Praktiker, als Ergänzung. Schon deshalb stand Aswerus unter Beobachtung. Er hat ja auch sonst Doppelspiele gemocht. Er hat Karl d’Ester jahrelang erzählt, er wolle bei ihm promovieren, und in Wirklichkeit eine Promotion bei Dempf vorbereitet (vgl. Aswerus 1955).

Wie viele Leute saßen in den Aswerus-Vorlesungen?

Am Semesteranfang vielleicht 150 bis 200, am Ende 70, 80. Es war ja die einzige Theorievorlesung. Braun hat natürlich auch eine Vorlesung angefangen. Gar keine schlechten Vorlesungen, weil er sich im Wortlaut vorbereitet hat. Auch seine Sprache war brillant, aber er war immer krank. Manchmal war er schon nach zwei, drei Wochen in Wiessee und wegen seines Herzleidens ständig abwesend. Deshalb war Aswerus sozusagen die Pflichtvorlesung. Das Angebot war insgesamt ganz, ganz klein. Eine Vorlesung Braun, eine historische von Starkulla. Daneben ein Proseminar und ein Hauptseminar. Mehr gab es meist nicht. Die Hauptseminare, die Aswerus mit Starkulla zusammen gemacht hat, waren außerordentlich gut besucht. 50 Leute. Der Raum so voll, dass man die Türen aufmachen musste.

Was haben Sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut gemacht?

Zeitungsbaum (d'Ester 1928: 11)

Zeitungsbaum (d’Ester 1928: 11)

Wir mussten die Bibliothek neu aufbauen. Wir haben sie katalogisiert, die Stichworterschließung gemacht. Teilweise auch die Bestände neu sortiert, die im Keller lagen, in großen Haufen aus der Zeit der Bombenangriffe (vgl. Hage 2004). Starkulla hat uns Hiwis in die Aswerus-Vorlesungen geschickt, weil Braun spätestens einen Tag danach ein ausführliches Exzerpt wollte. Das war damals nicht ganz einfach. Wir mussten alles tippen. Die meisten Aswerus-Vorlesungen habe ich mitgeschrieben und Braun am nächsten Tag zugänglich gemacht.

Haben Sie Karl d’Ester noch kennengelernt?

Ich habe ihn zwei- oder dreimal durch die Gänge schleichen sehen. Eine persönliche Begegnung habe ich nicht gehabt.

Woher kommt dann Ihr Traditionsbewusstsein?

Wir waren schon als Studenten stolz, Münchner zu sein. Otto Groths „Geschichte der Zeitungswissenschaft“ war zum Beispiel Pflichtlektüre (vgl. Groth 1948). Starkulla hatte einen Stoß Remittenden billig aufgekauft, und wir konnten das Buch für ein paar Pfennige bei ihm abholen. Die Studenten aus anderen Instituten waren immer sehr kleinlaut, wenn wir sie bei Fachschaftstreffen nach ihrer Tradition gefragt haben. Für uns war wichtig, dass wir uns auf viele Autoren berufen konnten, bis ins 17. Jahrhundert, bis zu Kaspar Stieler.

Hat man als Student etwas mitbekommen von der schwierigen Stellung, die das Fach an der Fakultät hatte, von dem Image Doktorfabrik?

Wir waren ja selbst betroffen. Es gab keinen Studienabschluss außer der Dissertation, und diese Dissertation war an das Pflicht-Nebenfach Englische Philologie geknüpft. Die meisten sind ohne Abschluss gegangen. Das Einzige, was wir machen konnten, war ein institutsinternes Diplom. Ich habe dieses Diplom dreimal gemacht. Die erste Arbeit hat Braun nicht gefallen. Bei der zweiten wurde ich nach Grünwald in sein Haus bestellt. Wer dorthin musste, der wusste, was ihm blüht. Wir hatten damals die Hosen voll, auch wenn seine Frau immer auf unserer Seite war. Nach dem Tee hat Braun mir eröffnet, dass er auch die neue Fassung nicht annimmt. Also habe ich mich zum dritten Mal hingesetzt, obwohl dieses Diplom eigentlich völlig wertlos war. Nicht mehr als eine interne Hürde für die Anmeldung zur Promotion, ein Zeichen in Richtung Fakultät. Dabei waren unsere Dissertationen sicher nicht schlechter als in anderen Fächern. Ich weiß selbst nicht, warum ich die Frechheit hatte, nicht Englische Philologie zu machen. Vielleicht weil ich ursprünglich eine ganz andere Fächerkombination im Kopf hatte: Philosophie, Psychologie und Zeitungswissenschaft. Wir haben es einfach drauf ankommen lassen, bestärkt von Starkulla, der immer gesagt hat, irgendwann wird das fallen.

Wollten Sie damals Wissenschaftler werden?

Mein Ziel war die Praxis. Ich habe mir mein Studium dann ja auch im Journalismus verdient.

Wo haben Sie gearbeitet?

Zuerst bei Lorenz Freiberger, dem Chefredakteur der Münchner Kirchenzeitung. Ein Naturtalent und ein kritischer Geist. Seine Kommentare sind ihm aus den Fingern gerissen worden. Er lag ständig im Clinch mit Strauß. Bei Freiberger habe ich den kritischen Konservatismus gelernt. Heute ist die Kirchenzeitung ein Käseblättchen, aber damals lag die Auflage bei mehr als 200.000 Exemplaren, und es gab fast keine Woche, in der wir nicht irgendwo zitiert worden sind. Freiberger hat uns Nachrichten schreiben lassen. Er hat einfach gesagt, dass er dafür mehr zahlt als für all die Gedichte und Kommentare, mit denen wir die Welt verändern wollten. Auf diese Weise habe ich gelernt, wie man Nachrichten auswählt, wie man Nachrichten aufbereitet. Präziser, sauberer Journalismus. Ich habe dort so eine Art Volontariat gemacht. Während des Semesters eingeschränkt arbeiten und in den Ferien voll, gestreckt auf insgesamt vier Jahre. Ne-benbei habe ich dann auch für den Bayerischen Rundfunk gearbeitet und gelegentlich auch für Zeitungen.

Warum sind Sie nicht im Journalismus geblieben?

Ich hatte parallel zwei Angebote. Entweder als Redakteur beim Jugendfunk beim Bayerischen Rundfunk einsteigen oder die Pressestelle im Ordinariat aufbauen. Mit dieser Entscheidung habe ich mich lange gequält. Der BR hat mehr gezahlt, die Pressestelle aber war Neuland. Im Sommer 1960 war in München der Eucharistische Weltkongress. Wie das bei solchen internationalen Veranstaltungen üblich ist, hatte man eine Pressestelle eingerichtet und sich hinterher vorgenommen, die Pressearbeit auf eine kontinuierliche Basis zu stellen. Außer Münster hatte damals keine Diozöse eine Pressestelle. Ich habe mir gedacht, das ist eine Aufgabe, bei der man zeigen kann, was man drauf hat. Der Beginn hat sich dann noch eine Weile verzögert, weil Kardinal Wendel gestorben ist und gewartet wurde, bis Julius Döpfner kam. Ein wirklich hervorragender Mann aus ganz bescheidenen Verhältnissen, der zu meinen großen Vorbildern gehört. Er war schon mit 35 Bischof und hat eine riesige Karriere gemacht, ist aber immer ein einfacher Mensch geblieben. Döpfner war ein politischer Geist, der gespürt hat, was die Medien für die Gesellschaft bedeuten. Er hat die Idee von der Pressestelle sofort aufgegriffen.

