Helena Bilandzic (Foto: privat)
Helena Bilandzic (Foto: privat)

Zu forschen ist für mich das größte Privileg

Veröffentlicht am 2. Oktober 2014

Helena Bilandzic vertritt die Kommunikationswissenschaft seit 2012 im DFG-Fachkollegium Sozialwissenschaften. Michael Meyen hat sie am 28. November 2013 in ihrem Augsburger Büro gefragt, was sie dabei gelernt hat und wie Frau an der Universität Karriere machen kann.

Stationen

Geboren 1972 in München. Kroatin. 1991 zunächst Studium der Soziologie an der Universität München. 1992 Wechsel in die Kommunikationswissenschaft. 1997 Magister. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU. 2002 Wechsel an die Universität Erfurt. 2003 Promotion an der LMU (Doktorvater: Hans-Bernd Brosius). Im Sommersemester 2003 Gastprofessorin an der Universität der Künste Berlin. 2005 mit einem DFG-Stipendium an der Washington State University. 2009 Habilitation in Erfurt. 2010 Professorin an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Im gleichen Jahr Wechsel auf einen Lehrstuhl an der Universität Augsburg. Einwerbung mehrerer DFG- und EU-Projekte. 2005 bis 2007 Sprecherin der DGPuK-Fachgruppe Rezeptionsforschung, 2010 bis 2012 der ECREA-Sektion Audience and Reception Studies. Seit 2012 Vertreterin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im DFG-Fachkollegium Sozialwissenschaften. Verheiratet, zwei Kinder.

Könntest du zu Beginn etwas über dein Elternhaus erzählen, über deine Kindheit, deine Jugend?

Meine Eltern kamen in den 1960er-Jahren aus Jugoslawien nach Deutschland. Mein Vater ist Maschinenbauingenieur und hat hier eine Firma gegründet, in der meine Mutter dann mitgearbeitet hat.

Ein Migrationshintergrund.

Ja, aber kein typischer. Bildung war sehr wichtig bei uns. Wir sind drei Schwestern. Es war vollkommen klar, dass alle drei das Gymnasium besuchen und studieren werden.

Bist du zweisprachig aufgewachsen?

Ja. Kroatisch ist meine Muttersprache. In den Schulferien fuhren wir immer an die kroatische Adria. Deutsch habe ich beim Spielen und im Kindergarten gelernt.

Hast du gewusst, was du werden willst, als du begonnen hast, Soziologie zu studieren?

Überhaupt nicht. Mich haben soziale Vorgänge einfach schon immer fasziniert – in der Familie, in meiner Klasse, unter Freunden. Ich wollte mich näher damit auseinandersetzen. Das Aufwachsen in zwei Kulturen hat mich sicherlich auch sensibilisiert für soziale Unterschiede und mein Interesse befeuert.

Warum bist du in die Kommunikationswissenschaft gewechselt?

Ich habe schnell gemerkt, dass Soziologie nichts für mich ist. Ich bin das Vorlesungsverzeichnis durchgegangen, habe verschiedene Veranstaltungen besucht und fand dann Medienpolitik und Medienrecht unglaublich spannend, auch Mediengeschichte. Da ich mir gut vorstellen konnte, im Bereich der Medienproduktion oder Werbung zu arbeiten, und es offensichtlich auch Arbeitsplätze gab, habe ich das Fach gewechselt.

Was haben deine Eltern zu diesem Studienfach gesagt?

Mein Vater hat versucht, mich zum Studium des Maschinenbaus oder wenigstens der Architektur zu bewegen. Meine Schwestern haben ein solides Betriebswirtschaftsstudium absolviert. Da kam die Kommunikationswissenschaft doch etwas luftig daher. Ich hatte anfangs Schwierigkeiten zu vermitteln, was ich genau mache, aber am Ende hat es allen eingeleuchtet, als ich Professorin geworden bin.

Im Aviso hast du 2004 gesagt, dir sei nach zwei Wochen Kommunikationswissenschaft klar gewesen, dass das Schreiben von PR-Texten maximal einen Lebensabschnitt füllen kann, aber kein Leben (Nr. 35, S. 12-13). Was ist in diesen zwei Wochen passiert?

