Axel Zerdick

5. November 1941 bis 3. November 2003

Lexikoneintrag von Jan Krone und Juliane Pfeiffer am 3. April 2018

Der sozialdemokratische Wirtschaftswissenschafter Axel Zerdick prägte ab den 1970er-Jahren die Gebiete Medien- und Internetökonomie. Heute gilt er im Fach als Pionier und Vordenker emergierender Medienstrukturen und Marktmodelle. Seinen Leitgedanken (Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu vernetzen) lebte er selbst vor.

Stationen

Geboren in Elbląg/Elbing (Westpreußen). Vater Dr. Wilhelm Zerdick (Wirtschaftsprüfer), Mutter Ella Martha, geborene Heuser. Abitur in Berlin-Dahlem. Praktika in technischen und wirtschaftlichen Berufen. Selbstständige Unternehmungsberatung für Systemanalyse und Programmierung. Studium an der FU und TU Berlin sowie in Hamilton/Kanada (Elektrotechnik, Rechtswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre). SPD-Mitglied. 1967 wissenschaftlicher Hilfsassistent am Institut für Verkehrswirtschaft der FU Berlin, 1968 Diplom-Kaufmann (BWL, FU Berlin, Thema: integrierte Datenverarbeitung). 1968 bis 1970 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Konzentrationsforschung der FU Berlin und Forschungsaufenthalt in Tokio (Fair Trade Commission). 1970 Promotion zum Dr. rer. pol. bei Klaus Peter Kisker und Hajo Riese. 1971 Assistenzprofessor am Institut für Wirtschaftspolitik der FU Berlin. 1975 Professor an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin. 1980 C2-Professor für Ökonomie und Massenkommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin. Forschungsaufträge und Beratungstätigkeit für Institutionen der Medienpolitik sowie für Unternehmen im Medien- und Telekommunikationssektor. Mitherausgeber von internationalen Fachzeitschriften (Journal of Media Economics, InterMedia, JMM). Ab 1987 Research Associate am Survey Research Center der University of California at Berkeley, Mitglied des E-conomy-Projektes des Berkeley Roundtable on the International Economy (BRIE). 1993 bis 1996 und 1999 bis 2000 Rundfunkrat (SFB, RBB). 1996 Gründer und Sprecher des European Communication Council. Zahlreiche Mitgliedschaften in Fachgesellschaften (IIC, ICA, IAMCR, DGPuK, Münchner Kreis, ITG/VDE, British Film Institute sowie Mitgründer der emma 2003), im Aufsichtsrat der ART+COM, im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (heute Bundesnetzagentur), im Stiftungs-Verbundkolleg der Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikationsforschung sowie nur mehr kurzfristig in einer High Level Expert Group der EU zur digitalen Wirtschaft. Verheiratet mit Dr. Hiroko Nojiri, Auslandskorrespondentin der Nihon Keizai Shimbun (Nikkei). Zwei Kinder. 2003 verstorben auf dem Weg zu einem Vortrag.

Publikationen

  • Die präventive Fusionskontrolle in Japan. Rechtliche Ausgestaltung und praktische Anwendung. Berlin: Freie Universität Berlin 1970 (Dissertation).
  • Pressekonzentration in der Bundesrepublik Deutschland. Untersuchungsansätze, Ursachen und Erscheinungsformen. In: Jörg Aufermann/Hans Bohrmann/Rolf Sülzer (Hrsg.): Gesellschaftliche Information und Kommunikation. Forschungsrichtungen und Problemstellungen. Ein Arbeitsbuch zur Massenkommunikation. Frankfurt am Main: Athenäum Verlag 1973, S. 242–302 (mit Jörg Aufermann und Bernd-Peter Lange).
  • Wirtschaftskonjunktur und Pressekonzentration in der Bundesrepublik Deutschland. Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung 29. München: Saur 1979 (mit Klaus Peter Kisker, Manfred Knoche unter Mitarbeit von Klaus Dieter Büttner, Antonius Engberding, Monika Lindgens).
  • Ökonomische Interessen und Entwicklungslinien bei der Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechniken. In: Rundfunk und Fernsehen 30. Jg. (1982), H. 4, S. 478–490.
  • Forschungsgruppe Telefonkommunikation: Telefon und Gesellschaft. Beiträge zu einer Soziologie der Telekommunikation. Bände 1-4. Berlin: Spiess 1989-1991 (mit Ulrich Lange und Klaus Beck; Band 4 „Telefon und Kultur“ zusammengestellt und bearbeitet von Bernard Debatin und Hans J. Wulff).
  • Die Internet-Ökonomie. Strategien für die digitale Wirtschaft. European Communication Council Report. Berlin: Springer 1999. (mit Arnold Picot, Klaus Schrape, Alexander Artopé, Klaus Goldhammer, Ulrich Thomas Lange, Eckart Vierkant, Esteban Lopez-Escobar, Roger Silverstone).
  • Tageszeitungen zwischen Medienkonzentration und Internet-Ökonomie. In: Dieter Klumpp/ Herbert Kubicek/Alexander Roßnagel (Hrsg.): Next Generation Information Society? Notwendigkeit einer Neuorientierung. Mössingen-Thalheim: Talheimer 2003, S. 198-210 (mit Thomas Simeon).
  • E-Merging Media. Kommunikation und Medienwirtschaft der Zukunft. European Communication Council Report. Berlin: Springer 2004 (gemeinsam mit Arnold Picot, Klaus Schrape, Jean-Claude Burgelmann, Roger Silverstone, Valerie Feldmann, Dominik K. Heger, Carolin Wolff).

