Thomas Hanitzsch (Foto: privat)
Thomas Hanitzsch (Foto: privat)

Ein Elfmeter, der nur noch verwandelt werden musste

Veröffentlicht am 27. August 2013

Thomas Hanitzsch hat Standards in der international vergleichenden Journalismusforschung gesetzt und die Journalism Studies Division in der ICA mit auf den Weg gebracht. Susanne Hehr hat ihn am 2. Mai 2013 gefragt, wie es dazu gekommen ist und wie man als Deutscher ein ICA-Journal leiten kann.

Stationen

Geboren in Dresden. Vater Ingenieur. 1990 freier Mitarbeiter bei der Tageszeitung Die Union. 1991 Volontariat. 1992 bis 1999 Studium in Leipzig (Journalistik und Arabistik/Orientalische Philologie). 1997 Stipendium an der Universitas Gadjah Mada in Yogyakarta in Indonesien. 2000 bis 2002 Promotionsstipendiat der Thüringischen Graduiertenförderung. 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter und ab 2004 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. 2004 dort Promotion. 2006 Oberassistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. 2010 Habilitation in Zürich und Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Journalismus am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 2013 hier Lehrstuhlinhaber. Seit Mitte 2011 Editor der Fachzeitschrift Communication Theory. Verheiratet, eine Tochter, ein Sohn.

Könnten Sie mir etwas über Ihr Elternhaus und Ihre Jugend erzählen?

Ich bin in Dresden aufgewachsen und habe eine Schwester. Mein Vater ist Ingenieur. Meine Mutter war ursprünglich Chemielaborantin, hat dann aber bis zur Rente als Sekretärin gearbeitet. Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden. In der Abiturzeit habe ich sogar eine eigene Klassenzeitschrift gehabt. Ich war Chefredakteur. Dort ging es um die Mitschüler. Wenn man will, ein Vorläufer von Prominenzberichterstattung. Gerade zum Schluss haben wir aber auch schon versucht, auf die politischen Ereignisse zu reagieren.

Sie sind 1991 Volontär bei den Dresdner Neuesten Nachrichten geworden. Haben Sie auch schon in der DDR darüber nachgedacht, als Journalist zu arbeiten?

Ich war ja vorher dort schon freier Mitarbeiter. Die Zeitung hieß damals noch Die Union und war das Regionalblatt der CDU. In der DDR hatte ja jede Partei ihre eigene Presse. Bei den Blockparteien war die Auflage aber begrenzt. Bei uns auf 40.000 Exemplare. Die Auflage ist dann trotzdem explodiert, da Die Union die erste Tageszeitung in Dresden war, die auch über die politische Umwälzung berichtete. Leute aus dem Umfeld der Kirche haben die Zeitung genutzt, um über Demonstrationen zu berichten. Alles noch vor dem Fall der Pressezensur. Es gab einfach eine Zeit, in der man nicht genau wusste, wohin das Ganze führt. Für die Kollegen war das damals auch ein Risiko. Dafür war die Zeitung dann nach der Wende extrem populär. Als alle Beschränkungen gefallen waren, ist die Auflage auf 100.000 hochgeschossen.

Sind Sie deshalb zur Union?

Das war das attraktivste Blatt. Dort ist unheimlich viel passiert. Kirche und Partei hin oder her: Das war einfach das liberalste und fortschrittlichste Umfeld. Dort hatte ich die Möglichkeit, sinnvoll Journalismus zu machen. Zu DDR-Zeiten wäre das sicher kein Thema gewesen. Ich hatte kein großes Bedürfnis, in Leipzig am Roten Kloster zu studieren (vgl. Klump 1993).

Was haben Sie vor dem Volontariat gemacht?