Sie sind wenig später trotzdem in die Wissenschaft gegangen.

Nach meiner Promotion hat mir Roegele erst Lehraufträge angeboten und dann die Assistentenstelle. Ich bin aber noch sechs Jahre mit Nebentätigkeitsgenehmigung in der Pressestelle geblieben und habe parallel die Pressestelle für die Deutsche Bischofskonferenz aufgebaut. Als ich aufgehört habe, wurden zwei Leute angeheuert für das, was ich vorher als Nebenjob gemacht hatte.

Haben Sie an der Universität mehr Geld bekommen?

Nein, im Gegenteil. Ich habe in der Pressestelle wesentlich besser verdient und mit Roegele lange über die Einbußen diskutiert. Er konnte aber natürlich nicht mehr bezahlen und hat gesagt, ich müsse wissen, ob ich lieber Praxis machen wolle oder doch eher Wissenschaft. Wenn Sie so wollen, dann war es eine Entscheidung aus Liebe zur Wissenschaft.

Woher kam diese Liebe?

Otto B. Roegele (Quelle: Fotoarchiv Rheinischer Merkur)

Otto B. Roegele (Quelle: Fotoarchiv Rheinischer Merkur)

Auch aus der Erfahrung des Lehrauftrags. Die Studenten waren außerordentlich interessiert. Wirklich an Theorie interessiert. Ich habe damals zum Beispiel eine Vorlesung über antike Rhetorik gemacht und dazu ein Seminar, und da waren 40, 50 Leute drin. Die haben gearbeitet wie die Wilden. Heute würde sofort jeder Zweite fragen, was das mit seiner Praxis zu tun habe. Fast noch wichtiger war aber das Interesse des Praktikers an der Wissenschaft. In den Lehrbüchern konnte ich nichts von dem finden, was ich in der Öffentlichkeitsarbeit erlebt habe. Ich hatte in der Pressestelle gesehen, was die Journalisten mit uns machen. Manche haben einfach meine Kommentare mit ihrem Namen unterschrieben. Kommentare! Bei Nachrichten ist mir das egal, aber die Kommentare waren im Wortlaut von mir und mit meinem Namen gezeichnet. Dazu kamen ständig Manipulationen. Als PR-Mensch gibt man etwas heraus, und was dann daraus gemacht wird, ist oft haarsträubend. In meinem Pressedienst habe ich jeden Monat eine Nachrecherche veröffentlicht. Ich habe irgendein wildes Ding aus der Abendzeitung oder der Süddeutschen genommen, habe das im Detail nachrecherchiert und minuziös dokumentiert, in der Regel ohne Kommentar. Jeder konnte sehen: Die haben nicht recherchiert oder Sachen verdreht oder ich weiß nicht was. Die Münchner Journalisten haben mir das lange angekreidet. Ich habe mir gedacht, da muss man etwas unternehmen, und das schien mir nur in der Wissenschaft zu gehen, im Rahmen eines wissenschaftlichen Instituts.

Wie haben Sie die Berufung von Otto Roegele erlebt?

Die Journalisten der Bischofskonferenz haben sich in Fulda immer in einer bestimmten Wirtschaft getroffen, in der Nähe des Doms. Kurz nachdem der Ruf an Otto Roegele bekannt geworden war, saß ich dort beim Abendessen nur einen Tisch entfernt von ihm und seinen Journalistenkollegen. Er wusste nicht, dass ich etwas mit dem Institut zu tun hatte. Roegele ist an diesem Abend gehänselt worden mit seinem Ruf nach München. Die anderen haben ihn gefragt, was Zeitungswissenschaft denn überhaupt sei. Roegele hat schlicht und ergreifend erklärt, er wisse nicht, was das Fach ist. Er wisse auch gar nicht, was da auf ihn zukomme. Ich habe mir da so meine Gedanken gemacht. Als Roegele dann kam, war ich positiv überrascht, weil er außerordentlich konziliant und offen war, auch gesprächsoffen.

Wie hat man sich Ihre Arbeit als Assistent vorzustellen?

Roegele hatte schon in den Vorgesprächen gesagt, wenn ich komme, dann sei es mein Auftrag, das Grundstudium zu standardisieren. Das war in gewisser Weise auch mein Pech, weil ich zehn Jahre lang im Grunde nichts anderes gemacht habe, als Jahr für Jahr die Konzepte für das Grundstudium zu ändern. Das hing mit der Studentenrebellion zusammen und mit Roegeles Bestreben, in München einen Standard zu entwickeln, der für die anderen Institute in Deutschland zumindest akzeptabel sein sollte. Ich habe jedenfalls zehn Jahre immer wieder neue Konzepte für Proseminare geschrieben.

Sie haben sich trotzdem schon 1965 an der Debatte über die Ausrichtung des Fachs beteiligt und in der Publizistik für die „Münchner Schule der deutschen Zeitungswissenschaft“ geworben (Wagner 1965a: 50).

Ich habe damals versucht, eine Verengung der Publizistikwissenschaft auf den Faktor Öffentlichkeit zu verhindern. Wenn man diesen Faktor heraushebt, dann geht es letztlich nur noch um kausale Wirkungen des publizistischen Prozesses in der Öffentlichkeit (vgl. Wagner 1965: 42). Diese Kritik hat natürlich mit meinem Kommunikationsverständnis zu tun. Bei dem Begriff Zeitung ging es uns ja nie um dieses bedruckte Blatt Papier, sondern immer um die aktuelle soziale Kommunikation und um die Frage, was sie für die Gesellschaft leistet. Dazu kam, dass dieses Fach damals von der Sozialwissenschaft keine Ahnung hatte. Weder Dovifat noch Hagemann, das muss man ganz klar sagen. In München lief das anders. Alle Leute, denen ich als Student begegnet bin, haben schon auf die soziologische Schiene gesetzt. Starkulla sowieso, Groth indirekt, aber auch Aswerus. Er hat uns eingebläut, dass man Zeitungswissenschaft nur betreiben könne, wenn man von Max Weber ausgehe. Für mich hat es deshalb nie eine sozialwissenschaftliche Wende gegeben. Das Fach war für mich immer sozialwissenschaftlich fundiert – oder es war eben wissenschaftlich nichts wert (vgl. Wagner 1993).

Welches Fach? 1965 haben Sie „Zeitungswissenschaft“, „Publizistikwissenschaft“ und „Kom-munikationsforschung“ unterschieden und gezeigt, dass dort die Frage nach dem Formalobjekt jeweils ganz unterschiedlich beantwortet worden ist (vgl. Wagner 1965: 34).

