Heinz-Werner Stuiber

(1940 bis 2019)

Ein Nachruf von Heinz Pürer am 8. Juli 2019

Heinz-Werner Stuiber ist am 23. Juni 2019 verstorben. Heinz Pürer würdigt seinen langjährigen Kollegen [1].

Heinz-Werner Stuiber war von 1985 bis 2006 Professor am Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Er ist am 23. Juni 2019 nach langer Krankheit verstorben. Geboren 1940 in Mies (Sudetenland), 1945 umgesiedelt nach Franken, absolvierte er 1961 das Abitur am Frhr. v. Aufsees‘schen Studienseminar, einer Oberrealschule in Bamberg. Nach einem mehrmonatigen betriebswirtschaftlichen Praktikum nahm Stuiber im Herbst 1961 das Studium der Betriebs- und Volkswirtschaft, der Soziologie sowie der Politik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg auf. Im Rahmen dieses Studiums führte ihn ein von der AIESEC vermitteltes Austauschpraktikum im Sommer-Semester 1963 nach Istanbul. Nach der Diplomprüfung für Betriebswirte folgte 1968 zunächst eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg, ehe Stuiber von 1969 bis 1975 die Dienstgeschäfte eines wissenschaftlichen Assistenten am selben Institut verwaltete. Nach der Promotion 1975 zum Dr. rer. pol. mit dem Thema „Kommunikationsräume der lokal informierenden Tagespresse. Pressestatistische Typenbildung und raumstrukturelle Analyse“ war Stuiber als wissenschaftlicher Assistent bzw. Akademischer Rat (auf Lebenszeit) am Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg bei Franz Ronneberger tätig.

Die wissenschaftliche Arbeit in unmittelbarer Nähe des langjährigen Nürnberger Ordinarius für Kommunikations- und Politikwissenschaft, Ronneberger, Repräsentant der sozialwissenschaftlichen Wende ab Mitte der 1960er-Jahre, prägte Stuibers kommunikationswissenschaftliches Denken. Für ihn war Kommunikationswissenschaft eine Soziologie der Massenkommunikation. Kommunikationsprozesse in der Gesellschaft seien mit Blick auf ihre gesellschaftlichen und politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungsfelder hin zu analysieren und darzustellen und soziales Verhalten zu erklären. Grunddimensionen und -funktionen massenkommunikativer Leistungen waren für ihn soziale und politische Orientierung (vor allem auch in der lokalen Massenkommunikation; vgl. Stuiber 1978). So war es eine logische Konsequenz, dass Stuiber nach Ronnebergers Emeritierung beauftragt wurde, für die Zeit der Lehrstuhlvakanz (Winter-Semester 1980/81 bis einschließlich Sommer-Semester 1982) den kommunikationswissenschaftlichen Aufgabenbereich am Nürnberger Lehrstuhl zu vertreten. Im Anschluss daran nahm Stuiber für die Dauer eines Jahres die Vertretung des damals neu geschaffenen Lehrstuhls für Journalistik an der Universität Bamberg wahr.

Mit 1. April 1985 wurde Stuiber (in der Nachfolge Wolfgang R. Langenbuchers) Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war Vorsitzender des Prüfungsausschusses für den Diplom-Studiengang Journalistik und verantwortlich für die Zusammenarbeit mit der Deutschen Journalistenschule. Zudem leitete er das am Münchner Institut eingerichtete Praxisreferat, das Studierenden der Kommunikationswissenschaft Praktikantenstellen in den Massenmedien sowie in Werbung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit vermittelte und den Kontakt zur Kommunikationspraxis hielt. Zahlreichen Absolventen öffnete sich damit der Einstieg in Kommunikationsberufe. Im Kontext des Bologna-Prozesses, der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen am Münchner Institut, wurde Stuiber Vorsitzender des Prüfungsausschusses im Bachelor-Studiengang.

