Erhard Schreiber (Quelle: Privatarchiv Edda Schreiber)

Erhard Schreiber

27. Juli 1935 bis 27. Dezember 1993

Lexikoneintrag von Manuel Wendelin am 29. August 2018

Keine Professur, keine Habilitation - dennoch hat Erhard Schreiber eines der ersten Lehrbücher des Fachs vorgelegt und damit mehrere Studentengenerationen geprägt. Der DDR-Flüchtling beschäftigte sich intensiv mit der DDR-Journalistik und galt sowohl hierbei als auch allgemein als kritischer Kopf.

Stationen

Geboren in Canitz, Kreis Oschatz in Sachsen. 1953 Reifeprüfung in Zwickau. Studium an der Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität in Leipzig. 1957 Diplom-Journalist. 1961 Flucht nach West-Berlin. Studium der Philosophie, Geschichte und Zeitungswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1971 Promotion in Philosophie bei Max Müller. Danach Wissenschaftlicher Assistent bei Otto B. Roegele am Institut für Zeitungswissenschaft. 1976 Ernennung zum Akademischen Rat, 1981 zum Akademischen Oberrat. Gestorben in München. Seit 1959 verheiratet.

Publikationen

  • Rationalität der Freiheit. Untersuchungen zum Problem ihrer Verwirklichung und antizipierbaren Wirklichkeit. München: LMU (Dissertation).
  • Kritik der marxistischen Kommunikationstheorie. München: Saur 1984.
  • Kommunikation im Wandel der Gesellschaft. Festschrift für Otto B. Roegele. 2. revidierte und erweiterte Auflage. Konstanz: UVK 1985 (Herausgeber, mit Wolfgang R. Langenbucher und Walter Hömberg).
  • Repetitorium Kommunikationswissenschaft. 3. Auflage. München: Ölschläger 1990.

Erhard Schreiber war am Münchner Institut in doppelter Hinsicht ein „Fremder“ (Wendelin 2008: 152): als Ostdeutscher und als Philosoph. Im Promotionsstudium, das seiner Flucht aus der DDR folgte, hat er Zeitungswissenschaft nur als Nebenfach belegt. Die beiden Gutachten zu seiner Dissertation kamen von Max Müller und Friedrich Georg Friedmann und das Thema von Fritz Leist (ebd.: 163). Durch journalistische Arbeiten für den Rheinischen Merkur und durch Veranstaltungen an der LMU hatte Schreiber allerdings Kontakt zu Otto B. Roegele, der ihm noch am Prüfungstag eine Anstellung versprach (ebd.). Als Marx- und Hegel-Experte schien er geeignet zu sein, sich in den Jahren der „Studentenrebellion“ auch inhaltlich mit den „revoltierenden Studenten“ auseinanderzusetzen, und so zu helfen, die Konflikte am Institut für Zeitungswissenschaft zu entschärfen (ebd.: 169).

Erhard Schreiber (Quelle: Privatarchiv Edda Schreiber)

Im Rückblick wird Erhard Schreiber von seinem späteren Münchner Kollegen Heinz Pürer (1994: 112) als „begnadeter Pädagoge und Lehrer“ beschrieben. Außerdem sei er ein von „hohem Ethos“ getragener Forscher gewesen, „der die kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fachkollegen nicht scheute und nie Gefälligkeitswissenschaft oder wissenschaftliche Liebedienerei betrieben hat“ (ebd.).

Das Merkmal „Kritik“ beschränkt sich dabei nicht nur auf Schreibers Publikationen zur Journalistikwissenschaft in der DDR, die er hautnah miterlebt hatte und die sein zentrales kommunikationswissenschaftliches Thema war (vgl. Schreiber 1975, 1978, 1979). Auch Wolfgang R. Langenbucher bekam diese Kritik bei der Einführung des Diplomstudiengangs Journalistik in München zu spüren (vgl. Schreiber 1976). Der Philosoph Schreiber bescheinigte dem Fach dabei Theorielosigkeit. Später wurde die „Münchner Zeitungswissenschaft“ (und allen voran ihr Protagonist Hans Wagner) von Schreiber heftig angegriffen (vgl. Schreiber 1980). Die Vorwürfe bezogen sich insbesondere auf den von Schreiber diagnostizierten Alleinvertretungsanspruch dieser Theorie.

Die besondere fachliche Leistung Schreibers, die seine Aufnahme in dieses Lexikon rechtfertigt, obwohl er nie eine Professur hatte und auch nicht habilitiert war: Sein Repetitorium Kommunikationswissenschaft war eines der ersten Lehrbücher im Fach, erschien in drei Auflagen und hat mehrere Studentengenerationen geprägt. Laut Pürer (1994: 212) war das Buch „hunderten von Studierenden ein ständiger Begleiter durch das Studium“.

Literaturangaben

  • Heinz Pürer: Dr. Erhard Schreiber †. In: Publizistik 39. Jg. (1994), S. 211f.
  • Erhard Schreiber: Dialektischer Determinismus und Wirkungsprozeß. Probleme „marxistisch-leninistischer“ Kommunikationsforschung in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Publizistik 20. Jg. (1975), S. 770-793.
  • Erhard Schreiber: Das Elend der Journalistenausbilder. In: Frankfurter Hefte, 31. Jg. (1976), 7, S. 31-39.
  • Erhard Schreiber: Genretheorie und Sozialer Prozeß. Zu einem Zentralproblem der „sozialistischen“ Journalistik. In: Publizistik 23. Jg. (1978), S. 202-220.
  • Erhard Schreiber: Materialistische Medientheorie. In: Publizistik 24. Jg. (1979), S. 430-444.
  • Erhard Schreiber: Münchner Scholastik. Rekonstitutionsprobleme der Zeitungswissenschaft. In: Publizistik 25. Jg. (1980), S.207-229.
  • Manuel Wendelin: Erhard Schreiber (1935 bis 1993): Ein Fremder am Münchner Institut? Theoretische Kritik aus dem kommunikationswissenschaftlichen Mittelbau. In: Michael Meyen/Manuel Wendelin (Hrsg.): Journalistenausbildung, Empirie und Auftragsforschung. Neue Bausteine zu einer Geschichte des Münchener Instituts für Kommunikationswissenschaft. Mit einer Bibliografie der Dissertationen von 1925 bis 2007. Für Wolfgang R. Langenbucher zum 70. Geburtstag. Köln: Herbert von Halem 2008, S. 150-188.

Empfohlene Zitierweise

    Manuel Wendelin: Erhard Schreiber. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2018. http://blexkom.halemverlag.de/erhard-schreiber/ (Datum des Zugriffs).