Nach dem Abitur 1988 kamen ein halbes Jahr Militärzeit und ein Vorpraktikum. So hieß das in der DDR. Dort wurden die Leute vor dem Studium in die Produktion eingebunden oder wie bei mir in einen Forschungsbereich. Eigentlich sollte man so auf das Studium vorbereitet werden, in Wirklichkeit ging es aber um die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte. Ich hatte eigentlich für den Herbst 1990 einen Studienplatz an der Bergakademie Freiberg, doch am Tag vor der Immatrikulation bin ich mit drei Kurzgeschichten zur Union gegangen. Der Chefredakteur hatte spontan Zeit und sagte nach ein paar Minuten: „Okay, wir probieren das.“ Er hat mich sofort zur Lokalchefin geschickt, und die hat mir den ersten Auftrag gegeben. Da habe ich alles auf diese Karte gesetzt, den Studienplatz abgesagt und als freier Mitarbeiter angefangen.

Ab 1992 haben Sie dann doch studiert: Journalistik und Arabistik/Orientalische Philologie in Leipzig. Wie sah das Studienfach Journalistik damals aus?

Ich habe mir eingebildet, schon alles über Journalismus zu wissen. Dann trifft man an der Universität Dozenten, die einem erklären wollen, wie man eine Nachricht schreibt, aber noch nie eine Redaktion von innen gesehen haben. Dadurch habe ich relativ schnell eine Anti-Haltung entwickelt. Ursprünglich war Journalistik aber eigentlich nur mein Nebenfach.

Wie das?

Die Leipziger Arabistik ist 1992 als Hauptfach abgewickelt worden, und ich war gezwungen, entweder etwas komplett anderes zu studieren oder Haupt- und Nebenfach zu tauschen.

Das klang gerade nach einer Fehlentscheidung.

Die Journalistik in Leipzig war damals sehr praxisorientiert. Die Kollegen hatten eine ganz eigene Auffassung von Lehre und Forschung. Sie nannten es praktizistisch. Wissenschaft als Reflexion der Praxis. Michael Haller, der damals gerade Professor geworden war, hatte vorher lange beim Spiegel und bei der Zeit gearbeitet. Gerade am Anfang hatte er noch Probleme mit dem Spagat zwischen Wissenschaft und Praxis. Er musste zwischen Hamburg und Leipzig pendeln und wäre vermutlich viel lieber Praktiker gewesen. Das Leipziger Institut wollte aber, dass er auch Wissenschaft betreibt. Wir Studierenden waren wie Laborratten: die ersten, die durch diese neue Ausbildung gegangen sind. Ich habe eher widerwillig mitgemacht und war auch nicht so engagiert, wie ich das heute von einem Studenten erwarten würde.

Woher kam Ihr Interesse für den arabischen Raum?

Ich wollte Auslandskorrespondent werden. Angefangen habe ich in der Lokalredaktion. Das war spannend, weil ich schnell für die Rathausberichterstattung verantwortlich war. Das ist der Top-Job im Lokalen. Dann wurde ich in die Politikredaktion befördert und habe mich gelangweilt. Ich saß jeden Tag im Büro und musste aus Fremdmaterial Seiten zusammenbauen. Nicht mehr wie vorher selbst rausgehen, recherchieren und eigene Geschichten machen. So wurde die Idee geboren, als Korrespondent in den Nahen oder Mittleren Osten zu gehen.

Ich habe auf Ihrer Website gelesen, dass Sie an der Universitas Gadjah Mada in Yogyakarta gewesen sind (www.thomas-hanitzsch.de). Wieso gerade Indonesien?

Zufall. Ich hatte irgendwann die Motivation verloren und beschlossen, ein Semester auszusetzen. Ich bin durch die Welt gereist und habe ungefähr drei Monate in Indonesien verbracht. Dort ist der Gedanke entstanden, in meiner Diplomarbeit etwas über dieses Land zu machen. Dann hat die indonesische Botschaft Stipendien für deutsche Studenten ausgeschrieben. Ich bekam erst eine Absage, gleichzeitig aber vom DAAD eine Zusage für Tunesien. Ich wollte schon annehmen, als die Indonesier schrieben, es sei doch noch ein Platz frei geworden. Das war für mich ein Glücksgriff. Ich bin 1997 zum Beginn der Asienkrise hingefahren, und 1998 brach das Suharto-Regime zusammen. Ich wollte als Auslandskorrespondent dort bleiben.

