Oskar Wettstein (Quelle: Archiv IKMZ Zürich)

Oskar Wettstein

26. März 1866 bis 17. März 1952

Lexikoneintrag von Gabriel Wonn am 10. Juli 2018

Oskar Wettstein legte als erster Leiter des Journalistischen Seminars mit normativen Vorstellungen zu Pressewesen und Journalismusberuf den Grundstein für die Publizistik an der Universität Zürich.

Stationen

Geboren in Winterthur. Vater Markus Wettstein (Bankdirektor und Züricher Stadtrat), Mutter Anna Barbara Wettstein (Hausfrau). 1889 Promotion nach Studium der Rechtswissenschaften in Zürich, Montpellier, Straßburg, Leipzig und Erlangen. 1889 erste Heirat mit Hedwig Maria Mina Adelt. 1890 Journalist und Korrespondent in Berlin. 1895 bis 1914 Chefredakteur der Züricher Post. 1898 zweite Heirat mit Agnes Erika Abeljanz. 1903 Gründung des Journalistischen Seminars an der Universität Zürich. 1903 Privatdozent für Presserecht, Zeitungsgeschichte und Pressepolitik an der Universität Zürich. Ab 1897 zahlreiche Wahlfunktionen für die Demokratische Partei (Stadtrat Zürich, Zürcher Kantonsrat, Regierungsrat, Ständerat). 1929 Selbstbeurlaubung vom universitären Dienst wegen politischer Karriere; erfolglose Bundesrats-Kandidatur für die radikal-demokratische Fraktion. Gestorben in Zürich.

Publikationen

  • Der Souveränitätsbegriff: eine Studie. Universität Erlangen 1889 (Dissertation).
  • Die schweizerische Presse: ihre rechtlichen, moralischen und sozialen Verhältnisse. Zürich: J. Leemann 1902.
  • Die Tagespresse in unserer Kultur. Universität Zürich: Antrittsvorlesung vom 31. Oktober 1903.
  • Über das Verhältnis zwischen Staat und Presse. Universität Zürich 1904 (Habilitation).

Oskar Wettstein war ein typischer „Ahne“ des Fachs – ein Akademiker, der aus der journalistischen Praxis kam und mit den anderen „Ahnen“ (etwa Karl Bücher in Leipzig) für die Anfänge der akademischen Journalistenausbildung steht (vgl. Meyen 2013). Als er 1903 das Journalistische Seminar an der Universität Zürich mitbegründete und als Privatdozent dessen erster Leiter wurde, war dies für ihn eher eine „Nebentätigkeit“ zwischen Chefredakteursposten und politischer Karriere (vgl. Meyen 2013). Dennoch schaffte es Wettstein, dem Fach in Zürich als Wissenschaftler und vor allem durch klare Vorstellungen vom journalistischen Beruf einen Stempel aufzudrücken.

Die Berufung erfolgte auf Empfehlung des Vereins der Schweizer Presse, welcher dies mit Wettsteins „hohem Idealismus im Einsatz für die Kulturmission der Presse und für die Erziehung sowohl der Journalisten als auch des Lesepublikums“ begründete (Göppner 2005: 49). Der promovierte Jurist war bereits 1902 mit einer Enquete über die schweizerische Presse aufgefallen, pflegte umfangreiche und enge Kontakte zur beruflichen Praxis und galt somit in allen Belangen als ideale Besetzung (vgl. Schade 2005: 17). Außerdem waren breite Teile der Universität und der Experten zu der Ansicht gekommen, dass der immer stärker zum Wirtschaftszweig anwachsende Journalismus dringend professioneller akademischer Ausbildung bedurfte – eine Einstellung, die Wettstein längst vertrat (vgl. Schade 2005: 19). Sein Nachfolger Karl Weber sah ihn als Impulsgeber für eine Verwissenschaftlichung der Zeitungskunde (Göppner 2005: 50), da er die Presse bereits sozialwissenschaftlich analysierte.