Das Wirken von Axel Zerdick war international und interdisziplinär. Seine Aktivitäten führten ihn durch Europa, die USA und Japan. Er verband Medienwirtschaft, Medienökonomie und Journalismus – sowohl in Wissenschaft als auch in der Praxis. Ökonomische und politische Rahmenbedingungen zu analysieren, entwickeln und anzuwenden, stand im Zentrum seiner Tätigkeiten.

Besondere Bedeutung maß Zerdick dem Gemeinwohl bei, das seine Arbeit sowohl in den Komplexen Wettbewerbstheorien/Medienkonzentration, Mitbestimmung in den Massenmedien als auch im emergierenden Informations- und Kommunikationssektor grundierte. Aus diesen drei Säulen Medienwettbewerb, Mitbestimmung und ICT-Sektor leiteten sich seine Forschungsbereiche ab: die betriebswirtschaftliche Netzwerkökonomie unter besonderer Berücksichtigung von Preismodellen, Produkten und Wertschöpfungsketten, die Ordnungspolitik in Medien- und Kommunikationsökosystemen sowie Nutzer und Nutzen im Sinne von nützlichen, erfolgreichen und vermittelbaren Kommunikationsinhalten und Geräten. Neben seinem langjährigen Kollegen am Berliner Institut, dem Informationswissenschaftler Gernot Wersig, ist es Axel Zerdick auf diese Weise gelungen, einen entscheidenden Beitrag zur Erweiterung der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zu leisten: um eine Ökonomie der Massenmedien über Kabelkommunikation und das Internet.

Obwohl er weniger als 100 Publikationen vorgelegt hat (Axel Zerdick schrieb nur in „begründeten Sachlagen und gebotener Notwendigkeit“; seine zentralen Publikationen zur Internet-Ökonomie wurden zwischen 2000 und 2005 ins Englische, Japanische und Chinesische übersetzt), war sein Arbeitsbereich am Institut von zahlreichen interdisziplinär angelegten Gutachten, Forschungs- und Kooperationsprojekten ausgefüllt, für die Zerdick, meist als Initiator, jeweils neue Teams zusammenstellte (vgl. Krone/Pfeiffer 2018). Hierfür sei eine Auswahl angeführt:

  • Postzeitungsvertrieb mit Knoche (1991 bis 1996),
  • Aufbau Kabelpilotprojekte in Ludwigshafen (1983 bis 1987), Berlin (1985) und Dortmund (1984 bis 1988),
  • Telefonkommunikation und Gesellschaft mit Lange und Beck (1989 bis 1991),
  • Werbemarkt Berlin-Brandenburg (mit Seufert 1992 & Goldhammer 2002), Pressefusionskontrolle in Europa und den USA (mit Knoche und Klaue 2001/2002) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums,
  • Holtzbrinck/Tagesspiegel (2003 mit Simeon),
  • European Communication Council (1996 bis 2005),
  • Studie zu Rundfunk Online mit Goldhammer (1999) sowie
  • „Lernen in der New Economy“ (im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, 2001 bis 2004).

Zur Beteiligung an Bilnet (Zur nachhaltigen Entwicklung des öffentlichen und privaten Bildungssektors) kam es durch seinen unerwarteten Tod Ende 2003 nicht mehr. Der Projektbeginn datierte auf dem 1. Januar 2004.

Zerdick war in Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft quasi omnipräsent, wie unter anderen sein langjähriger Weggefährte Manfred Knoche im Nachruf beschrieb (vgl. Knoche 2004: 88-90). Knoche hebt zudem hervor, dass Axel Zerdicks Leidenschaft zur Stakeholderkommunikation maßgeblich durch seine Vortragstätigkeit auf nationaler wie internationaler Ebene als selbstverständlicher Schwerpunkt Ausdruck fand.

 

Der Einstieg in die akademische Laufbahn begann klassisch als Hilfs- und wissenschaftlicher Assistent. Nach seiner Promotion arbeitete er als (Assistenz-)Professor an der FU Berlin und der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin. Ab Anfang der 1970er-Jahre forschte Axel Zerdick gemeinsam mit Mitarbeitern des Instituts für Publizistik (IfP) der FU, unter anderem mit Jörg Aufermann, Manfred Knoche und Bernd-Peter Lange (Institut für Konzentrationsforschung an der FU Berlin) zu Pressekonzentration, Wettbewerb im Verlagssektor und Pressevertrieb. Hier hebt Ludwig (2002: 226) hervor, dass Knoche und Zerdick eine medienpolitische Zäsur in der Erfassung der wirtschaftlichen Lage bundesdeutscher Zeitungsverlage manifestiert hätten. Zu diesen Themen lehrte Zerdick am IfP ab Wintersemester 1976/77, bevor er 1980 als Professor berufen wurde. Sein Arbeitsbereich Ökonomie und Massenkommunikation wurde mit der Vergabe einer zusätzlichen Honorarprofessur (neben Herbert Kundler und Manfred Buchwald) an Siegfried Klaue im November 1981 zusätzlich gestärkt.