Uns war immer klar, dass der Fachname Zeitungswissenschaft nicht verstanden wird – ganz im Unterschied etwa zur Fachbezeichnung Wirtschaftswissenschaft. Nicht einmal der blödeste Bauer in Bayern nimmt an, dass sich Wirtschaftswissenschaft mit Kneipen beschäftigt. Aber analog ist dem Fach Zeitungswissenschaft das stets unter angeblich vernünftigen Akademikern widerfahren, und es widerfährt uns bis heute unausrottbar, obwohl in Hülle und Fülle Klärungen und Erklärungen auf dem Tisch liegen. Der Fachname Kommunikationswissenschaft ist letztlich noch viel missverständlicher als Zeitungswissenschaft.

Warum das?

Es geht ja nicht um Kommunikation in einem undefinierten, schwammigen Sinn. Wir haben damals den Begriff „soziale Kommunikation“ vorgeschlagen. Das kann man in alle Sprachen übersetzen, das versteht man überall auf der Welt. Wenn die Münchner heute „Medienforschung“ sagen, dann ist das ja nur eine taktische Variante, um den Germanisten mit ihrem eigenartigen Medienbegriff nicht allein das Feld zu überlassen und um zu signalisieren, dass wir auch etwas mit Medien machen. Damit kann man leben, aber nicht Wissenschaft betreiben. Ohne Gegenstand keine Wissenschaft. Ich bin mir gar nicht sicher, ob dieses Fach heute überhaupt eine Identität hat. Wenn man nicht wüsste, dass all diese Institute Studenten für Medienberufe ausbilden wollen, dann hätte man überhaupt keinen gemeinsamen Nenner.

Was ist für Sie der Gegenstand der Zeitungswissenschaft?

Was wir in meiner Studentenzeit Zeitung genannt haben. Heute würde ich das als Nachrichtenverkehr bezeichnen. Der Nachrichtenverkehr, der die Gesellschaft jeweils konstituiert. Dieser Gegenstand hat den Vorteil, dass er von keinem anderen Fach behandelt wird. Bei allen anderen Gegenständen haben wir Konkurrenz. Bei Medien sowieso und bei Kommunikation auch. Alle Soziologen beschäftigen sich mit Kommunikation. Der Gegenstand Nachrichtenverkehr deckt das ab, womit sich das Fach tatsächlich beschäftigt. Wir hätten ein exklusives Thema und eine lange Ideen- und Theoriegeschichte.

Konkurrenz belebt das Geschäft.

Ich bin mit Sicherheit toleranter geworden und akzeptiere auch den Pluralismus im Fach. Pluralismus gibt es ja auch in der Philosophie. Dort prüft man aber ernsthaft, welche Lösung besser ist. Dass das nicht geschieht, werfe ich dem Fach bis heute vor. Wenn der Pluralismus zu immanenten Widersprüchen führt, dann muss der Wissenschaftler nach den Ursachen suchen und schauen, welche Antwort der Wirklichkeit entspricht, mit der er sich beschäftigt.

Sie haben bereits vor 40 Jahren die „Kommunikationsunfähigkeit innerhalb der eigenen Fachgrenzen“ beklagt und ein „weltweites Fachgespräch“ angemahnt (Wagner 1965: 48). Also alles beim Alten?

Wir wussten schon Mitte der 1960er-Jahre, dass wir in einer Minderheitenposition sind. Wir hatten aber keine Minderwertigkeitskomplexe. Schon deshalb nicht, weil wir uns mit unserem Fachverständnis auf eine lange Tradition berufen konnten, die in München ganz bewusst gepflegt worden ist. In den aktuellen Fachdebatten haben wir natürlich gemerkt, dass wir in der Minderheit sind. Während wir immer alles anschauen mussten, was die anderen gemacht haben, hat der sogenannte Mainstream geglaubt, auf alles verzichten zu können, was nicht mitschwimmt. Der Vorwurf, dass wir in München dogmatisch seien, kam in der Regel von Leuten, die selbst so dogmatisch waren, dass sie sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, unsere Thesen zu überprüfen. Das ging so weit, dass Erkenntnisse einfach beiseite geschoben wurden. Heute würde ich sogar von wissenschaftlicher Korruption sprechen. Im Fach haben Prestige und Karrieredenken überhand genommen. Solche Irrationalitäten haben mit wissenschaftlichem Arbeiten nichts zu tun.

Was ist für Sie Wissenschaft?

Das ist eine große Frage. Für mich ist es der Versuch, diszipliniert Erkenntnis zu gewinnen. Früher hat man ja nicht von Fächern geredet, sondern von Disziplinen. Das Sammeln von Wissen, das Aufarbeiten dieses Wissens, das Ausarbeiten wissenschaftlicher Erkenntnisse, all das setzt Disziplin voraus und reflektierte und kontrollierte Methoden, die es anderen erlauben, zu den gleichen Ergebnissen zu kommen oder diese Ergebnisse zu überprüfen. Das ist wichtig, weil Wissenschaft dem Menschen erlauben muss, sich in der Welt, in der er lebt, zuverlässig zurechtzufinden und das Richtige zu tun.

Hat es Sie gestört, dass Ihre Bemühungen von den Fachkollegen ignoriert wurden?

Das war nie mein Problem. Mich hat wenig berührt, dass die publizierten Sachen schlicht nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Wissenschaft ist für mich eine Sachfrage, nach wie vor, auch wenn das naiv ist. Mir hat neulich ein Kollege gesagt, ich solle unbedingt ein Buch über die interdisziplinären Konvergenzen mit der Münchner Theorie schreiben. Ein Buch darüber, wie sich kommunikationswissenschaftliche, soziologische, teilweise auch philosophische Ideen und Gedankenstränge auf das zu bewegen, was wir jahrelang gemacht haben in unserer Kommunikationstheorie. Bei vielen Fragen können wir nämlich sagen: Liebe Leute, das haben wir schon vor 20 Jahren gemacht. Zum Beispiel unser Theorem von der Kommunikationsrepräsentanz. Da kann man mindestens 200 Seiten Konvergenzen aufzählen aus allen möglichen Bereichen. Man denke nur an den Öffentlichkeitsbegriff bei Gerhards und Neidhardt (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990, Neidhardt 1994) oder an unsere Inhaltsanalysen. Wir haben viel früher als die Mainzer nach Aussageträgern gesucht.

Wie das?

Otto Groth (Quelle: Kieslich/Schütz 1965)

Otto Groth (Quelle: Kieslich/Schütz 1965)

Wenn die anderen am Anfang überhaupt Inhaltsanalysen gemacht haben, dann haben sie Themen untersucht. Wir haben dagegen versucht, die gesellschaftliche Kommunikation zu rekonstruieren, und danach gefragt, wie diese soziale Kommunikation durch die Vermittlung und durch die Vermittler gebrochen wird. Starkulla und ich haben den Ansatz von Groth umgesetzt und angefangen, Ausgangspartner zu suchen. In Seminaren, mit ganz läppischen Hilfsmitteln und ohne Infrastruktur. Im Laufe der Jahre haben wir das System immer weiter ausgebaut (vgl. exemplarisch Schröter 1995). Ich glaube nicht, dass unser Ansatz heute irgendwo überholt ist. Bei aller Kritik am Wissenschaftsbetrieb bin ich deshalb relativ gelassen. Wenn wir sauber gearbeitet haben, dann wird man irgendwann entdecken, dass ein paar Leute aus München manche Sachen schon längst gesehen haben.

