Peter Glotz (Foto: privat)
Peter Glotz (Foto: privat)

Felicitas Walch: Peter brauchte Veränderung

Michael Mang hat Felicitas Walch am 9. Juli 2007 nach ihrem Ehemann Peter Glotz gefragt – ein Gespräch, das durch die noch frische Trauer um den Verstorbenen beeinträchtigt war (vgl. Mang 2007). BLexKom dokumentiert das Interview aus Anlass des 75. Geburtstages von Peter Glotz am 6. März 2014.


Felicitas Walch ist die dritte Ehefrau von Peter Glotz (Hochzeit 1991). Sohn Lion wurde 1997 geboren.

Wie haben Sie Peter Glotz kennengelernt?

Ich kenne ihn, seit ich ein kleines Mädchen bin. Wir haben uns später irgendwann wieder getroffen. Zu meiner großen Verblüffung war er an mir interessiert.

Haben Sie bedauert, dass er der Politik den Rücken gekehrt hat?

Dazu muss man zwei Sachen sagen. Erstens ist Opposition immer etwas anderes. Und zweitens hört ein Politiker wie Peter Glotz nie auf. Er kann natürlich sagen: Jetzt bin ich nicht mehr im Parlament. Aber Peter Glotz bleibt immer Peter Glotz.

Aber haben Sie das gar nicht als Rückzug erlebt.

Er hat gern neue Projekte angestoßen. Opposition ist mühsame Kleinarbeit. Ich habe ihn geliebt und fand toll, als er gesagt hat, jetzt kommt etwas Neues. Erfurt hatte zur Folge, dass wir uns ein bisschen Zeit für uns nehmen konnten, zwischendurch wenigstens. Wir haben dann ja auch die Familie komplettiert.

Warum ist er in die Wissenschaft zurückgegangen? Aus Desinteresse an der Oppositionsarbeit?

Nein, so darf man das nicht sehen. Er wollte etwas bewirken. Das geht natürlich auch in der Opposition. Außerdem war die SPD dann ja sehr bald Regierungspartei. Erfurt war  eine ganz persönliche Entscheidung. Das war ungewöhnlich. Der normale Karrierist sitzt im Bundestag, bis er verabschiedet wird, und kassiert seine Bezüge. Mein Mann war genau das Gegenteil.

War der Wechsel für ihn eine große Umstellung?

Mein Mann war als Kind Flüchtling. Er musste im Alter von sechs Jahren seine Heimat verlassen. Ich habe gemerkt, dass er die Veränderung brauchte. Veränderung war sein Lebenselixier.

Trotzdem ist es ein großer Sprung, wenn man Gründungsrektor wird und lange nicht in der Wissenschaft war.

Das stimmt so nicht. Er war ja nicht weg aus der Wissenschaft. Er hat vielleicht nicht Erbsen gezählt. Aber er hat immer wieder Kurse gegeben, auch als er primär in der Politik war. In der Wissenschaft war er wenigstens als interessierter Beobachter. Bei ihm war es immer Multitasking.

Manchen reicht eine Aufgabe.

Ja. Aber wir reden jetzt über Peter.

Warum ist er aus Erfurt weggegangen?

Es gab ein neues Projekt. St. Gallen hat ihn abgeworben, und Erfurt war auf einem guten Weg. Er hatte aber schon Bauchdrücken. Der Abgang war nicht einfach. Ich glaube, dass er einfach auch weg wollte aus Deutschland. Darüber haben wir nicht wirklich geredet. Das war eher ein Austausch ohne verbale Äußerungen. Ihm hat es gut getan, mal rauszukommen.

War Erfurt eher eine sehr politische Position?

Nein. Gefordert wurden fachliche Kompetenz und Managementkompetenz. Natürlich war es gut, dass Peter in der Politik ein alter Hase war und wusste, mit wem er was machen kann. Manches war trotzdem unendlich zäh, die BA-Einführung zum Beispiel. Als dann noch die Regierung gewechselt hat, gab es neue Ansprechpartner und andere Bedenkenträger.

War es in St. Gallen besser?

Dort war es großartig. Er war sehr zufrieden. Die Schweiz war eine ganz andere politische Landschaft. Das hat es für ihn spannend gemacht. Er hat auch über das Verhältnis zu Deutschland gesprochen, als Beobachter und Kommentator. Das konnte gar nicht ausbleiben.

Was war Peter Glotz: Wissenschaftler, Politiker oder Publizist?

Das kommt auf die Lebensphase an. Als Bundesgeschäftsführer der SPD ist man natürlich vorwiegend Politiker. Als Wissenschaftssenator von Berlin verschiebt sich das etwas und noch stärker, wenn man eine Universität aus der Taufe hebt. Da sind mehrere Fähigkeiten gefragt. Wir haben auch versucht, ein Haus zu führen, wie man früher so schön sagte. In Deutschland ist man ja entweder Professor oder Politiker oder Wirtschaftsführer. Jeder hat seinen eigenen Kreis. Wir haben versucht, wenigstens in unserem kleinen Zuhause die Leute zu mischen. Das waren sehr schöne Abende.

Zur Universität gehört die Lehre. Wie wichtig war das für Peter Glotz?

Er hat ja auch vor Erfurt schon in München gelehrt. Er hat das sehr gern gemacht und auch über die Studenten gesprochen. Meist sehr lobend. Er hat die schriftlichen Arbeiten haufenweise aufgehoben. Sonst wurde immer alles weggeschmissen.

Er hat auch selbst unglaublich viel geschrieben.

Er wollte den Kern einer Sache erfassen. Das Buch über die Vertreibung zum Beispiel (Glotz 2003). Das hat ihn lange umgetrieben. Er hat viel dazu gesammelt. Es ging nicht um seine persönliche Vertreibung, sondern um die Frage, warum sich Menschen so etwas Entsetzliches antun. Er hat das geschichtlich aufgedröselt: Was ist eigentlich wo passiert? Er wollte den Dingen auf den Grund gehen und hat dafür seinen messerscharfen Verstand genutzt und seine phänomenale Bildung. Peter war ein wandelndes Lexikon.

Literaturangaben

  • Peter Glotz: Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück. München: Ullstein 2003.
  • Michael Mang: Das Fachverständnis von Peter Glotz. Ein Grenzgänger zwischen den Feldern Politik und Wissenschaft. Magisterarbeit. München: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 2007.

Empfohlene Zitierweise

  • Felicitas Walch: Veränderung als Lebenselixier. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2014. http://blexkom.halemverlag.de/peter-glotz_lebenselixier/ (Datum des Zugriffs).