Wenn Sie an Ihre sieben Studienjahre zurückdenken: Was waren die Höhepunkte für Sie?

Die Studienzeit ist an mir ohne große Resonanz vorbeigezogen. Abgesehen von der Zeit in Indonesien natürlich. Ich habe nebenbei gearbeitet. Spaß gemacht hat ein Seminar bei Martin Löffelholz. Ein Highlight. Ich weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Der Stil war einfach anders. Ich habe dann aber in Leipzig niemanden gefunden, der meine Diplomarbeit über Indonesien betreuen wollte. Ich musste auf Martin Löffelholz ausweichen, der inzwischen in Ilmenau war.

Für wen haben Sie als freier Journalist gearbeitet?

Bei der Union bin ich nach dem Volontariat ausgestiegen. Die Zeitung wurde vom Süddeutschen Verlag verkauft, und ich wollte nicht beim Axel-Springer-Verlag arbeiten. Ich habe später einiges für die Sächsische Zeitung gemacht und für den MDR. Beim Radio wurde deutlich besser bezahlt.

Gab es einen Punkt, an dem Sie sich für die wissenschaftliche Karriere und gegen den Journalismus entschieden haben?

Überhaupt nicht. Ich habe mich für die Wissenschaft entschieden und nicht gegen den Journalismus. Das war auch wieder eine Laune des Zufalls. In Indonesien hatte ich ja schon für diverse Medien gearbeitet. Das Thema war für Deutschland 1998 spannend und vielleicht auch noch 2000, aber danach nicht mehr. Ich hätte über die komplette Region berichten müssen. Das wollte ich nicht unbedingt. Viel mehr hat mich eine repräsentative Befragung der indonesischen Journalisten interessiert, analog zu Weischenberg, Löffelholz und Scholl (vgl. Weischenberg et al. 1993, 1994). Ich wollte wissen, ob sich die indonesischen Journalisten von den deutschen oder den amerikanenischen unterscheiden.

Martin Löffelholz hat Sie dann ja auch in die Wissenschaft geholt.

Er hatte mir schon nach der Verteidigung meiner Diplomarbeit bei einem Kaffee gesagt, dass ich ihm Bescheid geben solle, wenn ich Lust auf eine Promotion bekomme. Er fing damals an, sich für Indonesien zu interessieren und meinte, ich könne ein Thüringer Graduiertenstipendium beantragen. Die Bewilligung hat dann naturgemäß dazu geführt, dass ich mich stärker als Wissenschaftler betätigen musste. Vorher hatte ich gar nicht über eine Promotion nachgedacht.

Und plötzlich waren Sie Mitgründer der Journalism Studies Interest Group in der ICA.

Diese Idee gab es da noch nicht. Damals war ich Einzelkämpfer. Ich war an keiner Universität angestellt. Ich hatte nur ein paar Lehraufträge und saß in Indonesien. Im Herbst 2001 haben wir dort eine Konferenz organisiert, und Martin Löffelholz hat mich gefragt, ob ich nicht nach Deutschland kommen wolle. Er hatte gerade eine Stelle zu besetzen. Zum Sommersemester 2002 bin ich nach Ilmenau gegangen und dann Stück für Stück in die Community hineingewachsen. Auf der ICA-Tagung 2003 kannte ich nur Löffelholz und David Weaver, der mit ihm befreundet war.

Den US-Journalismusforscher (vgl. Weaver/Wilhoit 1986, 1996).