Hätte es eine Chance gegeben, die Münchner Schule stärker im Fach zu verankern?

Vielleicht würde ich heute eine andere Strategie fahren. Wir haben uns mit Publikationen sehr zurückgehalten. Das hat zum einen mit meiner wissenschaftlichen Sozialisation zu tun. Bei uns war es nicht üblich, sich an den Schreibtisch zu setzen, wenn einen ein intellektueller Wind geplagt hat. Was man aufgeschrieben hat, das sollte Hand und Fuß haben. Der Extremfall war sicher Heinz Starkulla. Er hat exzellente Vorlesungen gehalten, aber keine größere Arbeit veröffentlicht. Die nächste Generation hat zwar versucht, das zu ändern, aber ganz abstreifen kann man so etwas nicht. Dazu kommt dann ein strukturelles Hindernis. Wir in München sind ab einem bestimmten Zeitpunkt gar nicht mehr dazu gekommen, viel zu publizieren. Ich habe nie etwas anderes erlebt als Massenbetrieb und Massenseminare. Wir haben immerzu Seminarpapiere korrigiert und versucht, das Studium zu optimieren, vor allem in der unruhigen Zeit Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre.

Otto Roegele hat von einem „Jahrzehnt des Stillstands der wissenschaftlichen Entwicklung des Faches“ gesprochen (Roegele 1997: 87). Warum sind Sie dabei geblieben?

Ich sehe das nicht als „Jahrzehnt des Stillstands“. Vielleicht kam ein bisschen Sand in das Getriebe der Wissenschaft. Als ich herkam, da waren die Studenten normal. Eine aufmüpfige Fachschaft, das war man gewohnt, das war nie anders. Auch dass die Leute in den Veranstaltungen gesagt haben, wir möchten dies oder jenes diskutieren. Was daraus dann geworden ist, war nicht absehbar.

Wie haben Sie die 68er-Zeit empfunden?

Das Institut war relativ geschlossen und relativ stark, weil wir einen Gegner hatten, den keiner von uns akzeptiert hat, auch Glotz nicht. Wir waren uns einig, dass wir so nicht mit uns umspringen lassen. Für uns war das ein einziger Psycho-Krieg. Ich erinnere mich noch sehr gut an die „Horrorzwillinge“, zwei Berliner. Die konnten in keine Veranstaltung gehen, ohne nach spätestens zehn Minuten zu stören. Wenn jemand eine Frage hatte, konnte er sie bei mir selbstverständlich stellen. Aber die beiden sind aufgestanden und haben gesagt: So, jetzt wollen wir Schluss machen, jetzt wollen wir über den Vietnam-Krieg diskutieren oder über Springer oder über den militärisch-industriellen Komplex! Oder, noch problematischer, über Roegele. Da war kein geordneter Betrieb möglich. Wenn man sie zehn Minuten reden ließ, wie uns von der Hochschulleitung geraten worden war, dann hat man selbst das Wort nicht mehr bekommen. Dann ging nichts mehr. Man konnte die Stunden oft nur abbrechen. Reguläres Lehren war überhaupt nicht mehr drin. Der Gleichmütigste war Peter Glotz, aber der hatte große Erfahrungen mit Parteidiskussionen. Wir anderen waren ja auf diese Situation nicht vorbereitet. Zum Teil kamen wüste Angriffe, auch persönlicher Art. Da ist einem einfach der Kragen geplatzt und man hat es irgendwann satt gehabt, sich mit diesen Leuten überhaupt noch an einen Tisch zu setzen.

Im Februar 1969 ist das Institut besetzt worden.

Ab Herbst 1968 gab es wirklich wüste Anpöbeleien. Da war plötzlich ein Dutzend Leute oder mehr, die noch keiner von uns gesehen hatte, Leute, die teilweise aus Frankfurt oder aus Berlin angereist waren und die immer da aufgetreten sind, wo etwas los war. Wenn zwei oder drei Leute in der Fachschaft waren, die denen nicht gepasst haben, haben sie schlicht und einfach über Anschlag eine neue Wahl angekündigt und eine Vollversammlung. Wir sind zu diesen Vollversammlungen hingegangen, weil wir wissen mussten, was da passiert. Dort waren dann zehn, zwölf, 15 Leute, von 800 Studenten. Und diese zwölf haben genügt, um eine neue Fachschaft zu wählen. Am Institut sind Zeitschriften gemacht worden, die wirklich ins Persönliche, ins Hässliche gegangen sind, sodass wir gar nicht mehr diskutieren konnten und wollten (vgl. Behmer 2004, Roegele 2005).

Sie haben sich 1974 habilitiert. Otto Roegele (1997: 105) hat diese Habilitation damit begründet, dass er die Münchner zeitungswissenschaftliche Schule nicht als gemeinsame, gar ausschließliche Lehrgrundlage des Instituts annehmen konnte, sich aber sehr wohl verpflichtet gefühlt habe, diese Schule in ihrer akademischen Existenz und Entwicklung zu sichern. Roegele hat auch von Widerständen gesprochen, die es gegen diese Habilitation gegeben hätte. Was waren das für Widerstände?

Diese Passage ist für mich auch sybillinisch. Manche Dinge kann ich mir gar nicht erklären. Erhard Schreiber, mit dem ich damals wirklich optimal kooperiert habe, war als Mittelbauvertreter im Fakultätsrat und hat mir berichtet, dass es solche Widerstände nicht gegeben hat. Auch Roegele habe dort nur Lobendes über mich gesagt. Widerstände könnten damals aus der DGPuK gekommen sein. Da hatte sich einiges angesammelt. Ich bin in Wut ausgetreten. Das hatte aber nichts mit der Habilitation zu tun.

Womit dann?