Ich habe seit Studienbeginn beim Münchner Stadtmagazin gearbeitet. Das war toll – ich hatte gerade erst das Abitur gemacht und schrieb jetzt Texte, die publiziert wurden. Nach einem Jahr hatte sich das abgeschliffen. Ich merkte auch, dass das Fach Kommunikationswissenschaft deutlich mehr zu bieten hatte. Ich begann, mich für die Forschung zu interessieren, und fand Gefallen daran, mit Theorie kreativ umzugehen und Neues zu entdecken.

Wie hast du damals das Münchner Institut erlebt?

Facettenreich. Man kann das auch nicht von der Studienerfahrung als Ganzes isolieren. Es war ein großer Kontrast zum engen Korsett der Schule. Ich konnte ganz und gar meinen Interessen nachgehen, Fächer und Themen ausprobieren. Das Münchner Institut bot mir Vieles, etwa spezialisierte Vorlesungen zur Mediengeschichte bei Ursula Koch oder zur Wirkungsforschung von Werner Früh. Ich fand es toll, diese Inhalte zu entdecken und weiterzudenken.

Wann hast du gewusst, dass du Wissenschaftlerin werden möchtest?

Als ich die Postdoc-Stelle angetreten habe – das war eine bewusste Entscheidung für die wissenschaftliche Laufbahn. Es war mir klar, dass ich die Professur mit voller Energie anstreben musste.

Wäre Marktforschung eine Alternative gewesen?

Entweder akademische oder angewandte Forschung, ja. Ich habe für verschiedene öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter gearbeitet. Die Arbeit in der Programmforschung hat mir sehr gut gefallen; es geht auch hier um ein gesellschaftlich relevantes Ziel, die Erfüllung des Programmauftrags, mit dem ich mich gut identifizieren konnte.

Warum dann doch die Universität?

Meine Position erlaubt es, eine eigene Forschungsagenda zu setzen. Ich kann mich genau den Dingen widmen, die mich interessieren. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich mich darum beneiden.

Gibt es ein Geheimrezept, das in zwölf Jahren vom Magister auf eine Professur führt?

Ich finde das weder besonders lang noch besonders kurz.

Die Frage zielt auf Tipps für den Nachwuchs.

Der naheliegende Tipp ist natürlich, zielstrebig zu sein. Für meine Promotionszeit kann ich das aber nicht behaupten. Die Währung der Publikation war mir noch nicht so schmerzlich bewusst wie den Promovierenden heute. Ich habe alles Mögliche gemacht, breit gelesen und mir Wissen in Bereichen angeeignet, die ich jetzt gar nicht mehr bearbeite. Mit Methoden und Wissenschaftstheorie habe ich mich viel und wenig anwendungsorientiert beschäftigt, auch nebenher in der Marktforschung gearbeitet. Auch wenn nicht jede Aktivität in eine Publikation gemündet ist, denke ich, dass es mein Profil entscheidend geprägt hat und mich offen für andere Denkrichtungen gemacht hat.

Und nach der Promotion?

Ich habe gemerkt, dass die Uhr tickt. Der Druck war viel größer. Ich habe einen Masterplan für Habilitation, Auslandsaufenthalt und Drittmittelaktivitäten gemacht. Ich wusste, dass es ein Zeitfenster für eine Professur gibt, das ich nicht verpassen darf.

Bist du auf diesem Weg je gezwungen gewesen, über Gleichstellung nachzudenken?

Die Familienplanung und das Selbstmanagement nach der Geburt der Kinder waren natürlich Momente, in denen man über Gleichstellung nachgedacht hat, ebenso die Selbstpräsentation in Berufungskommissionen. Jetzt ist Gleichstellung natürlich auch ein großes Thema bei der Nachwuchsförderung.

Haben es Frauen an der Universität immer noch schwerer?

Das ist eine komplexe Frage. Es gibt sicherlich eine subtile Entmutigungskultur, die dafür sorgt, dass Frauen ausgesiebt werden oder von selbst aufhören. Die Doppelbelastung von Beruf und Kindern ist ferner ein Knackpunkt, ebenso die erzwungene Mobilität bei jeder Berufung.

Du hast Zwillinge bekommen in einer Phase, in der von Sicherheit keine Rede sein konnte. Was braucht Frau, um mit Familie an der Universität Karriere machen zu können?