Stuibers Lehr- und Forschungsschwerpunkte lagen zunächst in den Bereichen Kommunikationspolitik, Lokalkommunikation (Print, Funk) und Rundfunk, im Weiteren auf Journalismus, Public Relations, auch Medienökonomie. Seine Publikationen sind zu einem Teil vor dem Hintergrund medienökonomischer Vorgänge und kommunikationspolitischer Entscheidungen und Maßnahmen zu sehen. In den 1970er-Jahren waren es vorwiegend Arbeiten, die im Kontext der damaligen Debatte um Pressekonzentration und (lokale) Printmonopole entstanden (vgl. exemplarisch Noelle-Neumann et al. 1976). In den 1980er- und 1990er-Jahren, vor dem Hintergrund der Zulassung privaten Rundfunks (1984) in Deutschland, folgten vorwiegend Studien über lokalen Hörfunk und lokales Fernsehen. Dazu kamen Arbeiten zur Leserforschung (vgl. Stuiber 1980, 1989).

Stuiber 1998

Generell galt dem Rundfunkwesen Stuibers vergleichsweise größeres Interesse. Dieses ist vor dem Hintergrund seines nebenberuflichen Wirkens als Geschäftsführer der Mittelfränkischen Medienbetriebsgesellschaft, Region 7 zu sehen. Es bot ihm die Möglichkeit, unter dem Dach der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) privaten Rundfunk (kommunikations-)politisch mitzugestalten. So entstand seine umfassende, in zwei Bänden erschienene Veröffentlichung Medien in Deutschland II: Rundfunk (1998), Stuibers zweifellos wichtigste Publikation. Es ist dies eine umfassende Systematik über Hörfunk und Fernsehen mit Ausführungen zum Rundfunkbegriff und zur Rundfunktechnik, zur Rundfunkgeschichte (in West- und Ostdeutschland), zum Rundfunkrecht, zum privaten Rundfunk, zur Organisation und Finanzierung des Rundfunks sowie zu den Rundfunkprogrammen. Sie enthält gegen den wissenschaftlichen Mainstream (Stichwort: öffentlich-rechtlicher Rundfunk) gerichtete, kritische Ausführungen und Anmerkungen zur Regelungsdichte der deutschen Rundfunkpolitik mit einer deutlich erkennbaren Position für den privatwirtschaftlich-kommerziell organisierten Rundfunk. Staatlichen Regelungssystemen im Medienbereich sollten Stuiber zufolge in demokratischen Systemen enge Grenzen gesetzt werden. Die 1998 erschienene Publikation, eine umfassende, detailreiche und fundiert erarbeitete „Medienlehre Rundfunk“, gibt Entwicklung und Stand des Rundfunkwesens in Deutschland von seinen Anfängen 1923 bis in die Mitte der 1990er-Jahre facettenreich wider. Die digitalen Veränderungen im Medienwesen, die auch auf Radio und Fernsehen durchschlagen, werden darin ebenfalls angesprochen. Obwohl gut 20 Jahre alt, ist das Standardwerk nach wie vor ein ergiebiges und nützliches Nachschlagewerk zum Thema Rundfunk in Deutschland, unter anderem insbesondere auch für Studierende der Kommunikationswissenschaft.

