Gerhard Maletzke (Foto: Dorothee Stommel)
Gerhard Maletzke 2005 (Foto: Dorothee Stommel)

Gerhard Maletzke

6. Januar 1922 bis 6. Dezember 2010

Lexikoneintrag von Michael Meyen am 21. Juni 2013

Dass Gerhard Maletzke zu den „Klassikern der Kommunikationswissenschaft“ gehört (Meyen/Löblich 2006), dürfte zumindest im deutschen Sprachraum unbestritten sein. Seine Psychologie der Massenkommunikation von 1963 ist innerhalb weniger Jahre zum Standardwerk geworden.

Stationen

Geboren in Neustettin (Pommern). Vater Volksschulrektor, ein Bruder (Helmut Maletzke, Maler), evangelisch. Aufgewachsen in Kolberg an der Ostsee. 1939 Notabitur, freiwillige Einberufung im Dezember. 1942 schwere Verwundung an der Ostfront, Genesungsurlaub als Student an der Technischen Hochschule Danzig. 1945 Studium in Hamburg (Psychologie, Germanistik, Philosophie). 1949 Diplom, 1950 Promotion (Der Rundfunk in der Erlebniswelt des heutigen Menschen, Doktorvater: Hans Wenke). Assistent am Psychologischen Institut der Universität Hamburg. 1952 Referent am Hans-Bredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen an der Universität Hamburg (bis 1964). Eintritt in die SPD. 1961 Forschungsaufenthalt an der University of Southern California in Los Angeles (drei Monate). 1964 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Berlin (bis 1969). 1965 bis 1969 Lehrbeauftragter für Publizistik an der Freien Universität Berlin. 1969 Wissenschaftszentrum Berlin, 1972 Asian Mass Communication and Information Centre in Singapur (bis 1976). 1978 Medienreferent beim Süddeutschen Rundfunk (bis 1987). 1983 Honorarprofessor an der Universität Hohenheim, 1991 Gastprofessor an der Universität Leipzig und Mitglied der Gründungskommission (bis 1994).

Publikationen

  • Fernsehen im Leben der heutigen Jugend. Hamburg: Hans-Bredow-Institut 1959.
  • Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg: Hans-Bredow-Institut 1963.
  • Ziele und Wirkungen der Massenkommunikation. Hamburg: Hans-Bredow-Institut 1976.
  • Kommunikationsforschung als empirische Sozialwissenschaft. Berlin: Spiess 1980.
  • Medienwirkungsforschung. Tübingen: Niemeyer 1981.
  • Bausteine zur Kommunikationswissenschaft 1949-1984. Berlin: Spiess 1984.
  • Interkulturelle Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996.
  • Kommunikationswissenschaft im Überblick. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998.

Dass Gerhard Maletzke zu den „Klassikern der Kommunikationswissenschaft“ gehört (Meyen/Löblich 2006), dürfte zumindest im deutschen Sprachraum unbestritten sein. Seine Psychologie der Massenkommunikation von 1963 ist innerhalb weniger Jahre zum Standardwerk geworden. Im Wissenschaftsbetrieb hatte Maletzke dagegen wenig Erfolg. Sein Versuch, sich an der Universität Hamburg zu habilitieren, scheiterte an Peter R. Hofstätter (1913 bis 1994), von 1960 bis 1979 Lehrstuhlinhaber für Psychologie. Anschließend hätte sich Maletzke „gerne an der FU habilitiert“ (Zeitzeuge Hans Bohrmann), die Psychologen dort wussten aber um die Vorfälle in Hamburg und winkten gleichfalls ab.

Fritz Eberhard (Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Fritz Eberhard (Quelle: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung)

Maletzke hatte zwar Lehraufträge am Berliner Institut für Publizistik und hielt dort im Berufungsverfahren auch „einen Vortrag über sein Kommunikationsmodell“ (Bohrmann: „sehr solide“), hatte aber keine Chance auf die Nachfolge von Fritz Eberhard (Bohrmann 2007: 348-349). 1980 scheiterte ein zweiter Versuch (diesmal in Göttingen), obwohl Maletzke auf dem ersten Listenplatz stand. Berufen wurde stattdessen Hansjürgen Koschwitz (Aufermann 2007: 294). Maletzkes höchste akademische Positionen waren eine Honorarprofessur (ab 1983 in Hohenheim), eine Gastprofessur (1991 bis 1994 in Leipzig) und eine Lehrstuhlvertretung (wiederum in Hohenheim). Von 1978 bis 1987 arbeitete er außerdem als Medienforscher beim Süddeutschen Rundfunk. Hansjörg Bessler, in Stuttgart sein Vorgesetzter, schrieb zu Maletzkes 60. Geburtstag, es sei „kein Ruhmesblatt für die deutsche Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“, dass der Jubilar nicht dort sitze, wo er eigentlich hingehöre: „auf einem kommunikationswissenschaftlichen Lehrstuhl“ (Bessler 1982: 177). Maletzke selbst sagte an seinem Lebensabend, dass man auf einer ordentlichen Professur innerhalb weniger Jahre das schaffen könne, wofür er ein halbes Jahrhundert gebraucht habe.