Ohne einen Partner, der sich an der Kinderbetreuung ernsthaft beteiligt und auch das hohe Engagement in die Arbeit akzeptiert, geht es nicht. Ich muss mich oft an den Abenden und Wochenenden zum Arbeiten zurückziehen; das muss ein Partner erst mal mittragen. Auch die Unterstützung der Familie, vor allem meiner Eltern und Schwiegereltern, war und ist für mich unentbehrlich. Schließlich ist auch das Arbeitsumfeld entscheidend. Mein ehemaliger Chef in Erfurt, Patrick Rössler, hat sich über meine Kinder gefreut und für eine Atmosphäre gesorgt, in der ich mich gut aufgehoben gefühlt habe.

Dein Mann hat auch Karriere gemacht.

Mein Mann ist Oberarzt in der Neurologie. Wir sind beide voll berufstätig. Mir scheint, dass das nur in Deutschland erwähnenswert ist – im Ausland ist das absolut üblich. In den USA zum Beispiel habe ich viele Professorinnen kennengelernt, die Kinder haben und deren Ehemann ebenfalls Professor ist. Das war dort selbstverständlich.

Tut das Fach in Deutschland genug, um Frauen zu fördern?

Hilfreich für Frauen wäre sicherlich eine gute Infrastruktur für die Kinderbetreuung. Vor allem aber brauchen Frauen eine stärker planbare Zukunft in der Universitätskarriere. Den ersten festen Job mit durchschnittlich 42 Jahren zu bekommen und auch nur dann, wenn es zufällig eine Ausschreibung für das eigene Profil gibt, ist einfach sehr riskant. Zudem ist man gerade dann zur Mobilität gezwungen, wenn man sie am wenigsten brauchen kann: in der Phase der Familiengründung. Natürlich sind Rollenvorbilder wichtig; man muss sich als Nachwuchswissenschaftlerin proaktiv dorthin orientieren, wo man welche hat. Aber noch wichtiger aus meiner Sicht wären Tenure-Track-Systeme, die von W1 bis W3 reichen. Darüber wird im Moment ohnehin zum Glück bereits diskutiert. Ich prophezeie einen rapiden Anstieg im Frauenanteil, ganz ohne spezielle Frauenförderprogramme.

Wie hast du deine erste Professur in Friedrichshafen empfunden?

Es war für mich das erste Mal, dass ich an einer privaten Universität gearbeitet habe. Es war faszinierend, eine ganz andere universitäre Struktur kennenzulernen. Die Zeppelin Universität hat eine großartige unternehmerische Energie.

War der Lehrstuhl an der Universität Augsburg deine Traumposition?

Ich habe von Augsburg ein exzellentes Angebot bekommen; anlässlich eines Rufes an die Universität Leipzig sogar ein noch besseres Bleibeangebot. Ich konnte hier ein großes Forschungslabor einrichten, dessen Ausstattung wirklich einzigartig ist und von dem das Institut wie auch die Studierenden profitieren. Die Unterstützung durch die Forschungsschwerpunkte der Universität ist sehr gut, ebenso die Einbindung in Forschungskooperationen und Netzwerke.

Was machst du als Professorin anders als deine Lehrer Hans-Bernd Brosius und Patrick Rössler?

Ich habe viele Dinge übernommen. Das Zusammenspiel von Anleiten und Freiheit hat mir bei beiden gut gefallen. Ich hatte den Freiraum, den man braucht, um sich zu verwirklichen. Ich versuche heute auch, nicht zu viel zu kontrollieren. Ich lege viel Wert darauf, den wissenschaftlichen Diskurs im Alltag zu pflegen. Teamarbeit macht mir Spaß. Wir treffen uns am Lehrstuhl mindestens einmal in der Woche, dazu kommen Einzeltermine zu den Projekten. Mein Alltag besteht aus wissenschaftlichen Gesprächen. Dazu gehören viele Gäste, vor allem aus dem Ausland.

Neben Hartmut Wessler vertrittst du das Fach im DFG-Fachkollegium Sozialwissenschaften. Wenn man mit 40 Jahren in so eine Position gewählt wird: Was kann da noch kommen?

Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich hier in Ruhe lesen, schreiben und rechnen kann. Zu forschen ist für mich das größte Privileg im Leben einer Wissenschaftlerin. Ich würde es also nie als Abstieg sehen, wenn ich bei der DFG aufhöre.

Hast du als Fachgutachterin etwas gelernt, was du nicht schon vorher gewusst hast?

Ich habe das Fach besser kennengelernt und kann den steten Wandel hautnah beobachten. Im Fachkollegium bekommt man mit, welche Themen dazugehören, wie sie bearbeitet werden und was unsere genuin kommunikationswissenschftliche Perspektive ausmacht.