Wettstein war zeitlebens politisch motiviert und „scheute sich als Wissenschaftler nicht, die Funktion der Presse explizit aus gesellschaftspolitischen Zielen und Normen abzuleiten“ (Schade 2005: 19). Als liberaler Demokrat sah er nicht nur in der mangelnden Ausbildung der Journalisten große Gefahren, sondern auch in der ungenügenden Aufklärung der Leserschaft und der Ökonomisierung der Presse. Er sprach von einer „Sensationssucht, die in der Presse heute dominiert, um das Zeitungsunternehmen geschäftlich auszubeuten“, und stellte fest: „Je oberflächlicher gelesen wird, desto größer ist die Gefahr, dass die Zeitung nur ein Mittel der geschäftlichen Ausbeutung wird“ (Wettstein 1912: 7-19, zitiert nach Schade 2005: 21). Auch der omnipräsente Nationalismus und die damit verbundene Einseitigkeit von Presse und Publikum bargen für ihn immense Risiken, welche sich im Ersten Weltkrieg bestätigten. Daher war nicht nur praktische Ausbildung sein Ziel, sondern auch die „geistige und moralische Hebung der Presse“ sowie „Pressepädagogik“ für das Publikum (Göppner 2005: 51). In gewisser Weise finden sich hier also erste Ansätze zur Medienkompetenzforschung.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich Wettstein für eine „europäische Presse“ ein (Wettstein 1917), wo die Journalisten in ständigem kulturellen Austausch stehen sollten – ein Gegenstück zur nationalistischen Presse, die er für den Krieg mitverantwortlich machte. Die Presse sollte reformiert und eine friedenssichernde Institution werden (vgl. Schade 2005: 21-23).

Diese Gedanken verfolgte Wettstein nicht nur am Journalistischen Seminar, sondern auch in seinen immer zahlreicher werdenden politischen Funktionen. Ab 1928 wurde der Aufwand dafür so groß, dass die Universität Karl Weber als Vertreter berief. 1929 ließ sich Wettstein selbst beurlauben und lehrte nur noch sporadisch. Er blieb dennoch offiziell Leiter des Journalistischen Seminars und übergab dieses Amt erst 1938 an Karl Weber.

Literaturangaben

  • Susen Göppner: Die Zeitungswissenschaft an der Universität Zürich bis 1945: Institutionalisierung und theoretische Ansätze. In: Edzard Schade (Hrsg.): Publizistikwissenschaft und öffentliche Kommunikation. Beiträge zur Reflexion der Fachgeschichte. Konstanz: UVK 2005, S. 47-68.
  • Historisches Lexikon der Schweiz (2013), einsehbar unter: www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3723.php
  • Michael Meyen: Fachgeschichte als Generationsgeschichte. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013.
  • Edzard Schade: Was leistet die Publizistikwissenschaft für die Gesellschaft? Eine Rückschau auf wichtige Forschungsvorhaben zur Ausgestaltung der Medienlandschaft Schweiz. In: Edzard Schade (Hrsg.): Publizistikwissenschaft und öffentliche Kommunikation. Beiträge zur Reflexion der Fachgeschichte. Konstanz: UVK 2005, S. 13-23.

Weiterführende Literatur

  • Heinz Bonfadelli: Publizistik-und Kommunikationswissenschaft in der Schweiz. Uses-and-Gratifications und Europäische Öffentlichkeit. Kommunikationswissenschaft im internationalen Vergleich. Wiesbaden: Springer VS 2017.
  • Munzinger Biographien, einsehbar unter: www.munzinger.de/search/portrait/Oscar+Wettstein/0/4754.html
  • Oskar Wettstein: Über das Verhältnis zwischen Staat und Presse, mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz: ein Beitrag zur Lehre von der Pressfreiheit. Müller 1904.
  • Oskar Wettstein: Der Wiederaufbau Europas und die Presse. Vortrag, gehalten auf dem Weltwirtschaftskongress im August 1922.

Empfohlene Zitierweise

Gabriel Wonn: Oskar Wettstein. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2018. http://blexkom.halemverlag.de/oskar-wettstein/ (Datum des Zugriffs).