Die DGPuK hat damals zunehmend Praktiker aufgenommen, ohne dass der Mitgliederstatus differenziert worden wäre. Es gab eine Gruppe von Jungtürken, die gesagt haben, so kann es nicht gehen. Eines Tages haben wir einen Praktiker als Vorsitzenden in einer wissenschaftlichen Gesellschaft, die anerkannt sein will bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und sonst wo. Elisabeth Noelle-Neumann, die damals Vorsitzende war, hat bei der Jahrestagung in Konstanz alle Beller in eine Kommission gebeten und gesagt, jetzt sollen sie auch beißen. Wir haben einen Entwurf für eine Satzungsänderung gemacht, der dann auf der nächsten Tagung in Stuttgart behandelt wurde, im Haus von Hans Bausch. Wir haben für eine gestufte Mitgliedschaft plädiert. Jeder Praktiker hätte Mitglied werden, aber nicht alle Funktionen übernehmen können. Es wurde ewig diskutiert. Ich bin heute noch überzeugt, dass Bausch dann mit einer Reihe von Tricks im Abstimmungsverfahren die Ablehnung des Vorschlags erreicht hat. Mit knapper Mehrheit. Bausch war ja selbst Praktiker. Er ist noch höhnisch über mich hergefallen. Da habe ich einen Zettel genommen und mit rotem Kuli draufgeschrieben: Hiermit trete ich mit sofortiger Wirkung aus. Ich habe das Roegele hingeknallt, der Vorsitzender war, und bin ab. Viele haben mir übelgenommen, dass ich die DGPuK beschimpft habe. Das hatte aber nichts mit der Münchner Theorie zu tun. Anders war es bei meiner Auseinandersetzung mit Klaus Merten, die ja in ein Gerichtsverfahren gemündet ist. Ich habe verloren. Zu Unrecht, davon bin ich heute noch überzeugt.

Worum ging es dabei?

Um die zwei Bände „Kommunikation und Gesellschaft“ (vgl. Wagner 1978). Merten hatte eine Besprechung ans Institut lanciert, über Langenbucher. Sie erschien irgendwann am Schwarzen Brett, anonym, bis wir Langenbucher dazu brachten, einzugestehen, dass der Text von Merten stammt und er ihn veranlasst hatte. Wir sind sonst sehr gut ausgekommen, Langenbucher und ich. Das war eine der wenigen Streitigkeiten. Merten hatte eine Reihe von Sachbehauptungen aufgestellt, die eindeutig falsch waren. Es sei kein einziges amerikanisches Werk zitiert worden usw. Geklagt habe ich, als Merten die Rezension öffentlich gemacht hat (vgl. Merten 1979). Das Gericht hat dann Buchrezensionen generell als Meinungsäußerung eingestuft. Da könne man nicht Tatsachenbehauptungen dagegen setzen. Später hat mir Merten einmal vorgerechnet, wie alt die Bücher sind, die ich zitierte, und hat Aristoteles mit rund 2500 Jahren angesetzt. Merten galt im Fach als fieser Bursche, und ich bin eben in seine Klauen geraten. Wobei wir viele Übereinstimmungen hatten, viele gemeinsame Ideen, vor allem, was die Publizistikwissenschaft anbelangt. Ich könnte mir also vorstellen, dass Roegele bei einigen Fachkollegen Unverständnis geerntet hat, als bekannt wurde, dass ich habilitieren wollte. Er hat mein Habilitationsgesuch sicher redlich, aber vielleicht nicht mit ganzem Herzen vorgetragen. Dafür gibt es Anzeichen. Das Habil-Gutachten stammte nicht von ihm, sondern von Schreiber. Das hat mir Schreiber im Original zugeleitet. Roegele hat das einfach übernommen und unterschrieben. Bei einer Habilitation schon fast desavouierend. Die Zeit mit Roegele hat bei mir in der Erinnerung viele positive Aspekte, aber auch manche negative.

Was sind die positiven Aspekte?

Wir sind menschlich gut miteinander ausgekommen. Wir haben uns gegenseitig geholfen und wir standen uns auch in den Überzeugungen eher nahe. Wir waren uns da nicht immer einig, aber es gab eine gemeinsame Basis. Er hat mir zum Beispiel den Auftrag gegeben, an seiner Stelle an der Vorbereitung des Pastoralschreibens „Communio et Progressio“ mitzuwirken. Im Grunde ist dieses ganze Pastoralschreiben Münchner Theorie, aber kritisch gewendet (vgl. Wagner 1971). Roegele und ich sind auch in vielen Institutsangelegenheiten gemeinsam marschiert, und ich habe ihn als Publizisten wirklich geschätzt, seine Leistungen für den Rheinischen Merkur, die ich auch heute noch insgesamt für außerordentlich groß und positiv halte. Negativ war, dass Roegele sich nie wirklich ernsthaft und intensiv mit der Münchner Theorie beschäftigt hat. Er wusste, dass es hier einen Kommunikationsbegriff gab, der weiter geht als in allen anderen Ansätzen, die damals verfügbar waren (vgl. Roegele 1966, Langenbucher 2006). Ich hätte gehofft, dass er zumindest in einigen Punkten nicht eine Pluralität von allem Möglichen akzeptiert, sondern gesagt hätte, jetzt müssen wir prüfen, was besser ist und warum es besser ist. Dass dies nicht geschehen ist, kreide ich ihm bis heute durchaus an.

Welches Verhältnis hatten Sie zu Heinz Starkulla?

Karl d'Ester mit Studenten in München (Quelle: Starkulla/Wagner 1981: 6)

Karl d’Ester mit Studenten in München (Quelle: Starkulla/Wagner 1981: 6)

Zunächst ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Als ich angefangen habe, war er der große Macher. Mit Braun hatten wir Studenten wenig zu tun. Starkulla hat die Seminare gehalten und sämtliche Seminararbeiten korrigiert. Aus dieser Leitfigur ist dann schrittweise ein Freund geworden. Starkulla hat uns in sein Stammlokal mitgenommen und mit uns gleichberechtigt alle Fragen diskutiert. Zwei- oder dreimal in der Woche beim Mittagessen. Das war das eigentliche Seminar der Zeitungswissenschaft. Wir haben jeden zugelassen, der mitkommen wollte. Studenten, Hiwis, Kollegen, häufig Gäste. Jeder hatte ein Papier dabei oder irgendein Problem aus einem Seminar, und das hat man ausdiskutiert. Ein echtes wissenschaftliches Kolloquium. Sehr, sehr fruchtbar (vgl. Glotz 2005: 119f.).

Haben Sie je darüber nachgedacht, die Universität zu wechseln?

Daran gedacht habe ich schon. Es kamen aber nur bayerische Universitäten infrage. Ich hatte eine Familie und ein Haus und war in München fest etabliert. Dazu kommt, dass man in der Wissenschaft schon mit 52 Jahren zum Schrott gehört. Wenn vorher alle Stellen besetzt sind, dann hat man keine Chance. Ich habe mich drei- oder viermal beworben. In Bamberg stand ich mit zusammen mit Manfred Rühl auf Platz eins. Warum das Ministerium nicht mich genommen hat, das entzieht sich meiner Kenntnis.

In München mussten Mitte der 1980er-Jahre vier von fünf Professuren neu besetzt werden. Ist der Zug in die richtige Richtung gefahren?

Als Roegele ging, mussten wir das zu zweit machen. Heinz-Werner Stuiber war ja schon berufen. Eine schwierige Situation. Stuiber hat immer gesagt, wie es in Nürnberg gemacht wird, und ich habe gesagt, wie es in München bisher gemacht worden ist. Nicht ganz einfach bei dem Naturell von uns beiden.

Haben Sie Ihre Vorstellungen umsetzen können? Sind Sie heute zufrieden?

