Marianne Lunzer-Lindhausen (Quelle: Duchkowitsch 1985)

Marianne Lunzer-Lindhausen

22. Juli 1919 bis 29. Juli 2021

Lexikoneintrag von Martina Thiele am 12. Mai 2015

Jahrzehntelang war das Wiener Institut für Publizistik eng mit dem Namen Marianne Lunzer-Lindhausen verbunden. Über ihre eigenen Schwerpunkte in der Forschung hinaus leistete Lunzer dabei auch einen wesentlichen Beitrag zur Akademisierung des österreichischen Journalismus.

Stationen

Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Wien. 1942 Promotion und Assistentin am Institut für Zeitungswissenschaft. 1956 Habilitation. 1965 Auszeichnung mit dem Theodor-Körner-Förderungspreis. 1969 erfolglose Bewerbung um den Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft in Wien. 1973 Ernennung zur außerordentlichen Professorin für Publizistik an der Universität Wien. 1981 bis 1985 Leitung des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 1985 Ernennung zur ordentlichen Professorin und Emeritierung.

Publikationen

  • Naturdarstellung bei Waldemar Bonsels. Dissertation, Philosophische Fakultät der Universität Wien 1941.
  • Die Umstellung in der österreichischen Pressepolitik – die Verdrängung der negativen Methoden durch positive. Habilitationsschrift, Philosophische Fakultät der Universität Wien 1956.
  • Die Frau als Leserin im Josephinischen Wien. Ein Beitrag zu den Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert. In: Manfred Bobrowski/Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte. München: Ölschläger 1987, S. 311-316.
  • Wege der Pressegeschichte am Wiener Institut. In: Manfred Bobrowski/Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Wege zur Kommunikationsgeschichte. München: Ölschläger 1987, S. 111-116.

Die wissenschaftliche Karriere von Marianne Lunzer-Lindhausen, geborene Pig, ist aus fachgeschichtlicher und geschlechtersoziologischer Perspektive aufschlussreich – gerade auch im Vergleich zu den Karrieren anderer Kommunikationswissenschaftler derselben Generation (vgl. Thiele 2015a, 2015b). Lunzer, die ihr bürgerliches Elternhaus selbst als „unpolitisch“ und „kulturinteressiert“ beschrieb, studierte Germanistik und Anglistik in Wien und promovierte 1942 mit einer Arbeit über die Naturdarstellung im Werk Waldemar Bonsels’. Sie trat dann eine Assistentenstelle am kurz zuvor gegründeten Institut für Zeitungswissenschaft an und übernahm dort kriegsbedingt einen Großteil der Aufgaben in Verwaltung und Lehre. Im letzten Kriegsjahr wurde ihr sogar provisorisch die Institutsleitung übertragen. Nach 1945 setzte sich Lunzer, die als politisch unbelastet galt, für das Weiterbestehen des Wiener Instituts ein. Vorstände der Einrichtung waren nun wieder Männer, ausschließlich fachfremde. 1956 habilitierte sich Lunzer mit einer pressehistorischen Arbeit und erwarb die venia legendi für Zeitungswissenschaft. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde sie zudem Mitte der 1960er-Jahre mit dem Theodor-Körner-Förderungspreis ausgezeichnet. Als 1968 die Besetzung der Wiener Lehrkanzel für Zeitungswissenschaft anstand, bewarb sich Lunzer ebenso wie ihr Kollege Kurt Paupié und der frühere Institutsvorstand Karl Oswin Kurth, die beide der NSDAP angehört hatten. Zwar attestierte die Berufungskommission Lunzer, eine „ausgezeichnete Lehrkraft“ und „vorzügliche Mitarbeiterin“ zu sein, seit ihrer Habilitationsschrift habe sie aber zu wenig publiziert, „woran verschiedene familiäre Schicksalsschläge schuld“ seien (Personalakte Lunzer, zitiert nach Duchkowitsch 2004: 235). Lunzer schaffte es nicht einmal auf die Liste (berufen wurde Paupié) und wurde vier Jahre später zur außerordentlichen Professorin ernannt. Eine ordentliche Professur erhielt sie erst im Jahr ihrer Emeritierung.

