Denis McQuail (Foto: Henk Thomas, Bijzondere Collecties Universiteit van Amsterdam, Inv.-Nr. 159.909)

Denis McQuail

(1935 bis 2017)

Ein Nachruf von Joan Hemels am 5. Juli 2017

Kaum ein Student der Kommunikationswissenschaft auf der Welt, der Denis McQuail nicht kennt. Joan Hemels, der in Amsterdam seit 1982 Seite an Seite mit ihm gearbeitet hat, würdigt in seinem Nachruf auch McQuails Bedeutung für das Fach in den Niederlanden (vgl. Hemels 2017: 74-79).

Bevor Denis McQuail 1977 in die Niederlande kam, ein Brite mit einem sozialhistorischen und soziologischen Hintergrund, hatte er bereits einen Lehrstuhl an der Universität Southampton. Er selbst hat diesen Wechsel damit begründet, dass er sich in Amsterdam mit Medienforschung beschäftigen konnte. Seine Berufung bedeutete eine große Bereicherung für das Programm der Amsterdamer freien Studienrichtungen der Massenkommunikation und der Geschichte der Presse, Propaganda und öffentlichen Meinung.

Passend zur akademischen Tradition der niederländischen Universitäten hielt McQuail bereits ein Jahr nach seiner Berufung seine Antrittsvorlesung. Gerade weil sich die Kommunikationswissenschaft in den Niederlanden notgedrungen noch im Wartezimmer der Sozialwissenschaften aufhielt, war sein Thema, die historischen Wurzeln einer Wissenschaft der Massenmedien darzulegen, so gut gewählt (vgl. McQuail 1978). McQuails wissenschaftstheoretische Argumentation unterstützte all diejenigen, die schon viele Jahre für eine selbstständige Studienrichtung gekämpft hatten. Ihm folgend wurde Kommunikationswissenschaft zwar inhaltlich von anderen Wissenschaften wie Sozialpsychologie, Soziologie und Politologie genährt, dennoch war sie nicht von ihr abhängig. McQuails Schlussfolgerung ruft Maletzkes Standpunkt aus dem Jahr 1967 in Erinnerung: „Selbst wenn sich die Publizistikwissenschaft ohne Rest aufteilen ließe, ist damit noch nicht das Geringste gegen die Existenzberechtigung der Publizistikwissenschaft als selbständige wissenschaftliche Disziplin gesagt. Vielmehr kommt der Publizistikwissenschaft als Lehre von der gezielten öffentlichen Kommunikation aus zwingenden Gründen eine eigenständige Daseinsberechtigung zu“ (Maletzke 1967: 9).

McQuail lehrte in den Anfangsjahren seiner Amsterdamer Professur als einziger Ordinarius in harmonischer Zusammenarbeit mit einem noch relativ kleinen Team, übernahm die Leitung der Fachgruppe Massenkommunikation und blieb der Universität Amsterdam bis zu seiner Emeritierung 1997 20 Jahre lang treu. Seine Bedeutung für die Entwicklung der Kommunikationswissenschaft ist weit über die Grenzen der Niederlande bekannt: Sein Ruf bekam eine europäische, sogar eine weltweite Dimension. Seine 1983 in der ersten Auflage veröffentlichte Einführung in die Kommunikationswissenschaft Mass communication theories. An introduction (vgl. McQuail 1983) wurde 2000 als McQuail‘s mass communication theory ein Markenname. Als dieses Standardwerk 2010 in der sechsten Auflage erschien (vgl. McQuail 2010), gab der Verlag Sage bekannt, weltweit insgesamt 80.000 Exemplare verkauft zu haben. Die vor allem auf Anregung von McQuail 1986 gegründete Zeitschrift European Journal of Communication leistete einen merklichen Beitrag zur Stärkung der Kommunikationswissenschaft in Westeuropa. Außerdem trug die Existenz dieser ‚eigenen‘ Fachzeitschrift dazu bei, dass junge KommunikationswissenschaftlerInnen aus McQuails Umfeld auf Englisch zu publizieren anfingen, sodass sie leichter Anschluss an den internationalen kommunikationswissenschaftlichen Diskurs fanden. Auch wurden sie ermuntert, ihre Forschungsergebnisse auf internationalen Tagungen zu präsentieren und in international anerkannten Zeitschriften zu veröffentlichen. Dadurch geriet die Kommunikationswissenschaft an der Universität Amsterdam schon recht früh ins Blickfeld der internationalen scientific community. Auch entdeckten Studenten und Dissertanten Amsterdam in den letzten 20 Jahren immer häufiger als Studienort. So kamen Claes de Vreese aus Dänemark, seit 2005 Professor für Politische Kommunikation, und Jochen Peter aus Deutschland, seit 2011 Professor für Media Entertainment, nach Amsterdam. Bekannte KommunikationswissenschaftlerInnen aus dem Ausland waren stärker als zuvor dazu bereit, sich dort um eine Stelle zu bewerben. Man kann dabei an die ehemaligen Amsterdamer Professoren Holli A. Semetko aus den Vereinigten Staten und Klaus Schönbach (*1949) aus Deutschland, aber ebenso an ausgezeichnete senior associate und associate professors sowie viele postdoctoral fellows denken.

