Bernd Sösemann

8. Oktober 1944

Lexikoneintrag von Rudolf Stöber am 3. August 2015

Bernd Sösemann ist Historiker mit starken Interessen im Bereich Kommunikationswissenschaft. Er hat ein Vierteljahrhundert an der Freien Universität Berlin gelehrt und sich vor allem mit akribischer Editionsarbeit einen Namen gemacht.

Stationen

Geboren in Göttingen. 1964 bis 1969 Studium in Göttingen (Geschichte, Philosophie und Germanistik), zunächst auf Gymnasial-Lehramt. 1970 Staatsexamen. Nach Referendariat (in Lüneburg) und 2. Staatsexamen Wechsel in die Wissenschaft. Hochschulassistent des Frühneuzeithistorikers Richard Nürnberger in Göttingen. Im Wintersemester 1984/85 Ruf auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Allgemeine Publizistik, Schwerpunkt Geschichte am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Annahme zum Wintersemester 1985/86. Entpflichtung im Wintersemester 2009/10. Gastprofessuren und Gastaufenthalte in Cagliari, Rom, Sydney und Trient. 2014 Fellow am Historischen Kolleg zu München.

Publikationen

  • Das Ende der Weimarer Republik in der Kritik demokratischer Publizisten. Theodor Wolff, Ernst Feder, Julius Elbau, Leopold Schwarzschild. Berlin: Colloquium 1976 (Dissertation).
  • Theodor Wolff. Tagebücher 1914-1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen des Chefredakteurs am „Berliner Tageblatt“ und Mitbegründers der „Deutschen Demokratischen Partei“. 2 Bände. Boppard: Harald Boldt 1984 (Herausgeber).
  • Emil Dovifat. Studien und Dokumente zu Leben und Werk. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1998 (Herausgeber, unter Mitarbeit von Gunda Stöber).
  • Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk. Stuttgart: Franz Steiner 2001 (Herausgeber).
  • Propaganda. Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur. Eine Dokumentation und Edition der Gesetze und Verordnungen, Anweisungen und Führerbefehle. Stuttgart: Franz Steiner 2011 (Herausgeber, unter Mitarbeit von Marius Lange).
  • Theodor Wolff. Ein Leben mit der Zeitung. Stuttgart: Franz Steiner 2012.

Bernd Sösemann bearbeitete im Laufe seines Wissenschaftlerlebens eine breite Reihe von Themen, die gleichwohl um mehrere, wiederkehrende Schwerpunkte kreisten. Die meisten von ihnen sind zeitlich im 18. bis 20. Jahrhundert verortet. Die Großthemen seiner Arbeiten behandelten die Geschichte öffentlicher Kommunikation und die neuere preußische Geschichte. Bernd Sösemann lehnte immer die Begriffe „Mediengeschichte“ und „Kommunikationsgeschichte“ ab. Der erste Begriff war ihm zu eng, der zweite zu weit gefasst. Geschichte der öffentlichen Kommunikation hingegen schien ihm von richtigem Zuschnitt, da er hier die Bandbreite der verschiedenen Medien- und Kommunikationsformen erforschen konnte, soweit sie öffentliche Spuren hinterlassen hatten, das heißt solange sie ihren Niederschlag in den Quellen fanden. Die Arbeit mit und über Quellen ist sicherlich der archimedische Punkt in Sösemanns Schaffen.

Wichtigste Unterthemen seiner Arbeit bilden zum einen die Geschichte der Propaganda und Presselenkung, darunter besonders wichtig die Geschichte der nationalsozialistischen Propaganda. Zum anderen interessierten ihn von Anfang an die preußischen Reformen; später kam Friedrich II. (der Große) hinzu, zu dessen 300. Geburtstag er eine Reihe von Tagungen in der Villa Vigoni am Comer See organisierte, deren Ergebnisse pünktlich zum Jubiläum in einem gewichtigen, zweibändigen Sammelband dokumentiert wurden (vgl. Sösemann/Vogt-Spira 2012). Obwohl Bernd Sösemann den Begriff Kommunikationsgeschichte ablehnt, ist er seit Anbeginn (seit 1999) Beiratsmitglied des Jahrbuchs für Kommunikationsgeschichte. Auch verantwortet er die Herausgabe der Reihe Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Reihe und Jahrbuch erscheinen im Franz Steiner Verlag (Stuttgart), der mit Fug und Recht als Sösemanns Hausverlag bezeichnet werden kann.