Was kannst du Antragstellern empfehlen?

Mir hat mal eine Kollegin gesagt, dass Anträge dann gut sind, wenn die Gutachter anhand des Antrags genau wüssten, was sie als Projektleiter in welcher Reihenfolge machen müssten. Das hat sich bewahrheitet. Man muss aus dem Antragstext klar ersehen können, was im Projekt konkret passieren soll.

Die Kommunikationswissenschaft stellt nur zwei der zwölf Mitglieder im Fachkollegium. Macht das Probleme?

Es wird keine Fachpolitik betrieben. Die Fachkollegiaten haben Interesse am Gegenstand, sind gründlich und konstruktiv und respektieren zugleich die Expertise der kommunikationswissenschaftlichen Fachkollegiaten. Wenn wir mehr Anträge aus dem Fach hätten, könnten wir auch mehr Vertreter stellen.

Du hast in der DGPuK die Fachgruppe Rezeptionsforschung geleitet und warst auch bei der ECREA in einer ähnlichen Position. Warum tust du dir die Fachpolitik an?

Ich habe zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen geholfen, das Thema Wirkung und Rezeption weiter zu entwickeln – das ist eine tolle Herausforderung. Die DGPuK-Fachgruppe wurde 2007 in „Rezeptions- und Wirkungsforschung“ umbenannt. Die ECREA hat eine ganz andere Community als wir hier, die eher qualitativ, kritisch, kulturwissenschaftlich orientiert ist. Dort war es eine Herausforderung, den Mainstream zu integrieren, wie wir ihn aus Deutschland und den USA kennen.

Wo siehst du dich in 20 Jahren?

Inmitten von jungen Menschen, die mit mir über Rezeptions- und Wirkungsforschung reden.

Gibt es Wissenschaftler, die für dich eine Vorbildfunktion hatten?

Patrick Rössler. Von ihm habe ich gelernt, wie man mit Leuten umgeht und Teams zusammenhält. Er war ein fabelhafter Mentor. Auch die Kooperation mit Rick Busselle war wichtig für mich. Seine Art, in Teams zu schreiben, kannte ich so vorher nicht (vgl. Bilandzic/Busselle 2008, Busselle/Bilandzic 2008).

Zu welchen anderen Kollegen hast du einen besonders guten Draht?

Die wichtigsten Bezugspersonen sind meine Mitarbeiterinnen. Die anderen Kooperationen sind international, etwa mit Mary Beth Oliver, Jonathan Cohen, Paul Bolls oder Michael Dahlstrom. Mit diesen Kolleginnen und Kollegen führe ich zusammen Projekte durch und diskutiere meine Arbeit zum narrativen Erleben und zur narrativen Persuasion.

Und umgekehrt: Gegner, Konkurrenten, Feinde?

Es gibt immer Meinungsverschiedenheiten, aber niemanden, auf den ich mich fixiert hätte.

Gibt es schon etwas, worauf du besonders stolz bist?

Vielleicht biete ich ein Rollenmodell, wie man Familie und Professur vereinbaren kann. Wenn ich die Freude vermitteln kann, die mir die Kombination der beiden Sphären bereitet, bin ich zufrieden, vielleicht auch stolz.

Würdest du irgendetwas anders machen?

Es passte bis jetzt alles ganz gut. Was nicht passte, habe ich wahrscheinlich konsistent in meine Lebenserzählung eingebaut.

Was soll eines Tages von Helena Bilandzic in der Kommunikationswissenschaft bleiben?

Offenheit und Toleranz. Als Persönlichkeitseigenschaften, aber auch für die Ergebnisse aus anderen Disziplinen.

Literaturangaben

  • Helena Bilandzic/Rick Busselle: Transportation and transportability in the cultivation of genre-consistent beliefs and attitudes. In: Journal of Communication 58. Jg. (2008), S. 508-529.
  • Rick Busselle/Helena Bilandzic: Fictionality and perceived realism in experiencing stories: A model of narrative comprehension and engagement. In: Communication Theory 18. Jg. (2008), S. 255-280.

Weiterführende Literatur

  • Michael Meyen: Helena Bilandzic. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/helena-bilandzic/ (Datum des Zugriffs).

Empfohlene Zitierweise

    Helena Bilandzic: Zu forschen ist für mich das größe Privileg. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/privileg/ (Datum des Zugriffs).