Martin und David wollten eine Studie zu Online-Journalisten durchführen. Ich habe mich damals gewundert, dass die ICA sehr viele Divisions hatte, die sich mit allen möglichen Themen beschäftigen. Eine Fachgruppe für Journalismus gab es aber nicht. David Weaver meinte, es habe einfach noch keiner die Initiative ergriffen. Das Ganze mache sehr viel Arbeit. Ich fand eine solche Fachgruppe wichtig, weil Journalismusforschung eine eigene Identität hat, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika. Also habe ich zu den beiden gesagt, dass ich mir die Arbeit mache, wenn sie dabei sind. Mich kannte ja niemand, und den David, den kennt jeder.

Wie gründet man so eine Fachgruppe?

Ich habe das ICA-Mitgliederverzeichnis nach Leuten durchsucht, von denen ich annahm, dass sie die Idee unterstützen würden. In einer Stunde hatte ich mehr Unterschriften zusammen als nötig waren. Der Antrag ist relativ glatt durchgegangen. Danach ist das ein Selbstläufer gewesen. Wir sind unfassbar schnell gewachsen. Innerhalb von zwei Jahren wurde aus der Interest Group eine Division. Es war einfach der richtige Zeitpunkt. Wie ein Elfmeter, der nur noch verwandelt werden muss. Ich habe damals viele Leute kennengelernt. Dieses Netzwerk hat mir später sehr geholfen.

Thomas Hanitzsch 2012 (International Conference on Journalism Studies, Chile; Foto: privat)

Thomas Hanitzsch 2012 (International Conference on Journalism Studies, Chile; Foto: privat)

Sie haben im Bereich Journalismus den Grundstein für international vergleichende Forschung gelegt.

Den Grundstein haben sicher andere gelegt, schon in den 1970ern und 1980ern. Ich war mit meiner Dissertation über Indonesien nicht ganz zufrieden (vgl. Hanitzsch 2004). In den Schlusskapiteln habe ich versucht, den dortigen Journalismus durch einen Vergleich mit anderen Ländern zu kontextualisieren. Die Studien, die es gab, waren aber methodisch ganz anders angelegt. Dabei entstand die Idee für einen systematischen Vergleich. Dann musste ich gar nicht mehr viel machen. Die Kollegen sind von selbst auf mich zugekommen. So ist die Worlds of Journalism Study gewachsen (vgl. www.worldsofjournalism.org). Der Keim wurde 2006 gelegt, als ich von der DFG eine kleine Förderung für eine Pilotstudie bekommen habe. Sechs Länder plus eins.

Frank Esser hat Sie im gleichen Jahr zum Oberassistenten an der Universität Zürich gemacht. Was ist von dieser Zeit geblieben?

Ziemlich viel. Die vier Jahre in Ilmenau waren gute Jahre, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass es dort nicht mehr weitergeht. Ich wollte an ein Institut mit größerer Reputation. Zürich war dann noch einmal eine ganz andere Erfahrung. Abgesehen von den Ressourcen, die man dort hat, hat das Institut eine gemeinschaftliche Kultur. In Ilmenau gab es eher die Tendenz, sich voneinander zu entfernen. Auch intellektuell war Zürich inspirierend. Frank Esser arbeitet sehr international und hat mich dort sehr gut zu fördern gewusst. Wir haben beide voneinander profitiert. Ich hatte viel Zeit, meine eigenen Projekte voranzutreiben. Man hat ja als Oberassistent eine deutlich geringere Lehrbelastung als ein deutscher Professor.

Sie standen dann gleich dreimal auf Listenplatz eins. Warum haben Sie sich für München entschieden und damit zunächst für eine W2-Stelle, obwohl Trier und Eichstätt mit einer W3 gelockt haben?

Ganz so war es nicht. Ich habe in München angenommen und die anderen Rufe erst später bekommen. Das Angebot aus Trier war schon besser. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, was das bedeuten würde, auch familiär. Im Grunde war die Entscheidung dann für Trier gefallen. Doch am nächsten Morgen hatte ich ein ganz schlechtes Bauchgefühl. Dass ich in München geblieben bin, hatte zwei Gründe. Der erste war das intellektuelle Umfeld. Ich passe besser nach München als nach Trier. Dort wäre ich einer der ganz wenigen Sozialwissenschaftler gewesen und hätte mich mit Medienwissenschaftlern arrangieren müssen. Ich finde es praktisch, wenn man Kollegen fragen kann und eine Perspektive teilt.

