Jörg Becker (Foto: privat)
Jörg Becker (Foto: privat)

Jörg Becker

17. September 1946

Lexikoneintrag von Michael Meyen am 20. März 2015

Jörg Becker ist ein Grenzgänger zwischen den Sozialwissenschaften. Ausgebildet in der Politikwissenschaft und ohne feste Stelle an der Universität war er vor allem im Bereich internationale Medienpolitik präsent. Seine Noelle-Neumann-Biografie (2013) wurde nach juristischen Auseinandersetzungen vom Markt genommen.

Stationen

Geboren in Bielefeld. Vater Major im Wehrmachtsgeneralstab, nach dem Krieg Lehrer, Schulrat und sozialdemokratischer Schulpolitiker. Mutter Hausfrau. Abitur in Wiesbaden. 1966 Studium in Marburg, Tübingen und Bern (Politikwissenschaft, Germanistik, Pädagogik). 1970 Erstes Staatsexamen (Lehramt an Gymnasien), Marburg. 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 1974 wissenschaftlicher Berater der Frankfurter Buchmesse (bis 1980). Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1974/75 Studienaufenthalt in New York und Cambridge, MA. 1977 Promotion am Marburger Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, 1981 dort Habilitation. 1987 Honorarprofessor in Marburg und Privatdozent an der Technischen Universität Darmstadt. 1987 Gründer und dann Leiter des Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung (bis 2010). 1987 bis 1992 Heisenberg-Stipendiat der DFG. 1999 Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck (bis 2011). 2014 parteiloser Abgeordneter für die Fraktion Die Linke im Rat der Stadt Solingen. Verheiratet in zweiter Ehe, vier Kinder.

Publikationen

  • Alltäglicher Rassismus. Afro-amerikanische Rassenkonflikte im Kinder- und Jugendbuch der Bundesrepublik. Frankfurt/Main: Campus 1977 (Dissertation). 2. Auflage 1992.
  • Massenmedien im Nord-Süd-Konflikt. Frankfurt/Main: Campus 1985.
  • Europe speaks to Europe. International Information Flows between Eastern and Western Europe. Oxford: Pergamon Press 1989 (Herausgeber, mit Tamas Szecskö).
  • Communication and Conflict. Studies in International Relations. Preface by Johan Galtung. New Delhi: Concept Publishing House 2005.
  • Die Digitalisierung von Medien und Kultur. Wiesbaden: VS 2013.
  • Elisabeth Noelle-Neumann. Zwischen NS-Ideologie und Konformismus. Paderborn: Schöningh 2013 (zurückgezogen).

Jörg Becker hat, wie er selbst im Rückblick sagt, „eine Art Anti-Karriere gemacht“ (Becker 2015). Obwohl er nie auf eine etatisierte Professur berufen wurde, ist es ihm gelungen, bis über das Renteneintrittsalter hinaus wissenschaftlich zu arbeiten und im akademischen Diskurs präsent zu sein. Dies gilt vor allem für seine Hauptarbeitsgebiete internationale Medienpolitik, Massenmedien und Krieg sowie Massenmedien und Migration.

In einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurde darüber hinaus seine Biografie über Elisabeth Noelle-Neumann. In dem Streit um dieses Buch von 2013 ging es zum einen um die Frage, ob und wie Noelle-Neumann im Dritten Reich mit Sicherheitsdienst und Propagandaministerium zusammengearbeitet hat, und zum anderen um Beckers Behauptung, sie habe später ihren Entnazifizierungsnachweis gefälscht. In der wissenschaftlichen Literatur wurden Becker handwerkliche Fehler (Quellenrecherche, Quellenkritik) und Voreingenommenheit unterstellt (vgl. Stöber 2015). Nach einer juristischen Auseinandersetzung, in der ihm auch vorsätzliche Falschaussagen vorgeworfen wurden, zogen Verlag und Autor das Buch zurück (vgl. Becker 2015).

Dass Jörg Becker einmal eine Rolle in der Fachgeschichtsschreibung der Kommunikationswissenschaft spielen würde, war zu Beginn seiner „Anti-Karriere“ nicht abzusehen. Er studierte Politikwissenschaft in Marburg („damals vermutlich das einzige politikwissenschaftliche Institut mit einer starken DKP-Abteilung oder zumindest mit Hochschullehrern, die dieser Partei gewogen waren“, Becker 2015), war in der Friedensforschung aktiv und stieß dann auch durch seine Dissertation über Rassismus in Kinderbüchern (vgl. Becker 1977) auf die IAMCR, wo er ein ideales Umfeld für sein Interessen an Medienpolitik und grenzüberschreitender Kommunikation fand (vgl Meyen 2015). Die vielen gescheiterten Bewerbungen auf Professuren in der Kommunikationswissenschaft und in angrenzenden Disziplinen hat er selbst im Rückblick auch damit begründet, dass er durch seine Kontakte zu osteuropäischen Wissenschaftlern in der Bundesrepublik „als Kommunistenfreund“ galt (Becker 2015).

Finanziert hat Jörg Becker seine Arbeiten zunächst über ein Heisenberg-Stipendium der DFG (1987 bis 1992), über ein eigenes Forschungsinstitut und entsprechende Drittmitteleinwerbungen und ab 1999 dann auch über eine Gastprofessur in Innsbruck („die zwölf besten Jahre meines Arbeitslebens, trotz jämmerlicher Bezahlung“; Becker 2015).

Literaturangaben

  • Jörg Becker: Alltäglicher Rassismus. Afro-amerikanische Rassenkonflikte im Kinder- und Jugendbuch der Bundesrepublik. Frankfurt/Main: Campus 1977.
  • Jörg Becker: Jenseits des Mainstreams. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015.
  • Michael Meyen: The IAMCR Story: Communication and Media Research in a Global Perspective. In: Dave Park/Pete Simonson (Hrsg.): New Histories of Communication Study. London: Routledge 2015 (im Druck).
  • Rudolf Stöber: Historische Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Die Standards einer Triangulation. In: Stefanie Averbeck-Lietz/Michael Meyen (Hrsg.): Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS 2015 (im Druck).

Weiterführende Literatur

  • Frank Deppe/Wolfgang Meixner/Günther Pallaver (Hrsg.): Widerworte. Philosophie Politik Kommunikation. Festschrift für Jörg Becker. Innsbruck: innsbruck university press 2011.

Weblinks

Empfohlene Zitierweise

    Michael Meyen: Jörg Becker. In: Michael Meyen/Thomas Wiedemann (Hrsg.): Biografisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2015. http://blexkom.halemverlag.de/joerg-becker/ ‎(Datum des Zugriffs).