Eines Tages hat mich der Dekan kommen lassen, Heinz Laufer, und hat gesagt, wir müssten irgendetwas tun. Von der Hochschulleitung sei ihm signalisiert worden, am besten abzuwarten, denn das Institut werde in drei Jahren gar nicht mehr bestehen. Noch unter Roegele sind ja mehrere Berufungsverfahren gescheitert. Koszyk und Wilke haben zum Beispiel Rufe abgelehnt. Wenn so etwas passiert, dann heißt es in der Hochschulleitung gleich, das Fach habe offenbar gar keinen qualifizierten Nachwuchs. Bei den vielen Studenten gab es wohl die Hoffnung, dass wir irgendwann aufgeben und dass das Institut einschläft. Ich habe dann mit Laufer einen Zeitplan entwickelt. Wir waren relativ schnell, haben in zwei Jahren drei Stellen besetzt. Die Frage nach der Zufriedenheit muss man aus der Situation heraus beantworten. Ich würde sagen, wir haben in den einzelnen Verfahren die besten Möglichkeiten ergriffen.

Wären Sie selbst gern Roegeles Nachfolger geworden?

Laufer hat Roegele kurz vor seinem Weggang gefragt, ob er das nicht so beantragen wolle. Roegele hat sich aber geweigert. Die Begründung wurmt mich bis heute. Er hat gesagt, Wagner sei ein Groth- und Aswerus-Schüler und könne deshalb unmöglich auf einen d’Ester-Lehrstuhl berufen werden.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt, das Münchner Institut sei unter seinen Möglichkeiten geblieben, die Beteiligten hätten vor allem in den 1980ern die Chance verpasst, den Studentenandrang in Professoren- und Mitarbeiterstellen umzuwandeln?

Das würde ich auch so sehen. Das Institut hatte unter Roegele durchaus einen positiven Ruf, auch Roegele selbst in der Fakultät. Dass er das nicht ausgenutzt hat, ist mir bis heute unerklärlich. Das erste Problem war der Numerus clausus. Trotz steigender Studentenzahlen hat sich Roegele zunächst nicht dazu bewegen lassen und ihn dann zu spät beantragt. Das ist sicher eine Frage der Generation und der Vorstellung vom akademischen Leben, von der akademischen Freiheit. Roegele hat auch die Studentenwelle unterschätzt. Im Ministerium und im Wissenschaftsrat hieß es immer, das sei nur eine vorübergehende Erscheinung, eine Erscheinung, mit der man rasch fertig werde, weil es durch die demografische Entwicklung bald wieder weniger Studenten gebe. Vielleicht hat sich Roegele deshalb mit Überlaststellen zufriedengegeben und keine etatisierten Stellen gefordert, die man meines Erachtens Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre hätte bekommen können.

Besser Überlaststellen als gar keine.

Diese Stellen haben dem Institut zwei Nachteile gebracht. Zum einen wurden dadurch die jungen Leute verheizt. Die Stellen hatten teilweise 16 Wochenstunden Deputat. Im Lehrplan waren zwar so auf einen Schlag 16 Stunden gefüllt, die Betroffenen aber hatten keinerlei Qualifizierungschancen mehr. Man wollte natürlich die Besten haben für diese Stellen und hat genau diese Besten verheizt. Das ist das eigentliche Desaster. Und der zweite Nachteil: Die ganze Nachwuchsförderung ist praktisch zum Erliegen gekommen. Es gab fast keine Promotionen mehr. Die wirklich guten Leute sind möglichst rasch an andere Institute gegangen. Andere haben erst mit langer Verzögerung promoviert. Und Habilitationen hatten wir bis in die letzten Jahre hinein praktisch gar keine mehr. Mit Mainz zum Beispiel konnten wir so gar nicht mehr mithalten.

Wie haben Sie den öffentlichen Wirbel um die Aufwertung Ihrer Professur von C2 auf C3 wahrgenommen?

Ich erinnere mich an keinen Wirbel.

Die FAZ hat die Ausschreibung damals als „generationsübergreifende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ für die Münchner Schule verunglimpft und herablassend vom „endlosen Selbstgespräch über das Selbstgespräch der Gesellschaft“ gesprochen (gs. 1992; vgl. Pürer 1992, Wagner 1992).

Das habe ich völlig verdrängt. Unangenehmes vergesse ich zum Glück sofort. In der Fakultät gab es damals überhaupt kein Problem. Dort war alles einstimmig. Als Langenbucher und ich zu C2-Professoren gemacht wurden, waren das ja noch Beförderungsstellen, mit automatischer Anhebung auf C3 nach zwei Jahren. Plötzlich wurde ein Stichtag eingeführt, und das sollte alles nicht mehr gehen. Langenbucher ist trotzdem noch angehoben worden, weil sich Roegele sehr für ihn eingesetzt hat. Ende der 1980er-Jahre gab es dann ein Überleitungsgesetz. Die Münchner C2-Professoren haben sich in einer großen Phalanx zusammengefunden, von den Medizinern bis zu den Sozialwissenschaftlern. So etwas hatte es bis dahin überhaupt noch nicht gegeben. Wir haben in vielen, vielen Sitzungen nachgewiesen, dass C2-Professoren nichts anderes tun als C4- oder C3-Professoren und dass der Betrieb ohne uns gar nicht laufen könnte.

Sie waren ab 1990 Prodekan und von 1996 bis 2001 Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät. War das eher eine Bürde und eine Ehrenpflicht oder auch eine späte Genugtuung?

Das Letzte mit Sicherheit nicht. Der Vorgänger, Heinz Laufer, ist völlig unvorhersehbar verstorben, und man hat jemanden gesucht, der es macht. Ich bin von den Kollegen breitgeschlagen worden, weil ich Prodekan war. Als Prodekan hatte man bei Laufer nichts weiter zu tun, als jeden Tag zu beten, dass der Dekan gesund bleibt. Laufer hat sich nie in die Karten schauen lassen, auch nicht vom Prodekan. Die Jahre als Dekan dann, diese Jahre möchte ich nicht missen. Bis dahin hatte ich die Universität und das eigene Fach immer aus dem Schneckenhaus des eigenen Fachs gesehen. Wie das Ganze aus Sicht der Universität ausschaut, wie etwa im Senat Berufungsverfahren laufen, davon hatte ich keine Ahnung. Als Dekan bekommt man eine ganz andere Sicht, auch auf das Institut.

Haben Sie für das Fach etwas erreichen können?

Zwei Dinge. Ich habe den Kanzler veranlasst, eine Änderungskündigung des Vertrags mit der Deutschen Journalistenschule auszusprechen. Das wäre ohne mein Zutun nicht geschehen. Das Münchner Modell hatte zwei Geburtsfehler. Die Studenten wurden fast ausschließlich in der Praxis sozialisiert und sind dort mit einem antiwissenschaftlichen Virus infiziert worden. Manche hatten sich nur für das Studium beworben, um ihre Chancen bei der Journalistenschule zu verbessern. Und dann habe ich nicht eingesehen, dass der Etat für 15 oder 30 Journalistenschüler höher sein soll als für die übrigen 2000 Studenten. Die ungerechte Verteilung der Etatmittel konnte ich nicht länger hinnehmen. Die Änderungskündigung hat dazu geführt, dass über die Neufassung des Diplom-Studienganges geredet worden ist.