Nicht zuletzt sind Stuibers Publikationen zum Journalismus zu erwähnen, die Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre entstanden. Er befasste sich zum einen kritisch mit Fragen der Ethik und Moral im Journalismus (vgl. Stuiber 1990, 1991). Dies erfolgte mit Blick und Bezugnahme auf damalige Medienskandale, Fehlleistungen und Fehlverhalten von Journalisten an Beispielen wie den Hitler-Tagebüchern, der Barschel-Pfeifer-Affäre, dem Geiseldrama von Gladbeck/Köln und anderen mehr. An Art und Weise der Berichterstattung zahlreicher Medien entzündete sich damals Kritik – vor allem bezüglich der Berichterstattung über das sich mehrere Tage erstreckende Gladbeck/Kölner Entführungsdrama, bei dem sich Journalisten ins Geschehen einmischten und zu (Mit-)Akteuren machten. In diesem Kontext spricht Stuiber unter anderem die Problematik an, dass der Journalismus keine klassische Profession mit geregelter formaler Ausbildung (sondern frei zugänglich) ist und ein Berufsbild fehlt. Insofern sei es schwierig, verbindliche Berufsnormen in Form einer Berufsethik zu erlassen. Allenfalls können dies mehr oder weniger verbindliche, freiwillig vereinbarte Kodizes (und Selbstkontrollorgane – H.P.) sein, wie es sie in Deutschland zahlreich für die Medien gibt. Zum anderen griff Stuiber Herausforderungen auf, die dem Journalismus selbst sowie dem Publikum aus der ständig steigenden Informationsflut in der Computergesellschaft erwuchsen. Er war (damals) zudem einer der noch relativ Wenigen, die sich mit Unterhaltungsjournalismus befassten (vgl. Stuiber 1988). Von ihm liegt auch eine kritische Bestandaufnahme der Theorien zu Public Relations vor (vgl. Stuiber 1992).

Dem Journalismus generell stand Stuiber, der „bekennende Nicht-Journalist“ (Meyen 2015), im persönlichen Diskurs (noch) kritischer gegenüber, als dies in seinen Veröffentlichungen teils zum Ausdruck kommt. Mit Skepsis sah er die kommunikationswissenschaftliche Journalistenausbildung; die Verzahnung von Theorie und Praxis hielt er nicht wirklich für möglich (was man freilich auch anders sehen kann und muss). Gleichwohl schien ihm eine abgeschlossene akademische Ausbildung sehr wichtig: Es sei mit Blick auf die Ausbildung für Kommunikationsberufe gleichgültig, so Stuiber (2007), mit welchen Themen man sich befasst; man müsse nur dabei lernen, in Alternativen zu denken und die Dinge gegen den Strich zu bürsten. Das sei das Wichtigste überhaupt.

Neben seinem Wirken an der Universität nahm Stuiber zahlreiche Aktivitäten im Umfeld von Wissenschaft, Medien, Politik und Kultur wahr und war gut vernetzt. So war er unter anderem langjähriger Referent beim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bis 1983) und Sekretär der Fränkischen Gesellschaft für Politik- und Zeitgeschichte (bis 1985). Viele Jahre war er Geschäftsführender Vorstand der Kommunikationswissenschaftlichen Forschungsvereinigung e.V. (Nürnberg) und verantwortlicher Herausgeber der Kommunikationswissenschaftlichen Studien (vormals Nürnberger Forschungsberichte). Neben seinen Mitgliedschaften im Beirat der Multimedia Akademie Nürnberg GmbH, im Programmausschuss der AfK Aus- und Fortbildungs GmbH für elektronische Medien sowie im Verwaltungsrat des MedienCampus Bayern e.V. war er Geschäftsführer des Medienvereins Mittelfranken sowie der Bayerischen Medienservice GmbH.

Heinz-Werner Stuibers persönlich-private Seite soll hier nicht unerwähnt bleiben. Der Abschied von der Universität 2006 fiel ihm anfangs schwer, sie war ihm in gewisser Weise Halt und Heimat in München. „Seine“ Zeitung war die Neue Zürcher Zeitung. Er mochte klassische Musik aller Epochen, auch die zeitgenössische, sofern sie tonal blieb. Eine Vorliebe hatte er meiner Wahrnehmung nach für die Romantiker des 19. Jahrhunderts. Er konnte sich für die Performance Michael Jacksons begeistern, ebenso für Jazz und Blues. Er war der Kulinarik zugetan, besonders der italienischen. Golfspielen verschaffte ihm Entspannung, Ausgleich und Zeitvertreib. Und er war ein streitbarer Mensch, der kritischen Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg ging. Er war von verblüffender Offenheit und Direktheit – manche unbedachte kritische Äußerung bekam ihm aber selbst nicht gut. Stuiber kämpfte immer mit offenem Visier – beruflich wie privat. Innere Freiheit und Prinzipientreue waren ihm wichtig. Mit seiner schweren Krebserkrankung ging er offen und demütig um. Er ist ihr am 23. Juni 2019 in den frühen Morgenstunden erlegen.