Und der zweite Grund?

Die Lebensqualität. Da kann Trier mit München schlecht mithalten. Das Angebot aus Eichstätt habe ich ausgeschlagen, bevor es überhaupt zu Verhandlungen kam.

Seit 2012 sind Sie als erster Deutscher für die Zeitschrift Communication Theory verantwortlich. Wie kommt man zu solch einem wichtigen Posten?

Dafür gibt es keine allgemeinverbindliche Antwort. In meinem Fall ist es so gelaufen, dass mich die ICA angesprochen hat. Ich habe mich lange geziert, auch weil ich mich nicht so sehr als Theoretiker verstanden habe. Es gab Kollegen, von denen ich dachte, dass sie sich eher empfehlen würden. Die ICA hat dann aber signalisiert, dass sie sehr stark daran interessiert sei, jemanden zu finden, der nicht aus Nordamerika kommt. Das sollte vermutlich auch der Internationalisierung der Zeitschriften dienen. Ich war innerhalb der ICA auch schon aktiv gewesen, und Fachgesellschaften scheinen die Tendenz zu haben, immer wieder die Leute ins Boot zu holen, die sich schon einmal engagiert haben. Ich bekam Anrufe von ehemaligen und aktuellen ICA-Präsidenten.

Von wem zum Beispiel?

Von François Cooren, der mich nachdrücklich ermuntert hat. Er hatte den Job bis 2008 gemacht und meinte, dass mein relativ junges Alter ein Vorteil sei, da man nicht so festgefahren denke und so auch etwas Neues einbringen könne. Barbie Zelizer hat zu mir gesagt, dass ich nicht zweimal ablehnen dürfte. Sonst würde die ICA wohl nie wieder auf mich zukommen.

Warum zweimal?

Die ICA hatte mir einige Wochen vorher die Kandidatur zum Präsidenten angetragen. Das habe ich aber sofort abgelehnt. Das wäre mir viel zu groß gewesen. Es gab dann ein Bewerbungsverfahren, und ich bin vom Publications Committee zum Herausgeber ernannt worden. Das macht man jetzt für vier Jahre. Danach ist der nächste Kollege an der Reihe. Die Zeitschrift soll sich nicht in die Ausdrucksform einer einzelnen Persönlichkeit verwandeln, sondern wird eher als Institution betrachtet, die immer wieder von neuem Input profitiert.

Was haben Sie verändert?

Communication Theory war damals gerade auf dem absteigenden Ast. Ich musste sehr viel Arbeit investieren. Ursprünglich war die Zeitschrift als Flaggschiff der Theorieentwicklung im Fach gegründet worden (vgl. Craig 2012: 1547). Wir wollten das beibehalten und das Blatt zugleich für Gruppen interessant machen, denen es vorher zu US-lastig oder zu positivistisch erschienen war.

Bleibt da überhaupt noch Zeit für die eigene Forschung?

Wir bekommen jährlich 200 bis 300 Einreichungen, die alle gelesen und begutachtet werden müssen. Außerdem bin ich seit 2012 hier in München Institutsdirektor. Auch das kostet Zeit. Die Worlds of Journalism Study läuft aber inzwischen so gut, dass ich kaum noch eingreifen muss. Die wichtigsten Entscheidungen sind getroffen. Die Methode steht, und die Kollegen aus den verschiedenen Ländern arbeiten kontinuierlich. In den nächsten Monaten werden mehrere Datensätze bei uns eintreffen, die von meiner Kollegin am Lehrstuhl geprüft und mit den anderen Datensätzen zusammengeführt werden.