Und Ihr zweiter Erfolg als Dekan?

Wir sind in den Kreis der Ausbau-Institute der Universität aufgenommen worden. Ich habe ein Konzept vorgelegt, gleich zu Beginn meiner Amtszeit, das mehrere neue Professuren vorsah und neue Mitarbeiterstellen. Das war natürlich wie jeder Plan zunächst nur Papier. Aber dieses Problem und vor allen Dingen der Abbau und die Etatisierung der Überlaststellen, dies alles ist eine Art „ceterum censeo“ meiner Amtszeit gewesen. Es gab wohl kaum ein halbes Jahr, in dem das nicht in irgendeiner Form an die Hochschulleitung ging. Im Strukturplan der Universität ist dann ein außerordentlich großzügiges Ausbaukonzept verankert worden. Noch während meines Dekanats ist dem Institut eine C3-Professur zugewiesen worden. Außerdem wurde die Zuweisung einer C4-Professur mit einer bescheidenen Ausstattung verbindlich zugesagt.

Gibt es noch etwas, auf das Sie stolz sind?

Auf den Versuch, die scheinbar divergierenden Paradigmen von Karl d’Ester, Otto Groth und Aswerus in einem in sich stimmigen theoretischen Konzept integriert zu haben. Stolz bin ich auch, dass es mir gelungen ist, Groths Vorstellungen inhaltsanalytisch umzusetzen. Groth ist ja nicht nur der große Darsteller der Ideengeschichte des Fachs, sondern auch Pionier der Inhaltsanalyse. Seine Dissertation ist weltweit die erste systematische Inhaltsanalyse (vgl. Groth 1915). Dass wir diese Ansätze nie so ausbauen konnten wie zum Beispiel die Mainzer, das hat vor allem mit der Überlast in der Lehre zu tun. Wenn man an die Universität geht, muss man natürlich wissen, ob einem die Lehre gefällt oder nicht, aber ich hatte keine Vorstellung von der Überlast. Die war von Beginn an da bis zu meinem Ausscheiden. Das hat viel Kraft und Zeit aufgefressen, Engagement, das man vielleicht lieber in die Forschung gesteckt hätte.

Gibt es etwas, das sich Hans Wagner vorwirft?

Falsche Strategien vielleicht bei der Zeitungswissenschaft, bei unserem theoretischen Ansatz. Ich würde mir heute zum Beispiel als Fehler ankreiden, dass ich aus der DGPuK ausgetreten bin. Ich habe damals mein cholerisches Temperament nicht zügeln können. Wenn ich noch einmal jung wäre, würde ich sagen: Diese DGPuK erobere ich mir! Die Trotzreaktion von damals war auch fachlich verderblich. Das weiß ich aber erst heute. Ich habe Wissenschaft viel zu naiv gesehen. Ich habe bis in meine alten Tage hinein gedacht, in der Wissenschaft gehe es nur nach Sachkriterien. Jede Entscheidung in der Wissenschaft beruhe auf Sachkriterien. Ich muss am Ende meiner Laufbahn sagen, das ist die größte Täuschung gewesen. In der Wissenschaft ist es schlimmer als beim Bauern. Der Bauer arbeitet absolut rational und sachlich, aber nicht der Wissenschaftler, jedenfalls in den „weichen“ Wissenschaften. Hier geht es um Renommee und Prestige und nicht um Sachkriterien.

Warum sind Sie 1993 wieder in die DGPuK eingetreten?

Ich hatte eingesehen, dass man ohne eine solche wissenschaftliche Gesellschaft nichts für seine Schülerinnen und Schüler tun kann. Das war ein Problem.

Haben Sie nach dem Austritt an den Veranstaltungen der Gesellschaft teilgenommen?

Zweimal, und auch da nur kurz. Ich bin wirklich nur aus formalen Gründen wieder eingetreten und habe festgestellt, dass das vollkommen genügt, um wieder Teil der Familie zu sein und akzeptiert zu werden. Man muss gar kein gutes Kind sein. Der Austritt war mein größter Fehler.

Haben Sie Ihre Schüler ermuntert, sich in der DGPuK zu engagieren?

Immer. Ich habe immer gesagt, ihr müsst dort hinein und euch aktiv beteiligen. Der gruppendynamische Aspekt ist auch im Wissenschaftsbetrieb wichtig. Selbst wenn man nur zusammen Kaffee trinkt, ist es etwas anderes, als wenn man sich nur aus den Büchern kennt.

Zu welchen Kollegen hatten Sie einen besonders guten Draht?

Wolfgang R. Langenbucher (2. von rechts) 1983 in München. Foto: Hanno Hardt

Wolfgang R. Langenbucher (2. von rechts) 1983 in München. Foto: Hanno Hardt

Da kann ich eine ganze Reihe aufzählen, angefangen bei den Leuten am Institut. Glotz und Langenbucher natürlich. Ich schließe Langenbucher nicht aus. Wir hatten ein paar Streitigkeiten, wir hatten aber immer gute persönliche Beziehungen. Schönbach am Institut und ganz früh Padrutt, Kieslich und Bosshart. Und dann bis heute die Mainzer Kollegen. Zu Noelle-Neumann war der Draht nicht immer gut, er hat sich aber wesentlich verbessert, fast bis zu freundschaftlichen Beziehungen in den letzten zehn Jahren. Kepplinger, Wilke, auch Holtz-Bacha. Mit Schmolke habe ich viele Gefechte ausgetragen, aber wir hatten auch gemeinsame Interessen, zum Beispiel bei der katholischen Presse. Ganz wichtig war für mich auch René Marcic, von dem ich in meinen Arbeiten immer wieder gezehrt habe. Oder hier in München die Soziologen Bühl und Bolte.

Gab es Gegner, Konkurrenten, Feinde?

Konkurrenten hatten wir nicht, weil wir uns ja konkurrenzlos glücklich gefühlt haben. Und Gegner müssen schon Format haben. Da kenne ich ganz wenige. Klaus Merten vielleicht.

In der Festschrift zu Ihrem 65.Geburtstag sind neben den Münchner Kollegen, Weggefährten und Schülern auch Elisabeth Noelle-Neumann, Jürgen Wilke, Hans Mathias Kepplinger und Wolfgang Donsbach vertreten. Welche Verbindung gibt es zwischen Hans Wagner und der Mainzer Schule?

Mir haben einzelne Mainzer Arbeiten immer wieder sehr imponiert, und umgekehrt weiß ich, dass sich einige der Mainzer Kollegen auch die Münchner Ideen angesehen haben. Es gibt dort eine ganze Reihe von Konvergenzen.

Welche zum Beispiel?

Die Inhaltsanalysen habe ich schon erwähnt. Auch unsere Theorien würden im Kern konvergieren, nämlich bei der Frage nach der sozialen Kommunikation und nach ihrer Vermittlung. Die Schweigespirale sehe ich als Typus der sozialen Orientierung, der sich aus vermittelter gesellschaftlicher Kommunikation ergibt. Noelle-Neumann hat ihre Theorie ja auch historisch begründet. Sie hat mir übel genommen, dass ich diese historische Begründung für viel überzeugender gehalten habe als die empirische. Historische Forschung steht den Umfragetechniken keineswegs nach.