Durch die Erfahrung, die seit Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts mit den beiden freien Studienrichtungen gemacht wurde, konnte die Kommunikationswissenschaft dank des fruchtbaren Wirkens von McQuail ab 1985 auf eine solide, vielfältige theoretische Basis gestellt werden. McQuails Bestseller zur Einführung in die Kommunikationswissenschaft wurde ab 1983 Pflichtlektüre für alle Erstsemester der Kommunikationswissenschaft (McQuail 1983). Bemerkenswert ist, dass im Titel dieses Buches der Begriff Massenkommunikation (mass communication) das Schlüsselwort bildet. McQuail hat niemals eine Änderung seines Lehrauftrags für Massenkommunikation in (allgemeine) Kommunikationswissenschaft gewünscht, obwohl das seit Mitte der 1980er-Jahre nahegelegen hätte. Sein Lehrauftrag lautete zwar unverändert „Massacommunicatie“, aber in englischsprachigen Veröffentlichungen wird McQuail fast ausnahmslos als der erster Lehrstuhlinhaber für general communication science (Allgemeine Kommunikationswissenschaft) aufgeführt. Er beherrschte tatsächlich ein weites, wenn auch nicht das ganze Feld dieser Disziplin, wie man auch seinem 2002 erschienenen reader entnehmen kann (McQuail 2002). McQuail charakterisierte seine selbst gewählte Position gern als die eines Beobachters im Zentrum der Disziplin mit einem Gesamtüberblick über die Kommunikationswissenschaft. Die Art und Weise, wie er die Diversität der für diese Wissenschaft relevanten Theorien und Ansätze in seiner introduction behandelte, zeugt von seiner Fähigkeit, Entwicklungen im Fach aus der Vogelperspektive zu verfolgen und darüber kritisch zu berichten. Wer die Bibliografie von McQuail betrachtet, ist von seiner Kreativität und seiner Bestrebung, immer wieder neue Themen und Blickfelder zu entdecken und zu bewerten, beeindruckt. Zur kontinentaleuropäischen Tradition der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hatte der Brite auf dem Amsterdamer Lehrstuhl weniger Affinität als zur angelsächsischen communication science(s). Man kann es bedauern, dass er kein Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) wurde. Er konnte kaum Deutsch, und die KommunikationswissenschaftlerInnen in Deutschland fingen erst ziemlich spät an, auf Englisch zu publizieren. McQuails undogmatische Haltung förderte ein durch Liberalität gekennzeichnetes Forschungsklima, führte jedoch auch zu einer Fragmentarisierung der Forschungsprojekte und Forschungsergebnisse. Typisch für seine liberale Einstellung ist, dass er nicht die Ambition hatte und auch keinen Bedarf verspürte, eine Schule zu gründen. Bis zur Gründung der anfangs für Promovenden gedachten Forschungsschule The Amsterdam School of Communication Research (ASCoR) wurde die Wahl von Forschungsthemen von Professoren, anderen Dozenten und Absolventen mit einem Dissertationsvorhaben nach persönlicher Vorliebe bestimmt. Als die ASCoR und das ASCoR-Forschungsprogramm im September 1997 offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, war dieses Ereignis zur gleichen Zeit Anlass für die scientific community der niederländischen und flämischen KommunikationswissenschaftlerInnen, mit einem Symposium von McQuail Abschied zu nehmen. Der Emeritus kehrte nach Großbritannien zurück, kam jedoch öfters aus akademischen Anlässen nach Amsterdam zurück, bis zu seinem 70. Lebensjahr in der Rolle des Supervisors und Förderers von Promovenden. Er wurde der erste Honorary Fellow of ASCoR.

Literaturangaben

  • Joan Hemels: Die Anerkennung und Entwicklung der Kommunikationswissenschaft in den Niederlanden. In: Stefanie Averbeck-Lietz (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft im internationalen Vergleich. Transnationale Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS 2017, S. 53-92.
  • Gerhard Maletzke: Publizistikwissenschaft zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften. Zum Standort der Wissenschaft von der öffentlichen Kommunikation. Berlin: Volker Spiess 1967.
  • Denis McQuail: The historicity of a science of mass media. Time, place, circumstances and the effects of mass communication [Inaugural Lecture Universiteit van Amsterdam, 1978].
  • Denis McQuail: Mass communication theory. An introduction. London: Sage Publications 1983.
  • Denis McQuail: McQuail’s reader in mass communication. London: Sage Publications 2002.
  • Denis McQuail: McQuail’s mass communication theory. 6th edition. London: Sage Publications 2010.