Eine thematische Verstärkung/Verbreiterung erfolgte mit den Honorarprofessoren Günther von Lojewski (1997) und Matthias Prinz (2000). Im Zuge mehrerer Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen wurde eine geplante C4-Professur für Kommunikationspolitik und Medienrecht nicht realisiert und schließlich von Axel Zerdick im Arbeitsbereich mitvertreten. Ein wichtiger Bestandteil der Lehre nach 1989 war die Ringvorlesung mit Wolfgang Mühl-Benninghaus (Institut für Theater- und Medienwissenschaften, HU Berlin) zu aktuellen Themen der Medienwirtschaft, in denen Medienpraktiker bis zu später Stunde (und wechselseitig zu den Jahreszeiten in Berlin-Mitte und Berlin-Dahlem) vor interessierten Studierenden ihre Erfahrungen, Probleme und Lösungen austauschten.

Neben Internationalität und Interdisziplinarität war Axel Zerdicks Selbst- bzw. Wissenschaftsverständnis durch Dialogfähigkeit geprägt, zu der Streitbarkeit und eine Routine kritischen Hinterfragens gehörten. Kompromisse benötigten für ihn argumentativer Kraft, und Erkenntnisse besaßen lediglich eine Halbwertszeit. Das Nachbessern eigener Überzeugungen, das Einsehen und Korrigieren irrtümlich vertretener Annahmen gehörten ebenso zum Selbstverständnis wie das Vorpreschen.

Deutlich wurde die Haltung Axel Zerdicks in zahlreichen Interviews und Vorträgen. Auf die Frage Stefan Krempls beispielsweise zu den Zielen seiner ICANN-Kandidatur (die er gegen einen seiner Studierenden, Andreas Müller-Maguhn verlor), antwortete Zerdick, dass er seine Rolle im Board darin sehen würde, das Spektrum der Diskussionspunkte des vornehmlich technisch geprägten Verwaltungsgremiums um wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Fragestellungen zu erweitern (vgl. Krempl 2000).

Axel Zerdick an seinem Schreibtisch

Sein wissenschaftspolitisches Engagement galt der Hochschulpolitik und -verwaltung, auch über die FU Berlin hinaus. Es begann, als er von der Kultusministerkonferenz der Länder als Mitglied der Überregionalen Studienreformkommission für das Fach Wirtschaftswissenschaften berufen wurde (1977-1980), die Empfehlungen für die Gestaltung von wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland zu erarbeiten. Seit seiner Berufung zum Universitätsprofessor an der FU Berlin war Zerdick in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung aktiv, unter anderem als Vorsitzender der Berufungskommission zum Ausbau des Faches Publizistik, als Dekan des damals neugegründeten Fachbereichs Kommunikationswissenschaften (1980) und des Fachbereiches Politik- und Sozialwissenschaften (2000-2001) sowie als Mitglied des Akademischen Senats. Zerdick war zudem Vertrauensdozent sowie Vertreter der Hans-Böckler-Stiftung am IfPuK.

Zu den von Zerdick Geförderten, die heute in unterschiedlichen Stellungen des Medien- und Kommunikationssektors in Wissenschaft und Praxis präsent sind, gehören Christian Bachem, Klaus Beck, Hardy Dreier, Michael Ehret, Valerie Feldmann, Frank Fölsch, Klaus Goldhammer, Norbert Herrmann, Monika Lindgens-Knoche, Christina Kalogeropulu, Dieter Klumpp, Michael Knauth, Jan Krone, Peter Kürble, Ulrich Thomas Lange, Johannes Ludwig, Stephan H. Passon, Björn von Rimscha, Ulrike Rohn, Andreas G. Scholz, Wolfgang Seufert, Thomas Simeon, Jochen Spangenberg und Andre Wiegand.

Literaturangaben

  • Manfred Knoche: Axel Zerdick (5.11.1941 – 3.11.2003). In: Publizistik 49. Jg. (2004), H. 1, S 88-90.
  • Stefan Krempl: Denn nur wenige wissen, was sie tun. In: Heise vom 11. August 2000.
  • Jan Krone/Juliane Pfeiffer: BLexKom_Zerdick_Bibliographie. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2018.
  • Johannes Ludwig: Kisker/Knoche/Zerdick (1979): Wirtschaftskonjunktur und Pressekonzentration in der Bundesrepublik Deutschland. In: Christina Holtz-Bacha/Arnulf Kutsch (Hrsg.): Schlüsselwerke der Kommunikationswissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag 2002, S. 226-229.

Weiterführende Literatur

Empfohlene Zitierweise

Jan Krone/Juliane Pfeiffer: Axel Zerdick. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2018. http://blexkom.halemverlag.de/axel-zerdick/ (Datum des Zugriffs).