Fußnote

  • [1] Der Beitrag basiert auf meinen Ausführungen aus: Heinz Pürer: 60. Geburtstag von Heinz-Werner Stuiber. In: Publizistik 46 Jg. (2001), S. 70-72 sowie Heinz Pürer (2006): Heinz Werner Stuiber 65 Jahre. In: Publizistik 50. Jg. (2005), S. 476.

Literaturangaben

  • Michael Meyen: Heinz-Werner Stuiber. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/heinz-werner-stuiber/ (30. Juni 2019).
  • Elisabeth Noelle-Neumann/Franz Ronneberger/Heinz-Werner Stuiber (1976): Streitpunkt lokales Pressemonopol. Untersuchungen zur Alleinstellung von Tageszeitungen. Düsseldorf: Droste.
  • Heinz-Werner Stuiber: Kommunikationsräume der lokal informierenden Tagespresse. Pressestatistische Typenbildung und raumstrukturelle Analyse. Universität Nürnberg-Erlangen 1975.
  • Heinz-Werner Stuiber: Zu den Funktionen der Massenkommunikation: Politische und soziale Orientierung als Grunddimension massenkommunikativer Leistungen. In: Manfred Rühl/Jürgen Walchshöfer (Hrsg.): Politik und Kommunikation. Nürnberg: Kommunikationswissenschaftliche Forschungsvereinigung 1978, S. 211-235.
  • Heinz-Werner Stuiber: Der Leser in der Provinz. Kommunikationsstrukturelle Bedingungen und Zusammenhänge. In: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Lokalkommunikation. Analysen, Beispiele, Alternativen. München: Ölschläger 1980, S. 145-153.
  • Heinz-Werner Stuiber: Unterhaltungsjournalismus – Profile und Entwicklungschancen. Baden-Baden: Nomos 1988, S. 167-179 (=Medientage München ‘88 – Dokumentation Bd. 1, hrsg. von Reinhold Kreile).
  • Heinz-Werner Stuiber: Das Informationsverhalten jugendlicher Zeitungsleser. Ein empirischer Befund zum Verhältnis der verschiedenen Jugendlichen-Gruppen zur Regionalpresse. Rothenburg ob der Tauber: Verlag Peter 1989.
  • Heinz-Werner Stuiber (1990): Distanzverlust. Journalismus zwischen Information, Sensation und Ideologisierung. Baden-Baden: Nomos 1990, S. 282-289 (=Medientage München ‘90 – Dokumentation Bd. 2, hrsg. von Reinhard Kreile).
  • Heinz-Werner Stuiber (Hrsg.): Journalismus. Anforderungen, Berufsauffassungen, Verantwortung. Eine Aufsatzsammlung zu aktuellen Fragen des Journalismus. Nürnberg: Kommunikationswissenschaftliche Forschungsvereinigung 1991.
  • Heinz-Werner Stuiber: Theorieansätze für Public Relations – Anmerkungen aus sozialwissenschaftlicher Sicht. In: Horst Avenarius/Wolfgang Armbrecht (Hrsg.): Ist Public Relations eine Wissenschaft? Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften 1992, S. 207-220.
  • Heinz-Werner Stuiber: Medien in Deutschland II: Rundfunk. 2. Bände. München: Ölschläger 1998.
  • Heinz-Werner Stuiber: Freiräume für ungewöhnliche Menschen. In: Michael Meyen/Maria Löblich: „Ich habe dieses Fach erfunden“. Wie die Kommunikationswissenschaft an die deutschsprachigen Universitäten kam. 19 biografische Interviews. Köln: Herbert von Halem 2007, S. 360-374.