Und die Journalismuskritik? Ist das nicht auch eine der Gemeinsamkeiten, die Mainz und München teilen?

Das würde ich auch so sehen. Wir sind dort aber völlig unabhängig voneinander vorgegangen. Genau wie die Mainzer sehe ich Wissenschaft als Chance, nach dem Einfluss des Journalismus auf die Gesellschaft zu fragen und diesen sehr sensiblen Bereich wirklich massiv zu kritisieren, selbstverständlich an Kriterien orientiert. Alle anderen Journalismuskritiker sind Interessenten. Wenn Sie nach Gemeinsamkeiten suchen, dann sind natürlich die Überzeugungen eine zusätzliche Basis. Kepplinger zum Beispiel würde ich sehr wohl als wertkonservativ beschreiben.

Was bleibt von Hans Wagner in der Kommunikationswissenschaft? Was sollte bleiben, wenn Sie Einfluss darauf hätten?

Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Vielleicht habe ich das Wichtigste auch noch vor mir. Ich knoble an einer Skizze der Kommunikationsgeschichte herum. Eigentlich kann man das Thema allein gar nicht angehen. Dazu müsste man 50.000 Titel durcharbeiten. In diesem Thema steckt auch die Frage nach der Professionalisierungsgeschichte des Journalismus. Wir wollen Journalisten ausbilden und haben bis heute keine Geschichte dieses Berufs. Ich kenne kein anderes Fach, das sich so etwas leistet. Wozu bilden wir denn aus, wenn wir nicht einmal wissen, was Journalismus ist, wie dieser Beruf entstanden ist und welche Professionalisierungsmerkmale er entwickelt hat?

Kann die Kommunikationswissenschaft Journalisten ausbilden? Sollte sie es?

Ich glaube, dass die Journalistenausbildung dem Fach nicht gut getan hat. Alles was unter dem Stichwort Praxisbezug gelaufen ist, hat uns von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen der gesellschaftlichen Kommunikation abgehalten und daran gehindert, die Weite dieses Fachs auszuschreiten. Ich bin deshalb kein Journalistenhasser, wie Langenbucher behauptet. Das war sicher auch auf mich gemünzt (vgl. Langenbucher 2004). Ich habe immer versucht, den Journalisten zu sagen, dass ich ihren Beruf sehr respektiere, aber nach den gesellschaftlichen Funktionen dieses Berufs frage. Was Journalisten an praktischen Fähigkeiten und Kenntnissen brauchen, das kann ich ihnen als Wissenschaftler nicht geben. Dazu war ich viel zu weit weg von der Praxis, trotz meiner zehn Jahre in der PR. Wir können den Leuten aber beibringen, die Praxis zu reflektieren, und sie so für Führungspositionen qualifizieren und dafür, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

Literaturangaben

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  • Markus Behmer: Erstes „befreites“ Institut der LMU. Die Studentenbewegung im Wintersemester 1968/69. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 301-313.
  • Karl d’Ester: Zeitungswesen. Breslau: Ferdinand Hirt 1928.
  • Jürgen Gerhards/Friedhelm Neidhardt: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. Wissenschaftszentrum Berlin: Discussion Paper 1990, FS III, S. 90-101.
  • Peter Glotz: Von Heimat zu Heimat. Erinnerungen eines Grenzgängers. München: Econ 2005.
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  • Otto Groth: Die Geschichte der deutschen Zeitungswissenschaft. Probleme und Methoden. München: Weinmayer 1948.
  • gs.: ABM. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 30. April 1992, S. 33.
  • Christoph Hage: Hörsaal, Keller und Bestattungsfirma. Das Institut und seine Räume. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 314-329.
  • Wolfgang R. Langenbucher: Journalistenhasser, Brigitte Mohnhaupt und die Münchener Schule. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 198–213.
  • Wolfgang R. Langenbucher: Otto B. Roegele: Der Zeitungswissenschaftler als Kommunikationswissenschaftler. Münchener Beiträge zur Kommunikationswissenschaft Nr. 4 (2006).
  • Klaus Merten: Rezension Hans Wagner: Kommunikation und Gesellschaft. In: Publizistik 24. Jg. (1979), S. 567-569.
  • Michael Meyen/Maria Löblich: „Ich habe dieses Fach erfunden”. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007.
  • Friedhelm Neidhardt: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und soziale Bewegungen. In: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Sonderheft 34 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S. 7-41.
  • Heinz Pürer: Genese einer Ausschreibung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai 1992, S. 13.
  • Otto B. Roegele: Die Zeitungswissenschaft im Streite der Fakultäten. In: Publizistik 11. Jg. (1966), S. 390-398.
  • Otto B. Roegele: Ausbreitung, Lähmung, Konsolidierung – München 1963-1985. In: Arnulf Kutsch/Horst Pöttker (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 62-109.
  • Otto B. Roegele: Retter in höchster Not. In Memoriam. Als die Studentenunruhen die Münchner Universität bedrohten. Persönliche Erinnerungen an Peter Glotz. In: Rheinischer Merkur Nr. 35 vom 1. September 2005, S. 21.
  • Detlef Schröter: Qualität und Journalismus. Theoretische und praktische Grundlagen journalistischen Handelns. München: R. Fischer 1995.
  • Heinz Starkulla: Es hat sich gelohnt, ein bisschen daran zu arbeiten. In: Michael Meyen/Maria Löblich (Hrsg.): 80 Jahre Zeitungs- und Kommunikationswissenschaft in München. Bausteine zu einer Institutsgeschichte. Köln: Herbert von Halem 2004, S. 155-169.
  • Heinz Starkulla/Hans Wagner: Karl d’Ester. 1881-1960. Professor für Zeitungswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1924-1954. München: Deutsche Zeitungswissenschaftliche Vereinigung 1981.
  • Hans Wagner: Ansätze zur Zeitungswissenschaft. Faktoren und Theorien. In: Publizistik 10. Jg. (1965), S. 33-54.
  • Hans Wagner: Pastoralinstruktion Communio et Progressio über die Instrumente der sozialen Kommunikation. Päpstliche Kommission für die Instrumente der Sozialen Kommunikation. Kommentiert von Hans Wagner. Trier: Paulinus 1971.
  • Hans Wagner: Seit 1924 Münchner Zeitungswissenschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Mai 1992.
  • Hans Wagner: Kommunikationswissenschaft – ein Fach auf dem Weg zur Sozialwissenschaft. Eine wissenschaftsgeschichtliche Besinnungspause. In: Publizistik 38. Jg. (1993), S. 491-526.

Empfohlene Zitierweise

    Hans Wagner: Zeitungswissenschaft hat ein exklusives Thema. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2017. https://blexkom.halemverlag.de/interview-wagner/ ‎(Datum des Zugriffs).