Bernd Sösemann beherrscht alle Genres der wissenschaftlichen Publikationsformen: Er war und ist ein scharfer Rezensent und Beiträger in Tagungsdebatten. Er hat ungezählte Vorträge vor Wissenschaftlern und interessiertem Laienpublikum gehalten. Hier sind vor allem Vorträge vor der Deutsch-Griechischen Gesellschaft und der Urania in Berlin hervorzuheben. Wissenschaftliche Aufsätze in renommierten Journalen wie der Publizistik und der Historischen Zeitschrift sind ebenfalls zu erwähnen. Tagungen zu Emil Dovifat und Fritz Eberhard, die er initiierte, erweiterten das Wissen um die Wissenschaftsgeschichte der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (vgl. Sösemann 1998, 2001).

Das formale Kerngebiet seines Schaffens war und ist aber die Editionsarbeit. Angefangen mit den Tagebüchern Theodor Wolffs (vgl. Sösemann 1984) über lange Jahre der Arbeit an den sogenannten Tagebüchern von Joseph Goebbels, Editionen aus dem Nachlass des preußischen Reformers Theodor von Schön bis zur unlängst vorgelegten, umfangreichen Quellenedition zur nationalsozialistischen Propaganda (vgl. Sösemann 2011) bestimmte der quellenkritische Umgang mit historischen Dokumenten den Kern seines historischen Zugriffs. Eine ebenfalls voluminöse Dokumentation und kritische Edition der NS-Wochensprüche, einer unterschätzten und beinahe vergessenen Form nationalsozialistischer Propaganda, steht kurz vor dem Abschluss.

Die Arbeit mit Texten und deren Kritik ist Bernd Sösemanns eigentliches Metier. Er kämpfte und kämpft gegen anekdotische Geschichtsschreibung, gegen vereinfachende und einseitige Lesarten und schlichte Interpretationen. Am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere scheute er nicht den Konflikt mit einem der damals einflussreichsten Historiker, mit Karl-Dietrich Erdmann. Ihm konnte er, nach jahrelanger hartnäckiger Quellenrecherche, nachweisen, die Tagebücher Kurt Riezlers zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in entscheidenden Passagen dadurch verfälscht zu haben, dass nachträgliche Glättungen Riezlers nicht als solche kenntlich gemacht worden sind (vgl. Sösemann 1983). Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Einschätzung des Wegs in den Ersten Weltkrieg. Zur sogenannten Hunnenrede ermittelte Sösemann akribisch die Versionsgeschichte (vgl. Sösemann 1976). An den sogenannten Tagebüchern von Goebbels wies er nach, wie wenig an authentischem „Tagebuch“ im eigentlichen Sinn des Wortlauts in dessen Notaten zu finden ist.

Als einflussreicher akademischer Lehrer führte er eine lange Liste von Schülern bis zur Promotion und darüber hinaus. Sösemann bekleidete eine Reihe von Vorsitzen und Vorstandsmitgliedschaften. Neben obligaten Institutsleitungen des Instituts für Publizistik und des Friedrich-Meinecke-Instituts an der FU Berlin stand er der Berliner Deutsch-Griechischen Gesellschaft, der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft, dem Arbeitskreis Preußische Geschichte und der Arbeitsstelle Kommunikationsgeschichte und interkulturelle Publizistik vor.

Literaturangaben

  • Bernd Sösemann: Die sogenannte Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven. In: Historische Zeitschrift 222. Bd. (1976), S. 342-358.
  • Bernd Sösemann: Die Tagebücher Kurt Riezlers. Untersuchungen zu ihrer Echtheit und Edition. In: Historische Zeitschrift 236. Bd. (1983), S. 321-369.
  • Bernd Sösemann (Hrsg.): Theodor Wolff. Tagebücher 1914-1919. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik in Tagebüchern, Leitartikeln und Briefen des Chefredakteurs am „Berliner Tageblatt“ und Mitbegründers der „Deutschen Demokratischen Partei“. 2 Bände. Boppard: Harald Boldt 1984.
  • Bernd Sösemann (Hrsg.): Emil Dovifat. Studien und Dokumente zu Leben und Werk. Unter Mitarbeit von Gunda Stöber. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1998.
  • Bernd Sösemann (Hrsg.): Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk. Stuttgart: Franz Steiner 2001.
  • Bernd Sösemann/Marius Lange (Hrsg.): Propaganda. Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur. Eine Dokumentation und Edition der Gesetze und Verordnungen, Anweisungen und Führerbefehle. Stuttgart: Franz Steiner 2011.
  • Bernd Sösemann/Gregor Vogt-Spira (Hrsg.): Friedrich der Große in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung. 2 Bände. Stuttgart: Franz Steiner 2012.

Weiterführende Literatur

  • Patrick Merziger/Rudolf Stöber/Esther-Beate Körber/Jürgen Michael Schulz (Hrsg.): Geschichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann zum 65. Geburtstag. Stuttgart: Franz Steiner 2010.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Rudolf Stöber: Bernd Sösemann. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/bernd-soesemann/ ‎(Datum des Zugriffs).