Horst Holzer (Foto: Progress-Presse-Agentur, November 1972; Quelle: Privatarchiv Dagmar Holzer)

Horst Holzer

17. Oktober 1935 bis 13. Mai 2000

Lexikoneintrag von Thomas Wiedemann am 25. März 2019

Wie kein Zweiter steht Horst Holzer dafür, dass es in den 1960er- und 1970er-Jahren auch in der Kommunikationswissenschaft eine Strömung gab, die Machtstrukturen kritisch durchleuchtete und auf eine Veränderung der Gesellschaft hinwirken wollte, sich im Fach aber aus wissenschaftsinternen und -externen Gründen kaum Geltung verschaffen konnte.

Stationen

Geboren in Wiesbaden. Vater Prokurist in einer Baufirma. Ab 1957 Studium in Frankfurt/Main, Wilhelmshaven und München (Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre). 1963 Diplom am Frankfurter Institut für Sozialforschung. 1963 Tätigkeit beim Markt- und Meinungsforschungsunternehmen Contest (Institut für angewandte Psychologie in der Wirtschaft) in Frankfurt. 1964 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1966 Promotion (Doktorvater: Karl Martin Bolte), 1969 Habilitation, 1971 Wissenschaftlicher Rat und Professor. 1971 Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Bremen (keine Ernennung, Grund: Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei). 1972 und 1973 erste Listenplätze an den Universitäten Oldenburg und Marburg sowie an der Pädagogischen Hochschule Berlin (keine Berufung). 1974 Entlassung aus dem bayerischen Beamtenverhältnis, fortan Tätigkeit als Privatdozent am Münchner Institut für Soziologie und Lehraufträge bzw. Gastprofessur an den Universitäten Hamburg, Bremen und Klagenfurt sowie an der TU Berlin. 1994 Ablehnung der Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der LMU München. Verheiratet, zwei Söhne.

Publikationen

  • Illustrierte und Gesellschaft. Freiburg: Rombach 1967 (Dissertation).
  • Massenkommunikation und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: Leske 1969.
  • Gescheiterte Aufklärung? Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München: Piper 1971 (Habilitation).
  • Kommunikationssoziologie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973 (2. Auflage 1976).
  • Kinder und Fernsehen. Materialien zu einem öffentlich-rechtlichen Dressurakt. München: Hanser 1974.
  • Theorie des Fernsehens. Fernseh-Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg 1975.
  • Medienkommunikation. Einführung in handlungs- und gesellschaftstheoretische Konzeptionen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994.

Auch wenn der Soziologe Horst Holzer nie über eine institutionelle Anbindung zur Kommunikationswissenschaft verfügte, bildete die Massenkommunikationsforschung den Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Aber dass sich Holzer nicht dem Kritischen Rationalismus verschrieb und ihm als Angehöriger der Deutschen Kommunistischen Partei eine ordentliche Professur im deutschen Hochschulbetrieb verwehrt wurde, bedeutete in den 1970er- und 1980er-Jahren eine nicht zu überwindende Rezeptionsbarriere im Fach, deren Folgen (auch über seinen Fall hinaus) bis heute nachwirken.

Auf den ersten Blick deutete alles auf eine erfolgreiche Karriere des gebürtigen Wiesbadeners in der Wissenschaft hin. Aus einem bürgerlichen Elternhaus stammend und mit einem Diplom vom prestigeträchtigen Frankfurter Institut für Sozialforschung in der Tasche kam Holzer 1964, nach einem einjährigen Ausflug in die Marktforschung, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Karl Martin Bolte ans Institut für Soziologie der Universität München, wo er zwei Jahre später promovierte, sich noch einmal drei Jahre später habilitierte und in der Folge zum Wissenschaftlichen Rat und Professor aufstieg. Die Parallelen zu den „Jungtürken“ in der Kommunikationswissenschaft (vgl. Meyen 2007) sind hier zunächst offensichtlich. Neben der schlichten Generationszugehörigkeit und etwa der Tatsache, dass er die Studentenbewegung nicht aufseiten des Establishments erlebte, fokussierte Holzer insbesondere auf die empirische Forschung im Themenfeld der Massenkommunikation,  rezipierte dabei umfassend die US-Fachliteratur und nahm ebenso auf den State of the Art in den Sozialwissenschaften generell Bezug (nicht nur in der Soziologie und der Psychologie, sondern auch in der Politikwissenschaft und der Ökonomie). So kombinierte er zum Beispiel schon in seiner Dissertation über das Selbstverständnis und die Inhaltsstruktur aktueller Illustrierten (vgl. Holzer 1967) quantitative Inhaltsanalysen (seinerzeit noch ein Fremdwort im deutschsprachigen Fach) mit qualitativen Interpretationen und stellte über dieses innovative  Vorgehen sogar noch eine Methodenreflexion an – ein Vorgehen, das etwa Wolfgang Langenbucher (2000: 500) im Rückblick als „schulbildend“ bezeichnete. Gleichwohl: Holzer hatte bei Adorno studiert und war mit der Kritischen Theorie sozialisiert, sodass er sein Forschungsmaterial im Gegensatz zu den „Jungtürken“ normativ auswertete, oft gestützt auf den Marxismus bzw. den historischen Materialismus (Stichwörter: staatsmonopolistischer Kapitalismus, Verschleierung der Herrschaftsverhältnisse, realdemokratische Umstrukturierung des Mediensystems) und verbunden mit der Forderung nach einer Abkehr vom „Neopositivismus“ in der Wissenschaft (vgl. Holzer 1971, 1973).