Ist das trotzdem noch Ihr Schwerpunkt?

Ja. Dieses Projekt hat so viele thematische Facetten. Rollenverständnis, journalistische Ethik, Autonomie und Einflüsse, Wandel und Veränderung. Der Journalismus befindet sich in einer Transformation. Diesen Prozess begleiten wir.

Gibt es Wissenschaftler gab, die für Sie Vorbilder waren?

Ein wichtiger Mentor war auf jeden Fall Martin Löffelholz. Auch Frank Esser war eine Orientierungsfigur und in gewisser Weise auch Wolfgang Donsbach, obwohl ich in einer Fachkultur sozialisiert wurde, in der er etwas verteufelt wurde. Martin Löffelholz ist ja Münsteraner. Münster gegen Mainz, Systemtheoretiker gegen Legitimisten. Ich stimme zwar nicht mit allem überein, was Wolfgang Donsbach macht, er hatte aber einen nachhaltigen Einfluss auf das Fach. Seine Arbeit ist für mich bespielhaft. Für die Worlds of Journalism Study war Ronald Inglehart wichtig, Gründer des World Values Survey. Sicherlich hat mich auch David Weaver nachhaltig beeinflusst. Und Barbie Zelizer.

Gibt es etwas, was Sie heute etwas anders machen würden?

Es ist alles gut gelaufen, es hat alles funktioniert. Sicher auch mit sehr viel Glück. Ich finde wichtig, mir das bewusst zu machen. Es gibt Kollegen, die mit dem gleichen Ausgangspunkt, den gleichen Bemühungen, den gleichen Fertigkeiten schlechter abgeschnitten haben. Erfolg hat nicht nur mit der eigenen Brillanz zu tun, sondern häufig einfach damit, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.

Wenn wir in die ferne Zukunft blicken: Was muss noch passieren, damit Sie eines Tages zufrieden auf Ihre akademische Laufbahn zurückschauen können?

Ich bin zufrieden. Da muss nichts mehr passieren. Wenn mich jemand nach meinem Ziel fragt, dann würde ich sagen, dass ich irgendwann einmal ICA Fellow werden will, aber mehr Ambitionen habe ich nicht.

Gibt es heute schon etwas, auf das Sie besonders stolz sind?

Vielleicht auf zwei Dinge. Die Institutionalisierung und Emanzipation der Journalismusforschung und eine neue Form der internationalen Zusammenarbeit.

Literaturangaben

  • Robert Craig: „An Insider-Outsider Relationship with Communication Science”. Michael Meyen Interviews Robert Craig. In: International Journal of Communication Vol. 6 (2012), Feature, S. 1544-1550.
  • Thomas Hanitzsch: Journalismus in Indonesien. Akteure, Strukturen, Orientierungshorizonte, Journalismuskulturen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2004.
  • Brigitte Klump: Das rote Kloster. Als Zögling in der Kaderschmiede des Stasi. Frankfurt/Main: Ullstein 1993
  • David Weaver/Cleve Wilhoit: The American Journalist: A Portrait of U.S. News People and their Work. Bloomington, IN: Indiana University Press 1986.
  • David Weaver/Cleve Wilhoit: The American Journalist in the 1990s: U.S. News People at the End of an Era. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum 1996.
  • Siegfried Weischenberg/Martin Löffelholz/Armin Scholl: Journalismus in Deutschland. Design und erste Befunde der Kommunikatorstudie. In: Media Perspektiven 1993, S. 21-33.
  • Siegfried Weischenberg/Martin Löffelholz/Armin Scholl: Merkmale und Einstellungen von Journalisten. Journalismus in Deutschland II. In: Media Perspektiven 1994, S. 154-167.

Empfohlene Zitierweise

    Thomas Hanitzsch: Ein Elfmeter, der nur noch verwandelt werden musste. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2013. http://blexkom.halemverlag.de/ein-elfmeter/ (Datum des Zugriffs).