Marianne Lunzer-Lindhausen (Foto: privat)

Marianne Lunzer-Lindhausen auf der Weihnachtsfeier des Wiener Instituts 1976 (Foto: Roland Burkart)

Lunzers Schwerpunkte in Forschung und Lehre waren Kommunikations- und Mediengeschichte, Presseforschung und Kommunikationspolitik. Dabei betreute die Publizistikprofessorin 230 Dissertationen (bis in die 1980er-Jahre der erste akademische Abschluss) und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Akademisierung des österreichischen Journalismus (wenngleich der erfolgreiche Blattmacher Wolfgang Fellner im profil-Interview bekannte, seine Doktorarbeit „Zur Erfindung des Telegrafen und seine Wirkung auf die Medien“ dann doch nicht fertiggestellt zu haben), wovon auch die Festschriften ihrer Schülerinnen und Schüler zum 65. und 70. Geburtstag zeugen (vgl. Duchkowitsch 1985, Duchkowitsch/Haas/Loika 1991). In einer Würdigung zum 90. Geburtstag schrieben Wolfgang Duchkowitsch und Hannes Haas über die „Doyenne“ des Wiener Instituts, ihr sei es wichtiger gewesen, nach innen zu wirken als nach außen präsent zu sein (vgl. 2009). Eine solche Haltung scheint im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb nicht mehr möglich. Auch die kommunikationshistorische Forschung und Lehre, wie sie Marianne Lunzer in Wien betrieben hat, gilt inzwischen als überholt.

(aktualisiert am 30. Juli 2021)

Literaturangaben

  • Wolfgang Duchkowitsch (Hrsg.): Mediengeschichte. Forschung und Praxis. Festgabe für Marianne Lunzer-Lindhausen zum 65. Geburtstag. Wien: Böhlau 1985.
  • Wolfgang Duchkowitsch: Von Karl Oswin Kurth zu Kurt Paupié. Eine Geschichte ideologischer Konformität? In: Wolfgang Duchkowitsch/Fritz Hausjell/Bernd Semrad (Hrsg.): Die Spirale des Schweigens. Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Wien: Lit 2004, S. 235-247.
  • Wolfgang Duchkowitsch/Hannes Haas: Marianne Lunzer-Lindhausen zum 90. Geburtstag. In: Medien & Zeit 24. Jg. (2009), Nr. 3, S. 64.
  • Wolfgang Duchkowitsch/Hannes Haas/Klaus Loika (Hrsg.): Kreativität aus der Krise. Konzepte zur gesellschaftlichen Kommunikation in der Ersten Republik. Festschrift für Marianne Lunzer-Lindhausen. Wien: Literas-Universitätsverlag 1991.
  • Wolfgang Fellner über sein Verständnis von Journalismus. Interview von Herbert Lackner. In: profil, 2.7.2013.
  • Martina Thiele: Gesehen werden. Lebenswege und Karrieren von Kommunikationswissenschaftlerinnen der Aufbaugeneration – ein Beitrag zur feministischen Fachgeschichtsschreibung. In: Feministische Studien 33 Jg. (2015a), S. 75-89.
  • Martina Thiele: Life Paths and Careers. Female Academics in Communication Science and the Post-war Reconstruction Generation. In: Peter Simonson/David W. Park (Hrsg.): The International History of Communication Study. London: Routledge 2015b (im Druck).

Weiterführende Literatur

  • Doris Ingrisch: Weibliche Existenz und Nationalsozialismus an der Universität Wien. In: Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hrsg.): Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien. Wien: Vienna University Press 2010, S. 141-164.
  • Doris Ingrisch/Gert Dressel: Erfahrungen und Erzählungen von (Nicht-)Zugehörigkeiten. In: Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel (Hrsg.): „Anschluss“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien. Wien: Lit 2008, S. 261-299.

Weblink

Empfohlene Zitierweise

    Martina Thiele: Marianne Lunzer-Lindhausen. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/marianne-lunzer-lindhausen/ ‎(Datum des Zugriffs).