Sein wichtigster Beitrag zur Fachdebatte entstand dabei fast am Anfang – das „Feldschema“ von 1963, das immer noch im Grundstudium behandelt wird, entwickelt „in Anlehnung an eine viel zitierte Formel von Lasswell“ (Maletzke 1963: 34). Dass Maletzke einen Faktor weniger nennt als das Vorbild aus den USA (Who says what in which channel, to whom, with what effect?), begründete er systematisch. Die Frage nach der Wirkung sei zwar „das Zentralproblem der Massenkommunikation“, dies rechtfertige aber nicht, das Problem vom „Faktor Rezipient“ zu trennen und „den anderen Grundfaktoren gleichzuordnen“ (Maletzke 1963: 11, 34-35). Seine Terminologie verteidigte Maletzke mit pragmatischen Argumenten und mit dem Hinweis, dass man vor allem die Begriffe „Kommunikator“ und „Medium“ „im Englischen am häufigsten“ benutzte (Maletzke 1963: 35-37). „Massenkommunikation“ sei eine „direkte Übersetzung des anglo-amerikanischen Wortes ‚mass communication’“ und habe sich im deutschen Sprachgebiet „weithin eingebürgert“ (Maletzke 1963: 14).

Für die Verbreitung der Psychologie der Massenkommunikation sorgten vor allem die Praktiker, die Anfang der 1960er-Jahre auf Professuren berufen wurden und dann für die sozialwissenschaftliche Wende im Fach sorgten (vgl. Löblich 2010).

Otto B. Roegele (Quelle: Fotoarchiv Rheinischer Merkur)

Otto B. Roegele (Quelle: Fotoarchiv Rheinischer Merkur)

Fritz Eberhard, Otto B. Roegele und Franz Ronneberger fanden bei Maletzke das, was sie brauchten: eine klare Begrifflichkeit und eine Zusammenfassung des Forschungsstandes in den USA. Deutsche Vorläufer zitierte Maletzke nur der Vollständigkeit halber – etwa wenn es darum ging, alte Definitionsversuche zusammenzustellen (vgl. Maletzke 1963: 15, 24). Jenseits der konkreten Gegenstände hat das Buch von 1963 Standards gesetzt, die bis heute wirken – selbst bei den Kolleginnen und Kollegen, denen Maletzkes Definitionen und sein Denken fremd sind. Zu diesen Standards gehört, dass man erstens seinen Gegenstand definiert, dabei zweitens „die Vielzahl relevanter Faktoren und Zusammenhänge bzw. Interdependenzen“ berücksichtigt (Schenk 2007: 16), diese drittens idealer Weise in einem Modell unterbringt, viertens den Forschungsstand in den USA berücksichtigt und fünftens empirisch arbeitet. Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten beginnt heute so keineswegs nur für Studienanfänger immer mit Maletzke – auch weil die aktuelle Wissenschaftlergeneration mit seinem Werk sozialisiert worden ist und seine Arbeitsweise so verinnerlicht hat. Maletzke hat der deutschen Kommunikationswissenschaft nicht nur „eine Sprache“ gegeben (Sturm 1997: 23), sondern auch ein Bild. Sein „Feldschema“ zeigt den Erstsemestern bis heute auf einen Blick, womit sich das Fach beschäftigt.

Zu Maletzkes Scheitern an der Universität passt, dass keine seiner zahlreichen anderen Monografien auf ähnlich große Resonanz gestoßen ist wie die Psychologie der Massenkommunikation. In der Publizistik wurden seine späteren Bücher entweder verrissen, ignoriert oder von Anfängern und Fachfremden besprochen, selbst wenn es sich um programmatische Schriften handelte oder um Arbeiten mit Überblicks-Anspruch. Diese Rezeptionsgeschichte verweist auf die Bedeutung von institutionellem Erfolg für die wissenschaftliche Arbeit. Ohne Professur hatte Maletzke keine Chance, Schüler auszubilden, die am Nachruhm ihres Lehrers basteln konnten. 2005 beklagte er, nie „junge Leute“ gehabt zu haben, mit denen er an seinen Themen und Ideen habe arbeiten können (vgl. Meyen/Löblich 2011).

Literaturangaben

Weiterführende Literatur

  • Roland Burkart/Walter Hömberg: Elektronisch mediatisierte Gemeinschaftskommunikation. In: Rene Pfammatter (Hrsg.): Multi Media Mania. Konstanz: UVK 1998, S. 19-36.
  • Gerhard Maletzke: Erlebte Kommunikationswissenschaft im Rückblick. In: Arnulf Kutsch/Horst Pöttker (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 110–119.
  • Karl Friedrich Reimers: Gemeinsame Zeitquartiere. In: Hermann Fünfgeld/Claudia Mast (Hrsg.): Massenkommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 15-17.
  • Irmela Schneider: Spuren einer Wissenschaft der Medien. Zur Gründungsgeschichte des Hans-Bredow-Instituts. In: Irmela Schneider/Isabell Otto (Hrsg.): Formationen der Mediennutzung II. Bielefeld: Transcript 2007, S. 93-111.
  • Dorothee Stommel: Gerhard Maletzke. Eine Wissenschaftlerbiographie. Magisterarbeit. München: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 2006.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Michael Meyen: Gerhard Maletzke. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013. http://blexkom.halemverlag.de/gerhard-maletzke/ (Datum des Zugriffs).