Veranstaltung der Bürgerinitiative „Weg mit den Berufsverboten“ 1974 in München (Horst Holzer: 3. von links auf dem Podium; Quelle: Privatarchiv Dagmar Holzer)

Holzers weiterer Aufstieg in der Wissenschaft geriet dann jedoch vor allem aus politischen Gründen entscheidend ins Stocken. In Bremen, in Oldenburg, in Berlin (Pädagogische Hochschule) und in Marburg – insgesamt viermal stand der Mediensoziologie Anfang der 1970er-Jahre auf dem ersten Listenplatz für eine ordentliche Professur (in Marburg sogar „unico loco“), doch wurde er entweder im letzten Moment nicht ernannt (Bremen) oder gar nicht erst berufen. Das entscheidende Zugangshindernis zum öffentlichen Dienst infolge des „Radikalenerlasses“ (1972) war Holzers Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei und damit der vermeintliche Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Als 1974 schließlich in München seine Verbeamtung auf Lebenszeit anstand, verlor Holzer darüber hinaus seine Stelle als Wissenschaftlicher Rat und Professor und wurde endgültig zu einem der prominentesten Opfer der sogenannten „Berufsverbote“ in der Ära Brandt. Und selbst 20 Jahre später verwehrte man ihm noch den Titel des außerplanmäßigen Professors – obwohl Holzer schon längst kein aktives Parteimitglied mehr war, er in der gesamten Zeit als Privatdozent gearbeitet hatte und zudem in seinen späteren Publikationen gemäßigte Positionen vertrat (einschließlich der Öffnung gegenüber anderen Theorieansätzen, etwa dem Funktionalismus oder der Systemtheorie; vgl. Holzer 1994).

Für Alexander von Hoffmann, bis 1988 Professor für Medienpraxis am Berliner Fachinstitut, bilden Holzers Biografie und der Bruch seiner wissenschaftlichen Karriere deshalb das „schändlichste Beispiel“ einer „Inquisition“ durch das Berufsverbot (1988: 15). In der Tat blieb der Münchner Soziologe bis zu seinem Lebensende stigmatisiert als Demokratiegegner und personifizierte Gefahr einer linken Unterwanderung der Universität. Für eine Rezeption in der Kommunikationswissenschaft, die nur eine geringe Autonomie besaß und sich aus Gründen des Legitimationsgewinns als quantitativ-empirisch arbeitende Sozialwissenschaft flächendeckend dem Wertfreiheitspostulat verschrieb, war das selbstverständlich alles andere als förderlich (vgl. Scheu/Wiedemann 2008). Einziger Schüler von Horst Holzer im Fach ist Hans-Jürgen Weiß. Für eine Marginalisierung gesellschaftskritischer Positionen in der Kommunikationswissenschaft stehen ferner, wenngleich weniger drastisch, die Namen Jörg Aufermann, Franz Dröge, Manfred Knoche und Dieter Prokop.

Literaturangaben

  • Alexander von Hoffmann: Schlussbemerkungen eines Spätaufklärers. Rede zum Abschied vom Fach Publizistik an der Freien Universität Berlin. In: medium (1988), Nr. 2, S. 9-17.
  • Horst Holzer: Illustrierte und Gesellschaft. Freiburg: Rombach 1967.
  • Horst Holzer: Gescheiterte Aufklärung? Politik, Ökonomie und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland. München: Piper 1971.
  • Horst Holzer: Kommunikationssoziologie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1973.
  • Horst Holzer: Medienkommunikation. Einführung in handlungs- und gesellschaftstheoretische Konzeptionen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1994.
  • Wolfgang R. Langenbucher: Im Gedenken an Horst Holzer. In: Publizistik 45. Jg. (2000), S. 500-501.
  • Michael Meyen: Die „Jungtürken“ in der Kommunikationswissenschaft. Eine Kollektivbiographie. In: Publizistik 52. Jg. (2007), S. 308-328.
  • Andreas M. Scheu/Thomas Wiedemann: Kommunikationswissenschaft als Gesellschaftskritik. Die Ablehnung linker Theorien in der deutschen Kommunikationswissenschaft am Beispiel Horst Holzer. In: Medien & Zeit 23. Jg. (2008), Nr. 4, S. 9-17.

Weiterführende Literatur

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

Thomas Wiedemann: Horst Holzer. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2019. http://blexkom.halemverlag.de/horst-holzer/ (Datum des Zugriffs).